Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Das französische Protektorat

Der Zug konnte sich nur ziemlich langsam fortbewegen, da die Esel, auf denen die Gefangenen saßen, trotz allem Prügeln der Soldaten nur im Schritt gingen. So lange sie noch draußen vor der Stadt waren, ließ Rafael seinen Braunen ebenfalls im Schritt gehen und hielt sich an der Seite des Beamten, um mit diesem über die Vorgänge des heutigen Tages und den günstigen Erfolg ihrer Sache zu plaudern. Sowie sie aber die Vorstadt und dort auch eine Art von Negerviertel erreichten, ließ er sein Pferd austraben und ritt seiner eigenen Wohnung zu, um dort erst einmal den Inhalt der erbeuteten Brieftasche in aller Ruhe zu untersuchen.

Der Cholo, den er zur Aufwartung hatte, meldete ihm dabei, daß ein fremder Herr, derselbe, der gestern seine Karte abgegeben hatte, schon zweimal dagewesen sei und nach ihm gefragt habe. Es war jedenfalls Monsieur Lacoste, aber Rafael war für den Augenblick viel zu neugierig, seinen eigenen Interessen nachzuforschen. So zündete er sich eine Zigarre an, setzte sich an den Tisch und öffnete die alte, grüne Brieftasche, das frühere Eigentum seines Onkels.

Der Brief, der ihn zuerst aufmerksam gemacht hatte, war von einem Geschäftsfreund in Lima und bezog sich auf gleichgültige Gegenstände; in der Tasche selber aber lag noch ein anderer Brief von Desterres, kaum mehr als ein Zettel, und zwar drei oder vier Tage später datiert, als der Kaufbrief unterzeichnet sein mußte. In dem Brief bat Desterres den alten Señor Aguila, ihm die Hacienda, wenn er sie einmal nicht verkaufen wolle, wenigstens auf fünf Jahre pachtweise zu überlassen. Er versprach dabei, auf alle Bedingungen einzugehen, die der alte Herr stellen würde.

Außerdem fand Aguila in der Brieftasche, in einem kleinen, hineingebundenen Buche, eine Zusammenstellung der Haupteinnahmen und Ausgaben des laufenden Jahres, und zwar bis zu des Onkels Todestag. Mit keiner einzigen Zahl wurde darin der Verkauf des Gutes erwähnt.

Diese Papiere waren für Rafael von größter Wichtigkeit, aber er zerbrach sich vergebens den Kopf, um herauszubekommen, auf welche Weise gerade der Mulatte in ihren Besitz gelangt sein konnte. Mit Einwilligung Desterres konnte das nicht geschehen sein, selbst nicht mit dessen Wissen, denn der schlaue Peruaner würde jedenfalls gerade dieses Schriftstück vernichtet haben, das seinen Kaufbrief mehr als in Frage stellte. Konnte nun trotzdem ein Zusammenhang zwischen diesem Mulatten und dem Weißen bestehen?

Rafael wurde gestört, denn der unermüdliche Franzose war schon wieder da, und als er zu ihm ins Zimmer trat, rief er lebhaft aus:

»Ah, Monsieur, sehr erfreut, Sie endlich wieder in Lima zu sehen! Ich habe Sie mit Sehnsucht erwartet, denn unsere Sache ist in vollem Gang!«

»Haben Sie die Einwilligung des Präsidenten?«

»Rascher, als ich gedacht!« rief der Franzose erfreut. »Seine Exzellenz, dem ich verschiedene übereinstimmende Aussagen der Insulaner vorlegte, ist selber entrüstet über das nichtswürdige Betragen des Kapitäns, und wenn das Schiff zurückkommt, möchte es dem Herrn wohl nicht besonders ergehen! Aller Wahrscheinlichkeit nach kreuzt er jetzt aber schon wieder zwischen den Inseln umher, um neue Beute aufzufischen, und ich will ihm nur nicht wünschen, daß er unserer ›Glorieuse‹ oder einem der anderen dort stationierten Kriegsschiffe in den Weg läuft, es könnte ihm sonst etwas sehr Unangenehmes passieren!«

»Und was wollen Sie jetzt tun?«

»Fragen Sie lieber, was ich schon getan habe!« rief der lebendige Franzose. »Castilla, der im Anfang nicht recht daran wollte, weil er in der Sache nichts als Schererei und Kosten sah, scheint seine Meinung plötzlich geändert zu haben! Möglich, daß er von dem Unglück der armen Teufel wirklich gerührt wurde; möglich, daß er durch das Attentat auch manchem auf die Spur gekommen ist, was ihn gegen verschiedene Persönlichkeiten hier erbittert hat. Mit unserer Regierung mag er außerdem nicht gern in Konflikt geraten, denn unsere Kriegsschiffe sind gerade hier in Callao immer bei der Hand, kurz, er ließ mich noch gestern abend spät zu sich rufen, und nachdem ich ihm die wirklich einfache Sache auch einfach und klar vorgelegt habe, was dem alten Herrn immer das liebste ist, ging er ein paarmal mit auf den Rücken gelegten Händen rasch im Zimmer auf und ab und sagte dann, zu seinem Schreibtisch tretend: »Es ist eine ganz nichtsnutzige Bande!« – was sich vermutlich auf seine eigenen Untertanen und Landsleute bezog.«

»Ich danke Ihnen«, lachte Rafael, »zu denen gehöre ich auch!«

»Bitte um Entschuldigung«, lachte auch der Franzose, »ich bin fest überzeugt, daß er Sie ausgenommen hat – kurz und gut, er schrieb mir selber eine Vollmacht, die Insulaner zu nehmen, wo ich sie fände, und nur den bisherigen Eigentümern Quittungen darüber auszustellen. Dann gab er mir gleich seinen Adjutanten mit, der mich zum Minister führen mußte, und in einer Stunde war alles abgemacht. Ist das nicht schnell?«

»Für Peru unglaublich«, sagte Rafael, »und nun?«

»Wollte ich gern«, fuhr Monsieur Lacoste fort, »daß Sie selber mit nach den Hacienden hinausgeritten wären, um dort Ihre Schützlinge einzusammeln. Weil Sie aber nicht da waren und ich auch nicht warten wollte, so habe ich meinen Sekretär mit einem hiesigen peruanischen Beamten – Sie hätten nur sehen sollen, wie freundlich Señor Morales war und wie gefällig, der muß etwas ausgefressen haben, sonst hätte er sich nicht so merkwürdig verändert – an Ihren Freund Bertrand hinausgeschickt. Der Dolmetscher vom Schiff ist ebenfalls mit, und sie haben Befehl, die Insulaner augenblicklich nach Lima zu schaffen, von wo ich sie dann zusammen mit dem letzten Zug heute abend nach Callao nehme. Sie aber, mein lieber Freund, möchte ich bitten, meinen Dolmetscher bei den Insulanern hier in der Stadt zu machen, die ich unterdessen selbst zusammensuchen werde. Ich habe die Verkaufsliste der ›Libertad‹ und eines anderen peruanischen Schiffes, der ›Comunidad‹, die ihre Fracht ebenfalls aus unseren Inseln geholt hat.«

»Aber es sind schon drei Schiffe mit Kulis von den Inseln eingelaufen . . .«

»Ja, leider ist das eine aber von den Tonga-Inseln, mit denen wir gar nichts zu tun haben, und ich möchte nicht gern, daß es aussähe, als ob sich Frankreich das Protektorat über alle Insulaner der Südsee anmaße. Kann ich mich aber mit dem englischen und amerikanischen Bevollmächtigten darüber verständigen, so setzen wir das auch durch, denn die Beweise, daß die Tonga-Insulaner ebenfalls gestohlen wurden, habe ich schon in Händen. Außerdem hat mir der Präsident fest versprochen, daß kein Schiff mit Insulanern mehr an der peruanischen Küste landen darf. Die peruanischen Gesandten in Bolivien und Ecuador sind ebenfalls angewiesen worden, keinem peruanischen Schiff zu gestatten, eine solche Fracht zu löschen, Chile erlaubt es ohnedies nicht, und wenn wir es dann auch noch in Neu-Granada durchsetzen, haben wir den Menschenhandel an der amerikanischen Küste überhaupt unmöglich gemacht.«

»Und jetzt?«

»Wenn es Ihre Zeit erlaubt, wollen wir ohne weiteres daran gehen, die armen Teufel in Freiheit zu setzen, denn allein kann ich mich nicht mit ihnen verständlich machen. Außerdem habe ich auch einen Haftbefehl für den Schuft Felipe, wenn wir seiner habhaft werden können. Gehen Sie mit?«

»Von Herzen gern!« rief Rafael, seine Papiere einschließend. »Wir tun ein gutes Werk, und ich freue mich selber darauf, den Jubel der armen, unglücklichen Menschen mit anzusehen! Wenn wir nur keine Schwierigkeit mit der Auslieferung haben!«

»Nicht die geringste. Es geht ein Beamter mit, und die Käufer oder jetzigen Herren der Insulaner werden aufgefordert, eine Eingabe an die Regierung zu machen und darin anzugeben, was sie für die verschiedenen Kontrakte, die beigelegt werden müssen, an barem Geld angezahlt oder sonst den Insulanern geliefert haben. Für Beköstigung bekommen sie natürlich nichts, denn dafür haben die Leute ja auch gearbeitet.«

»Und wer bezahlt den armen Teufeln ihre Arbeit?« fragte Rafael.

»Ja, lieber Gott«, sagte Monsieur Lacoste, »wir wollen nicht zu viel verlangen; sie können noch froh sein, so mit einem blauen Auge davonzukommen. Viel gearbeitet haben sie außerdem nicht, und die Regierung wird noch eine Menge von Berechnungen über Krankenpflege bekommen. Aber das ist ihre Sache, ob sie die bezahlen will oder nicht. Wir haben weiter nichts zu tun, als die armen Menschen in Freiheit zu setzen und auf das Schiff zu liefern, das sie direkt ihrer Heimat wieder entgegenführt. Gehen wir?«

»Haben Sie ein Pferd bei sich?«

»Nein, ich bin zu Fuß . . .«

»Gut, dann gehe ich auch«, und seine Sporen abwerfend, schritt Rafael gleich darauf mit Monsieur Lacoste die Straße hinab. Sie gingen direkt in die italienische Restauration, wo Rafael schon früher den Eingeborenen getroffen hatte. Dort im Hause waren vier Insulaner. Sie stießen einen Freudenschrei aus, als ihnen Rafael sagte, daß sie frei sein sollten, daß er die Schwester des einen auch draußen auf der Hacienda gesehen habe und diese noch heute zu ihnen gebracht würde. Der Italiener allerdings wollte anfangs einige Schwierigkeiten machen. Als er aber hörte, daß sich die französische Regierung der unter ihrem Schutz stehenden Insulaner angenommen habe und sie alle wieder zurück in ihre Heimat geliefert werden sollten, weigerte er sich auch nicht länger.

Rafael fragte jetzt nach Felipe, den er damals hier gesehen hatte und der, nach des Italieners eigener Aussage, dort seine Schlafstelle haben sollte. Der Restaurateur wollte aber nichts von seinem jetzigen Aufenthalt wissen. Seine Kiste, ein kleiner, angemalter Kasten, stand allerdings noch in der Stube hinten im Hof und der Bursche selber auch noch in den Kontobüchern des Wirtes. Seit acht Tagen schon hatte er sich aber nicht mehr sehen lassen, und der durch den Schlosser geöffnete Koffer enthielt auch weiter nichts als ein paar zerrissene Hemden und eine wollene Jacke. Der Wirt vermutete, daß der Mann nach Callao und wieder auf ein Schiff gegangen sei.

Rafael fragte jetzt die Insulaner, die alle mit der »Libertad« herüber gekommen waren, ob sie nichts von ihm in letzter Zeit gesehen hätten, und einer von ihnen rief rasch:

»Er ist hier!«

»Wo? Im Hause?«

»Nein, in der Straße draußen; zwischen den großen Häusern hab' ich ihn gesehen.«

»Wann?«

»Gestern.« Und der Insulaner beschrieb jetzt, wie er gestern mit seinem Herrn auf dem Markt gewesen war, um das dort Gekaufte heimzutragen, und wie er Felipe dort gesehen hätte, der sich aber, als er den Italiener bemerkte, zwischen den Menschen verlor. Sie wären dann noch lange auf dem Markt geblieben, und als sie nachher nach Hause gingen, habe er denselben Schuft noch einmal gesehen, wie er in eins der dortigen Schenkhäuser hineinschlüpfte.

Auf die Frage, ob er imstande wäre, das Haus wiederzufinden, bejahte er entschieden. Es sollte gar nicht so weit von dem großen Marktgebäude und an der Hauptstraße hierher liegen.

Ob sich der Italiener nun dort noch aufhielt, blieb freilich die Frage; es kam jedenfalls auf einen Versuch an. Monsieur Lacoste erfuhr auch kaum, welchen Hinweis der Insulaner gegeben hatte, als er sich augenblicklich entschlossen zeigte, der Spur zu folgen.

 


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