Gustaf af Geijerstam
Das Buch vom Brüderchen
Gustaf af Geijerstam

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Achtes Kapitel

Obgleich sie sich mit Stolz die Mutter zweier Knaben nannte, war Elsa doch noch jung, und wenn sie am Arm ihres Mannes über die Strandpromenade ging, waren ihre Schritte elastisch, und sie schmiegte sich, während sie ging, mit einer Bewegung an mich, die zeigte, daß, wenn etwas diesen schönen Kopf bedrückte, es nicht die Jahre waren.

Es war an einem dieser gefährlichen Frühlingsabende in Stockholm, wo die Sonne warm über frischknospende Bäume fällt, die Straßen gleichsam zum Spiel und zur Augenweide von Leuten wimmeln, wo die Landgasthäuser alte Eheleute locken, Neuvermählte oder Verlobte zu spielen, wo der Himmel blau ist und die Eisblöcke den Strom hinabtanzen, wo der Winter so weit weg scheint, als sollte er niemals wiederkommen, und der Frühling einen Sommer verspricht, so wie man noch keinen erlebt.

An einem solchen Abend war es, daß Elsa ihren Mann verlockte, bis zum Tiergartenbrunnen spazieren zu gehen, eine Absage nach Hause zu telephonieren und ein kleines Souper à deux zu bestellen in einem niedrigen Zimmer mit weißen Gardinen, von wo aus man über die hellen Bäume sehen konnte, durch deren Zweige die Abendsonne zwischen langen Schatten schien.

Dies war eine unserer liebsten Vergnügungen, und je seltener wir uns, seit die Kinder heranwuchsen, derselben hingeben und diese allein lassen wollten, desto mehr genossen wir einen solchen Abend, der die ganze Freudigkeit und Schwärmerei mit sich brachte, die die Alltagskost der Jugend ist und die mit den Jahren zu Feierstunden wird, die man in der Erinnerung hegt.

Ich erinnere mich auch gerade an diesem Abend so gut an Elsa.

Vergnügt und zufrieden, in die Sofaecke geschmiegt, saß sie da und genoß langsam ihr letztes Glas Champagner. Sie glich einem Kätzchen, das darauf wartet, daß man es liebkost oder mit ihm spielt. Und ihr gegenüber saß ich selbst, rauchte bedächtig eine gute Zigarre und folgte mit meinen Blicken dem Sonnenschein, der zwischen den Schatten der Bäume zitterte. Ich fühlte mich glücklich und zufrieden, aber ich hatte in letzter Zeit viel gearbeitet, und es störte mich beinahe, daß meine Frau dasaß und sich danach sehnte, daß ich mich ganz mitreißen ließ. Denn sie selbst war in Fieberstimmung. Sie sah aus, als wollte sie im Zimmer umherspringen, spielen, rasen und sich fangen lassen, als sehnte sie sich nach etwas Neuem, etwas Ungewöhnlichem, als wäre sie von dem mädchenhaften Verlangen nach den unsterblichen Torheiten des Glücks erfüllt, was gerade zu dem gehörte, was ich bei ihr am allermeisten liebte. Aber ich konnte mich nicht mitreißen lassen, wie gerne ich auch wollte. Es war, als läge eine böse Ahnung oder eine unwiderstehliche Wehmut in mir auf der Lauer und hinderte mich, ganz dem Flug ihrer Gefühle zu folgen. Später kann man sich an etwas derartiges erinnern, und man kann sich selbst wegen dessen anklagen, was man damals versäumt hat, so, als hätte man ein Verbrechen begangen. Ich erinnere mich noch, daß ich damals ihre Stimmung verstand; und durch das, was nachher folgte, weiß ich, welchen Weg ihre Träume nahmen.

Ein wenig darüber verstimmt, daß unsere Gefühle sich nicht wie gewöhnlich im selben Rhythmus bewegten, saß sie stumm da, das letzte Glas Champagner schlürfend, und während sie so saß, glitten ihre übermütigen Gedanken unmerklich in eine milde träumende Stimmung hinüber, und während sie ihren Mann anblickte, dessen Haar an den Schläfen schon ganz grau war, sah sie wie in einem Traum den Tag, an dem wir beide vor vielen Jahren zu einer sonnenbeleuchteten Schäre gerudert waren, hinter deren Bäumen unser erstes lichtes Sommerheim hervorschimmerte. Sie sah und sah. Das Bild wurde so deutlich und so scharf, daß sie jeden Strauch und jeden Baum zu unterscheiden vermeinte, alles bis zu dem feinen Spiel von Schatten und Lichtern, die die Abendsonne über das Schindeldach des grauen Häuschens warf. Sie sah die Bucht sich in unendlichem Blau weiten, und da, wo sie sich um die Insel schloß, wiegten ihre Wellen Spiegelbilder der hellen Birken und der dunklen Eichen und Tannen, die sich im Wasser beinahe schwarz abzeichneten.

Wie oft hat sie mir nicht die Klarheit dieser Visionen oder Erinnerungen beschrieben, die ihr eigentümlich waren! Ich kann ihren Traum jetzt besser und klarer sehen, als ich es damals konnte.

Gewiß ist, daß sie all dies sah, bis ihre ganze tolle Laune verschwunden war, und ich sah, wie warme Tränen ihre Augen füllten. Mit einer hastigen Bewegung leerte sie den Rest ihres Glases, glitt von dem Sofa herab und lehnte ihren Kopf an meine Knie.

Als hätte etwas von ihrem Gefühle sich unmittelbar auf mich übertragen, oder als wären sich unsere Gedanken in der Vergangenheit begegnet, in der der Glückstraum des Lebens uns beide umfing, wurde auch ich von einer Stimmung, die ganz verschieden von der vorhergehenden war, ergriffen, und indem ich sanft meinen Arm um ihren Hals legte und ihre Wange streichelte, sagte ich:

»Woran denkst du?«

»Ich denke an unseren ersten Sommer.«

In diesem Augenblick kam es mir vor, als hätte ich auch an dasselbe gedacht. All meine Müdigkeit war wie fortgeflogen, und tiefbewegt bog ich ihren Kopf empor und küßte ihren Mund.

Im selben Moment saß Elsa aufrecht da.

Das Verlangen nach etwas Neuem, etwas Ungewöhnlichem, das die Einförmigkeit des Alltäglichen durchbrach, vermischte sich im Augenblick mit der Erinnerung an das, was einst gewesen, und mit einem Tonfall, dem man nicht widerstehen konnte, rief sie aus:

»Ich will hinfahren, Georg! Ich will hinfahren!«

Aber im selben Augenblick fühlte ich mich wieder in die Wirklichkeit zurückversetzt. Meine Gemütsstimmung war im tiefsten Grunde vielleicht dieselbe wie die meiner Frau. Aber ich empfand gleichzeitig dieses wunderliche Gefühl einer wartenden Enttäuschung, das zuweilen in uns auftaucht und in den hochgespanntesten Augenblicken des Lebens unsere Träume zügelt. Ich scheute zurück vor diesem Versuch, die Jugend zum Leben zu erwecken, als fürchtete ich, anstatt dessen einem Schmerz zu begegnen, den ich um jeden Preis vermeiden wollte. Ich fühlte mich einer Enttäuschung so gewiß, daß der unschuldige Vorschlag meiner Frau, die kleine Fahrt in die Schären, der Besuch des Ortes, wo ich jede Bucht, jeden Sund kannte, ja sogar die Steine auf dem Grunde des Fjords, mir etwas so Wichtiges und Entscheidendes zu bergen schien, daß ich mich genau bedenken mußte, bevor ich einen so schicksalsschweren Entschluß faßte. Aber gleichzeitig sah ich, daß dieser Gedanke meine Frau mit einem Entzücken erfüllte, so groß, daß ich nicht nein sagen konnte. Darum sagte ich auch ja und schloß sie in meine Arme, um meine eigene Mißstimmung zu verbergen.

Aber als wir dann heimwärts gingen, lag über Elsas ganzem Wesen gleichsam ein Schimmer von Jugend. Nichts von dem, was ich wirklich fühlte, hatte sie gemerkt. Als glaubte sie einem großen Glück entgegenzugehen, so leuchteten ihre Züge, das ganze lebensvolle Gefühl widerspiegelnd, mit dem sie das, was gewesen, mit dem, was war, verband. Und es durchzuckte mich eine so schmerzliche Empfindung bei dem Gedanken, meine böse Ahnung könnte sich vielleicht bestätigen, daß ich meine Gedanken nicht verschweigen konnte.

»Bist du sicher, daß es so wird, wie du es erwartest?« fragte ich.

Sie zuckte zusammen, und ihr Gesichtsausdruck war beinahe verbittert, als sie antwortete:

»Warum mußt du mir alles verderben?«

»Pflege ich das wirklich zu tun?«

Sie wurde gleich wieder gut.

»Nein, aber ich war so glücklich, gerade jetzt.«

Ich schwieg und zog sie bloß enger an mich. Vor ihrem Glauben vergaß ich meine Zweifel, und in meiner Phantasie nahm unsere unbedeutende Reise ganz wunderliche Formen an, so, wie wenn kleine nahegelegene Inseln sich zum Horizonte erheben und in phantastischem Glanze schimmern.

 


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