Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Zweites Kapitel

Ich habe bis jetzt den Namen meiner Frau nicht genannt, und es fällt mir noch schwer, es zu tun. In meinen Gedanken nenne ich sie zuweilen Mignon, weil dieser Name der einzige ist, unter welchem ich sie sehen kann, so wie sie kam und ging. Was weiß ich im übrigen, ob ich jetzt sie selbst male oder die Erinnerung, die sie zurückgelassen? Ist ein Mensch das, was er jenen zu sein scheint, die ihn nicht so gesehen, wie vielleicht bloß einer ihn zu sehen vermag? Ist er nicht vielmehr in seinem innersten Wesen gerade das, was bleibt, nachdem das Äußere und Zufällige verblaßt ist? Ist es nicht möglich, daß das, was mancher Idealisierung nennt, eigentlich die innerste Ähnlichkeit ist, die, welche einmal in einer Welt, die kein menschliches Auge erreicht, unser wirkliches Ich werden wird, allen sichtbar?

Sie war klein von Gestalt und zart, und als ich sie zum erstenmal sah, war es bei einer flüchtigen Vorstellung auf der Straße beim Schein einer Gaslaterne. Als ich sie verlassen hatte, blieben mir ein paar wunderbar große und tiefe Augen in der Erinnerung. Im übrigen erinnerte ich mich nur an einen schwarzen Pelzkragen, ein paar lange schwarze Handschuhe und den Druck einer Hand, die den plötzlichen und starken Eindruck von etwas Aufrichtigem, Wachem und Wahrem hervorrief. Sonst erinnerte ich mich an ihr ganzes Aussehen so wenig, daß ich ein paar Tage später an ihr vorbei ging, ohne sie zu erkennen. Und doch hatten mir diese Augen keine Ruhe gelassen, sie waren immer wieder vor meiner Phantasie aufgetaucht, gleichzeitig strahlend und schmerzgebunden, etwas zugleich Lebenverlangendes und Andachtsvolles bergend. Wenn je ein paar Augen eine Seele gespiegelt haben, waren es die ihren.

Wenn ich an alles denke, was ich durch meine Frau erlebt habe, weiß ich, daß durch all die bunten Lebensjahre meines Daseins niemand mich so wie sie gelehrt hat, das Gefühl für das Religiöse zu bewahren. Ich glaube jedoch nicht, daß ich sie je das Wort Religion habe nennen hören, und man hätte sie sicher dazu bringen können, Abraham mit dem Apostel Paulus zu verwechseln. Aber alles, was sie mit ihrem Denken oder Fühlen umfaßte, wurde ihr in irgendeiner besonderen Weise heilig. Ihr Wesen war Zärtlichkeit, und das Leben, das sie leben wollte, war ein Fest, ein Fest, bei dem ihr Gefühl für den Wert und die Heiligkeit des Lebens keinen Mißton ertragen konnte. Aber alles, was in ihr stark und lebendig war, war zu gleicher Zeit gebrechlich und spröde. In der Tiefe ihrer Seele war ein Einheitskult, der das Leben nicht ertrug, weil er auf einer höheren Stufe zu stehen schien als das Leben selbst.

Wir waren viele Jahre verheiratet gewesen, als sie eines Tages zu mir sagte, plötzlich, unvorbereitet und ohne äußeren Anlaß, so wie ihre stärksten Gefühle immer kamen:

»Du darfst mich nie, nie fühlen lassen, daß etwas zwischen mir und dir alt und gewohnt geworden ist. An dem Tage, wo das geschieht, will ich sterben.«

Wie viele Frauen haben nicht dasselbe gesagt, und wie viele haben nicht gelebt, um nachher über ihre eigenen Worte zu lächeln! Ich habe einmal von einer Frau gehört, die zu einem Manne sagte:

»Glaubst du nicht, daß es einige Frauen geben kann, die das fühlen, was alle Frauen sagen?«

Ich erinnere mich, daß dies mir bei den Worten meiner Frau in den Sinn kam und daß ich in dem Gefühl ihrer Wahrheit zur Antwort nur ihre Hand drückte. Ich begriff, daß das, was sie gesagt, ihr tiefster Ernst war, und ich wußte, daß hier das Wort Sentimentalität nicht am Platze war. Aber ich sah auch, daß sie ein Wort von mir erwartete, das ihr etwas sagte, und darum antwortete ich:

»Glaubst du nicht, daß etwas alt und gewohnt werden kann, ohne darum an Stärke, Freudigkeit und Heiligkeit einzubüßen?«

Sie sah mich mit großen Augen an, als wollte sie auf den Grund meiner Seele sehen. Dann ging sie auf mich zu und küßte mich, und ich merkte, daß ihre Augen feucht waren, während ich fühlte, wie ihre ganze Gestalt sich zu der meinen neigte, in einer einzigen großen Zärtlichkeit.

»Laß es dann alt und gewohnt werden«, sagte sie. »Ich sehne mich danach, daß es so wird.«

Nicht ein Wort mehr wurde gesprochen. Aber den ganzen Tag sah ich, daß sie wie in stillem, stummem Jubel umherging. Am Nachmittag war sie draußen im Garten, und ich hörte von meinem Fenster, daß sie sang, mit vollen, glockenreinen Tönen.

Nach einer Weile kam sie mit einem kunstvoll gebundenen Strauß von Wiesenblumen herein, in dem die Flora des Sommers sich mischte, wie die Töne in einem Lied. Sie stellte ihn ohne ein Wort auf meinen Tisch und lächelte still, um mich nicht in der Arbeit zu stören. Dann setzte sie sich selbst ein Stück weit weg, und während ich schrieb, blickte ich zuweilen auf, nur um sie anzusehen. Die Abendsonne färbte ihr dunkles Haar und spielte in den Farben ihres Antlitzes, das stets neu war, niemals sich gleich.

 


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