Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Die zensurierte Schöpfung

        Die Erde war noch wüst und leer,
Formloser Abgrund, finstres Klaffen;
Nur glühend schwebte drüber her
Des Schöpfers hoher Wunsch, zu schaffen.

Sein göttlicher Gedanke wob
Und spann mit nimmermüder Stärke;
Vor seinem ew'gen Geist erhob
Sich das gewaltigste der Werke.

Vollendet war der Schöpfungsplan
Und allem Sein die Form erkoren;
Ein Wort, so war das Werk getan,
Ein Wink, so war die Welt geboren.

Noch eine strenge Vorschrift nur
War erst vom Schöpfer zu begleichen;
Die Pflicht gebot ihm, der Zensur
Den Plan der Schöpfung einzureichen.

Denn urgezeugt aus Dunst und Schaum
Und aus des Chaos Bodensatze
Saß in dem leeren Weltenraum
Der Zensor schon auf seinem Platze.

Von Würd' und Wichtigkeit geschwellt,
Die Miene stolz und überlegen,
So nahm den fert'gen Plan der Welt
Er aus des Schöpfers Hand entgegen.

Und las und prüfte den Bericht
Mit bohrend gründlichem Versenken:
Der erste Tag – es werde Licht?
Ei, ei, der Anfang weckt Bedenken.

Was amtlicher Ermuntrung wert,
Gedeiht genau so gut auch nächtig;
Mich hat das Dunkel nie beschwert,
Das Licht jedoch scheint mir verdächtig.

Das Licht ist keck, das Licht ist scharf;
Dreist leuchtet es in alle Ecken;
Was sich nicht sehen lassen darf,
Wo sollte sich's vor ihm verstecken?

Das Licht, es würde klar und hell
Heilsame Nebel nicht gestatten;
Es ist von Haus aus ein Rebell,
Denn es bekämpft und jagt die Schatten.

Das Licht, in bunten Farben flammt's,
Am liebsten aber wohl in roten!
Ich sage drum kraft meines Amts:
Das erste Tagwerk ist verboten. –

Der zweite Tag: Geschieden sei
Himmel und Erde, Feucht und Trocken?
Mit abermaligem Ei, ei!
Der Zensor schüttelt seine Locken.

Und spricht: Was wär' damit bezweckt?
Den Himmel von der Erde trennen?
Unmöglich kann für dies Projekt
Ich ein Bedürfnis anerkennen.

Aus welchem andern Grunde wacht
Denn die Zensur mit viel Beschwerde,
Worauf denn sonst ist sie bedacht,
Als daß der Himmel auf der Erde?

Verschmolzen Erd' und Firmament,
Dies wirkt erziehlich und gedeihlich;
Doch daß man sie gewaltsam trennt,
Ist anti-ordnungspolizeilich.

Der schlimmste Wirrwarr würd' erzeugt,
Wenn solche Neuerungen drohten;
Drum sei dem Umsturz vorgebeugt:
Das zweite Tagwerk ist verboten.

Am dritten Tage Kraut und Gras?
Und jedes trage seinen Samen?
Ich zweifle, daß ich richtig las;
Denn mein Verständnis will erlahmen.

Wozu denn Gras? Wozu denn Kraut?
Wozu denn Samen? muß ich fragen.
Zum Geist, der sittlich uns erbaut,
Weiß Kraut und Gras nichts beizutragen.

Nein, derlei Zeug vermißt man gern;
Denn wüchse Kraut erst auf den Matten,
Dann wär' das Unkraut auch nicht fern,
Und Unkraut kann ich nicht gestatten.

Was? Bäume gar, behängt mit Frucht,
Mit süßen Äpfeln, Beeren, Schoten?
Süß schmecken soll nur Sitt' und Zucht!
Das dritte Tagwerk ist verboten.

Am vierten Tage – seh' ich recht?
Ist's glaublich? Sonne, Mond, Gestirne?
Von Fackeln gleich ein ganz Geschlecht?
Mir tobt ein Wirbel im Gehirne.

Nicht nur bei Tag, bei Nacht sogar
Soll eine Himmelsleuchte scheinen?
Der Plan geht also klipp und klar
Drauf aus, das Dunkel zu verneinen.

Das alte Kunststück, o, man kennt's,
In schöne Worte zu vermummen
Gemeingefährliche Tendenz!
Mich aber macht man nicht zum Dummen.

An solche List bin ich gewöhnt
Und habe jeden Kniff am Schnürchen:
Das Licht, das ich bereits verpönt,
Kommt wieder durch ein Hintertürchen.

Oder entstünd' etwa kein Licht,
Wenn Sonne, Mond und Sterne lohten?
Die ganze Richtung paßt mir nicht;
Das vierte Tagwerk ist verboten.

Der Zensor prüft mit Wißbegier
Den Plan des fünften Tages jetzo.
Wie, ruft er, allerlei Getier?
Ein krabbelnd, wimmelnd Intermezzo?

Und des Getieres Daseinszweck,
Wie soll ich den mir wohl erklären?
Er ist, hier les' ich es voll Schreck,
Fruchtbar zu sein und sich zu mehren!

Nein, dreimal nein, das geht zu weit;
Ich bin nicht hart und nicht gehässig;
Jedoch Vermehrung, Fruchtbarkeit –
Das ist vollkommen unzulässig.

Wo bliebe die Dezenz dabei?
Ein unverantwortlich Verschulden
Wär's von der Sittenpolizei,
Dergleichen Unfug still zu dulden.

Wie rein und lauter wohnt Moral
In allem Starren, allem Toten!
Erst mit dem Tier kam' der Skandal:
Das fünfte Tagwerk ist verboten.

Und nun der sechste Tag . . . Potz Blitz!
Ein Schrei, der tiefsten Brust entrissen . . .
Der Zensor springt von seinem Sitz,
Als hätt' ihn ein Skorpion gebissen.

Er keucht, holt Atem nach und nach
Und ruft in ungestümem Tone:
Der Mensch! Der Mensch, o Gram und Schmach,
Der Mensch als dieser Schöpfung Krone?!

Der Mensch, der – ach, es wird mir schwül,
Und Angstschweiß bricht mir aus den Poren –
Der Mensch, der alles Schamgefühl
Verletzend, nackigt wird geboren;

Der Mensch, der, falls man Augen hat,
Das Schau'n erst anregt, dann verleidet,
Der auch mit einem Feigenblatt
Durchaus nicht einwandfrei bekleidet

Und frech mit seinem Leibe prahlt –
Kurzum, der Mensch ist unanständig!
Er ist's, schon wenn er nur gemalt,
Um wieviel mehr, wenn er lebendig.

Der Mensch – kein Zweifel, daß er tief
Noch unter dem Getiere stünde:
Was bei der Bestie naiv,
Beim Menschen wär's bewußte Sünde.

Kraut, Unkraut, Tier und Ungetier –
Von allen Wesen, hoch und niedrig,
Scheint wie der Mensch kein zweites mir
So polizei- und ordnungswidrig.

Drum durch den Menschen, eh' er sich
Aufwerfen kann zum Weltdespoten,
Macht die Zensur 'nen dicken Strich:
Das sechste Tagwerk ist verboten.

Der Schöpfer sagte kleinlaut nun:
Ein Tag noch blieb mir zur Verwendung;
An diesem dacht' ich auszuruhn,
Mich weidend an des Werks Vollendung.

Der Zensor lächelt und versetzt
Huldvoll und väterlich gelinde;
Es freut mich, daß zu guter Letzt
Ich auch zu loben Anlaß finde.

Wer gerne schafft, zerstört auch gern,
Unschädlich aber ist, wer rastet;
Ja, hier steckt ein gesunder Kern,
Und dieser bleib' unangetastet.

Wohl mir, wenn meinem Worte glaubt
Die neurungssüchtige Betörung,
Daß alles Schaffen überhaupt
Nichts andres ist als Ruhestörung.

Der letzte Teil des Planes mag
Sich unter meinem Schutz vollenden;
Gegen den siebten Schöpfungstag
Hat die Zensur nichts einzuwenden. –

Der Schöpfer kehrte heim bedrückt;
Doch wie wenn, spaltend jede Schranke,
Ein Wetterstrahl vom Himmel zückt,
Durchfuhr ihn plötzlich ein Gedanke.

Er sprach zu sich: Groß ist die Not,
Der Sieg winkt einzig dem Verwegnen,
Und trotz' ich dem Zensurverbot,
Viel Schlimmres kann mir nicht begegnen.

Trifft mich die Strafe noch so hart,
Dem Werk zuliebe muß ich's wagen. –
Er rief: Es werde Licht! Da ward
Es Licht ringsum und festlich Tagen.

Zum höchsten Berg, zum tiefsten Tal,
Die Freudenbotschaft zu bekunden,
Schwang sich der Schöpfung Morgenstrahl;
Der Zensor aber war verschwunden.

Beim ersten Flammengruß des Lichts,
Der ihn beglänzte ruhig heiter,
War er zerstoben in das Nichts,
Und Gott schuf unbehelligt weiter.

 

 


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