Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Sechstes Kapitel

Diese Zeit war die einzige, in der unser Glück wirklich hätte scheitern können, und ich glaube, daß wir beide gleich stark die Empfindung hatten, daß verhängnisvolle Mächte mit unserem Leben spielten. Ein ganzer Tag verging, während dessen kein Wort zwischen uns gewechselt wurde. Aber am Abend, als wir zur Ruhe gehen sollten, fielen wir einander in die Arme und weinten, ohne sprechen zu können.

Dann wurde alles wie zuvor. Aber die Frage, die mich verzehrte: »Was ist es, was kann es sein?« war und blieb unbeantwortet. Doch war ich ruhiger, fühlte Reue über meine unausgesprochenen Gedanken und wartete zugleich gewissermaßen auf eine Lösung.

Zwei Tage später fand ich folgenden Brief auf meinem Tisch.

Ich erinnere mich, daß ich ihn mit einem Gefühl der Angst erbrach, so, als könnte mir dieses Papier ein Geheimnis entschleiern, das die Macht hatte, mein ganzes Leben zu vernichten. Aber gleichzeitig brannte ich vor Verlangen, Antwort auf die eine Frage zu erhalten: »Warum ist sie nicht glücklich? Kann man zugleich glücklich und unglücklich sein?«

Der Brief lautete folgendermaßen:

Mein Geliebter!

Daß solche Worte fallen konnten zwischen Dir und mir! Daß es nur möglich ist, daß das geschah! Ich glaubte zuerst, die Sonne sei erloschen und ich könnte niemals mehr das Licht des Tages sehen. Und ich grübelte und grübelte, wie ich Dich wieder gut gegen mich stimmen könnte und wie alles werden könnte, als sei dies nie gewesen.

Aber dann sah ich, daß Du doch gut warst in Deinem Herzen, obgleich es nicht den Anschein hatte, und ich begann zu verstehen, daß Du niemals anders werden kannst und daß nur das, daß ich nicht auf Deine Fragen antworten konnte, Dich so zerrissen und bitter machte, und darum schlugst Du blind zu, ohne zu wissen, daß Du mir so wehe tun konntest, wie Du es tatst. Auch jetzt weiß ich nicht, was ich Dir antworten soll, aber Du darfst Dich nicht darüber wundern, daß ich schreibe. Es geschieht nur, weil, wenn ich versuchen wollte, davon zu sprechen, ich nie mehr als die Hälfte von dem sagen würde, was ich wollte.

Es gibt so vieles, das ich in mir herumtrage, Georg, so vieles, das ich nie gesagt, weder zu Dir noch zu irgend jemand anderem, weil ich weiß, daß ich es nie sagen kann. Ich bin immer so gewesen, Georg, und ich werde wohl auch immer so bleiben.

Manchmal, wenn ich daran denke, wie Du gegen mich bist, wie Du von allem sprichst, keinen Winkel Deines Herzens verbirgst, dann glaube ich, daß ich nur ein Echo von Dir bin, und ich bin so arm, daß ich Dir nichts wiederzugeben habe. Und wenn Du mir gesagt hast, daß dem nicht so ist, dann habe ich mich so glücklich gefühlt, Georg, so glücklich und reich. Und ich weiß, daß ich Dir alles gegeben habe, was ich geben kann, und alles, was ich habe.

Aber wenn Du siehst, daß ich sitze und in mich selbst hineinstarre, wie Du zu sagen pflegst, dann sollst Du wissen, daß ich nichts anderes tue, als was ich immer getan habe, auch wenn ich am glücklichsten war, auch lange bevor ich Dich kannte und mein wirkliches Leben anfing. Und wenn ich weine, sollst Du nicht glauben, daß ich unglücklich bin. Das, woran ich da denke, macht mich nicht unglücklich. Es ist nur etwas, worüber ich zuweilen grübeln muß, weil ich weiß, daß es kommen wird, und weil ich es immer gewußt habe.

Aber Du sollst mich nicht danach fragen, denn ich kann Dir doch nicht antworten. Könnte ich es, ach, könnte ich es, dann würden ja meine Tränen von selbst trocknen. Vielleicht ist es auch nichts, vielleicht liegt es nur darin, daß ich zu glücklich bin.

Aber ich will, daß Du mir glaubst, wenn ich Dir sage, daß Du nicht zu fürchten brauchst, es gäbe etwas Verborgenes und Geheimes in meiner Seele, das ich verberge und geheimhalte, weil Du es nicht sehen dürftest. Es ist bloß das, daß ich nicht kann.

Bitte mich darum nicht, zu sprechen, sondern sei mir gut, so wie ich bin. Sei mir gut als Deinem kleinen Mädchen und Deiner Freundin, die nichts anderes verlangt, als an Deiner Seite gehen zu dürfen, so lange Gott mir das Leben schenkt, und dann zu sterben und in Ruhe zu schlafen, von allen anderen vergessen, außer von Dir. Denn Du sollst mich nicht vergessen, und das ist das einzige »unsterbliche Leben«, das ich verlange.

Aber eines wünsche ich zuweilen. Und das ist, daß wir beide grau und alt wären und unsere Kinder schon recht alt. Ich bin so sehr Mutter, daß ich wünschte, meine Knaben wären erwachsen und ich könnte zu ihnen nach Hause gehen und kleine, kleine, ganz kleine hilflose Kindchen in meine Arme nehmen und sehen, daß ich auch ein bißchen in ihnen lebte. Meine Jungen sind jetzt so groß, daß sie mich bald nicht mehr brauchen. Aber es wäre so gut, alt zu sein und zusammen mit Dir zu gehen und des Tages harren zu können, an dem die große Ruhe kommt. Ich glaube, ich würde Dich doppelt lieben, wenn Du alt und grau wärest und niemand Dich mit denselben Augen ansehen könnte wie ich und ich denken dürfte, daß niemand außer mir an Dich ein Recht gehabt und niemand so recht wüßte, wer du bist.

Nun habe ich Dir so viel gesagt, und das, was Du mich gebeten, Dir zu sagen, habe ich doch nicht gesagt. Aber denke nicht daran, Georg, denke nur, daß ich Dich jetzt liebe, so wie ich Dich immer geliebt habe, daß das, was ich jetzt für Dich fühle, mehr ist, als Worte ausdrücken können, mehr als Du selbst je wissen kannst. Denn bei Dir und hier ist mein Platz, und ich habe alles, was je eine Frau gehabt hat oder haben kann, und wenn sie noch so glücklich wird. Glaube nichts anderes, denn sonst machst Du mich unglücklicher, als Du ahnen oder glauben kannst.

Deine Frau.

 


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