Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Elftes Kapitel

So kam der Tag heran, den wir lange erwartet hatten, der Tag, an dem unser Kind geboren werden sollte, an dem das Geheimnis, das meine Frau mir schon seit langem anvertraut und das ihrer Seele Spannkraft und ihrer Hoffnung Flügel gegeben, an den Tag kommen und das Glück wieder auf immer in unser Haus einkehren sollte. Das Vorgefühl dessen hatte dazu beigetragen, unseren Sommer so hell zu machen, wenigstens sehe ich es jetzt so. Aber so wunderbar mir alles jetzt erscheint, wo ich die Erklärung dafür zu haben glaube, so natürlich und einfach kam mir damals alles vor, und ich war weit entfernt, die ganze Bedeutung dessen, was sich mit uns begab, zu ahnen.

Wir hatten ja schon vorher zwei Kinder bekommen, und ich hatte viele dieser rührenden Beweise der Mutterfreude der Erwartung gesehen, die ein Mann, der seine Frau liebt, niemals vergißt. Aber nie hatte ich meine Frau so von Freude über das Kommende erfüllt gesehen, wie sie es jetzt war. Nie war sie in einer so andachtsvollen Glückseligkeit umhergegangen wie jetzt, nie hatte sie es in diesem Maße verstanden, eine feiertägliche Stimmung über unser ganzes Alltagsleben zu breiten, wie in diesem düsteren Herbst in der tristen Stadt, wo der Regen unaufhörlich fiel und das ganze Leben um uns so schwer und trübe erschien wie wohl nie zuvor.

Wir hatten ja zwei Knaben, und darum war es natürlich, das kleine Wesen, das kommen sollte, »das Mädchen« zu nennen. Sie erwarteten wir, und von ihr sprachen wir, und eines Mittags, als ich von meiner Arbeit nach Hause kam, sagte meine Frau zu mir:

»Es ist mein Engel, der kommt, Georg, sie wird mich retten.«

So lange hatte ich in der Vergessenheit gelebt, daß irgendeine Gefahr uns je bedroht, daß ich zuerst ihre Worte nicht verstand.

»Dich retten?« wiederholte ich mechanisch. »Wovor?«

In ihr Gesicht trat ein wunderlicher Ausdruck, so als zöge sie sich in sich selbst zurück, um darüber nachzudenken, wie es möglich war, daß zwei Menschen, die sich liebten, so verschieden empfinden konnten.

»Hast du schon vergessen, wie es im Winter war?« sagte sie.

Ich begriff noch nicht, oder ich wollte nicht begreifen.

»Ich glaubte, dies sei vorüber«, sagte ich.

»Glaubst du, daß etwas je vorüber sein kann?« war die Antwort. Und sie fügte hinzu:

»Vielleicht kann das kleine Wesen, das kommt, das tun, was nichts anderes kann.«

An dieses kurze Gespräch dachte ich oft, und ich suchte vergebens, es mit dem ungetrübten Glück in Einklang zu bringen, das wir in dem Sommer, der vergangen war, genossen hatten. War es möglich, daß meine Frau in dem Sonnenschein des Glücks, der ihrem ganzen Wesen die Färbung gab, den Keim zu einem Unglück verbarg, das sich über unser ganzes Leben senken sollte? War das möglich? Lebte sie zwei Leben? Konnte sie mitten im Sonnenschein leben und zugleich fühlen, daß die Nacht nahe war? Oder gehörte die Ahnung der Furcht, die sie jetzt zeigte, bloß jener Art von Phantasien an, die eine Folge ihres Zustandes waren?

Ich versuchte mich mit der letzteren Alternative zu beruhigen, aber es wollte mir nicht recht gelingen: und mehr und mehr begann ich, das ganze Leben meiner Frau in einem neuen und anderen Lichte zu sehen, demselben, das sie schließlich ganz einhüllen sollte.

Ich kann das ganz neue Gefühl der Zärtlichkeit nicht beschreiben, das durch diese Gedanken, die ich nicht einmal in Worte zu kleiden vermag, in mir erwachte. Und ich wagte kaum das, was ich vor meinen Augen sah, zu glauben, als alles glücklich verlief und meine Frau nach schwerem Kampfe sich langsam zu erholen begann, nachdem sie einem zarten Wesen das Leben geschenkt, zu dem sie von allem Anfang an Worte sprach, die kein anderer hören durfte.

Aber das Mädchen kam nie. Anstatt ihrer war ein Knabe gekommen, der den Namen Sven erhielt.

 


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