Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Drittes Kapitel

Es kam nie dazu, daß etwas zwischen uns alt und gewohnt wurde. Ich weiß, daß ich ein großes Wort ausspreche. Aber es ist wahr. Und darum kann ich noch sagen: Gesegnet sei das Leben und was das Leben gab! Das Leben für das segnen, was es nahm, das kann ich nicht.

Aber es geschah uns, daß die Sorge in unser Haus kam, und ich begreife jetzt, daß sie uns hätte trennen können, weil ich es nicht vermochte, so zu trauern wie sie. Aber ich weiß mit demütiger Dankbarkeit, daß dies doch nie geschah. Und doch, hätten Menschen es vermocht, es würde gelungen sein.

Wie bald ich es sah, weiß ich noch nicht. Aber ich weiß, daß der Eindruck so innig mit der Erinnerung an meine Frau verwoben ist, daß ich es jetzt nicht mehr fassen zu können glaube, daß ich sie je in dem Lichte der Jugend und des Glücks allein gesehen. Sie war nämlich frühzeitig krank, ja, ich habe sie eigentlich nie anders gekannt als mit dem Keim der Krankheit. Wie kam es da, daß ich bis zuletzt lange Zeiten vergessen konnte, daß ihre Gesundheit untergraben war und daß der Krankheitskeim, der bestand, sich entwickeln oder ganz verschwinden mußte? Ich wußte ja nur zu gut, daß er nicht verschwand. Und doch lernte ich nie ihr Leben in einem anderen Lichte sehen als dem gewöhnlichen. Horchte ich nicht auf die Vorboten, die kamen? Stellte ich mich blind und taub gegen die Ahnungen, die in mir aufloderten, wie Feuersflammen meines Glückes Haus bedrohend, das ich so fest gemauert wähnte? Ich weiß nicht, ob es so war. Aber ich weiß, daß, als ich heiratete, ich so jung war, daß ich glaubte, die Liebe sei ein Heilmittel gegen alles Unglück der Welt, und wenn ich Elsa strahlend und glücklich sah, wenn wir uns gemeinsam in Wald und Wellen tummelten, wenn ich sah, wie die Sonne sie bräunte und die Sommerwellen ihre weißen Glieder bespülten, da vergaß ich, daß das Unglück kommen konnte, und ich spiegelte mir vor, daß das, was ich befürchtet hatte, nur Einbildung war. Ach, ich wurde schließlich so bewandert in der Kunst, das zu vergessen, was ich nicht sehen wollte, daß ich von Gesundheit und langem Leben träumte, auch nachdem Elsa dem Tod so nahe gewesen, daß es ein Wunder war, daß sie ihm entrann, und sie unter ihrem Kleid verborgen die Spuren des Messers des Operateurs trug, nie ganz frei von Schmerzen, sie nur dadurch vergessend, daß sie sich selbst Gewalt antat, um uns, die sie liebte, den Kindern und mir, Freude und das Fest des Lebens zu schenken.

Aber ich erinnere mich doch, wie bald ich dieses Etwas sah, das zu vergessen unsere ganze Ehe ein wechselnder Kampf war. Ich sah es an ihrem Gesichte, wenn sie allein saß und sich unbeobachtet glaubte, und anfangs meinte ich, als ich dies sah, daß zwischen mir und ihr etwas stünde. Ich pflegte sie danach zu fragen, und es ist schwer zu sagen, ob es meine Liebe oder meine Eigenliebe war, die mich glauben ließ, daß nichts anderes, als was mich selbst berührte, ihr Glück trüben konnte. Ich sah, daß ich sie mit meinen Fragen unsäglich quälte, aber ich fragte sie doch, und bei solchen Anlässen konnte sie mit einem Ausdruck lächeln, als weilte ihre Seele weit weg, einem Ausdruck, der mich noch in der Erinnerung quält, weil es dieser Ausdruck war, den ich jahrelang zu besiegen strebte, aber der schließlich die Oberhand bekam und mich besiegte.

»Du sollst mich nicht fragen«, sagte sie einmal. »Ich weiß selbst nicht, was es ist. Ich weiß nur, daß kein Mensch es verstehen kann.«

In was sie da blickte, gehört dem Unbekannten an, wonach alle fragen, aber worauf niemandem eine Antwort wird. Doch wie hätte ich das damals verstehen können? Unser Leben war glücklich, unsere Tage froh, unsere Knaben wuchsen heran und erfüllten unser Heim mit ihrer frohen Munterkeit. Und niemals war Elsa zärtlicher gegen mich, als wenn ich diese Momente schweigender Betrübtheit bemerkt hatte, die ich das Recht gehabt hätte, unmotiviert zu nennen, wenn es keine anderen Motive gäbe als die, welche die Menschen in Worte kleiden können.

 


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