Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Die Audienz

Der nächste Morgen kam und mit ihm die zur Audienz bestimmte Stunde: halb zwölf. Zu genaue Einhaltung dieser Zeit war nun allerdings nicht nötig, da der Zug erst um halb zwölf in Chorillos eintraf und dann immer noch einige Minuten vergingen, ehe der Präsident selbst für seine Minister zu sprechen war. Don Rafael hatte sich aber vorgenommen, pünktlich zu sein, und als er zur bestimmten Stunde das Wartezimmer betrat, fand er schon Señor Morales vor, der hier auf- und abging, und eben nicht angenehm überrascht schien, ihn hier zu sehen.

Nichtsdestoweniger begrüßte er ihn zuvorkommend, schüttelte ihm die Hand und versicherte ihm, er freue sich herzlich, ihn wiederzusehen, und wünschte nichts so sehr, als einmal ungestört ein Stündchen mit ihm plaudern zu können, um zu hören, wie es da draußen in der fremden Welt und den fremden Weltteilen, die er ja besucht habe, zugehe.

Und weshalb war er eigentlich jetzt hierher gekommen? Um den Präsidenten zu sprechen? Señor Morales hätte das gar zu gern herausbekommen und ging auf das geschickteste eine ganze Weile um die Frage herum. Rafael dagegen wußte ihn ebenso geschickt nicht zu verstehen, und es blieb dem Minister zuletzt nichts anderes übrig, als ihn eben direkt danach zu fragen – aber selbst das half ihm nichts. Der junge Mann gab ihm nur ausweichende Antworten. Der Präsident hatte ihm erlaubt, ihm ebenfalls einige Auskunft über fremde Verhältnisse zu geben, wie ja Señor Morales gerade den Wunsch geäußert habe – Neugierde vielleicht – vielleicht Wißbegierde, und er konnte ihm allerdings einige sehr interessante Mitteilungen machen.

Morales bekam nichts weiter heraus, und da indessen der Präsident auch eingetroffen war – sie hatten seinen Wagen schon vor einer Weile vor der Tür halten hören – so wurde die Unterhaltung dadurch gewaltsam abgebrochen. Sowie auch nur einer der galonierten Diener die Saaltür öffnete, verbeugte sich der Minister gegen den jungen Mann und nahm als selbstverständlich den Vortritt für sich in Anspruch, und Rafael konnte indessen die Freuden des Wartens nach Herzenslust durchkosten.

Eine Weile trug er das auch geduldig und schritt mit verschränkten Armen in dem großen Gemach auf und ab. Es liegt aber für jeden wirklichen Mann etwas Entwürdigendes darin, in dem Vorzimmer irgendeines Menschen der Welt, wer er auch sei, zurückgehalten zu werden, um zu warten, bis es jenem gefalle, ihn zu sprechen, und es gehört ein ganz besonderes Blut dazu.

Rafael war auch drei- oder viermal nahe daran, seinen Hut zu nehmen und den Palast wieder zu verlassen, und hätte es nur seine eigene Angelegenheit betroffen, rasch genug würde er diesen Entschluß ausgeführt haben; aber er dachte dann immer wieder an die armen, unglücklichen Insulaner, deren einzige Hoffnung jetzt auf ihm ruhte, und das bannte ihn doch auf den Platz.

Indessen hatte Señor Morales heute einen sehr langen Vortrag bei Seiner Exzellenz, und der Präsident hatte um zwölf Uhr schon wieder seinen Wagen befohlen, um den Kasernenbau zu besichtigen und dort noch einige Anordnungen zu treffen. Es war zehn Minuten vor zwölf, als der Minister endlich entlassen wurde und Seine Exzellenz noch vorher an die versprochene Inspizierung erinnerte.

»Es sind auch noch einige Personen im Vorzimmer«, sagte Señor Morales dabei, »aber Exzellenz werden heute kaum Zeit behalten. Sie gestatten mir wohl, sie auf ein anderes Mal herzubestellen?«

»Jawohl, jawohl«, sagte Castilla, der eine Menge andere Dinge im Kopf hatte, rasch; »heute bin ich überhaupt nicht aufgelegt. Bitte, schicken Sie sie fort!« Und sich an den Tisch setzend, überflog er noch einmal die verschiedenen Papiere, die ihm sein Minister vorgelegt hatte, und Morales, vergnügt über die gelungene List, dem Señor Aguila, der ihm nicht hatte sagen wollen, was ihn zum Präsidenten führte, den Weg dorthin abzuschneiden, betrat das Vorzimmer wieder, ging auf diesen zu und sagte mit tiefem, höflichem Bedauern im Tone:

»Señor Aguila, es tut mir wirklich in der Seele leid, daß Sie heute umsonst so lange warten mußten. Exzellenz hatten aber so dringende Arbeiten, die sich wegen des nach Arica gehenden Dampfers nicht aufschieben ließen, und da er auch in diesem Augenblick wieder ausfahren muß, um etwas zu inspizieren, so läßt er Sie recht freundlich ersuchen, an einem anderen Tage, den er Ihnen vorher noch näher bestimmen wird, Ihren Besuch zu wiederholen. – Juan«, wandte er sich dann an den aufwartenden Lakaien, »es wird heute morgen weiter niemand vorgelassen – strenge Order Seiner Exzellenz.«

»Zu Befehl, Señor!«

»Sie werden mit mir doch eine Ausnahme machen müssen, Señor«, sagte Don Rafael, der die Absicht des Ministers durchschaute und nur mit Mühe seinen aufkochenden Zorn zurückhielt; »ich bin besonders von Seiner Exzellenz hierher bestellt worden und muß den Präsidenten sprechen!«

»Ich bedauere wirklich, daß es heute nicht möglich sein wird«, sagte Morales, der seine vornehme Ruhe beibehielt, aber womöglich noch mehr Höflichkeit in den Ton legte. Aguila war aber auch nicht einen Moment gesonnen, sich so abschütteln zu lassen oder nur einen Fußbreit von dem Terrain zu weichen, das er einmal hielt; er gab Morales keine Antwort mehr, nahm aus seinem Taschenbuch eine Karte, und sie dem Lakaien hinreichend, sagte er:

»Bringen Sie diese Karte Seiner Exzellenz und sagen Sie ihm, daß der, dessen Name darauf steht, hier im Vorzimmer schon seit einer vollen Stunde wartet. Haben Sie mich verstanden?«

»Es geht wirklich nicht, Verehrtester«, nahm hier noch einmal Morales mit gewinnender Herzlichkeit das Wort, da der Lakai zögerte, die Karte anzunehmen. »Sie werden sich dem direkt gegebenen Befehl Seiner Exzellenz nicht widersetzen wollen. Und was haben Sie für einen Vorteil davon? Angenommen werden Sie doch nicht und bringen den Herrn nur gegen sich auf; er haßt nichts mehr, als gezwungen zu werden!«

»Wollen Sie meine Karte jetzt hineintragen?« fragte Rafael, der dieser tückischen Höflichkeit gegenüber kaum seine Ruhe und Besonnenheit bewahren konnte, »oder soll ich es selber tun? Aber dann, Señor Morales, gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich dem Herrn auch gleich von vornherein erzähle, wie ich Sie vergebens gebeten habe, mich bei ihm zu melden, und daß ich annehmen muß, Sie hätten ein Interesse dabei, eine Zusammenkunft zwischen mir und dem Präsidenten zu verhindern. Möglich ja doch, daß Sie bei dem Kulihandel beteiligt sind!«

Morales biß sich auf die Lippe; der junge Mann sah aber so entschlossen aus, daß ihm allerdings zuzutrauen war, er würde den Zutritt erzwingen, und bei dem sonderbaren Charakter des alten Herrn war nie vorauszusehen, ob er das gut oder schlecht aufnehmen würde. Durch das einfache Hineintragen der Karte blieb noch immer die Möglichkeit, daß Castilla, mit seinen Papieren beschäftigt und reizbar überhaupt, eine Annahme kurz verweigern würde.

Dem Minister fuhren diese Gedanken blitzschnell durch den Sinn, und er machte jetzt eine Bewegung gegen den Lakaien, daß dieser die Karte annehmen und hineintragen sollte; zugleich warf er ihm aber, von Rafael unbemerkt, einen besonderen Blick zu, den der Lakai eigentlich hätte verstehen müssen. Er hieß: Geh hinein und komm wieder heraus, ich vertrete das andere! Ob es der Bursche aber nicht verstanden hatte oder nicht hatte verstehen wollen, denn Lakaien haben auch manchmal ihren eigenen Kopf, kurz, das Ergebnis war ein anderes, als es Señor Morales erhofft hatte.

Der Diener gab die Karte wirklich dem Präsidenten, und Castilla, der erst flüchtig den Namen las, sagte:

»Ich habe ja schon . . .« Aber plötzlich unterbrach er sich und rief: »Aguila – alle Wetter, das ist ja der Fremde, für den sich unsere kleine Französin so warm interessiert, und ich habe ihr die Hand darauf geben müssen, ihn anzunehmen – er soll hereinkommen – und noch eins: der Wagen soll erst gegen ein Uhr vorfahren. Es fällt mir eben ein, daß ich dem Finanzminister noch eine Audienz für einen jungen Mann auf halb ein Uhr zugesagt habe. Sobald er kommt, wird er gemeldet. Señor Aguila soll hereinkommen.«

Als der Lakai wieder das Vorzimmer betrat und, anstatt den verneinenden Entscheid des Präsidenten zu bringen, die Tür offen hielt, und daneben stehenblieb, zum Zeichen, daß Señor Aguila eintreten möchte, verneigte sich dieser, ohne weiter ein Wort zu sagen, leicht und lächelnd gegen den Minister und überließ es Morales, verblüfft seinen eigenen Weg zu verfolgen.

Wenige Minuten später betrat Rafael das Gemach, in dem Castilla, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte, stand und ihn erwartete.

»Exzellenz, ich muß um Entschuldigung bitten . . .«

»Lassen Sie alle Vorreden«, unterbrach ihn der alte Herr, jedoch nicht unfreundlich; »ich bin heute mit meiner Zeit etwas gedrängt, aber Sie haben eine sehr liebenswürdige Dame zur Fürsprecherin gehabt, und der muß ich mein Versprechen halten. Also kommen Sie zur Sache. Sie waren lange von Peru fort, wie sie mir erzählte, und sind hier während Ihrer Abwesenheit durch einen Kunstgriff an Ihrem Eigentum geschädigt worden. War es nicht so?«

»Exzellenz«, sagte Don Rafael, indem er dem alten Herrn fest ins Auge sah, »wenn mir mehr Zeit verstattet wäre, als Sie, wie es scheint, entbehren können, so würde ich Ihnen auch wohl meine etwas verwickelte Angelegenheit vortragen. Da sie mich aber allein betrifft, so darf ich Sie heute nicht damit belästigen, wo ich Ihnen eine wichtige, die Ehre von ganz Peru betreffende Sache zu enthüllen habe.«

»Eine Staatsangelegenheit?« sagte Castilla, eben nicht angenehm überrascht. »Also dahinter hat sich die kleine Wetterhexe auch schon gesteckt? Aber wie kommen Sie dazu, wenn ich fragen darf?«

»Wenn Sie mir erlauben, Exzellenz, Ihnen nur mit ein paar Worten das ganze zu erzählen, so finden Sie diese Frage zugleich darin beantwortet.«

»Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie es so kurz wie möglich machen – aber setzen wir uns.« Und er deutete mit der Hand auf einen Stuhl, auf den sich Rafael vor ihm niederließ.«

»Sie wissen, Exzellenz«, begann der junge Mann, »daß seit kurzer Zeit von hiesigen Geschäften ein Kulihandel mit der Südsee eröffnet ist« – Castilla nickte nur – »aber Sie wissen nicht«, fuhr Rafael fort, »auf welche Art diese ›freien Arbeiter‹ nach Peru geschafft werden.«

»Lieber Gott«, sagte Castilla, »man hat Kontrakte mit ihnen abgeschlossen! Sie bekommen eine bestimmte Vergütung für ihre Arbeit und sind nach acht Jahren wieder frei. Ja, ich habe sogar für sie ausgemacht, daß sie nach der Zeit von den Häusern, die sie herbrachten, wieder in ihre Heimat geschafft werden müssen, wenn sie es verlangen sollten.«

»Exzellenz sind da falsch berichtet«, sagte Rafael ernst. »Die unglücklichen Insulaner wurden ohne Kontrakt auf das Schiff gelockt und mit fortgenommen; dort aber, als sie die Absicht ahnten und sich widersetzen wollten, feuerte man zwischen sie und schoß sie wie Verbrecher nieder.«

»Können Sie beweisen, was Sie da sagen?« rief Castilla rasch.

»Ja, Exzellenz«, sagte der junge Mann ruhig. »Erst später, dicht an der peruanischen Küste, ich glaube gar erst im Hafen, wurde ihnen der Kontrakt, von dem sie natürlich keine Ahnung hatten, was er enthielt, unter dem lügnerischen Vorgeben zur Unterzeichnung vorgelegt, daß man ihre verschiedenen Namen wissen wolle, um sie wieder in die Heimat zu schicken. Nur wenige, eigentlich nur einige Frauen, glaubten diesem neuen Betruge und malten irgendein Zeichen auf das Papier; die übrigen sogenannten Unterschriften wurden von einem nichtsnutzigen Individuum, einem weggelaufenen Matrosen, der sich auf ihrer Insel niedergelassen hatte und, wie es scheint, auch geholfen hat, sie zu überlisten – vielleicht gar von dem Kapitän selber ausgefüllt.«

»Und woher haben Sie das alles erfahren?«

»Ich hielt mich, ehe ich nach Peru zurückkehrte, über ein Jahr auf den Gesellschaftsinseln auf und lernte ihre Sprache. Vor einigen Tagen, als ich einen Freund in den Hacienden besuchte, wo auch mein Besitztum früher lag, das jetzt von Señor Desterres beansprucht wird . . .«

»Von Desterres – so . . .?«

»traf ich mit einigen dieser Unglücklichen zusammen, die von eben dem Herrn in ›Kontrakt‹ genommen, das heißt mit einfachen Worten: gekauft waren, und diese, die keinen Menschen sonst hier haben, dem sie sich verständlich machen können, klagten mir ihr Leid und baten mich um Hilfe.«

»Aber es sind mehrere Schiffe mit Kulis aus der Südsee hier angelaufen; wir wissen nicht, ob alle so gehandelt haben.«

»Wohl schwerlich anders«, sagte Rafael, »denn ich kenne diese einfachen Menschen zu genau. Es mag möglich sein, dann und wann einmal einen einzelnen zu überreden, sein Glück in einem anderen Land zu versuchen, aber die Mehrzahl wird man nie freiwillig zur Auswanderung bringen, und wo das geschah, können Sie sich auch fest darauf verlassen, daß eine Schurkerei dahinter steckt.«

»Und wie hieß das Schiff, mit dem sie gekommen sind?«

»Der Name war nicht von ihnen zu erfahren, sie haben ihn wohl nie gehört und können ja auch nicht lesen; nach den Tagen aber, die sie jetzt, wie mir der eine Insulaner angab, auf festem Land zugebracht haben und die er sich genau gemerkt hat, muß es das zuerst eingelaufene gewesen sein, die Libertad.«

»Ich dachte es mir beinahe«, sagte Castilla vor sich hin; »eine ganz verwünschte Geschichte, die wieder schönen Lärm in der Welt machen und einer ganzen Menge von Leuten erwünschte Gelegenheit geben wird, nach Herzenslust über unsere hiesigen Zustände herzufallen. Und sie haben bei Gott recht! Nur daß sie mir nachher alles in die Schuhe schieben, und ich bin gerade der letzte, der es gewöhnlich erfährt!«

»Ich wußte vorher, daß Eure Exzellenz den Tatbestand nicht gekannt haben konnten, oder Sie würden Ihre Erlaubnis nie zu einem solchen Sklavenhandel gegeben haben.«

»Ich danke Ihnen für die gute Meinung«, sagte Castilla trocken, »wenn auch eine Grobheit darin liegt. Der Sache muß aber ein Ende gemacht werden. Da hat mir Morales eben wieder eine Vorlage gebracht, nach der die Regierung selber solche Kontrakte eingehen sollte. Er kann auch unmöglich von der Art und Weise wissen, wie die Leute ›freiwillig‹ geworben wurden oder er würde mich doch wahrhaftig nicht in den schmutzigen Handel hineinbringen wollen. Ich bin Ihnen dankbar, Señor, für die Auskunft, die Sie mir gegeben haben. Von heute ab soll dieser Kulihandel verboten werden; ich will nichts, gar nichts damit zu tun haben, und kein Schiff mit solchen Arbeitern darf mehr an meiner Küste landen!«

»Und die Unglücklichen, die aus ihrer Heimat geraubt wurden, was wird mit ihnen?« fragte Rafael. »Sie dürfen doch gewiß in Peru Gerechtigkeit verlangen.«

»Hm, ja, Sie haben recht«, sagte Castilla, der von seinem Stuhl aufgesprungen war und im Zimmer mit raschen Schritten auf und ab ging. »Die armen Teufel – es ist schändlich – aber der Henker, was läßt sich in der Sache tun! Sie sind doch auch ganz fest davon überzeugt, daß sich die Sache wirklich so verhält?«

»Exzellenz können mich als Dolmetscher vereiden lassen und die Leute selber verhören. Ich würde es nicht gewagt haben, Ihnen oder irgendeinem anderen Menschen eine Unwahrheit zu sagen.«

»Ich glaube Ihnen, ich glaube Ihnen; aber wir stechen da in ein wahres Wespennest. Wenn ich das nur vorher gewußt hätte; nun aber sind die Kontrakte mit den verschiedensten Personen schon abgeschlossen.«

»Die Firma, die auf solch niederträchtige Weise einen Sklavenhandel eröffnete, muß natürlich das erhaltene Geld wieder herauszahlen«, sagte Rafael.

»Wer beweist uns aber, daß gerade die Firma eine Ahnung von dem wirklichen Verhalt des Handels hatte? Ja, es ist weit wahrscheinlicher, daß der Kapitän des Schiffes auf eigene Faust das Verbrechen beging, und das Schiff, die ›Libertad‹, ist erst gestern wieder ausgelaufen. Wenn ich es nur um zwei Tage früher gewußt hätte!«

»Exzellenz, ich bat schon vor acht Tagen Señor Morales dringend, mich bei Eurer Exzellenz zu melden, aber vergeblich.«

»Wußte er, um was es sich handelte?« fragte Castilla rasch und sah, stehenbleibend, den jungen Mann an.

»Das allerdings nicht«, erwiderte Rafael; »ich glaube aber kaum, daß ihn das vermocht haben würde, meine Bitte zu erfüllen.«

»Möglich«, nickte Castilla leise vor sich hin, indem er die Unterlippe vorstreckte und die Augenbrauen in die Höhe zog. »Morales ist immer sehr eifrig bemüht, mir alles Unangenehme fernzuhalten – er meint es aber gut.«

»Möglich«, erwiderte Rafael mit einer ganz gleichen Bewegung wie der Präsident, und dieser sah ihn rasch von der Seite an, während ein leichtes, aber ebenso schnell wieder verschwindendes Lächeln um seine Lippen zuckte.

»Ich bin fest überzeugt«, sagte er endlich, »daß in diesem Fall der Kapitän eigenmächtig gehandelt hat, und stellt sich das heraus, so soll er seiner Strafe nicht entgehen.«

»In jedem Fall ist aber der Herr für die Vergehen seines Dieners verantwortlich«, sagte Rafael; »denn die Firma hat den Nutzen eingezogen und muß deshalb auch nach Recht und Gerechtigkeit dadurch die Strafe zahlen, daß sie diese unglücklichen Insulaner ohne weiteren Zeitverlust ihrer Heimat wiedergibt.«

»Ja, Sie haben gut reden«, sagte Castilla ärgerlich, »wer bei solchen Geschichten gewöhnlich die Strafe zahlt, das bin ich selber, und ich habe in diesem Fall nicht die geringste Lust dazu.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, auf deren Schwelle der Lakai wieder erschien und Señor Perteña meldete.

Dem Präsidenten schien die Unterbrechung erwünscht.

»Soll eintreten!« rief er rasch, und sich dann an Rafael wendend, sagte er freundlich: »Nehmen Sie nochmals meinen aufrichtigen Dank für die Mühe, die Sie sich in dieser Sache gegeben haben, und seien Sie versichert, daß ich sehen will, was sich darin tun läßt. Auch von Ihrer Angelegenheit möchte ich unterrichtet sein, denn ich fühle recht gut, daß Sie sich besonders dadurch ehrenvoll benommen haben, eine Ihren eigenen Interessen doch fern liegende Sache der Ihrigen vorgeschoben zu haben – bitte, keine Einwendungen. Ich werde auch die Sache untersuchen und Sie zu dem Zweck wahrscheinlich in den nächsten Tagen wieder herrufen lassen. Wo sind Sie zu finden?«

»Exzellenz, meine Adresse steht auf der Karte, die ich mir vorhin die Freiheit nahm, Ihnen hereinzuschicken.«

»Gut – ah, Señor Perteña, ich freue mich, Sie zu sehen«, wandte sich der Präsident in diesem Augenblick zu dem eintretenden jungen Mann, »Sie sind mir durch Benares warm empfohlen worden.«

Perteña verbeugte sich tief vor dem Präsidenten, und als er sich wieder erhob, fiel sein Blick auf Aguila. War ihm das Blut durch die Verbeugung in den Kopf gestiegen? Jedenfalls rötete sich sein Antlitz lebhaft.

Auch Don Rafael heftete seinen Blick erstaunt, ja überrascht auf ihn, und Castilla, dem mit seiner scharfen Beobachtungsgabe dieses Erkennen der beiden Herren nicht entgangen war, sagte:

»Die Herren scheinen sich nicht fremd zu sein.«

»Allerdings nicht«, erwiderte Aguila, indem ein eigenes Lächeln um seine Lippen spielte; »wir sind uns schon einmal begegnet.«

»Ja, und auf höchst eigentümliche Weise«, lachte Perteña, der sich, welchen Grund auch seine frühere Bewegung gehabt haben mochte, rasch wieder gesammelt hatte. »Wenn ich mich wenigstens nicht irre, so ist es der nämliche Señor, der mich, als ich ihn sehr artig auf der Straße um Feuer für meine Zigarre bat, aller Wahrscheinlichkeit nach für einen Straßenräuber hielt, denn er steckte seine Zigarre in eine schon bereitgehaltene Pistole und zwang mich, bei gespanntem Hahn meine Zigarre an der seinigen anzuzünden. Sie werden mir zugeben, Exzellenz, daß das eine höchst unangenehme Situation war, denn die leiseste Fingerbewegung des Herrn hätte mir das Gehirn zerschmettern müssen.«

Castilla, der seine Blicke indessen rasch von einem zum andern schweifen ließ, fragte jetzt, gegen Rafael gewandt:

»Waren Sie das wirklich?«

»Ich muß mich dazu bekennen, Exzellenz«, erwiderte der Gefragte achselzuckend, »und würde es innig bedauern, wenn ich dem Herrn unrecht getan hätte.«

»In der Tat?« lachte Perteña. »Also würden Sie es lieber sehen, wenn ich wirklich ein Straßenräuber gewesen wäre?«

»Die näheren Umstände entschuldigen viel«, sagte Rafael, ohne auf die Spitzfindigkeit einzugehen. »Wir befanden uns ein paar Leguas von Lima in der verrufensten Gegend der Straße, außer Sicht irgendeiner Wohnung oder eines anderen Menschen, und wie ich selber großes Bedenken tragen würde, einen mir begegnenden Reisenden zu nahe anzureiten, so hielt ich es auch für nützlich, mir solche Annäherung fernzuhalten.«

»Dagegen läßt sich nicht viel sagen«, lachte Castilla, dem diese kleine Anekdote augenscheinlich Spaß gemacht hatte, obgleich sein Blick immer wieder zu Perteña hinüberflog. »Aber eine verwünschte Situation muß es gewesen sein, Señor Perteña, da haben Sie recht, sich Feuer aus einer Pistole zu nehmen, deren Mündung einem gerade ins Gesicht gerichtet ist – ganz verzweifelter Moment! Aber, lieber Aguila, ich will Sie nicht länger aufhalten; in der Sache werde ich Sie also nächstens rufen lassen.«

Aguila verbeugte sich und wollte gehen.

»Und noch eins«, rief ihm der Präsident nach, »was Sie zu haben wünschen, können Sie um zwei Uhr bei mir abholen.«

»Exzellenz?« fragte Rafael, der ihn falsch verstanden zu haben glaubte.

»Um zwei Uhr sollen Sie sich das Verlangte abholen«, erwiderte etwas ungeduldig der alte Herr. »Wenn ich beschäftigt sein sollte, senden Sie Ihre Karte herein, und ich schicke es Ihnen dann hinaus.«

Don Rafael verbeugte sich wieder und verließ das Zimmer, aber immer noch mit dem dunkeln und unbehaglichen Gefühl, daß er irgend etwas überhört oder vollkommen mißverstanden habe.

Um zwei Uhr sollte er sich das Verlangte abholen – was hatte er denn verlangt außer der Rücksendung der Insulaner, und die konnte er sich doch nicht hier beim Präsidenten um zwei Uhr, also in kaum anderthalb Stunden, abholen? Um zwei Uhr sollte er wieder vorkommen und seine Karte hineinschicken? Wollte ihn denn der Präsident noch einmal sprechen, und hatte er ihm das dadurch auf eine seine Weise zu verstehen gegeben, damit sein anderer Besuch nichts davon erfahre? Und wer war das überhaupt, dieser Señor von der Landstraße, den er nur zu sehr im begründeten Verdacht hatte, damals etwas ganz anderes von ihm zu verlangen, als nur Feuer für seine Zigarre – Perteña – den Namen hatte er schon gehört – er mußte den Menschen von früher her kennen, und durch Benares, also jedenfalls den Finanzminister, war er warm empfohlen? Der Henker wurde aus dem Ganzen klug! Jedenfalls beschloß er aber, dem Wink des Präsidenten zu folgen und Punkt zwei Uhr wieder im Palais zu sein. Das weitere würde sich dann schon ergeben.

 


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