Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Neuntes Kapitel

Der Frühling kam spät in diesem Jahr; der Frühling, auf den ich wie auf den Glücksbringer und Befreier gehofft, machte Miene, gar nicht kommen zu wollen. Kalt und hart lag der Boden da, nackt bogen sich die Zweige der Bäume vor unseren Fenstern unter einem eisigen Wind. Schneemassen türmten sich noch Ende April, und wenn die Sonne einmal schien, blies der Nordwind, die eisige Luft vom Bottnischen Meere mit sich führend.

Zu dieser Zeit kam eine Erkältung hinzu und warf meine Frau wieder auf das Krankenlager. Wochenlang hatte sie zu Bett gelegen, und in diesen Wochen hatten wir das Schlimmste gefürchtet. Wieder war es still geworden in den Räumen. Wieder hatten die Knaben und ich, ohne zu sprechen, unsere Mahlzeiten an dem Tisch eingenommen, an dem ihr Platz leer war. Wieder waren die Laute im ganzen Hause gedämpft worden, und wieder war die Krankheit gekommen und hatte unsere Hoffnungen verstummen gemacht.

Aber gegen alle Erwartung erholte sich meine Frau. Langsam schritt die Genesung vor, und gering waren die Kräfte. Über alle Beschreibung seltsam erschien dieses neue Erwachen zum Leben, das niemand hatte erwarten können. Aber es war doch Wirklichkeit, und wenn ich jetzt allein in meinem Arbeitszimmer im Erdgeschoß saß und das ganze Haus zur Ruhe gegangen war, konnte ich wieder beginnen, Träume vom Sommer zu träumen.

Und das Wunderbarste von allem! Ich träumte sie bald nicht allein. Als hätte die Genesung von der letzten Krankheit mehr als bloß die Rückkehr zu physischer Gesundheit bedeutet, so erlebten wir jetzt eine Zeit, die die Versöhnung alles dessen, was gewesen, in sich zu schließen schien. Meine Frau begann meine Träume zu teilen, sie begann sich danach zu sehnen, zusammen mit mir zu leben. Sie begegnete mir so, wie sie mir nicht begegnet war seit dem Tage, an dem wir Sven zur Ruhe betteten. Sie war noch schwach und krank und vermochte nicht viel zu sprechen. Aber sie konnte doch hören, was ich ihr sagte. Sie wußte, daß der Frühling kam, und sie freute sich über die Frühlingsblumen, die auf ihrem Nachttischchen standen.

»Wie glücklich sind wir gewesen, Georg«, sagte sie. »Wie glücklich sind wir gewesen.«

Sie preßte diese Worte mit dem Tone des schneidendsten Wehs hervor. Sie schloß die Augen, indem sie sie aussprach, und Tränen rieselten unter ihren Lidern hervor.

»Wir werden noch einmal ebenso glücklich werden«, sagte ich.

Ich glaubte, was ich sagte, und ich nahm ihre Antwort für ein Versprechen.

»Ja, ja«, antwortete sie hastig. »Im Sommer.«

Sie hörte mir zu, als ich von den Freuden unserer Jugend sprach und von den Schären, die immer unser liebstes Heim gewesen.

»Wir werden zwischen den Inseln umherfahren und in der Nachtbrise segeln«, sagte sie.

Und als ob quälende Erinnerungen sie störten, rief sie aus:

»Du mußt das vergessen was ich dir in diesen letzten Jahren gesagt habe, und nie daran denken. Ich bin so wunderlich gewesen und habe mich selbst nicht verstanden. Oft, oft war es mir, als spräche ein anderer durch meinen Mund, ohne daß ich es verhindern konnte. Du hast alles geben müssen, und ich habe nur empfangen. Aber das wird anders werden. Wenn ich nur gesund werde.«

Ich beschwichtigte sie und bat sie, nicht zu viel zu sprechen, allzu glücklich, um mehr sagen zu können.

»Ja, ja«, sagte sie. »Ich habe zu dir geschwiegen und zu anderen gesprochen. Und wer sind die anderen? Dumme Menschen, die nichts verstehen.«

Sie schloß die Augen und schlummerte ein. Stumm blieb ich an ihrem Bette sitzen und betrachtete sie. Sie hatte beinahe dasselbe Gesicht wiederbekommen, wie zu ihrer Mädchenzeit, als ich in meinem Bett erwachte und sie zum ersten Male schlafend sah. Schwere Freudentropfen fielen aus meinen Augen, und während der Aprilschnee sich dort draußen auf die harte Erde hinabsenkte, fühlte ich, wie mein eigenes Herz auftaute.

 


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