Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Zwölftes Kapitel

Ich glaube nicht, daß Sven je ein so wunderbares Zusammenleben mit seiner Mutter gelebt hat, wie in diesem Sommer, oder vielleicht ist es auch möglich, daß ich nie Gelegenheit hatte, es so gründlich zu verfolgen. Möglicherweise trug hierzu der Umstand bei, daß wir in diesem Sommer zum erstenmal die Gesellschaft unseres großen Jungen entbehrten. Olof hatte nämlich nach dem Norden reisen müssen, um Waldluft zu atmen und sich daran zu gewöhnen, allein vom Hause fort zu sein. Und die Folge davon wurde natürlich die, daß die Zurückbleibenden sich noch inniger als gewöhnlich aneinanderschlossen. So viel ist gewiß, daß ich in diesem Sommer unbewußt anfing, Sven mit denselben Augen anzusehen wie seine Mutter, und daß mir nie so wie damals die Augen darüber aufgingen, wie verschieden er von allen Kindern war, die ich je gesehen, obgleich nichts an ihm anders war, als was man kindlich nennt.

An einem Morgen erinnere ich mich, daß er mich, als ich spazieren ging, dadurch überraschte, daß er ganz allein auf der Wiese saß mit einem Strauß Glockenblumen und Ranunkeln in der Hand. Ich fragte ihn, ob er mit mir in den Park gehen wollte. Das war ein Anerbieten, das er immer mit Entzücken aufzunehmen pflegte, und es erregte daher mein Erstaunen, daß er sich diesmal entschieden weigerte.

»Willst du nicht mit Papa kommen, Sven?«

Ich fühlte mich beinahe verletzt und dachte, es wäre eine Laune.

Sven schüttelte nur den Kopf und blieb still sitzen.

»Aber warum denn nicht?«

»Ja, ich sitze hier und warte auf Mama«, sagte das kleine Brüderchen mit großer Bestimmtheit.

»Aber du weißt doch, daß Mama erst viel später herauskommt. Mama ist nicht so gesund wie früher, und sie muß morgens lange liegen, weil sie in der Nacht nicht schläft.«

So verhielt es sich auch, und wenn uns das nicht hinderte, unser Sommerglück zu genießen, so kam es nur daher, daß wir uns im Laufe der Jahre so sehr daran gewöhnt hatten, daß die Kränklichkeit meiner Frau zeitweise wiederkommen mußte, daß dieser Umstand uns nur ganz natürlich und alltäglich schien.

Sven ließ sich jedoch durch keine Vernunftgründe beeinflussen, sondern blieb eigensinnig sitzen.

»Ich weiß, daß sie heute kommt«, sagte er.

Ich lächelte über seine Sicherheit und ging weiter, während ich weniger an seine Voraussage als an diese allumfassende Liebe eines Kindes dachte, die weit über seine Jahre hinausging und die den Knaben veranlaßte, mit ein paar Blumen in der Hand untätig dazusitzen, um nur es nicht zu versäumen, die Mutter im selben Augenblick, in dem sie sich zeigte, zu begrüßen.

Aber während ich so weiterging, wendete ich mich plötzlich um, und da sah ich den weißen Hut und das leichte, geblümte Kleid meiner Frau zwischen den Jasminbüschen auftauchen. In demselben Augenblick hörte ich einen gellenden Schrei von Sven.

Lächelnd ging ich zurück und sah den Knaben in einem Paroxysmus der Zärtlichkeit an dem Halse seiner Mutter hängen. Ich rief sie an, aber das kleine Brüderchen ließ nicht locker. Er klammerte sich an Mama an, und schon aus der Ferne rief er mit einem Gemisch von Verdrießlichkeit über mein Mißtrauen und Triumph darüber, daß er recht behalten hatte:

»Siehst du, daß sie gekommen ist! Siehst du, daß ich es wußte!«

»Du bist wohl drinnen gewesen und hast geguckt«, sagte ich.

Nichts kann die Verachtung aller rationalistischen Auslegungen dessen, was er fühlte und wußte, beschreiben, mit der Sven antwortete:

– »Nein, das habe ich gewiß nicht. Hab' ich es, Mama?«

Und Mama tröstete ihn damit, daß er gewiß nicht geguckt habe. Aber zu mir sagte sie:

»Du kannst nicht glauben, wie oft das schon geschehen ist. Es ist, als fühlte er mich in der Luft, bevor ich komme. Kinder können ja so etwas nicht erfinden.«

 


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