Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Das Nachtquartier

Es war lange schon zehn Uhr vorbei, als Rafael an den Aufbruch dachte; was achtete er auch der Zeit! Wieviel hatte er Juanita zu sagen, wieviel sie ihm, und der alte Bertrand saß dabei, still lächelnd, und fühlte sich wieder jung und glücklich in der Jugend und dem Glück der Kinder.

Endlich aber mußte Rafael fort; es war fast elf Uhr geworden und Zeit zum Schlafengehen, und ein kleiner Cholobursche, der unten im Vorsaal schlief, wurde geweckt, um den jungen Mann mit einer Laterne hinüberzuführen.

Rafael hatte Juanita gute Nacht gesagt, und das junge Mädchen stand noch am Fenster und sah ihm nach. Aber weshalb schlug ihr denn auf einmal das Herz so ängstlich, als sie den Geliebten im Dunkel verschwinden sah?

Bertrand hatte indessen seinen jungen Freund bis vor das Tor begleitet, wo der Junge mit der Laterne stand, und es war ihm selber jetzt nicht so recht, daß er ihn allein hinüber in das dunkle, öde Haus gehen lassen sollte.

»Höre, Junge, es ist eigentlich eine rechte Dummheit, daß du die Nacht da drüben schläfst«, sagte er endlich; »was kümmern uns denn die Leute und was die schwatzen! Viel gemütlicher wär's, wenn du dabliebst.«

»Aber, mein bester Schwiegerpapa – Sie wissen gar nicht, wie gut Sie der Titel kleidet –«, lachte der junge Mann, »das ist ja eine abgemachte Sache und mein Pferd steht auch schon drüben, nach dem ich doch jedenfalls heut abend noch einmal sehen muß. Was liegt denn auch daran, ob ich dort oder hier schlafe? Und je stiller der Platz ist, desto weniger werde ich gestört.«

»Hm«, sagte der Alte, der sich auch schämte, seine eigene Furcht zu zeigen, »dann begleite ich dich wenigstens hinüber, um . . .«

»Auch das gebe ich nicht zu«, entgegnete Rafael entschieden, »mir tut schon der arme schläfrige Junge leid, der da noch einmal ganz nutzlos hinübergesprengt wird. Die Laterne könnte ich ebensogut tragen, und meinen Weg finde ich doch wahrhaftig!«

»Hm«, brummte der Alte vor sich hin, »verdammt will ich sein, wenn du nicht einen noch ärgeren Dickkopf hast, als ich selber! Gut, du sollst deinen Willen haben, aber eine Bedingung mach' ich . . .«

»Und die ist?«

»Du nimmst die Hunde mit hinüber und behältst sie die Nacht drüben – nur diese eine Nacht!«

»Aber, bester Schwiegerpapa . . .«

»Schön, wenn du mir meinen Willen jetzt nicht tust, wo ich dir den deinen gelassen habe, dann will ich nicht Bertrand heißen, wenn ich nicht direkt zu Juanita hinaufgehe und ihr sage, um was es sich handelt, und wenn sich das Mädchen deinetwegen nachher die ganze Nacht abängstigt, so ist es deine alleinige Schuld!«

»Um Gottes willen«, rief Rafael erschrocken, »machen Sie dem armen Kind nicht die ganze unnütze Angst!«

»Dann nimm die Hunde mit!« sagte der Alte störrisch.

»Nun, meinetwegen denn«, lachte Rafael, »wenn Sie das beruhigt, so mögen die Rüden mitgehen. Aber sie werden nicht bei mir bleiben.«

»Mit dem Jungen gehen sie, und einmal im Hause drin, machst du die Tür zu, und sie müssen wohl dort bleiben, denn sie können nicht wieder hinaus.«

»Und werden nachher die ganze Nacht heulen und mich keinen Augenblick schlafen lassen«, lachte Rafael.

»Fällt ihnen gar nicht ein«, brummte der Alte; »überdies kennen sie dich ja schon, und sobald ich ihnen sage: ›Geht mit!‹ so folgen sie jedesmal. Wenn du es also nicht anders willst, so mach' meinetwegen, daß du hinüber und ins Bett kommst. Morgen früh bin ich bei Zeiten drüben, um dich abzuholen, und dann gehen wir einmal durch die Plantage. Und ihr geht mit, ihr Hunde! Habt ihr mich verstanden?«

»Nur nicht zu früh!« rief Rafael, während die Rüden erst den Schwanz einzogen und dann an dem Knaben hinaufsprangen. »Und nun gute Nacht und auf ein frohes Wiedersehen!« und damit wandte er sich ab und schritt mit dem Knaben den Weg entlang, der nach dem Eingang der Hacienda hinüberführte.

Bertrand aber sah ihm nach, so lange er dem Licht mit den Augen folgen konnte. Endlich ging er in das Haus zurück und in das Hinterzimmer, wo er Juanita noch auf traf.

»Na, du bist noch nicht zu Bett? Es ist spät, Schatz!«

»Vater«, sagte Juanita leise, »sei mir nicht bös, wenn ich vielleicht eine kindische Frage tue – aber es hat doch keine Gefahr, daß Rafael da drüben allein in dem alten, öden Hause schläft?«

»Gefahr? Torheit«, sagte der Vater, der das Mädchen um Gottes willen nicht merken lassen durfte, daß es ihm selber nicht recht war – »was soll das für Gefahr haben?«

»Der Schuß damals wurde doch auch aus dem Grundstück dort drüben gefeuert, und ihr habt seitdem nie mehr abends oben in der Stube gesessen.«

»Ah, Kindereien«, sagte Bertrand kopfschüttelnd, »von denen, die jetzt noch drüben sind, hat ihn niemand abgefeuert! Mach' dir keine törichten Sorgen und geh zu Bett, Herz. Gute Nacht, schlaf' wohl, und schlag' dir ja die albernen Gedanken aus dem Kopf, daß du mir nicht etwa die Nacht davon träumst!«

»Gute Nacht, Vater«, sagte Juanita, küßte ihn und ging mit dem Licht in ihr eigenes Kämmerchen. Aber das Herz war ihr doch schwer geworden, und sie hätte viel lieber weinen als lachen mögen, und wußte doch eigentlich gar nicht, weshalb.

Der alte Bertrand war auch in sein Zimmer gegangen, spürte aber selber noch nicht die geringste Lust, sich niederzulegen und ertappte sich plötzlich dabei, daß er seinen alten, über dem Bett hängenden Kavalleriesäbel herunternahm und halb aus der Scheide zog, um nach dem Rost zu sehen. Kopfschüttelnd schob er ihn wieder in die Scheide zurück, hing ihn aber nicht auf den alten Platz, sondern stellte ihn zu Häupten seines Bettes und schritt dann noch eine Weile auf und ab. Merkwürdig, welche Unruhe heute in ihm steckte! Endlich bekam er das Umherwandern satt.

»Hol' der Henker die Gedanken«, brummte er, »ich will auch zu Bett gehen und schlafen, und den Sappermentsjungen da drüben darf ich es morgen früh noch nicht einmal merken lassen, daß ich mich um ihn geängstigt habe, sonst lacht er mich zum Dank wahrhaftig noch obendrein aus!«

Er hatte seinen Hut auf den Tisch und sein Halstuch abgeworfen und stand eben am offenen Fenster und häkelte sich seine Hemdknöpfchen los. Sein Schlafzimmer lag mit dem Fenster nach der schmalen Straße und Rafaels Hacienda zu, und das Wohnhaus dort drinnen stand gar nicht so weit von seinem Haus entfernt, nur daß es von hier aus durch Bäume und Sträucher verdeckt wurde, sonst hätte man sich leicht von einem Haus zum anderen zurufen können.

Eine solche Dunkelheit herrschte aber heute da draußen, daß sich nicht einmal die Wipfel der nächsten Bäume vom Himmel trennen und unterscheiden ließen, und wie still, wie totenstill die Welt lag! Man konnte sogar das Rauschen des gar nicht so nahen Bergstromes deutlich bis hier herüber hören. Selbst die Grillen hatten zu zirpen aufgehört. Es mußte schon recht spät geworden sein – wahrhaftig, es war halb zwölf Uhr, und Bertrand wandte sich eben ab, um sich vollends zu entkleiden, als er, wie von einem Schuß getroffen, zusammenfuhr und mit atemloser Spannung in die Nacht hinauslauschte.

Ein menschlicher Aufschrei, gerade von da drüben her, hatte sein Ohr erreicht. Da, jetzt noch einmal! Das war keine Täuschung – mit einem Satz war er bei seinem Bett, den alten Säbel aufgreifend, mit zwei weiteren Sätzen die Treppe hinunter und im Freien. Da hörte er seine Hunde Laut geben, als ob sie auf einer Fährte wären, und seinen gellenden Jagdschrei ausstoßend, flog er mehr, als er ging, hinaus auf die Straße und drüben gerade gegen den Zaun an und hinüber – wie er hinüber gekommen war, wußte er selber nicht.

*

Rafael hatte indessen mit seinem kleinen Cholo-Führer, von den Hunden begleitet, die Gartentür erreicht, die in die Hacienda führte, und schritt dem Hause langsam zu. Unter den Bäumen war es womöglich noch dunkler als draußen, und ohne die Laterne hätte er sich wohl kaum zurechtgefunden. So aber hielt er den schmalen Weg, der hinüberführte, und erreichte bald darauf die Tür.

»Wenn das Haus verschlossen ist, Señor«, sagte der kleine Cholo, »so werden wir erst den Mayordomo wecken müssen, daß er uns aufmacht – oder haben Sie den Schlüssel?«

»Nein«, sagte Rafael, indem er auf den Griff drückte, »es ist offen; sie wußten ja, daß ich komme. Und nun, mein kleiner Bursche, magst du noch mit mir hinaufgehen, daß ich mein Licht anzünden kann, und dann nach Haus zurückkehren.«

»Aber die Hunde soll ich dalassen?«

»Monsieur Bertrand will es nun einmal so haben«, lachte Rafael, »und da dürfen wir ihn schon nicht böse machen. Wenn du fortgehst, mach' aber die Tür wieder gut hinter dir zu, sonst laufen sie dir nach, und du wirst dann ausgezankt. Oder noch besser – warte einen Augenblick, ich gehe lieber gleich mit dir und deiner Laterne nach dem Stall hinüber, um erst einmal nach meinem Pferd zu sehen, und dann bringen wir die Hunde zurück ins Haus, und ich kann selber zuschließen.«

Damit, während ihm der Knabe voranleuchtete, stieg er langsam die Treppe hinauf, um dort die schon mit den Betten herübergebrachten Lichter anzuzünden, damit der Junge nachher nicht noch einmal heraufzukommen brauchte.

Mit vor Wut zusammengebissenen Zähnen horchte indessen Perteña unten an der Tür. Die Hunde – an die Bestien hatte weder er noch Pedro gedacht, und jetzt? Aber hier blieb kein langes Besinnen möglich. Versuchte er selber hier im Haus den Angriff und schoß er auch den Verhaßten nieder, so war er den wütenden Tieren preisgegeben und hätte, mit den Gittern überall an den unteren Fenstern, nicht einmal dort hinaus entkommen können. Stand aber Pedro draußen ungewarnt auf der Lauer, und hatte er die Hunde noch nicht gesehen, so faßten den die Bestien, wie sie ihn nur in den Wind bekamen, und gestand er dann, wer ihn dazu verleitet, so hatte er die ganze Meute seiner Verfolger hier auf der frischen Fährte.

Nur eine Möglichkeit blieb noch für die Ausführung ihrer Tat. Dicht neben dem Stall lief eine kleine starke Umzäunung hin. Wenn Rafael selber die Laterne trug oder in deren Licht ging, so konnte er ihn von da aus, auf kaum zehn Schritt, mit der Kugel treffen, und die Hunde waren nicht imstande, den Zaun zu überspringen. Von dort aus war dann ein Entkommen leicht, und wer wollte sagen, von wessen Hand die Kugel gesandt worden war?

Das alles zuckte dem jugendlichen Verbrecher rasch, aber in klarem Verständnis seiner eigenen Gefahr durchs Hirn, und sobald er oben nur die Tür öffnen hörte, glitt er wie eine Schlange aus dem Versteck und aus der nur angelehnten Haustür. Hier blieb er einen Augenblick stehen und horchte – oben am Fenster erschien das Licht – sie waren im Zimmer, und mit raschen, geräuschlosen Schritten glitt er der Richtung zu, in der er den Stall wußte, um dort an den Orangenbäumen Pedro das Zeichen zu geben.

Dicht vor ihm lag ein kleines Gebüsch; er berührte die Zweige und bog darum, – da sah er eine dunkle Gestalt neben sich auftauchen: »Pedro!« wollte er flüstern, als ihn ein furchtbarer Schmerz durchzuckte.

»Teufel!« schrie er mit gellender Stimme auf – »Pedro, Bestie! – Mord!« kreischte er, als ihn ein zweiter und dritter Stoß traf.

Drüben im Haus wurde ein Fenster aufgerissen, aber der halbtrunkene Cholo, der an der Stimme des Getroffenen jetzt in starrem Entsetzen den Gefährten erkannte, hörte es nicht. Zu Rafaels Ohr war schon der erste Schrei gedrungen – was aber da auch vorging, er mußte es wissen, und rasch mit der einen Hand die Laterne, mit der anderen seinen Revolver aufgreifend, rief er: »Die Hunde hinaus!« und sprang dann in flüchtigen Sätzen die Treppe hinab.

»Caracho«, stammelte indessen Pedro vor sich hin und das Messer entfiel der zitternden Hand, »Señor, um der Wunden Christi willen . . .«

Da gab der erste Hund vor der Tür Laut, und entsetzt fuhr der Halbwilde von seinem Opfer empor – seine Hand tappte nach dem entfallenen Messer, aber es war zu spät. Jetzt schlug der zweite Hund an; sie waren unruhig auf der warmen und fremden Fährte Perteñas. Nun hörten sie das Geräusch brechender Büsche.

»Faßt, hu, faßt!« schrie sie Rafael an, und mit lautem Geheul brachen sie hinterdrein.

»Hu, pih!« schrie da des alten Franzosen Stimme schon von drüben herüber, und laut auf heulten die Hunde, als sie den blutenden Leichnam trafen – aber gleich dort, dicht vor ihnen brach es in wilder Flucht davon. »Hu, faß, hu, faß!« schrie Rafael sie noch einmal an, und mit wenigen Sätzen waren sie im Gebüsch drinnen, während schon fast in demselben Augenblick ein wilder Aufschrei verriet, daß sie ihr Opfer gefaßt und niedergeworfen hatten.

»Oh, Señor, ein Toter!« schrie der kleine Cholo entsetzt, als er bei dem flackernden Licht der Laterne den Ermordeten am Boden sah; aber Rafael sprang den Hunden zu.

Dort, gerade vor sich, sah er schon die lichtgelben Gestalten der Hunde mit einem dunklen Gegenstand am Boden ringen, während sie auf sein jetzt ausgestoßenes: »Zurück, ihr Bestien, würgt den Mann nicht!« wenig oder gar nicht acht gaben. Der kleine Cholo war aber besser mit ihnen bekannt.

»Pfui, Tyras – pfui, Wolf!« schrie er und sprang mitten zwischen sie hinein, indem er einen mit der linken und einen mit der rechten Hand am Halsband faßte. Er würde aber kaum imstande gewesen sein, sie zu bändigen, wenn nicht in diesem Augenblick die Büsche hinter ihnen geraschelt hätten und auch der Aufseher entsetzt in seiner Tür erschienen wäre. Dadurch wurden sie aufmerksam gemacht und hoben die Köpfe, um zu sehen, ob nicht vielleicht ein neuer Feind vor ihnen auftauche. Mit flüchtigen Schritten war jetzt auch Bertrand, den blanken Kavalleriesäbel in der Hand, an ihrer Seite.

Im ersten Augenblick hatte Rafael, der nur das Geräusch hörte und nicht wissen konnte, wer da gegen ihn anspringe, die Laterne gehoben und sich mit seinem Revolver fertiggemacht; dadurch fiel aber auch ein Strahl des Lichtes auf ihn und die Hunde, und der alte Franzose schrie jubelnd:

»Hurra, du lebst! Aber was geht hier vor?«

»Gott weiß es«, rief Rafael zurück, »da liegt ein Ermordeter, und hier haben die Hunde den wahrscheinlichen Mörder niedergeworfen!«

»So leuchte mir hierher, daß wir sehen, wen wir da haben! Heda, mehr Licht hierher!« schrie der alte Mann nach dem Haus des Aufsehers hinüber, »bringt eine Bambusfackel, daß wir sehen können!«

Der Befehl wurde rasch ausgeführt, denn im Hause des Aufsehers lagen noch ein paar kurze Fackeln, aus zusammengebundenen dürren Bambusstreifen hergestellt, die man am Abend benutzt hatte, um noch nach Dunkelwerden die zurückgelassenen Möbel zusammenzustellen und zuzudecken, und Zaca selber hatte schon eine aufgegriffen und entzündet. Indessen ließ aber Rafael das Licht der Laterne auf den von den Hunden Geworfenen fallen und rief erstaunt aus:

»Pedro, bei allem, was da lebt!«

»Caracho!« knirschte der Bursche, der mit Blut bedeckt schien und dessen Kleider ihm in Fetzen vom Leibe hingen, und wollte in die Höhe fahren. Bei der ersten Bewegung aber, die er machte, warfen sich die Hunde wieder über ihn, und es bedurfte Bertrands ganzer Autorität, sie zurückzuhalten, daß sie ihn nicht zerrissen.

Der Aufseher kam jetzt mit der Fackel heran, und während Bertrand die Hunde zusammenkoppelte und hielt, sprang Rafael mit der Laterne der Stelle zu, wo der Ermordete am Boden lag, und rief im nächsten Augenblick dem Freunde zu:

»Hier liegt Perteña erstochen!«

»Perteña?« rief Bertrand erstaunt aus, »wie kommt denn der hierher?«

»Teufel, Teufel!« schrie der gefangene Cholo, von seinen Wunden, von Wut und Branntwein fast zur Raserei getrieben, indem er seine Fäuste ballte und die Zähne in ohnmächtiger Wut zusammenschlug, »was hatte er auch im Hause zu tun, ohne daß ich es wußte – und er lebendig, er gesund – zur Hölle mit ihm und Verdammnis!«

Seine Augen sprühten Wut und Haß auf Rafael, und er wollte sich eben wieder, in diesem Augenblick selbst die Hunde nicht fürchtend, auf seinen Feind stürzen, als ihn ein Faustschlag des alten Franzosen zu Boden warf. Rafael sprang jetzt ebenfalls herbei, und während sich der vollkommen rasend gewordene Cholo unter ihnen wand und krümmte, wurde der kleine Bursche mit der Laterne rasch zum Hause zurückgeschickt, um von den dort umherliegenden Stricken ein paar herbeizuholen. Wenige Minuten später lag der Verbrecher, mit auf den Rücken geschnürten Armen, vor Wut schäumend, machtlos in der Gewalt seiner Feinde.

Aber Gift und Haß sprudelten seine Lippen über sie aus, und während sein Hirn von dem genossenen Branntwein, von Schmerz und Wut kochte, verfluchte er seine eigene Ungeschicklichkeit, sein eigenes Mißgeschick und ließ dadurch die Umstehenden sich einen Zusammenhang seiner Reden selber stellen.

Es blieb fast keinem Zweifel mehr unterworfen, daß der Überfall nicht dem, den er getroffen, sondern Rafael gegolten hatte und von den beiden Buben vorher verabredet worden war. Bei einer Untersuchung des Hauses fanden sie jetzt auch Perteñas Poncho, den Rafael leicht erkannte und der, wie er recht gut wußte, vor Dunkelwerden nicht auf dem Bett gelegen hatte. Bertrand hatte auch wohl recht, als er jetzt behauptete, daß die Mörder nur durch das Erscheinen der gefürchteten Hunde gestört und ihr nichtswürdiger Anschlag vereitelt worden sei. Allein und ohne die Rüden hätte er ihren Messern nie entgehen können.

Das war eine unruhige Nacht geworden, aber Bertrand dankte doch Gott, daß er das Furchtbare von ihren Häuptern abgewandt hatte, und schickte jetzt vor allen Dingen den kleinen Cholo mit den Hunden hinüber zu Juanita, um diese zu beruhigen. Für sie selber gab es aber dann noch vielerlei zu tun, denn die Leiche konnte nicht dort unter freiem Himmel liegenbleiben, und der Gefangene mußte nicht allein der Obrigkeit überliefert, sondern auch verbunden werden; die Hunde hatten ihn gar bös zugerichtet.

Das letztere wollte der Aufseher übernehmen, aber der halb wahnsinnige Cholo duldete es nicht und wütete unausgesetzt gegen seine Bande an, bis er endlich, von Blutverlust ermattet, ohnmächtig zusammenbrach.

Die Arbeiter waren unter der Zeit ebenfalls herbeigerufen worden und mußten den bewußtlosen Körper des Verbrechers aufgreifen und zu dem Gobernador hinübertragen. Dort lag noch, wie Bertrand wußte, Polizei aus Lima, die auf eben diesen Cholo fahnden sollte, wenn er sich hier noch in der Nachbarschaft zeigte, und Rafael und Bertrand gingen selber mit, um die näheren Angaben zu machen.

So rückte der Morgen fast heran, ehe sie zur Hacienda zurückkehrten, und Rafael wollte sich jetzt noch hier im Haus auf sein Lager werfen; das aber litt der alte Bertrand nicht mehr. Er hatte, wie er jetzt offen gestand, schon Angst genug in der Nacht um den Jungen ausgestanden; nun wollte er ihn wenigstens in Sicherheit wissen, daß auch Juanita noch ein paar Stunden ruhig schlafen konnte. Rafael durfte sich nicht länger weigern, den übrigen Teil der Nacht in Bertrands Haus zuzubringen.

 


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