Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Verschiedene Beratungen

Pedro, der Cholo, war am nächsten Morgen Punkt acht Uhr, wie ihm Perteña befohlen, am Fluß draußen gewesen und hatte dort auf ihn gewartet, aber umsonst. Auch am andern Morgen wartete er, und noch acht Tage, immer um dieselbe Zeit, ohne daß Perteña gekommen wäre. Endlich am neunten Morgen traf er ein und hatte dabei, wie es schien, nicht einmal den Weg nach den Hacienden hinaus gehalten, sondern war am Fluß selber hinaufgeritten, nur um unterwegs niemand zu begegnen. Dem Cholo fiel es aber natürlich nicht ein, ihn nach der Ursache zu fragen, und als Perteña aus dem Sattel sprang, nahm er dem Pferd erst die Zügel ab, führte es dann ans Wasser, um es zu tränken, und band es hierauf mit einem kurzen Lasso an einen der schwankenden Weidenzweige fest, daß es das süße Gras dicht am Ufer abfressen konnte.

Perteña, der diese Dienstleistung als selbstverständlich hingenommen und sich indessen in den Schatten unter einen Baum geworfen hatte, sah ihm, den Kopf auf den Arm gestützt, zu, bis der Bursche seine Arbeit beendet hatte und sich dann ohne weiteres in einer noch bequemeren Stellung und lang auf dem Rücken ausgestreckt neben dem jungen Weißen niederließ. Daß ihm dieser etwas zu sagen hatte, wußte er, er wäre sonst nicht in der Sonnenhitze hier herausgekommen; was es aber war, konnte er in aller Bequemlichkeit abwarten. Er hatte Zeit in Überfluß.

Perteña schien ebenfalls nicht in Eile zu sein. Er nahm eine kleine Blechbüchse aus der Tasche, in der er feingeschnittenen Tabak und Zigarettenpapier aufbewahrte, drehte sich eine Zigarette, schlug dann Feuer und blies den blauen Rauch eine ganze Weile in die Luft hinein, ohne daß Pedro auch nur ein Zeichen von Ungeduld gegeben hätte. Endlich sagte er:

»Pedro!«

»Señor?« antwortete der Bursche, ohne seine Stellung zu verändern.

»Hast du mir nichts von hier zu erzählen?«

»Von hier, Señor?« sagte der Bursche und hob erstaunt den Kopf in die Höhe; »nicht, daß ich wüßte. Was passiert hier schon!«

Perteña qualmte stärker. Er hatte gehofft, daß Pedro von dem, was ihm besonders auf dem Herzen lag, freiwillig beginnen würde; aber jetzt rührte er sich nicht, und er konnte nicht davon anfangen. Er begann sich über den Gleichmut des Cholos zu ärgern. Aber was kümmerte sich Pedro darum! Er war wieder in seine alte Lage zurückgefallen, und den Takt zu irgendeinem Fandango mit dem Fuß klopfend, schaute er still und regungslos zwischen die Blätter über sich hinauf. So lagen die beiden wohl wieder volle zehn Minuten, ehe Perteña noch einmal das Wort nahm und sagte:

»Hast du lange nichts von Señor Aguila gesehen?«

»Er ist hier«, sagte Pedro ruhig.

»Hier? Seit wann?« rief Perteña rasch.

»Seit etwa einer Stunde; er muß vor Tag von Lima aufgebrochen sein und sitzt jetzt drüben bei dem Franzosen und trinkt Kaffee. Die da drüben trinken den ganzen Tag Kaffee.«

Perteña schwieg wieder eine Weile; endlich richtete er sich auf, warf seine ausgerauchte Zigarette fort und sagte mit leiser, vorsichtig gedämpfter Stimme:

»Pedro, weißt du, daß uns der Bursche gefährlich wird?«

Der Cholo fuhr von seinem Lager empor. »So hat die Mutter doch recht gehabt!«

Perteña nickte und fuhr dann leise fort:

»Er hatte eine lange Audienz bei dem Präsidenten und hat ihm die ganze Geschichte von dem Gutsverkauf und dem Tod seines Onkels erzählt. Der eine Lakai hat gehorcht und mir genau berichtet, was sie zusammen sprachen. Auch noch andere Dinge sind verhandelt worden, die dir und deiner Mutter nicht angenehm sein würden zu erfahren.«

»Alle Teufel!« sagte der Cholo in der ersten Überraschung. Aber dann warf er sich wieder gleichgültig mit dem Rücken ins Gras und rief: »Doch was kümmert's mich? Das mögen die ausbaden, die es eingebrockt haben, und so lange die noch sicher auf ihren Füßen draußen umherlaufen, brauch' ich mich wahrlich nicht darum zu kümmern. Señor Desterres wird schon alles machen.«

»So?« sagte Perteña. »Und wenn nun eines morgens Señor Desterres verhaftet würde, glaubst du wirklich, daß sie nur den hingen und dich laufen ließen? Da bist du doch sehr im Irrtum. Er hat Freunde, mächtige Freunde, die ihn schon durchbringen, du aber nicht, und der erste, der gefaßt und gehängt würde, weißt du vielleicht, wie der hieße?«

»Grandisima!« murmelte der Bursche vor sich hin, indem er sich wieder auf seinen Ellbogen aufrichtete. »Recht könnt Ihr haben, Señor, und so lange meiner Mutter Sohn lebt, ist den Vornehmen hier in Peru noch verdammt wenig geschehen, während die armen Teufel schon oft die Zeche bezahlen mußten. Aber was tun? Daß der Böse auch den Jungen zurückgeführt hat! Aber ich will meine Mutter bitten, daß sie einen Zauber über ihn ausspricht, der ihm das Mark in den Knochen verdorren soll!«

»Verlaß dich nicht auf die Faxen, wenn ich dir raten soll«, sagte Perteña verächtlich – »einen Zauber sprechen – der beste Zauber, den wir über ihn sprechen könnten, wäre mit dem Messer!«

Pedro sah seinen Gefährten scharf und forschend an, ohne daß dieser dem Blick begegnet wäre; endlich nach einer Weile fragte er:

»Habt Ihr etwas davon gehört, daß neulich abends jemand in das Haus des Franzosen geschossen hat?«

»Ich? Nein«, sagte Perteña gleichgültig. »Wann war das?«

»An demselben Abend, an dem Ihr nach Lima rittet.«

»Wie kann ich dort davon gehört haben?«

»Hm«, sagte der Bursche, »in zwei Stunden ist man hinein und in ebensoviel wieder heraus. Merkwürdig bleibt's immer, wer's gewesen sein kann, und hier haben sie überall nachgesucht, aber nichts gefunden.«

»Ist niemand getroffen worden?«

»Dem Jungen hat's einen Streifen Haar mitgenommen; kann nur ein Finger breit gefehlt haben, und es wäre recht gewesen.«

Perteña biß die Zähne zusammen, erwiderte aber kein Wort und ließ Pedro weiter erzählen, wie sie nachher den Garten mit den Hunden abgesucht und bei dem Aufseher und bei ihm im Haus nachgespürt hätten, aber natürlich umsonst. Endlich sagte er:

»Pedro, willst du fünfhundert Dollars verdienen?«

»Fünfhundert?« rief der Bursche, erstaunt aufsehend; »das wäre genug, um eine kleine Chagra mit Kartoffelland und Alfalfa-Feldern zu kaufen – aber womit?«

Perteña beantwortete die Frage noch nicht. Er stand auf, ging um den Platz herum, auf dem sie lagen, und nachdem er sich vorher überzeugt hatte, daß niemand in der Nähe war, sagte er leise:

»Wenn du den Burschen beiseite bringst, daß er hier keine Nachforschungen mehr halten kann.«

Pedro hatte sich bei dem Vorschlag unwillkürlich auf beiden Armen emporgerichtet und sah seinen Gefährten starr und forschend an.

»Fünfhundert Dollars«, murmelte er nochmals leise vor sich hin, »ist viel Geld für eine kurze Arbeit, aber wer zahlt die Zeche, wenn ich hängen bleibe? Wenn's so leicht wäre, hättet Ihr es schon neulich abends fertiggebracht.«

»Ich?« rief Perteña auffahrend.

»Pst«, winkte aber der Cholo mit einem verschmitzten Lächeln, »als ich den Schimmel in der Nacht wieder an Onkel Pascuals Hütte vorbeifliegen sah, hatte ich gleich meine ganz besonderen Gedanken wegen des Orangenbaumes und ging die Nacht lieber gar nicht nach Haus. Mir braucht Ihr's auch nicht einzugestehen, was kümmert's mich, wenn Euch nachts einmal aus Versehen eine Flinte losgeht; schade nur, daß sie nicht den rechten Punkt getroffen hat!«

»Was soll das«, sagte Perteña unwillig; »sprich um Gottes willen nichts, was du nicht beweisen kannst!«

»Bah, wir wollen beide kein Wort über Beweise verlieren. Also fünfhundert Dollars, und wer zahlt sie aus?«

»Ich«, sagte Perteña.

»Das ist kein Geschäft«, erwiderte der Cholo trocken, indem er ganz entschieden den Kopf schüttelte. »Euch, Señor, fehlt es immer selber an Geld, Ihr nehmt mir das nicht übel, und dann möcht' ich auch noch einen anderen Bürgen haben, um den Rücken freizubekommen. Was sagt Señor Desterres von der Sache?«

»Er weiß noch nichts davon und sollte auch eigentlich nichts davon erfahren.«

»Dann mag ich auch nichts damit zu tun haben«, sagte der Cholo entschlossen. »Schlägt es fehl und werd' ich erwischt, so könnt Ihr mich nicht schützen. Hat Desterres die Hand mit darin, so bin ich sicher, und sperren sie mich dann auch ein paar Wochen ein, so hat das weiter nichts zu sagen.«

»So glaubst du, daß ich keinen Einfluß habe?«

»Nein«, erwiderte der Cholo ruhig; »und was das Geld betrifft, so muß das ebenfalls Desterres versprechen. Tut er das, dann geb' ich Euch mein Wort, daß der Bursche keine acht Tage mehr leben soll, und wenn ich ihn in Lima in seinem Bett suchen müßte. Tut er es nicht, dann seid so gut und nehmt Euch einen anderen, ich will mir nicht die Finger dabei verbrennen.«

Perteña biß sich auf die Lippen, aber es war mit dem Burschen nichts weiter anzufangen. Starrköpfig, wie das in seiner Natur lag, blieb er bei dem, was er einmal gesagt hatte, und Perteña rief endlich:

»Gut, ich will mit Desterres sprechen; und du übernimmst in dem Fall, daß er einwilligt, die Arbeit?«

Der Cholo nickte leise vor sich hin und sein Auge leuchtete unheimlich dabei.

»Er muß fort«, flüsterte er, »und Pedro wird ihm dazu verhelfen, aber Desterres muß mir Bürge sein! Es ist nicht das erste Geschäft, das wir mitsammen machen.«

»Dann geh' morgen zu ihm«, sagte Perteña nach kurzem Überlegen, »er wird herauskommen. Ich reite heute in die Stadt zurück und spreche mit ihm. Sage ihm nur, ich schicke dich wegen der bewußten Sache.«

»Wollt Ihr am Fluß zurückreiten?« fragte der Cholo, als Perteña, während er mit ihm sprach, sein Pferd wieder aufgezäumt hatte. »Es ist ein nichtswürdiger Weg.«

»Gleich unter den Hacienden halte ich quer nach der Straße hinüber«, sagte Perteña, »ich möchte dem Gesellen nicht zufällig in der Ansiedelung begegnen. Also, es bleibt dabei?«

»Gewiß, Señor«, nickte der Cholo. »Und noch eins«, rief er aus, als Perteña seinem Tier eben die Sporen geben wollte.

»Was ist es?«

»Scipio hab' ich gestern gesprochen. Er läßt Euch sagen, er hätte alles ausgeführt, was Ihr ihm aufgetragen habt. Ihr möchtet einmal bei ihm vorkommen.«

»Gut, ich reite dort vorüber.« Und von dem Schenkeldruck berührt, flog der Schimmel mit ihm über den rauhen Boden dahin.

Rafael war in der Tat heute wieder nach den Hacienden hinausgeritten, um sich mit Bertrand zu besprechen; denn eine volle Woche verging, ohne daß er das geringste vom Präsidenten über die Freilassung der Insulaner gehört hätte.

Allerdings ging das Gerücht in der Stadt, der Präsident habe die weitere Kuli-Einfuhr verboten und gestatte keinem Schiff mehr, nach solcher Fracht auszulaufen; aber mit den schon eingeführten Insulanern geschah nichts, und es schien fast, als ob man die Sache beim alten lassen wolle.

»Und sie tun hier auch nichts«, sagte Bertrand, die Stirn kraus gezogen, indem er im Zimmer auf- und abging, »ich kenne meine Leute. Da stecken die Minister selber mit drunter und haben ihre Prozente dabei, oder verlangen auch von den betreffenden Firmen für eine Gefälligkeit eine andere, und dabei bleibt's. Es ist die alte Geschichte; wie ein Sack voll Nägel hängen sie untereinander zusammen; man muß sie einzeln herausziehen, wenn man sie haben will.«

»Sagen Sie, Bertrand«, rief Rafael, »sollte in diesem Fall der französische Konsul nicht einschreiten können?«

»Der französische Konsul?« schüttelte Bertrand den Kopf; »was geht den die Sache an, ob sich Peru Insulaner als Arbeiter hält oder nicht? Es sind ja doch keine Franzosen.«

»Aber die Gesellschaftsinseln stehen unter französischem Protektorat.«

»Alle Teufel, ja«, rief Bertrand rasch emporfahrend, »daran hatte ich gar nicht gedacht! Und sie sind von dort her?«

»Raiateo gehört mit zu der Gruppe, und wenn es auch die Franzosen nicht unmittelbar im Besitz haben, ist es doch mit einbegriffen, und ich glaube kaum, daß sie die Sache ruhig hingehen lassen.«

»Aber die Leute sind doch unter der Nase des französischen Konsuls ausgeschifft worden, weshalb hat er denn da kein Wort gesagt?«

»Sehr erklärlich; er wird sich nicht gern freiwillig mehr Schererei machen wollen, als nötig ist, und außerdem hat bis jetzt auch noch kein Mensch genau gewußt, von welcher Inselgruppe die Kulis wirklich stammten. Macht aber ein Franzose die bestimmte Anzeige, daß sie unter das Protektorat Frankreichs gehören, so kann Castilla es gar nicht mehr umgehen, sich ihrer anzunehmen, und die armen Teufel dürfen dann sicher auf Hilfe hoffen.«

»Willst du einmal zum Konsul gehen?« fragte Bertrand.

»Das möchte ich doch nicht«, sagte Rafael ausweichend, »so lange ich es wenigstens vermeiden kann. Auch bin ich selber kein Franzose, und Castilla, der sich gegen mich wirklich freundschaftlich gezeigt hat, würde es mir mit Recht übelnehmen, wenn ich hinter seinem Rücken bei den Fremden Schutz suchte.«

»Gut«, rief Bertrand, »dann gehe ich hin – du hast recht! Die Anzeige von einem Franzosen muß er wenigstens beachten, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob wir nicht Feuer hinter die Sache machen können. Ein wahres Gaudium wäre es schon allein für mich, wenn wir dem Desterres die armen Teufel wegholen könnten, denn der nichtswürdige Cholo behandelt sie wahrhaftig niederträchtig, wahrscheinlich weil er gemerkt hat, daß wir uns ihrer annehmen und er uns beiden doch nicht beikommen kann. Meinen Hals wollte ich auch darauf verwetten, daß niemand anders als der Schuft neulich hier ins Fenster geschossen hat.«

Rafael schüttelte den Kopf.

»Kein Cholo«, sagte er, »verläßt sich so leicht auf eine Feuerwaffe, und wenn er je eine in die Hand nimmt, so ist es ein Schrotgewehr. Aber der Schuß wurde, wie Ihre Wand noch bis auf den heutigen Tag bezeugen kann, mit einer Kugel abgefeuert. Zu einer Kugel versteht sich aber selbst der Peruaner nur ungern, wenn auch der schlechte Schuß auf die kurze Distanz für einen solchen spräche, und ich muß wirklich gestehen, daß ich eine Weile Desterres selber im Verdacht hatte. Das war aber ungerecht, denn dieser ist nicht allein an jenem Abend mit in die Stadt zurückgeritten, sondern war auch noch – ich habe die genauesten Erkundigungen darüber eingezogen – gegen elf Uhr im Theater. Der Schuß aber wurde noch vor Mitternacht gefeuert.«

»Aber wer, um Gottes willen, kann es sonst gewesen sein?«

»Apropos, Bertrand, kennen Sie einen gewissen Perteña, der sich manchmal hier draußen aufhält?«

»Allerdings«, sagte der Franzose; »ich glaube, wir haben neulich schon von ihm gesprochen.«

»Und was ist er eigentlich?«

»Ein Bursche, wie du sie zu Dutzenden in Peru finden kannst. Ein peruanischer Stellenjäger, der sich für zu gut hält, irgendeine Arbeit zu tun, und auch wirklich zu faul dazu ist und nun auf unbegreifliche Weise jahrelang sein Dasein ohne die geringste Beschäftigung fristet, bis er erreicht, was er erstrebt: irgendeinen faulen Posten mit gutem Gehalt. Nachher fühlt er sich an seinem Platz und bläst sich auf, denn andere Menschen fangen an, von ihm Notiz zu nehmen. Bis jetzt ist er noch ziemlich harmlos.«

»Er war neulich beim Präsidenten, von Benares empfohlen. Ich traf dort mit ihm zusammen.«

»Nun ja, wie ich sage. Perteña wird ein sehr sicheres und brauchbares Individuum für die werden, die ihn jetzt protegieren, wenigstens für so lange, als er sich noch nicht ganz fest auf eigenen Füßen fühlt. Da das aber aller Wahrscheinlichkeit nach nie geschehen wird, und er ebensogut wie die anderen Lumpereien macht, wo er wieder Unterstützung braucht, so tritt er in das allgemeine Beamtenheer als würdiges Mitglied ein, und der Staat hat einen Blutegel mehr.«

»Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen erzählte, wie ich am ersten Tage, als ich hier nach den Hacienden ritt, von einem einzelnen Reiter angesprochen wurde, der Feuer für seine Zigarre verlangte?«

»War das Perteña?« rief Bertrand überrascht. Der junge Mann nickte.

»Sieh, sieh, sieh!« sagte der alte Franzose, leise vor sich hinlachend, »was man doch nicht alles in der Welt erfährt! Also dieser Señor Perteña – kannte er dich wieder?«

»Gewiß, er scherzte über unser damaliges Begegnen.«

»In der Tat – beim Präsidenten? War übrigens das beste, was er tun konnte. Aber du hast noch etwas, was du mir sagen willst; was ist es?«

»Ich glaube, daß Perteña den Schuß abgefeuert hat.«

»Gar nicht unmöglich«, lachte Bertrand, »traue es ihm so gut zu wie irgendeinem andern, wenn ich auch nicht gerade weiß, weshalb er sich einer solchen Gefahr aussetzen sollte; denn hätten wir ihn erwischt, wäre es ihm bös ergangen.«

»Er wird sich seinen Rückzug wohl sicher genug gedeckt haben.«

»Ich will dir etwas sagen, mein Junge«, meinte der alte Bertrand nachdenkend, »nimm dich doch lieber ein bißchen in acht mit dem Volk, denn wenn sie sich einmal erst so etwas vornehmen, so sind sie auch nichtsnutzig genug, es durchzuführen. Bist du dem Reiter denn nie wieder später begegnet?«

»Nie wieder, und ich hatte mir Pferd und Mann gut genug gemerkt – doch halt, erinnern Sie sich, wie wir damals zusammen zum Fluß gingen und dort die Insulaner trafen. Das war dieser selbe Perteña, der unter dem Baum in der Straße hielt und dann zurückritt, um uns nicht zu begegnen.«

»Ganz recht«, nickte Bertrand; »nun, wie gesagt, paß auf, denn daß verschiedenen Leuten deine Rückkunft nach Peru unangenehm ist, wissen wir, und der Schuß hat uns bewiesen, daß sie auch nicht untätig dabei sind, übrigens hat sich Juanita an dem Abend so erschreckt, daß das arme Ding drei Tage das Bett hüten mußte.«

»Armes Mädchen – und ich habe ihr heute noch nicht einmal ›Guten Tag‹ gesagt! Lassen Sie uns hinuntergehen.«

»Apropos, wie geht es meiner kleinen Landsmännin in der Stadt?«

»Gut. Ich war gestern bei ihr, um ihr meinen Dank zu sagen. Nur sie allein hat mir die Audienz bei dem Präsidenten verschafft.«

»Ein Prachtmädel! Nun, morgen und übermorgen kann ich nicht, aber dann komme ich hinein, um den französischen Konsul aufzusuchen, und besuche sie nachher auf jeden Fall.«

»Aber haben Sie auch daran gedacht, daß der Karneval morgen beginnt?« sagte Rafael. »Davon ganz abgesehen, daß Sie nachher noch kaum eine Straße passieren können, werden Sie den Konsul wahrscheinlich nicht einmal in Lima treffen. Sonst hielt sich alles an den Tagen in den Häusern fest verschlossen, jetzt aber soll, wie ich höre, die ganze Hautevolee in der Karnevalszeit nach Chorillos übersiedeln. Lassen Sie die lieber erst vorübergehen.«

»Es paßt mir nur nachher nicht mehr recht«, sagte Bertrand, »und der französische Konsul gehört auch nicht mit zu des Präsidenten Spielpartie; ich glaube gar nicht, daß er Lima in der Zeit verläßt. Jedenfalls mache ich den Versuch.«

Juanita kam ihnen, noch etwas bleich und angegriffen aussehend, entgegen. Sie war auch ängstlich und aufgeregt und bat Rafael, jetzt wenigstens nicht allein hier draußen herumzureiten, da er ja den Beweis habe, daß man ihm nach dem Leben trachte. Der junge Mann lachte aber dazu. Es war feiges Gesindel, das keinen offenen Angriff wagte, und nachts – nun gut, das wollte er ihr versprechen, sich nicht wieder an ein offenes, erleuchtetes Fenster hier draußen zu setzen. Weiter hätte er aber auch nichts zu fürchten, und sie möge sich seinetwegen um Gottes willen keine Sorge machen.

Juanita mußte sich damit beruhigen; als er aber Abschied von ihr nahm, um nach Lima zurückzukehren, war sie noch viel bleicher als vorher geworden, und große Tränen standen ihr in den Augen.

»Das Mädel ist noch immer von dem Abend her aufgeregt«, sagte Bertrand, als er den jungen Mann zu seinem Pferd begleitete, »und man muß jetzt mit ihr umgehen wie mit einem rohen Ei. Ich wollte gern, daß sie einmal mit mir in die Stadt reiten und Deringcourts besuchen solle, um nur ein klein wenig Zerstreuung zu haben, aber sie weigert sich hartnäckig. Man muß sie eben zufrieden lassen, bis sich die Nerven von selber wieder beruhigen.«

 


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