Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Im Karneval

Lima bewahrt das ganze Jahr hindurch seinen ruhigen, man möchte fast sagen: schläfrigen Charakter, der durch nichts in der Welt als vielleicht einmal auf kurze Zeit durch ein Erdbeben außer Fassung zu bringen ist. Alles geht seinen regelmäßigen Gang, der hier nicht einmal durch die Jahreszeiten oder eine Veränderung des Klimas unterbrochen wird.

Nur der Karneval wirft alles über den Haufen, und zwar so gründlich und mit einemmal, daß man in der Zeit die Stadt kaum wiedererkennt, und doch dauert das ganze tolle Leben nur kaum drei Tage.

Die Damen, von denen sich keine in diesen drei Tagen auf der Straße sehen läßt, haben jeden Putz abgelegt und sind nur in waschbare Überwürfe gekleidet.

Eigentlich besteht nämlich das ganze Karnevalsvergnügen nur darin, daß die Damen über Vorbeigehende Wasser aus den Fenstern schütten und die Herren dann von der Straße aus – als die einzige Art, wie sie sich revanchieren können – wassergefüllte Eier auf die versteckten Schönen auch in die Zimmer schleudern. Beim Beginn des Werfens und auch noch am zweiten Tage sind diese Eier mit wohlriechendem Wasser gefüllt; sobald aber der Kampf einmal hitzig wird und nicht genug Zufuhr an Eiern herbeigeschafft werden kann, fällt das wohlriechende Wasser weg und das reine Element nimmt seinen Platz ein, ja, nichtswürdige Cholo-Jungen füllen auch wohl die Eier aus den die Stadt durchströmenden Kanälen und lassen sich trotzdem für den »Duft« bezahlen. Die Werfenden selber erfahren ja doch nicht gleich wie sie betrogen wurden, und klagen die Damen nach dem Karneval über die erlittene Mißhandlung, wo sind dann die Jungen!

So hatte auch der Karneval am ersten Tag in Lima begonnen. Wie gewöhnlich war das polizeiliche Verbot erlassen worden, weder Wasser aus den Häusern zu gießen, noch wassergefüllte Eier in die Fenster zu werfen; aber wer kümmerte sich darum! Ja, als der Präsident selber am Morgen des ersten Tages an die Bahn fuhr, um sich in Chorillos in Sicherheit zu bringen, wurde sein eigener Kutscher völlig durchgeweicht, und Eier klatschten auf den geschlossenen Wagen nieder wie bei einem Hagelwetter. Der alte Herr selber saß aber trocken darin, lachte über das tolle Volk und – ließ es gewähren. Es war ein Spiel, das austoben mußte, und in drei Tagen war alles vorbei.

Am ersten Tage waren die sonst so lebendigen Straßen wie ausgestorben, denn das eigentliche »Spiel«, wie man es dort nennt, hatte noch nicht begonnen und begann auch nicht an dem Tage, und doch konnte sich kein anständig gekleideter Mann auf der Straße sehen lassen, ohne daß ihm bald aus dem, bald aus jenem Fenster halbe oder ganze Kübel übergeschüttet wurden. Trotzdem fehlte noch der Eifer, mit dem das später geschah; man tat es nur en passant, und die es betraf, ärgerten sich, weil sie bis jetzt noch als vereinzelte Fälle galten und von Begegnenden ausgelacht wurden. Das fiel am dritten Tag vollkommen weg, denn da gab es einen trockenen Menschen überhaupt nicht mehr, ausgenommen, er trat eben aus einem Haus heraus, und selbst in den eigenen Familien waren sie nicht mehr sicher, denn man brauchte Opfer und schonte niemand.

Mitten durch diesen Lärm ritt dann manchmal mit schweren, eisernen Hufschlägen eine Patrouille Kavallerie, die Karabiner scharf geladen, langsam durch die Straßen der Stadt, um angeblich die »Ordnung aufrecht zu erhalten« – aber, lieber Gott, was konnten sie gegen den Übermut einer ganzen Stadt ausrichten? Der arme Offizier kam gewöhnlich am schlechtesten weg. Er hatte Befehl, das Wassergießen aus den Fenstern nicht zu leiden und wußte von vornherein, daß er es nicht verhindern konnte. Von allen Seiten gossen sich über ihn selber die Becher aus; es war sogar, als ob man bloß auf die Patrouille gewartet und allen Vorrat an Wasser aufgespart hätte, und während die Soldaten wenig oder gar nichts davon erhielten und schmunzelnd hinter ihrem Offizier drein ritten, schwamm dieser ordentlich in seinen Stiefeln und hatte keinen trockenen Faden am Körper.

Selbst die Jungen, die mit ihren Eierkörben an den Ecken standen, boten ihm, wie zum Hohn, diese zum Verkauf an; aber er sah auch die Jungen nicht. Er war entschlossen, nichts zu sehen, und führte das mit einer Konsequenz durch, die nichts zu wünschen übrigließ.

Draußen, in der äußersten Vorstadt, nach Chorillos zu, liegt ein Negerviertel, wo besonders die Waschfrauen in kleinen, engen und schmutzigen Lehmhütten hausen. Weiße vermeiden den Platz, besonders nach Dunkelwerden, denn wenn man sie nicht einfach überfällt und beraubt, dürfen sie doch fest darauf rechnen, beleidigt und verhöhnt zu werden.

In dieser Vorstadt nun herrschte die ganzen drei Tage hindurch schon am frühesten Morgen ein viel regeres Leben als selbst in der Stadt, denn hier draußen hatte der tolle Karneval schon mit Tagesanbruch begonnen, und alle Fenster spien auf den unglücklichen Vorübergehenden ordentliche Katarakte von oft nichts weniger als sauberem oder gar wohlriechendem Wasser aus. Wer aber hierher kam, gehörte in diese Gesellschaft oder paßte wenigstens zu ihr, und niemand war da auf einen feinen Scherz gefaßt. Bekam man eine Ladung Wasser über, so mußte man nur froh sein, wenn nicht der ganze Kübel nachfolgte.

Die Leute wußten zuletzt auch wirklich nicht mehr, wie sie ihrem Übermut Luft machen sollten, und Reihen widerlicher, durchnäßter und entsetzlich ausdünstender alter Negerweiber pflanzten sich auf Tischen und Stühlen dicht an die Schienen der vorbeigehenden Bahn hin, um, wenn der Zug kam, der hier gleich vor dem Bahnhof schon einbremsen mußte, ganze Eimer und Wannen in die offenen Waggons und über die unglücklichen Passagiere auszuleeren.

Es war der dritte Morgen, und man hätte glauben sollen, daß sich die Leute von den Anstrengungen der letzten beiden Tage erschöpft fühlen mußten – aber Gott bewahre! Heute wurden im Gegenteil die größten Anstrengungen erst gemacht; heute wurde alles vorgesucht, was man noch als einen Trumpf ausspielen konnte, und ganze Gruppen zogen sogar verkleidet und maskiert durch die Straßen und setzten einzelne Häuser, von denen aus sie überschüttet wurden, durch ein förmliches Eier-Bombardement in Belagerungszustand.

Schwarze durften es aber nicht wagen, in den Straßen mit gefüllten Eierschalen nach den Fenstern von Weißen zu werfen; man würde augenblicklich über sie hergefallen sein, und nur in vollkommener Verkleidung konnte es ein Mulatte oder Neger ungestraft riskieren.

So rüstete sich auch jetzt wieder im Negerviertel eine kleine Gruppe von Mulatten zu einem solchen Umzug, den sie durch die Stadt machen wollten; aber jemand stand zwischen ihnen, der wahrlich dort nicht hingehörte und in diese Umgebung nicht recht paßte.

Es war Perteña in einer Art Phantasie-Anzug, mit aufgeschlitztem Wams, gelben Reiterstiefeln und Messingsporen, einen Kalabreser-Hut mit roter Straußenfeder auf, und eine breite italienische Schärpe umgehangen. Eine Maske, die sein ganzes Gesicht verdecken sollte, lag noch neben ihm auf dem Tisch, und jetzt war er beschäftigt, die drei anderen Gehilfen, die mit derlei Kleidern nicht recht umzugehen wußten, anzuziehen.

Er hatte eben einen ziemlich robusten Mulatten unter der Arbeit und paßte ihm eine Kapuze über, die seinen ganzen Nacken verdeckte, ihm aber auch fast den Atem benahm, weil sie links und rechts an die Maske anstieß.

»Santa Maria«, stöhnte dieser, »draußen die Hitze, und all das Zeug um einen herumhängen; wenn mich der Schlag nicht unterwegs rührt, ist es ein einziges Wunder!«

»Sie werden dich schon abkühlen draußen, Scipio«, lachte ein anderer, der sich ebenfalls eine Maske anprobierte; »warte nur, wenn du den Señoritas erst unter die Fenster kommst!«

»Und wenn sie's herausbekommen, daß wir Mulatten sind«, brummte Scipio halblaut vor sich hin, »nachher setzt's kein Wasser mehr, aber heillose Prügel.«

»Bah«, sagte der zweite wieder, indem er seine Maske noch einmal abnahm und Coronas Gesicht darunter zeigte, »glaubst du, ich hätte mich dem Spaß angeschlossen, wenn es eben mehr als ein Spaß wäre und übel ablaufen könnte? Und fahren wir denn nicht in einem Wagen wie richtige Caballeros, den Eierjungen mit den Vorratskörben vorn auf dem Bock? Zehn, zwölf solcher Wagen durchziehen heute die Stadt, und die einzige Gefahr ist die, daß wir in den engeren Straßen einmal ein paar Kübel Wasser zu gleicher Zeit über Bord nehmen und vielleicht den alten Wagenkasten vollbekommen.«

»Sie haben recht, Señor Corona«, sagte Perteña ernsthaft. »Gefahr ist nicht die geringste dabei, so lange wir nur nicht erwischt werden, und dafür natürlich müssen wir aufpassen. Das geht ja aber mit allen Unternehmungen so, und da Sie bei dieser Sache wirklich weiter nichts zu tun haben, was Sie nur im geringsten kompromittieren könnte, so dürfen Sie sich ihr mit allem Eifer hingeben. Es ist nichts als ein Karnevalsscherz, was Sie davon zu wissen brauchen, und das übrige trägt Ihnen nur Nutzen und gar keine Gefahr. Aber sind wir denn jetzt endlich fertig? Du, Sam«, wandte er sich jetzt zu einem vollblütigen Neger, der mit breitem Grinsen dabei gesessen und den Vorbereitungen zugesehen hatte, »brauchst natürlich gar keine Maske. Du fährst deinen Mietwagen, und wenn dich später einmal jemand fragen sollte, wen du gefahren hast, so antwortest du einfach: ›Was weiß ich's! Caballeros, die mich auf der Straße angenommen und bezahlt haben! Wer fragt da nach einem Namen!‹ Und nun fort, meine Herren, es muß schon wenigstens zehn Uhr sein, und die Sache ist voll im Gange! Du weißt das Haus, Sam, in der Calle de Valladolid?«

»Versteht sich; gut genug – und nachher?«

»Bleibst du ruhig vor dem Hause halten und kümmerst dich um nichts. Apropos, der Bursche ist doch ordentlich instruiert, daß er mit der Leiter zur rechten Zeit eintrifft?«

»Sorgen Sie nicht um den, Señor«, sagte Scipio, »der ist schlau genug und weiß genau, was er zu tun hat.«

»Bueno!«

Etwa eine Viertelstunde später verließ Sam, der dort seinen Mietwagen einstehen hatte, den Hof mit vier verkleideten Caballeros, die niemand hatte kommen sehen. Aber wer achtete an diesem Tag darauf – und als der Wagen rasch aus dem Torweg hinausgefahren war, um aus dem Bereich der nächsten Fenster zu kommen, kümmerte sich kein Mensch mehr darum.

Einmal in der anderen Straße, veränderte der Wagen aber sein Äußeres noch ein wenig. Sam holte aus einer dortigen Restauration eine große italienische Flagge, die hinten befestigt wurde; ebenso wartete dort ein kleiner Bursche mit seinem Eiervorrate. Er mußte mit auf den Bock steigen und zwei von den Körben mit hinaufnehmen. Den dritten nahmen die vier im Wagen sitzenden Personen selber zwischen sich, und so rollte das Fuhrwerk rasch dem »lustigen Spiel« entgegen in die Stadt hinein.

*

In seinem nicht übermäßig geräumigen Zimmer saß General Granero heute nicht wie gewöhnlich in der Hängematte, sondern ging mit raschen Schritten in dem Gemach auf und ab und rief nur dann und wann einmal ungeduldig seinen Burschen, um sich nach dem »Offizier« zu erkundigen und zu erfragen, ob er sich noch nicht habe sehen lassen.

Draußen tobte der Karneval: lautes Jubeln und Jauchzen, Schreien und Lachen tönten von der Straße herauf, und in dem gerade gegenüberliegenden Haus wurde eine ordentliche Schlacht geliefert, aber Granero sah es nicht. Was kümmerte ihn der wilde Jubel gleichgültiger Menschen, der alberne Karneval überhaupt, der seine Pläne nur noch weiter hinausschob, weil ja an diesen Tagen nichts unternommen werden konnte! Bittere Flüche murmelte er zwischen den fest zusammengebissenen Zähnen, und ungeduldig stampfte er den Boden, wenn der Erwartete noch nicht, noch immer nicht erschien. Aber niemand kam – auch Corona, der ihm so fest versprochen hatte, Nachricht zu bringen, blieb aus, und Oberst Desterres – seine ganze Hoffnung ruhte auf dem Oberst – ließ kein Wort von sich hören, schon den ganzen Karneval hindurch. Es war rein zum Verzweifeln, und Granero, der nur in Ausnahmefällen abends nach Dunkelwerden seine »Höhle« verließ, wurde noch weit mehr von Ungeduld und Erwartung gequält, weil er gar nichts tun konnte, sondern eben still ausharren mußte, bis seine Abgesandten und Bevollmächtigten zurückkamen, um ihn aufzusuchen.

So war es fast Mittag geworden, als seine Vorsaaltür rasch geöffnet wurde und der längst erwartete Oberst Desterres gerade dazu kam, wie Juan und der andere Negerjunge – Graneros Bedienung – eben dabei waren, die Schokolade zu trinken, die sie am Morgen vielleicht zur Feier des Karnevals heimlich für sich gemacht hatten. Wie der Blitz fuhren sie aber mit dem Topf in die Ecke hinein, und Juan war auch im nächsten Augenblick schon drinnen bei seinem Herrn, um den willkommenen Besuch anzumelden.

»Nun, lieber Oberst«, empfing ihn Granero, »wie weit sind wir? Ich habe ordentlich Sehnsucht nach Ihnen gehabt. Seien Sie aber heute vorsichtig und sprechen Sie leise, denn der verdammte Karneval hat alle im Haus gehalten und die Zimmer sind fast sämtlich besetzt. Bringen Sie gute Kunde?«

»Ich denke, ja«, sagte der Oberst, sich ohne weiteres in das Sofa werfend, so daß augenblicklich rechts und links von ihm eine Wolke von Staub in die Höhe stieg. Keiner der beiden Männer nahm aber die geringste Notiz davon, denn sie waren beide an etwas Derartiges gewöhnt und hatten auch jetzt den Kopf voll anderer Dinge. »Aber wie weit sind Sie?«

»Zum Auslaufen fertig, Oberst – zum Auslaufen fertig«, erwiderte der ungeduldige kleine Mann und mußte sich Mühe geben, seine Stimme zu dämpfen. »Ja, das Feuer brennt mir jetzt sogar auf den Nägeln, denn vor vier Tagen habe ich dem kleinen amerikanischen Schoner, der Callao anlief, die ganze Waffenladung, tausend Stück Bajonett-Gewehre, abgekauft, mit der Bedingung, daß er sie selber nach Guayaquil bringt und von mir in der Zwischenzeit für jeden Tag, den er unnütz hier versäumt, ein bestimmtes Liegegeld bekommt. Den Schoner muß ich jetzt fortschicken, denn an Land nehmen darf ich hier die Waffen nicht, und kommt er eher nach Guayaquil als wir, so legt Flores natürlich Beschlag darauf.«

»Da drängt die Zeit freilich«, nickte der Oberst, »aber die Waffen können wir gut gebrauchen, und ich hoffe doch jetzt, daß der Schoner nicht vor uns in Guayaquil eintreffen soll, und wenn er selbst morgen ausliefe.«

»Ist denn endlich etwas beschlossen?«

»Ja«, sagte der Oberst leise; »heute ist der letzte Tag des Karnevals. Morgen nachmittag kommt Castilla in die Stadt und wird drei oder vier Nächte hier schlafen; übermorgen früh mit frühestem Morgen, denke ich, werden wir Lima dann durch eine vollkommen ungeahnte Neuigkeit überraschen können.«

»Und die Dampfer?«

»Müssen den nämlichen Tag noch auslaufen«, sagte der Oberst, »das versteht sich von selber, denn eine Nacht dürfen wir den Seeleuten gar nicht zum Überlegen gestatten. Das geht nachher alles Schlag auf Schlag, und Sie sollen sehen, General, das Volk wird so verblüfft über die vollendete Tatsache sein, daß wir auch nicht den geringsten Widerstand zu fürchten haben. Ich bin fest überzeugt, daß in der ganzen Revolution, die kaum eine Stunde dauern wird, nicht einmal ein Schuß fällt.«

»Desto besser«, sagte Granero, dem gar nichts daran lag, vielleicht noch selber in einen Volksaufruhr hineingezogen zu werden und sein Leben in Gefahr zu bringen. »Ich habe schon genug Blut gesehen und bin nicht weiter gierig danach. Lassen Sie die Sache um Gottes willen so friedlich wie möglich abmachen, ja, ich selber hätte nichts dagegen, Castilla unbelästigt zu lassen, wenn wir ihn eben nur dazu zwingen könnten, seine Ansprüche an Ecuador wieder aufzunehmen.«

»Ich dächte, Sie kennten doch den Alten«, sagte der Oberst, »um zu wissen, daß bei dem nichts in Güte auszurichten ist.«

»Ich fürchte es fast«, seufzte Granero.

»Gut, dann bleibt uns auch nichts übrig, als den Weg fortzuschreiten, in den wir einmal eingebogen sind.«

»Und wie ist Ihr Plan? Bitte, sprechen Sie leise, die Wände haben in dem verwünschten Gebäude Ohren.«

»Übermorgen früh«, flüsterte der Oberst, »wird das Palais mit Tagesanbruch besetzt. Mein Regiment darf allerdings nichts davon wissen, aber ein anderes ist unserer Sache treu ergeben, und Castilla wird entweder gefangen oder, wenn er den geringsten Widerstand leistet, über den Haufen gestochen. Es ist überhaupt das sicherste, ihn aus dem Weg zu schaffen.«

»Ich meine auch«, sagte Granero, der dicht vor dem Oberst stehengeblieben war und ihm jedes Wort vom Munde lauschte, »es ist das beste, den Alten unschädlich zu machen. Nicht als ob er uns noch schaden könnte, wenn wir erst einmal den Fuß auf ecuadorianischen Boden gesetzt haben, aber – Perus selber wegen, mein' ich. Das Land kommt sonst aus seinen Revolutionen gar nicht mehr heraus, und es ist auch für uns besser, wenn wir in der ersten Bewirtschaftung des neuen Landes nicht zu sehr gestört werden. Sie verstehen doch, was ich damit sagen will, Oberst?«

»Vollkommen«, nickte dieser; »das Schlimmste ist nur, daß wir die Sache nicht in der Gewalt haben. Ich kann weiter nichts dabei tun, als abzudrücken; ist die Kugel dann einmal aus dem Lauf, so nimmt sie die eine Richtung, und kein Teufel kann sie zurückhalten! Wir müssen uns dann ganz auf das heiße Blut der jungen Leute verlassen, die an dem Morgen das Heft in Händen haben.«

»Sie werden sich natürlich nicht selber dabei beteiligen?« sagte Granero, der indessen gerade das Gegenteil wünschte, es aber doch nicht gut aussprechen konnte.

»Nein«, sagte der Oberst trocken, »ich stehe hinter den Kulissen und lasse nur meine Marionetten spielen. Machen mir die Dummheiten, gut, so ist es ihr eigener Schaden, und ich bin selber nicht weiter dadurch kompromittiert.«

»Alle Wetter«, sagte Granero, über diese neue Entdeckung doch etwas erschrocken, »dann kann aber auch die ganze Sache mißlingen!«

»Bester General«, sagte der Oberst, »alles in der Welt kann mißlingen.«

Granero ging mit raschen Schritten, mit der linken Hand das Kinn heftig reibend, auf und ab; denn jetzt, wo es zur Entscheidung kommen sollte, durchschaute er auch den letzten, auf den er sich glaubte verlassen zu können, und fand, daß der ihn selber genau so behandelte, wie er geglaubt hatte, ihn in Händen zu haben, als willenloses Werkzeug nämlich. Aber es war in diesem Augenblick nicht zu ändern; er mußte der Sache ihren Lauf lassen. Wenn sie glückte, gut, dann war es eben gelungen, und wenn sie mißglückte, dann saß er mit seinem Waffenvorrat, für den er so ziemlich sein ganzes Vermögen ausgegeben hatte, in Lima fest, und was dann werden sollte, darüber zerbrach er sich jetzt vergeblich den Kopf.

Ob der Oberst durchschaute, was in dem Kopf des Verschwörers vorging? Schwerlich. Es war seine schwache Seite, anderer Leute Gedanken zu erraten; aber er lächelte doch still vor sich hin, denn er überlegte sich eben, wie schlau er alles angefangen habe, und wie der einzige, der darum wisse, daß er eigentlich hinter dem Ganzen stecke, so durch Bande des Blutes, aber viel mehr noch durch die Hoffnung seiner einstigen Erbschaft an ihn gefesselt sei, daß er von dieser Seite auch nicht für einen Augenblick Gefahr zu fürchten brauche.

»Und was sagt Ihr Bruder zu dem Ganzen?« unterbrach ihn plötzlich der General, indem er vor ihm stehenblieb und ihn mit fragendem Blick ansah.

»Mein Bruder!« rief erstaunt der Oberst. »Aber glauben Sie denn um Gottes willen, General – halten Sie mich denn für so leichtsinnig, daß ich meinen Bruder, der alles von diesem Präsidenten erwartet, etwas Derartiges auch nur ahnen lasse? Da wären wir ja von vornherein verloren gewesen!«

»Aber Ihr eigener Bruder wird Sie doch nicht verraten?«

»Meinen Sie? Er hätte sich vielleicht herbeigelassen, mir vorher einen leisen Wink zu geben, Peru so rasch als möglich zu verlassen, aber das wäre das Äußerste gewesen, was ich von ihm hätte erwarten können. Im Gegenteil, daß er nichts davon weiß, gibt mir größere Sicherheit, falls der Plan doch noch mißlingen sollte!«

»Sie reden in einem fort, als ob Sie ziemlich fest damit rechneten, daß er mißlingen würde«, sagte Granero ungeduldig. »Ich fürchte, ich bin selber zu offen gegen Sie alle gewesen und werde es am Ende nachher allein zu büßen haben!«

»Fürchten Sie nichts, General«, sagte der Oberst, von seinem Sitz wieder aufstehend; »niemand hat einen Anhalt an uns beiden, und gelingt unser Streich, wie ich fest hoffe, so sind gerade wir es, die den Nutzen davon ziehen. Rechnen Sie darauf, daß wir übermorgen abend schon an Bord des Dampfers, mit drei anderen bewaffneten Fahrzeugen hinter uns, gen Guayaquil auf dem Weg sind. Die Überraschung dort wird dann schon für uns ein halber Sieg werden, denn wir treffen den Feind unvorbereitet und brauchen wirklich nur Besitz von der Stadt und von ihren Schätzen zu nehmen. Jetzt aber muß ich wieder nach Hause, ich wollte, ich wäre nur erst durch die Straßen, das Volk weiß heute nicht, was es vor Übermut machen soll.«

»Und die Verschwörung?«

»Blüht indessen lustig fort«, lachte der Oberst; »gerade jetzt haben die jungen Offiziere, lauter Leute, die sich damit in einer Stunde vom Unterleutnant zum Major hinaufschwingen wollen, ihre Zusammenkunft. Mein Neffe präsidiert, und ich selber werde in der nämlichen Zeit nach Chorillos hinausfahren, um Seiner Exzellenz meine Aufwartung zu machen. Haben Sie keine Angst, General«, fuhr er lachend fort, als er den raschen und auch wohl mißtrauischen Blick bemerkte, den Granero auf ihn warf; »wenn ich dabei ein doppeltes Spiel spiele, so ist es nicht gegen Sie, auf dessen Seite meine ganze Zukunft liegt, sondern gegen den Alten, der mich nie hat leiden können und mich das fühlen ließ, wo sich ihm immer die Gelegenheit dazu bot. Nun, vielleicht ist übermorgen seine Farbe nicht mehr Trumpf, und dann wollen wir doch sehen, ob ich's ihm nicht wett machen kann.«

»Ich sähe Sie gern noch einmal vorher!«

»General«, sagte der Oberst kopfschüttelnd, »je weniger wir jetzt noch zusammenkommen, desto besser, denn ich habe immer eine Heidenangst, wenn ich das Haus betrete. Heute fällt man zwar nicht auf, wenn man sich nach Kräften einhüllt, und ich habe meinen alten Regenmantel umgehängt, übermorgen früh um zehn Uhr aber bin ich bei Ihnen, offen und ungeniert, und bis dahin bitte ich Sie, daß Sie Ihre Koffer gepackt und in Ordnung haben, damit wir keine Stunde länger aufgehalten werden, als eben unumgänglich nötig ist.«

»Seien Sie versichert, lieber Oberst, daß Sie auf mich nicht warten sollen, denn mir brennt der Boden hier unter den Füßen. Also übermorgen?«

»Eine Flasche Champagner könnten Sie schon bis übermorgen früh bereit halten«, lächelte der Oberst, »um auf das Wohl der neuen Republik zu trinken. Also auf Wiedersehen, lieber General!« und mit raschen Schritten trat er in den Vorsaal, um dort, wie er das stets tat, vorher nachsehen zu lassen, ob die Luft auf dem Gang rein sei.

Im Vorsaal selber kauerte aber schon eine Persönlichkeit, die seine Entfernung äußerlich ruhig, aber nichtsdestoweniger mit großer Ungeduld erwartet hatte: Mestozzi, der sich dort zwischen zwei Stühle auf einen niederen Schemel gesetzt hatte und den Rauch einer Zigarette – es war die neunte, die er in der Stellung rauchte – in die Luft blies. Aber wie sah das unglückselige Menschenkind aus!

Bis auf die Haut durchnäßt, daß sich selbst da, wo er kauerte, eine ordentliche Pfütze gebildet hatte, schien er einen grünen Anstrich auf die gelbe Haut bekommen zu haben, wenigstens liefen ihm grüne Streifen von dem wolligen Haar hinab über das Gesicht und seine Kleider nieder.

Der Oberst sah sich die Gestalt mißtrauisch an und ahnte wahrlich nicht, daß der Bursche die künftigen ekuadorianischen Generals-Epauletten in der Tasche trug, oder wenigstens zu tragen glaubte. Da er ihn aber für ein vom Karneval mißhandeltes Individuum hielt, das hier Schutz gesucht hatte, achtete er nicht weiter auf ihn, beantwortete Mestozzis ehrerbietiges Aufstehen durch ein leises Kopfnicken, warf den Mantel um sich her und verließ bald darauf, fest eingehüllt, das Hotel, um seinen Besuch in Chorillos abzustatten.

Unmittelbar nach dem Obersten betrat Mestozzi Graneros Zimmer.

»Ist etwas vorgefallen?« rief ihm der General entgegen. »Was bringt Ihr mir?«

»Bringen, Exzellenz? Eigentlich gar nichts; nur über Corona möcht' ich . . .«

»Ah, was ist mit ihm? Hab' ich recht gehabt?« rief Granero rasch.

»Ja, eigentlich«, sagte Mestozzi, »ist gar nichts mit ihm; nur seine Gesellschaft gefällt mir nicht so recht die letzte Zeit, und heute bin ich gar nicht aus ihm klug geworden.«

»Aber was ist denn mit ihm? So redet doch einmal!« rief Granero, ungeduldig werdend. »Mit wem hat er denn verkehrt, mit Freunden von Castilla?«

»Das will ich gerade nicht sagen, aber mit ganz regelrechten, unverfälschten Negern«, fuhr der Mulatte mit Entrüstung fort, »mit denen auch ein weißer Señor vertraulichen Umgang pflegt!«

»Ein weißer Señor, und wer ist das?«

»Ein Señor Perteña«, berichtete Mestozzi, der sich in der Tat nicht geringe Mühe gegeben hatte, alles aufzuspüren, was mit seinem Freund Corona in Verbindung stand.

»Steht dieser Perteña mit Castilla in Verbindung?«

»Er hat erst vor ein paar Tagen eine Audienz bei ihm gehabt und verkehrt viel mit dem Finanzminister.«

»Wirklich? Aber was hat das mit den Negern zu tun?« fragte der Expräsident, der daraus nicht klug werden konnte.

Mestozzi brauchte einige Zeit, um sich zu sammeln, denn eine längere Rede war ihm eine zu ungewohnte Sache. Dann aber erzählte er alles, was er selber mit eigenen Augen gesehen hatte: wie Corona schon seit einiger Zeit mit diesem Weißen verkehrt habe und wie sie heute zusammen in das Negerviertel gegangen seien. In das Haus selber hatte ihnen natürlich Mestozzi nicht folgen können, aber er hatte sie von gegenüber beobachtet; nach etwa einer Stunde waren sie verkleidet zusammen in die Stadt gefahren.

Hier nun harrten des armen Teufels die größten Schwierigkeiten, denn wo er sich an einer Häuserreihe hindrücken oder hinter einer Ecke warten wollte, war er aus dem nächsten Fenster so erbarmungslos mit Wasser überschüttet worden, daß er die Behandlung zuletzt nicht mehr ertragen konnte. Bis in die Calle de Valladolid hatte er ausgehalten, wo der Wagen vor einem der Häuser hielt und die Fenster mit ganzen Vorräten von eingekauften Eiern bombardierte. Aus dem Hause selber hatten sich die Einwohner, ein paar junge Damen, auch wacker verteidigt; als aber dann Perteña mit Corona und noch ein paar Vermummten eine Leiter herbeiholten und in das Fenster hineinstiegen, während er selber indessen unter einem kleinen Balkon verdeckt stand und dort, wie er glaubte, in völliger Sicherheit zuschauen wollte, hatte sich plötzlich in dem Balkon selber eine Klappe geöffnet und ihn mit völlig grün gefärbtem Wasser so übergossen, daß er nicht mehr aus den Augen sehen konnte und hinaus in die Sonne flüchtete, um sich einigermaßen abzutrocknen.

Granero lachte; der Mulatte hatte sich allen Mißhandlungen geduldig ausgesetzt, nur um ein paar wilden Burschen auf ihrem Karnevalsgang zu folgen. Er sah selber nicht die geringste Gefahr; daß ein Weißer, dieser Señor Perteña, dessen Namen er nie gehört hatte, und der deshalb auch von keiner Bedeutung sein konnte, mit ein paar Farbigen einen tollen Karnevalsstreich ausführte, nun, das entschuldigte die Zeit; draußen auf der Straße machten es hundert andere nicht besser.

Hätte Corona verräterische Absichten gehabt, so würde er sich nicht bei einem Karnevalsscherz beteiligt haben. Der arme Mestozzi war dabei wirklich entsetzlich zugerichtet worden, aber Granero wußte schon, wie er ihm alles Ungemach erleichterte.

»Mein lieber Freund«, sagte er, indem er ihm wieder eine Unze in die Hand drückte, »ich bin Euch für die Mühe dankbar, die Ihr Euch meinetwegen gegeben habt. Jetzt geht aber nach Hause, zieht Euch trockene Kleider an und trinkt einen scharfen Grog, daß Euch das kalte Bad nicht schadet. Um eins aber bitte ich Euch – der Karneval erreicht mit dem heutigen Tag sein Ende; sollte Señor Corona noch morgen mit dem Weißen zusammentreffen, so laßt es mich umgehend wissen, denn dann ist es allerdings nötig, daß wir auf unserer Hut sind. Ist das aber nicht der Fall, dann braucht Ihr erst morgen abend spät wieder hierher zu kommen. Ich rechne dann aber darauf, euch alle hier zu sehen, weil wir Wichtiges zu besprechen haben.«

Mestozzi hätte gern noch einige Fragen an seinen »Meister« gerichtet; einesteils fühlte er sich aber wirklich in den durchgeweichten Kleidern zu unbehaglich, und dann sehnte er sich auch danach, von der Unze Gebrauch zu machen. So stand er von seinem Stuhl auf und verließ, so rasch er konnte, das Haus.

 


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