Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Melancholisches Liederbuch

An die Sonne

        Sonne, du listige Gauklerin,
Breitest dein Gold allüberall hin
Wie ein funkelnd Geschmeid,
Wandelst die Hütte mit deinem Glast
Für ein Stündchen zum Feenpalast,
Hüllst in Flitter das Leid.

Wangen, die bleich von einsamer Not,
Färbst du mit flüchtig flammendem Rot
Wie eine schmeichelnde Hand,
Lässest die Träne, die schmerzhaft quillt,
Leuchten von deinem Spiegelbild
Als geschliffnen Demant.

Wüsten und Trümmer, sie scheinen belebt,
Und die vermorschten Gräber umwebt
Feiertäglicher Putz;
Selbst dem widrigen Kehrichthauf
Prägst du täuschenden Adel auf
Und vergoldest den Schmutz.

Aber ein Wölkchen, sichtbar kaum,
Ein vergatterter Nebelsaum
Deckt im Schweifen dich zu –
Und dein prangendes Reich zerfällt,
Deine bezügliche Zauberwelt
Ist versunken im Nu.

Trostlos wieder und doppelt arm
Blickt ins Leere hinaus der Harm;
Wieder entseelt und kalt
Starrt des Gebirges ragender Bau;
Purpurne Rosen, sie scheinen grau,
Strotzende Jugend scheint alt.

Heimaterde wird Kerkergruft,
Die mit lähmendem Moderduft
Allem Lebendigen droht;
Träume der Menschen, sie werden fahl,
Werke der Menschen, sie dünken schal,
Und die Schönheit ist tot.

Scheine, scheine, du feuriger Stern!
Ach, deine Kinder vergessen so gern,
Daß deine Kunst nur Schein.
Birg uns des Daseins grausamen Sinn;
Laß uns, du mächtigste Künstlerin,
Lieblich Betrogene sein!

 

 


 << zurück weiter >>