Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Der Besuch

»Nun, das ist gescheit, mein Junge, daß du ein paar Tage bei uns bleiben willst«, sagte Bertrand, als die beiden Männer zusammen nach ihrer Wohnung zurückschritten. »Heute haben wir auch Zeit genug, um die Sachen ein wenig durchzusehen, die du hier herausgeschickt hast, denn morgen wird es ein wenig unruhig hier zugehen.«

»Morgen? Weshalb? Erwarten Sie Besuch?«

»Ja, aus der Stadt. Deringcourt, ein alter Freund von mir noch von Frankreich her, hat eine junge Dame zu sich genommen, eine Sängerin, von der sie jetzt einen merkwürdigen Spektakel in der Stadt machen, und als ich vorgestern in Lima bei ihm war, versprach er mir, morgen mit seiner ganzen Kavalkade herauszureiten und uns zu besuchen.«

»Mit Fräulein Valière?« rief Rafael erstaunt.

»Ich glaube, so heißt sie. Kennst du sie?«

»Wir waren Reisegefährten von Guayaquil nach Callao; sie ist auch Französin.«

»Ja, ich weiß, und soll ganz ausgezeichnet in ihrer Kunst sein. Ich freue mich darauf, sie einmal so in der Nähe zu sehen und in meinem Hause begrüßen zu können.«

»Dann weiß ich auch«, rief Rafael, »weshalb Desterres die Hacienda so ausschmücken läßt, denn jedenfalls werden sie ihn drüben auch besuchen!«

»Den gelben Lumpen? Ich glaube gar nicht, daß Deringcourt mit dem bekannt ist.«

»Aber die junge Dame, und es sollte mich sogar sehr wundern, wenn nicht Desterres mit von der Partie wäre!«

»Hm, dann könntest du am Ende recht haben, daß er deshalb das alte Haus da drüben so herausputzen läßt. Bei mir haben sie sich aber ansagen lassen, und ob sie nachher Zeit bekommen, auch einmal hinüberzuschauen, ist eine andere Frage. Aber jetzt komm an die Arbeit!«

Die beiden Männer, die indessen Bertrands Haus wieder erreicht hatten, gingen jetzt ernstlich daran, den Nachlaß von Rafaels Oheim genau zu untersuchen und besonders keins der Papiere unbeachtet zu lassen. Unter all den Papieren war nicht ein einziges, das über den Kauf Aufschluß gab, ja, das nur die leiseste Andeutung darüber enthalten hätte.

Daß übrigens der alte Herr bis zu seinem Sterbetag bei voller Lebenskraft gewesen war, bewies ein kleines Ausgabebuch, das er selber geführt und in das er selbst noch an seinem Todestag Einträge gemacht hatte. Rafael hatte es besonders aufmerksam durchstudiert, ohne aber auch einen Anhalt darin zu finden, schlug es endlich wieder zu und schob es von sich. Bertrand nahm es und öffnete es wieder.

»Sie finden nichts darin«, sagte Rafael; »mein armer Onkel kann überhaupt keine Ahnung von seinem Tode gehabt haben, denn noch am allerletzten Tage hat er in die Stadt geschickt, um sich Zigarren holen zu lassen. Selbst der Posten steht dort von seiner Hand verzeichnet.«

»Alle Wetter«, rief Bertrand plötzlich, »hier steht aber auch etwas, das ich bis jetzt noch nicht gewußt habe!«

»Und was ist das?«

»Botenlohn für Pedro einen halben Dollar!«

»Nun?«

»Pedro ist der Sohn der alten Pascua; der Bursche ist also in seinem Hause aus- und eingegangen, und selbst an seinem Todestage dort und auch wahrscheinlich bei ihm im Zimmer gewesen.«

Rafael war aufgestanden und ging im Zimmer auf und ab.

»Das wäre allerdings ein Glied mehr in der Kette der Wahrscheinlichkeiten«, sagte er endlich, »und in Europa ließe sich mit diesen Verdachtsgründen, die wir jetzt haben, vielleicht ein Verfahren einleiten. Peru müßte sich aber während meiner Abwesenheit sehr verändert haben, wenn wir hier etwas damit ausrichten wollten – und dennoch muß es versucht werden. Jedenfalls ist dieses Ausgabebuch jetzt von größerer Wichtigkeit, als ich im Anfang glaubte, schon der Tinte wegen, die der Verstorbene bis zu seinem letzten Augenblick gebrauchte, und von der ich die feste Überzeugung habe, daß es nicht dieselbe ist, mit der seine Namensunterschrift unter den Kaufakt gezeichnet worden ist – und doch behauptet Desterres, daß es in seiner eigenen Stube geschehen sei.«

»Wer soll das aber hier beweisen? Wo haben wir einen Chemiker, der das untersuchen könnte? Und den Kontrakt nach Europa schicken, wäre eine weitläufige Geschichte!« meinte Bertrand.

»Würde von den hiesigen Gerichten auch kaum gestattet werden«, sagte Rafael; »Castilla selber müßte denn ein Machtwort sprechen.«

»Ja, darauf warte«, brummte Bertrand, »eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus; und wenn ich auch glauben will, daß er das Gesindel, mit dem er zu tun hat, kennt, so braucht er es doch auch wieder. Außerdem ist es außerordentlich schwer, Zutritt zu ihm zu erlangen, denn seit dem letzten Attentatsversuch hält er sich äußerst abgeschlossen und verkehrt fast nur mit seinen Ministern. Daß aber bei denen nichts gegen Desterres anzubringen ist, darauf kannst du dich fest verlassen. Jedes Wort wäre verloren, ja, schlimmer als das, denn es würde den Burschen warnen.«

»Sollen wir die Sache denn als vollkommen hoffnungslos aufgeben?« fragte Rafael, stehenbleibend.

»Das sag' ich nicht«, rief Bertrand, »im Gegenteil wollen wir beide die Augen offenhalten. Dadurch, daß wir jetzt, wo du zurückgekehrt bist, anscheinend gar nichts tun, machen wir die Schufte, wenn wirklich ein Verbrechen verübt wurde, sicher, und wer weiß, ob sich dann nicht einer von ihnen auf die eine oder die andere Art einmal verrät. Einer allein kann die Sache nicht ausgeführt haben, es müssen verschiedene darum wissen, und das ist ein gefährlich Ding und hat schon manches Verbrechen an den Tag gebracht. Doch nun fort mit der fatalen Geschichte, Juanita hat schon da drin eine ganze Weile mit den Gläsern geklirrt; bei einem Glase Wein schwemmen wir das alles hinunter!«

Rafael, der jetzt zufällig erfahren hatte, daß Lydia den Platz morgen besuchen würde, wäre ihr gern ausgewichen. Er wußte selber eigentlich nicht recht, woher es kam, aber er wünschte nicht, gerade hier mit ihr zusammenzutreffen. Das ließ sich freilich jetzt nicht mehr ändern, denn er hatte sich nun schon einmal auf ein paar Tage angemeldet – welchen Grund konnte er angeben, weshalb er sein Versprechen nicht halten wolle? Der alte Bertrand, und selbst Juanita würden Verdacht geschöpft haben.

Und weshalb sollte er ihr auch ausweichen? Er hatte, wie oft er auch nahe daran war, sein sich selbst gegebenes Wort zu brechen, sich damals fest vorgenommen, sie nie wieder aufzusuchen; er hatte es bis jetzt gehalten, und nun wollte es der Zufall, daß er ihr dennoch wieder begegnen sollte. Aber er brauchte sich darüber keine Vorwürfe zu machen; es geschah ohne sein Zutun. Jedenfalls mußte er bleiben und sie erwarten; es ging nun schon einmal nicht anders.

Der nächste Morgen kam, und mit ihm noch ziemlich früh, da die Gesellschaft die Morgenkühle zu ihrem Ritt benutzt hatte, die kleine Kavalkade, die aus acht Personen bestand: Herr Deringcourt mit seiner Tochter – seine Frau hatte es vorgezogen, zu Hause zu bleiben –, Demoiselle Lydia Valière, Desterres, Señor Sarmiento, ein Adjutant des Präsidenten, der Lydia auch die Pferde zur Verfügung gestellt hatte, der Theaterdirektor Monsieur Monfort und noch zwei andere Herren, ebenfalls Verehrer der schönen Französin, der eine ein Bruder des Finanzministers Benares.

Lydia war die Seele dieses kleinen, fröhlichen Trupps, der im gestreckten Galopp seine Pferde ausgreifen ließ, wie sie nur erst einmal harten und glatten Boden erreichten und die unmittelbare Nähe Limas hinter sich hatten. Lachend und plaudernd sprengten sie heran, bald in einer Reihe die weite Ebene benutzend, bald, wo es der Weg bedingte, zu Zweien abbrechend, bis sie endlich in die breite Straße der Ansiedelung einbogen und hier, schon der vielen im Wege herumlaufenden Kinder wegen, langsamer reiten mußten.

Jetzt bogen sie links in die Straße ein, die nach Bertrands Hacienda führte, und wenn auch Desterres dagegen Einsprache erheben und Fräulein Valière zuerst in seiner Besitzung einführen wollte, ließ sich Deringcourt doch nicht irremachen. Er haßte den Peruaner überdies und dachte gar nicht daran, auch nur die geringste Rücksicht auf ihn zu nehmen.

Bertrand und Juanita, die schon die Hufschläge der herantrabenden Tiere gehört hatten, sprangen an die Tür, ihren Besuch zu begrüßen – Juanita und Deringcourts Tochter Adele waren überhaupt eng befreundet –, und wenige Minuten später zügelte die kleine Kavalkade an dem Gattertor von Bertrands Hacienda ein.

Bertrand selber hatte sich eine Art von Rede ausgedacht, mit der er die junge, gefeierte Landsmännin empfangen wollte – aber, du lieber Gott, er kam nicht einmal zum Anfang!

Kaum hatte er Lydia den Arm entgegengestreckt, um ihr beim Absteigen behilflich zu sein, als das junge, wilde Mädchen, nur eben ihre Hand auf die seine stützend, aus dem Sattel sprang und dann auf eine so liebenswürdige Weise sich an seinen Arm hing, auf ihn einplauderte und ihm erzählte, wie glücklich es sie mache, ihn einmal besuchen zu können, da Deringcourts ihr schon so viel von ihm erzählt hätten, daß der alte Mann gar nicht imstande war, zu Worte zu kommen.

Und wie herzlich begrüßte sie Juanita! In wenigen Minuten war sie so gut mit ihr bekannt, als ob sie jahrelang zusammen gelebt hätten und miteinander befreundet gewesen wären; alle Umstände und Formalitäten schnitt sie gleich beim Beginn entschieden ab.

Bertrands Leute waren indes herbeigekommen, um die Pferde in Empfang zu nehmen, und die kleine Gesellschaft, von der nur wenige Bertrand nicht persönlich kannten und sich ihm rasch und ungezwungen selber vorstellten, betrat jetzt den Speisesaal, wo schon eine große Tafel mit allerlei Erfrischungen gedeckt war.

Hier erst trat ihnen Rafael entgegen, und Lydia schaute überrascht zu ihm auf. Unwillkürlich fast flog dabei ihr Blick zu Juanita hinüber, und sie rief, ihm die Hand entgegenstreckend:

»Caballero, Sie hier? Draußen zwischen den Hacienden in ländlicher Zurückgezogenheit, wo ich Sie im Trubel der großen Stadt vermutete? Das ist allerdings eine unverhoffte Freude, einen alten Reisegefährten nach so langer Zeit einmal wieder zu sehen. Wie ist es Ihnen indes ergangen? Denn von mir kann ich Ihnen nur Gutes melden. Ihre Landsleute verwöhnen mich sogar hier, und wenn es möglich wäre, würden sie mich noch eitler machen, als ich es so schon bin.«

»Glauben Sie wirklich, Señorita, daß ich mich davon nicht selber in der Stadt überzeugt hätte?« fragte Rafael, indem er die dargebotene Hand nahm und leicht an die Lippen hob. »Ich bin dort steter Zeuge Ihrer Triumphe gewesen!«

»Wirklich?« lächelte das schöne, junge Mädchen; »nun, dann kann ich Ihnen sagen, daß mich das freut! Aber unser Wirt wartet! Doch vorher muß ich Ihnen noch meine liebe Freundin, Adele Deringcourt, vorstellen. Liebe Adele, ein alter oder vielmehr ein junger Reisegefährte von mir, Señor Aguila; Señor, Demoiselle Adele Deringcourt, die Tochter meines liebenswürdigen und allzu nachsichtigen Wirtes und Freundes, den ich hier ebenfalls die Ehre habe, Ihnen vorzuführen. Monsieur, ich habe mir eben die Freiheit genommen, Ihre Tochter mit dem liebenswürdigsten Peruaner bekannt zu machen, den Sie in Ihrer Republik haben, und das ist viel gesagt, wenn ich die gegenwärtige Gesellschaft betrachte«, setzte sie lächelnd hinzu. »Und nun zu Tisch, denn Monsieur Bertrand rückt dort schon in halber Verzweiflung die Stühle und hat nicht eher Ruhe, bis er uns wohlverpackt hinter seinen Delikatessen weiß!«

Bertrand, der vor allen Dingen Umständlichkeit und von allen Umständlichkeiten besonders das Vorstellen haßte, hatte in der Tat schon etwas ungeduldig die Stühle geschoben, da er sich rasch einen Überschlag gemacht hatte, wie er seine Gäste setzen wollte, und nun in Angst war, daß er die ausgedachte Anordnung wieder vergäße. Es ging aber noch alles gut ab, und eine Stunde etwa verplauderte die kleine fröhliche Gesellschaft, die von dem Ritt einen vortrefflichen Appetit mitgebracht hatte, an der reichbesetzten Tafel. Der Kaffee wurde dann im Nebenzimmer gereicht, ein junger Cholobursche trug die Zigarren umher, und bald bildeten sich überall wieder kleine plaudernde Gruppen.

Nur Desterres war nicht mit zu dem Frühstück hereingekommen und hatte sich deshalb vorher bei Lydia entschuldigt. Er müsse, wie er sagte, nach seiner eigenen Hacienda hinüber, um dort zu sehen, ob alles in Ordnung sei, da er doch fest darauf rechnete, daß sie ihn so glücklich machen würde, sein eigenes, dicht dabei gelegenes Grundstück, und wenn es auch nur auf wenige Minuten wäre, zu besuchen. Lydia konnte dem natürlich nicht ausweichen und sagte zu.

Sowie die Gäste vom Tisch aufgestanden waren, wo Lydia ihren Sitz zwischen Bertrand und Señor Benares gehabt hatte, ging das junge Mädchen zu Juanita, um mit ihr zu plaudern und ihr dabei zu sagen, wie sehr sie sich freue, sie hier in ihrer stillen Häuslichkeit kennengelernt zu haben.

In jedem anderen Munde wäre das auch kaum mehr als eine gewöhnliche, gesellschaftlich höfliche Redensart gewesen, von Lydias Lippen klang es aber wie aus dem Herzen kommend, und kam auch daraus, denn ihr Auge haftete dabei mit wirklicher Zuneigung auf dem jungen Mädchen, das in ihrer liebenswürdigen Befangenheit errötend vor ihr stand. Was hatte sie auch schon von der Welt da draußen und ihren Formen gesehen, was wußte sie davon, und jetzt plauderte die junge Dame, deren Name auf aller Lippen war, die von allen gepriesen und gefeiert wurde, so traulich, so unbefangen, ja, so herzlich mit ihr, als ob sie Freundinnen von Jugend auf gewesen wären.

Rafael hatte sich indessen in eine Unterhaltung mit Monsieur Monfort eingelassen, der natürlich nur über Theater und die Not sprach, die ein armer Direktor in diesem noch halb barbarischen Lande nicht allein mit dem Publikum, nein, besonders mit seinen ersten Mitgliedern habe. Dabei aber konnte er nicht genug rühmen, welche Ausnahme Fräulein Lydia von dieser Regel mache; eine solche Primadonna sei ihm noch nicht vorgekommen, denn sie scheine nicht zu wissen, was Launen, ja, sogar nicht einmal, was Heiserkeit wäre, und er segne den Tag, wo sie die peruanische Küste betreten habe.

Eine leichte Hand legte sich auf Rafaels Schulter, und als er rasch den Kopf danach wandte, stand eben diese Primadonna neben ihm und sagte, sich lächelnd gegen ihren Direktor verbeugend:

»Sie entschuldigen, gestrenger Herr Maestro, wenn ich Ihre gewiß sehr interessante Unterhaltung einen Augenblick störe, aber ich habe mit diesem Herrn einige Worte zu reden.«

»Señorita«, rief Monsieur Monfort, »wenn eine Versenkung hier wäre, würde ich dadurch augenblicklich verschwinden, nur um Ihnen zu beweisen, wie ich nicht einmal mehr zu existieren wünsche, sobald Sie nur den leisesten Wunsch dahin äußern.«

»Haben Sie schon je einen so artigen Theaterdirektor gesehen, Señor Aguila?« schmunzelte die junge Dame; »er ist wirklich ein Muster. Aber Sie brauchen weder Versenkung noch Wolkenwagen zu benutzen, mein Herr, denn es handelt sich nur um ein paar Fragen. Wir sind gleich wieder bei Ihnen!« Und ihren Arm in den Rafaels legend, führte sie ihn mit einer leisen, lächelnden Verneigung gegen den Direktor an die andere Seite des Saales. Aber schon unterwegs flüsterte sie:

»Jetzt weiß ich auch, Señor Conferado, weshalb Sie mir untreu geworden sind und sich die ganze lange Zeit nicht haben bei mir sehen lassen. Aber war das recht von Ihnen?«

»Und weshalb, Señorita?«

»Halten Sie mich für blind?« sagte kopfschüttelnd das schöne Mädchen, »oder sollte ich nicht etwa sehen, wie ein Paar schöne, kastanienbraune Augen den kalten Peruaner endlich gepackt und festgehalten haben? Ich wußte allerdings nicht, daß es hier draußen einen solchen Magnet geben könnte – aber entschuldigt Sie das, Ihre alten Freunde deshalb zu vernachlässigen? Sie haben mir weh damit getan, denn ich glaubte schon, daß ich Sie durch irgend etwas, und wahrlich unbewußt, beleidigt hätte.«

Sie sah ihn dabei mit einem so lieben, furchtsamen Blicke an, daß Rafael verlegen wurde. Was sollte er auch darauf erwidern, was ihr sagen? Er tat das, was er sich von vornherein vorgenommen hatte, nicht zu tun – er entschuldigte sich bei ihr und erwiderte leise:

»Ich hätte Sie gewiß schon längst wieder aufgesucht, aber Geschäfte hielten mich mehrere Tage in Callao fest. Es war ein Schiff eingelaufen, dessen Ladung ich vorher verwerten mußte.«

»Sie haben doch, um Gottes willen, nichts mit dem entsetzlichen Kulihandel zu tun?« rief Lydia rasch und wie erschreckt.

»Sehe ich aus wie ein Sklavenhändler?« lächelte Rafael. »Nein, Señorita, obgleich einer Ihrer intimen Freunde der Sache nicht so fern steht!«

»Ich weiß es«, sagte Lydia, und ein leichtes Rot färbte ihre Wangen, »Señor Desterres.«

»Hat ihn das in Ihrer Achtung heben können?«

Lydia schien die Frage überhört zu haben; sie sah eine kurze Weile schweigend vor sich nieder, endlich sagte sie leise:

»Wissen Sie wohl, daß ich mich während der Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, sehr viel mit Ihnen beschäftigte?«

»Mit mir, mein Fräulein?« sagte Rafael, ungläubig den Kopf schüttelnd.

»Sie glauben es mir nicht, und doch ist es wahr. Desterres bewohnt das Gut, das früher Ihr Eigentum war?«

»Allerdings; Monsieur Deringcourt kennt wohl einen Teil der Verhältnisse?«

»Nur unvollkommen; aber ich habe auch mit ihm darüber gesprochen. Ihr Onkel starb rasch und unerwartet, und das Geld für den Gutsverkauf ist verschwunden.«

»Habe ich Ihnen das nicht selber erzählt?«

»Auch nur zum Teil, und gar nicht gesagt haben Sie mir, daß Sie Desterres in Verdacht halten, auf unrechtlichem Weg in den Besitz Ihres Eigentums gelangt zu sein.«

»Mein Fräulein!« rief Rafael erstaunt.

»Pst«, ermahnte ihn Lydia, »es braucht niemand zu ahnen, daß wir hier über etwas anderes als ganz gleichgültige Dinge sprechen. Welche Beweise haben Sie dafür?«

»Beweise eigentlich noch keine, Verdachtsgründe genug«, erwiderte Rafael nach einigem Zögern, »aber Sie kennen die Verhältnisse in Peru nicht, mein Fräulein. Der Besitz selber ist schon in vielen Fällen entscheidend, und wo es sich bei einer solchen Sache gar noch darum handelt, daß ein völlig Unbekannter gegen von der Regierung begünstigte und bevorzugte Männer auftritt, da würde Ihnen wohl jeder Rechtsanwalt den Rat erteilen, Zeit und Kosten zu sparen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ein Erfolg ließe sich doch nicht davon versprechen.«

»Und wenn Sie sich nun direkt an den Präsidenten wenden?«

»Und das raten Sie mir gegen Señor Desterres?« fragte Rafael erstaunt.

Lydia wollte etwas erwidern, faßte aber ihre Unterlippe mit den Zähnen und warf einen flüchtigen Blick durch das Zimmer. Er traf den Juanitas, die sich mit Adele in einem andern Teile des Saales unterhielt. Ein leichtes, fast unmerkliches Lächeln flog über ihre Züge. Endlich flüsterte sie:

»Wer sagt Ihnen, daß Desterres mein Freund ist? Halt, ich weiß, was Sie mir darauf erwidern wollen«, setzte sie rasch hinzu, »und dem Anschein nach können Sie auch vielleicht recht haben; aber«, fügte sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu, »wäre es nicht auch möglich, daß ich meine Freundschaft etwa in derselben Weise wie meine Locken verschenkte?«

»Señorita, machen Sie sich nicht schlimmer als Sie sind«, sagte Rafael bittend, »denn auch mir haben Sie versichert, daß Sie mir freundlich gesinnt wären, und wer bürgte mir dann dafür, daß ich nicht auch eine falsche Locke bekäme?«

»Ich habe Ihren Vorwurf vielleicht verdient«, sagte Lydia leise, »aber doch nicht von Ihnen verdient, Don Rafael«, setzte sie herzlich hinzu, »und mein einziger Trost ist, daß die Zeit kommen wird, wo Sie mir Abbitte tun werden. Aber wir dürfen uns jetzt nicht länger mehr der Gesellschaft fern halten; Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet. Weshalb wenden Sie sich nicht direkt an Ihren Präsidenten?«

»Ich habe selber schon den Gedanken gehabt«, sagte Rafael, »aber auch darin kennen Sie Peru zu wenig. Es ist nicht so leicht, von dem Präsidenten in einer derartigen Angelegenheit eine Audienz zu bekommen. Die Leute, die seine Umgebung bilden, hängen zusammen wie die Kletten, und wer sich da hindurchdrängen will, wird überall zurückgehalten.«

»Er wird sich sicher nicht weigern, Sie anzuhören.«

»Er würde es vielleicht nicht tun, wenn er überhaupt erführe, was ich wollte; aber er erfährt es nie.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Ich werde eben nicht angemeldet«, sagte Rafael achselzuckend. »Neulich schon war ich bei dem Minister Morales, um zu diesem Zweck anzufragen. Der Herr gab mir aber ganz deutlich und trocken zu verstehen, daß die Minister selber der natürliche Weg zum Präsidenten wären, da man den alten Herrn nicht mit allen Kleinigkeiten behelligen könne. Was ich also vorzutragen habe, möchte ich ihm mitteilen; es wäre das ebensogut, als ob ich es dem Präsidenten selber sage.«

»Nun und?«

»Es versteht sich von selbst, daß ich das nicht tat, denn dadurch wäre meine Sache von vornherein verloren gewesen. Ich weiß jetzt wirklich nicht, was ich tun soll, denn schon dieser armen Südsee-Insulaner wegen müßte ich ihn sprechen, da ein Verbrechen verübt wurde, diese Leute ihrem Vaterland zu entführen. Aber in den Vorzimmern herumzusitzen ist meine Sache nicht, und nie im Leben würde ich mich dazu verstehen.«

Lydia schwieg und sah sinnend vor sich nieder.

»Werden Sie nachher mit zu Desterres hinübergehen?« sagte sie endlich.

»Da ich nicht mit zur Gesellschaft gehöre, nein.«

»Dann sehen wir uns vielleicht heute gar nicht mehr, denn Señor Benares trifft, wie ich bemerke, schon Anstalten zum Aufbruch. Werden Sie mich auch ferner so entschieden meiden, Don Rafael? Es könnte sein, daß ich Ihnen in der nächsten Zeit Wichtiges mitzuteilen hätte.«

»Glauben Sie denn, daß mich das nur allein bewegen könnte, Sie aufzusuchen?« fragte Rafael, während sich sein Antlitz höher färbte; »ich bin nicht imstande, einer Dame leere Schmeicheleien zu sagen, es widerstrebt meiner Natur, aber seien Sie versichert, Señorita, daß es mich nur zu sehr zu Ihnen zieht.«

»Davon habe ich bis jetzt nichts gemerkt«, lachte Lydia, »aber pst, was reden Sie? Wenn das nun andere Ohren gehört hätten?«

»Andere Ohren?« sagte Rafael erstaunt.

»Ich muß wirklich tausendmal um Entschuldigung bitten, wenn ich diese so sehr interessante Unterhaltung störe«, unterbrach sie hier der zu ihnen tretende Benares, »aber unser Freund Desterres drüben wird auf Nadeln sitzen, bis wir ihm den versprochenen Besuch abgestattet haben, und in der Situation . . .«

»Wäre es grausam, ihn lange warten zu lassen«, lachte Lydia.

»An diesen Besuch«, rief Deringcourt, »habe ich jedoch die Bedingung zu knüpfen, daß wir in einer Stunde spätestens wieder im Sattel sitzen, um noch am Fluß hinaufzureiten! Unser Diner nehmen wir nachher hier bei Bertrand ein!«

»Aber Señor Desterres wird fest darauf rechnen«, sagte Benares.

»Dann wird er sich verrechnen«, entschied Deringcourt. »Die Herren erinnern sich, daß mir das Arrangement für den heutigen Tag überlassen wurde; ich habe uns also sämtlich bei Monsieur Bertrand eingeladen, der natürlich seine Vorbereitungen dazu treffen mußte! Sie werden mich jetzt nicht Lügen strafen wollen!«

»Tausend Dank, lieber Deringcourt«, flüsterte ihm Lydia heimlich zu.

»Unter den Umständen läßt sich allerdings nichts weiter tun.«

»Señor Desterres hat uns auch, soviel ich weiß, nur dazu eingeladen, seine Hacienda einmal anzusehen«, nahm jetzt die junge Französin das Wort; »also, Monsieur Bertrand, wir versprechen bestimmt, Ihnen zum Diner wieder zur Last zu fallen.«

»Fallen Sie nur zu«, lachte Bertrand, »willkommener ist noch niemand gewesen, und ich danke meinem Freund Deringcourt von Herzen für seine Fürsprache.«

Die kleine Gesellschaft ging jetzt zu Desterres hinüber, der ebenfalls alle nur zu erlangenden Delikatessen aufgetafelt hatte und ernstlichen Protest dagegen erheben wollte, daß man sich weigerte, zu einem zweiten Frühstück, unmittelbar nach dem ersten, Platz zu nehmen. Dann wurden die Pferde wieder vorgeführt, die kleine Kavalkade ritt noch ein paar Leguas an dem Strom hinauf und kehrte dann, etwa mittags um vier Uhr, zu Bertrand zurück, wo sich diesmal selbst Desterres nicht ausschließen konnte.

Bei diesem Besuch bekam Rafael aber keine Zeit zu einer längeren Unterhaltung mit Lydia, und nur nach Tisch konnte sich ihr der junge Mann wieder auf einen Augenblick nähern.

»Aber wie kommt es, Señorita«, fragte er, »daß heute bei dieser fröhlichen Partie Ihr Schatten fehlt?«

»Mein schwedischer?« sagte Lydia mit einem schelmischen Blick auf Rafael.

»Ich glaube wirklich, daß Sie Ihre ›Schatten‹ nach Nationen rechnen«, lächelte der junge Mann.

»Der arme Stierna«, sagte Lydia mit tiefem Bedauern im Ton, »wie furchtbar wird ihm der heutige Tag sein!«

»Und Sie konnten so grausam gegen ihn sein, ihn zurückzulassen?«

»Ich wäre grausam gewesen, wenn ich ihn mitgenommen hätte«, sagte die junge Schöne ganz ernsthaft; »er kann nicht reiten.«

»Er kann nicht reiten?«

»Nein«, lachte Lydia jetzt, »aber er wird seinen Fehler bald verbessern, denn seit gestern hat er bei einem alten Franzosen in Lima Reitstunden genommen, und zwar täglich drei mit Zwischenpausen, um sich wieder zu erholen. Er sieht ein, daß er in Peru ohne diese edle Kunst nicht leben kann.«

Nach Tisch machte die kleine Gesellschaft noch einen kurzen Spaziergang durch Bertrands Anlagen und Garten – Lydia hatte Juanitas Arm genommen, und gegen Abend erst, da der Mond voll am Himmel stand, brach der Zug fröhlicher Menschen wieder nach der Stadt auf.

Rafael hatte sie hinunter zu den Pferden begleitet und Lydia geholfen, ihren Sitz im Sattel einzunehmen. Jetzt sprengten sie in kurzem Galopp die Straße hinab, und er blieb noch mit Bertrand unten am Tor stehen, um ihnen nachzuschauen, solange er sie erkennen konnte.

Oben am Fenster im Hause stand Juanita, die Stirn sinnend an die hölzerne Verkleidung gelehnt, und blickte still nach den leichten Abendwolken hinüber, denen die untergehende Sonne schon jene wunderbare Rosa- und Lila-Tinten mitteilte, wie man sie in dieser Pracht nur eben in den Tropen findet.

 


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