Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Literatur und Kritik

Ein guter Spruch hat nur vier Zeilen,
Und doch erfordert er zuweilen
Vier Stunden zum Schleifen,
Vier Jahre zum Reifen.

Gar leicht erscheint original
Verirrter Gedanken Buntheit;
Krankheiten gibt es viel an Zahl,
Jedoch nur eine Gesundheit.

Muß nicht als rechter Hans im Glücke
Sich dieser Dramendichter wähnen?
Er selber nämlich schreibt die Stücke,
Und seine Frau macht ihm die Szenen.

Wer nach Thalias Aufenthalt
Noch sucht in kunstgeweihten Räumen,
Der kann den deutschen Dichterwald
Nicht sehn vor lauter Purzelbäumen.

Wenn ein Geheimnis dich beschwert
Und stets die Furcht dir wiederkehrt,
Es sei in deinem eignen Haus
Nicht sicher vor dem Tageslichte,
Dann schreib's in einen Band Gedichte
Und gib ihn unbesorgt heraus.

Der Dilettant fühlt sich mit Recht beneidet,
Wenn er in schlechten Versen stöhnt und klagt:
Ihm gab ein Gott, zu sagen, was er leidet;
Uns gab ein Gott, zu leiden, was er sagt.

Was mir an euch noch zu zweifeln rät?
Nichts als euere Quantität:
Helikons Gipfel ist viel zu schmal
Für ein geräumiges Klublokal.

Manche wittern pfiffig dreist
Alle Finten, alle Schliche;
Nichts ermangelt ihrem Geist
Als der Sinn fürs Wesentliche.

Um Kraftnatur zu heißen, kam der Tropf
Mit allem, was natürlich, ins Zerwürfnis:
Schweißtriefend steht er auf dem Kopf
Und schwört, das sei ihm ein Gemütsbedürfnis.

Natürlichkeit? Natürlich ist der Hauch
Der Elemente, die da Leben wecken;
Natürlich ist das seichte Bächlein auch,
Das nah der Quelle bleibt im Sande stecken.

Mancher wähnt, er sei kein Manierist,
Wenn er möglichst unmanierlich ist.

Sie glauben ihrem verlognen Geschreib
Den Reiz des Erlebten einzuhauchen,
Indem sie das üppige Hauptwort »Weib«
Ausschließlich im Pluralis gebrauchen.

Weshalb nur gar so viel Gedankenstriche?
Das Denken ließ den Autor oft im Stiche,
Und ein begabter Leser kann nun leicht,
Wenn er nach gründlichem Versenken
Die ausgesprochenen Gedanken streicht,
Sich bei den Strichen etwas Schönes denken.

»Blickt in dies Gewässer man hinein,
Von dem Grunde sieht man keine Spur;
Drum von großer Tiefe muß es sein.«
Fehlgeschossen! Unklar ist es nur.

Wie wird die alte Stiefelsohle
Genießbar für den nächsten Schmaus?
Man gießt die neueste Parole
Als Bratensauce drüber aus.

Anhang findet jeder Tor,
Gläubige jedes Märchen,
Und das kleinste Meteor
Hat sein Atmosphärchen.

Ätherisches Wonnegeschnäbel
Und schwammiges Wolkengenist:
Ach Gott, welch mystischer Nebel!
Ach Gott, welch nebliger Mist!

O schrecklicher Kretinismus!
Alltäglich ein neuer »ismus«,
Mit schwülstigem Pleonasmus
Verdeckend geist'gen Marasmus.
Und doch – was hilft es? Am Schluß muß
Ausschlüpfen ein ridiculus mus.

»Der Lump, der Heuchler, der Bandit!
Verraten hat er unsern Orden!«
Wodurch? »Der Kerl schimpft nicht mehr mit,
Seit er berühmt geworden.«

Wenn des Tages Licht erlosch,
Hebt zu singen an der Frosch,
Und er denkt in seinem Sinn:
Ob mein Liedchen wird gefallen,
Gilt mir gleich; denn immerhin
Übertönt's die Nachtigallen.

Als »Kaviar fürs Volk« zum Kauf er bot,
Gewann er kaum ein Stückchen trocknes Brot.
Er änderte den Handel mittlerweil
Und lebt nun flott, an voller Tafel schmausend:
Mit ungeheurem Absatz hält er feil
Kartoffeln für die oberen Zehntausend.

(Der Theaterdirektor)

»Sind das ideale Prinzipien?« Sie schienen' s.
Er hat sie jedoch seit neuestem Datum
Gebeugt vor dem unerbittlichen Fatum
Des Geldverdienens.

Erhabne Rebellen! Ihr überschaut
Mitleidig der Vorzeit Gebresten,
Nachdem ihr wacklige Hütten gebaut
Aus abgebrochnen Palästen.

(Heine-Denkmal)

I
        Du armes Düsseldorf! O Hohn!
Du hattest einen großen Sohn,
Und fünfzig Jahre später?
Mehrere kleine Väter.
II
Ein Toter – und es wogt in eurer Masse
Um ihn so wilder, heiß entbraunter Zwist?
Sein bestes Denkmal ruht in eurem Hasse:
Der zeigt ja, wie lebendig er noch ist.

Dies ist unsterblich, ruft ihr, dies vergänglich!
Solch ein Prophetentum bleibt unverfänglich:
Wer mit Jahrhunderten so leicht jongliert,
Wie Kinderchen mit einem Federballe,
Der findet Glauben, und im schlimmsten Falle
Seid ihr schon tot, bevor ihr euch blamiert.

Warum sie doch zu Schutz und Trutz
Die Tonart stets verschärfen?
Nicht formen läßt sich jeder Schmutz;
Doch jeder läßt sich werfen.

Will denn Kunst nur noch entzweien?
In der Hitze des Gefechts
Rufen feindliche Parteien
Bravo links und bravo rechts.
Ja, sogar des Kampfes Richter
Toben wie ein wildes Heer:
Wisse, haust du meinen Dichter,
Hau' ich deinen um so mehr.

Die hohe Schule der echten Kraft,
So spracht ihr, ist Leid und Entbehrung.
Ein armer Teufel voll Mark und Saft
War dankbar für diese Belehrung:
Er litt und entbehrte mit Freudigkeit,
Hat niemals üppig gelungert
Und ist am Ende der Studienzeit
Summa cum laude verhungert.

(Neue Spezialität)

Herein, ihr Herrn! Es komm' und seh',
Wen's irgendwie gelüstet,
Den großen Mann aus nächster Näh',
Der für 'ne halbe Mark Entree
Ganz täuschend sich entrüstet.

Ein Meister der Frechheit ist denkbar nur
Als höchster Triumph der feinsten Kultur:
Die Bildung der andern befreit ihn vom Zügel,
Ihr Anstand verspricht ihm: es gibt keine Prügel,
Und seine Gebarung wird um so verwegner,
Je zarteren Takt er vermutet beim Gegner.

Der Kerl schmeißt sämtliche Fenster ein,
Und wenn man ihn fortjagt voll Empörung,
Dann fängt er wütend an zu schrein
Über die heillose Friedensstörung.

Hat einer frisch sein Liedchen gesungen;
Drauf sprachen die sämtlichen Weisheitsvollen,
Die Sache sei ganz und gar mißlungen;
Denn eigentlich hab' er pfeifen wollen.

Es ist ein Spielzeug, oft erprobt,
Und macht die Kindlein munter:
Erst wird der Drache hinaufgelobt,
Dann reißt man ihn wieder herunter.

(Der Scharfrichter)

»Ihr bebt, wenn er den Mund auftut? Warum?«
Weil er mit kritischer Vernichtung droht.
»Doch heut erscheint er mir so still und stumm.«
O weh! Dann schweigt er sicher einen tot.

»Weswegen, ihr plumpen Tröpfe,
Zerschlagt ihr die zierlichen Töpfe?«
Die ganzen taugen uns nicht;
Wir halten Scherbengericht.

(Doppelte Negation)

Macht dich nicht mausetot der erste Schuß,
Dann schreite nur getrost zu neuer Tat:
Wer dich zum zweitenmal verneinen muß,
Zeigt unfreiwillig, daß er dich bejaht.

Wahr sei die Wirklichkeit allein?
Wer sie mit falschem Glanz umsäume,
Der müsse stets ein Lügner sein?
Erlügen wir denn unsre Träume?

Als ein bedenklicher Gesell
Erschien mir stets Herr Aktuell:
Ein Lumpensammler, über Nacht
Auf einen Herrscherthron gebracht,
Vom Frührot bis zur Dämmerzeit
Das dreiste Zerrbild eines Großen
Und morgen schon zurückgestoßen
In seine Lumpenhaftigkeit.

Andres Städtchen,
Andres Blättchen.
Hier Bejahung, dort Verneinung;
Was hier Ernst, ist dort ein Spiel;
Denn es ward zum Amt die Meinung,
Und der Ämter gibt es viel.

Ist nicht Wolfram von Eschenbach
Der glücklichste Dichter gewesen?
Obgleich sonst tüchtig in seinem Fach,
Konnt' er nicht schreiben noch lesen!
Von grimmigem Neide schwillt der Kamm
Mir armem Epigonen:
Der Glückspilz schrieb kein Autogramm
Und las keine Rezensionen.

Hinweg mit dem historischen Bleigewichte!
Im Sturmschritt folgen jetzt sich die Epochen.
Jedoch ein Blatt im Buch der Weltgeschichte
Umfaßt gewöhnlich mehr als ein paar Wochen.

Der Übersetzer als Fährmann eilt
Im Strom, der Völker und Geister teilt,
Hinüber und herüber;
Drum führ' er nur Güter, die er schätzt;
Denn wenn er jemand übersetzt,
Setzt er ihn über.

 

 


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