Jakob Frey
Die Waise von Holligen
Jakob Frey

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVI

Als der Wachtmeister durch das Gewirre und Gedränge der Flüchtigen gegen das Grauholz herankam, sah er die Straße am Eingang des Waldes zu beiden Seiten von einem Verhaue geschützt, hinter dem die Mündungen einiger Feldstücke hervorblickten. Weiter rückwärts waren Truppen und Landsturmhaufen in geordneten Reihen aufgestellt, den letzten Kampf zu wagen, der dem Falle des einst so siegesstolzen Bern vorangehen sollte. Der todmüde Reiter wendete sich dem Waldrande entlang zur Seite, um in dem ersten menschenleeren Gebüsche, das er erreichte, ermattet vom Sattel zu sinken. Er fühlte weder Schmerz noch Furcht, und sein einziger Wunsch war, die Augen schließen zu können, um sie nie wieder öffnen zu müssen. Der ferne Lärm wurde vor seinen Ohren immer schwächer und schwächer, und endlich kam es ihm vor, es sei nur das Rauschen des Mühlbaches, der an seinem Kämmerlein auf die stillstehenden Räder niederfalle. Das Gesicht in das feuchtkalte Moos gedrückt, versank er in einen Schlaf, der auch den letzten seiner Wünsche erfüllen zu wollen schien.

Das erste, was der Schläfer wieder empfand, war ein dumpfer Druck, als läge eine schwere Last auf seiner Brust, die ihm den Atem zu benehmen drohte. Noch schlaftrunken wollte er sich auf die Seite wenden, aber der Druck von oben hinderte ihn daran, und als er mit Mühe die schweren Lider aufschlug, sah er hart vor seinen Augen sich eine dunkle Gestalt bewegen.

Er strich mit der Hand über das Gesicht, um das Traumbild wegzuwischen, aber es wollte ihm nicht gelingen, und die Gestalt trat nur um so deutlicher hervor, je heller des Erwachenden Blicke wurden. Es war ein großer Bursche in einem schmutzig blauen und mannigfach geflickten Soldatenrocke, der, rittlings auf dem Wachtmeister sitzend, seinem Gesichte den Rücken zukehrte. Dabei war er eifrig bemüht, mit beiden Händen in den Taschen des am Boden Liegenden herumzuwühlen, und jetzt stieß er ein fröhliches, unverständliches Gemurmel aus, als er einen Geldbeutel hervorzog, den er mit behaglicher Zufriedenheit von einer Hand in die andere fallen ließ, um sein Gewicht zu prüfen oder sich an dem hellen Klange seines Inhaltes zu ergötzen. "Ein Franzose", fuhr es durch Christens Gedanken, der sich plötzlich mit schreckhafter Deutlichkeit erinnerte, wie er hierher gekommen, und zugleich auf den verworrenen Lärm horchte, der weiter rückwärts durch den Wald erscholl, "ein Franzose, der dich ausplündert und vielleicht für tot hält." Er blickte zur Seite, wo er seinen Schimmel angebunden hatte; aber der war verschwunden, und an dem jungen Tannenstämmchen hing nur noch ein kleines Stück des Lederriemens – der Entführer schien sich nicht die Mühe genommen zu haben, ihn loszubinden, und hatte den Knoten mit dem Degen gelöst. Mit um so langsamerer Behaglichkeit setzte der Bursche sein Geschäft fort, der sich den Wachtmeister selbst zum Sitze gewählt, und eben begann er, mit den Fingern auf die Schäfte der kurzen Reitstiefel zu klopfen, offenbar um ihre Solidität zu prüfen, als er unversehens durch das Gebüsch geschleudert wurde, daß die Zweige knackten. Von der Wucht des Stoßes getrieben, kollerte er über das Bord des Markgrabens, der den Wald vom Felde schied, ins Freie, wo er mit dem ersten Atem, den er wieder gewann, ein gellendes Hilfsgeschrei erhob. Es möchte ihm jedoch wenig geholfen haben, wenn die Aufmerksamkeit seines so unerwartet vom Tode erstandenen Verfolgers nicht plötzlich eine andere Richtung genommen hätte.

Als dieser am Waldrande erschien, um den weiter, als beabsichtigt war, fortgeschnellten Plünderer wieder einzufangen, sah er kaum zwanzig Schritte vor sich einen Haufen wild und zerlumpt aussehender Gesellen, die mit dem Ausziehen einiger zusammengeschleppter Toter oder Verwundeter beschäftigt waren; daneben stand ein Mann in Offiziersuniform, bei dessen Anblick sich das Gesicht des Wachtmeisters mit dunkler Glut bedeckte. Er ließ sein Opfer unbeachtet am Boden weiter rutschen und starrte unbeweglich auf die Erscheinung, als wäre ihm ein Gespenst erschienen, bis seinem Munde mit bebender Stimme der Ausruf "Amiel" entfuhr. "Es scheint Euch Freude zu machen, mich so unerwartet hier zu sehen, Herr Wachtmeister", rief ihm der Offizier entgegen; "möge es von langer Dauer sein!" Damit zog er eine Pistole aus der Halfter, hielt sie an die Wange, und als der Schuß krachte, folgte dem Knalle ein höhnisches Gelächter nach. Die hohe Gestalt des Wachtmeisters hatte sich auf den Boden vorgebeugt und schien unsicher hin und her zu schwanken, als ob sie nicht mehr die Kraft habe, sich emporzurichten, aber noch bevor der Franzose durch den sich langsam verziehenden Rauch den Ausgang deutlich erkannte, bäumte sich sein Roß wiehernd empor und riß ihn sich überwälzend zur Erde nieder. "Schade", rief der Wachtmeister, der, ohne eine andere Waffe als seine kurze Klinge, einen mächtigen Stein geschleudert hatte, "doch ein Schurke, wie du, wird seinen Lohn immer noch finden." Damit hob er seinen Hut auf, den ihm die Pistolenkugel vom Kopfe geworfen, und sprang in das Gebüsch zurück.

Die ganze Szene war ebenso rasch vorübergegangen, als sie unerwartet gekommen war, und die Marodeure begannen ihre Schüsse dem Gegner erst nachzusenden, als er bereits wieder den Waldgraben übersprungen hatte. Aber zu einer ernsten Verfolgung durch das Dickicht schienen sie keine Lust zu halben und kehrten deshalb bald wieder zurück, um ihrem Herrn unter dem gestürzten Pferde hervorzuhelfen.

Unterdessen lief der Wachtmeister mit immer hastigeren Schritten den Wald aufwärts, auch nachdem der Lärm seiner Verfolger weit hinter ihm geblieben und endlich gänzlich verstummt war. Er fühlte infolge der genossenen Ruhe seine Glieder von neuer Kraft durchströmt, aber mit jedem Schritte, den er vorwärts tat, kam eine schwere Bangigkeit über seine Seele. Das ungestörte Treiben der Marodeure am Eingange des Waldes war ein hinlänglicher Beweis, daß die feindliche Hauptmacht siegreich vorgedrungen, und in der Tat schien sich der Kampf bereits jenseits ins Freie hinausgezogen zu haben, obgleich die Wipfel junger Tannen von der Erschütterung einzelner Kanonenschüsse sich noch unablässig hin und her bewegten. "Wo wird mein Hauptmann, wo werden meine Kameraden sein", rief der Wachtmeister vor sich hin, "und was müssen sie von dir halten, wenn sie dich nach überstandener Gefahr wieder frisch und gesund antreffen werden?" Er blieb bei dieser Vorstellung einen Augenblick stille stehen und fühlte, daß ihm eine heiße Glut in die Wangen stieg; "aber nein, nein", schüttelte er den Kopf, seinen Lauf wieder fortsetzend, "ich erinnere mich noch deutlich, daß ich kaum mehr imstande war, das Roß anzubinden, bevor ich auf das Moos niederfiel, es wäre doch nicht gegangen; arme Anna!" Der Name war kaum ausgesprochen, als der Eilfertige stolperte und vor sich niederschauend die Leiche eines Mädchens erblickte, die blutbedeckt vor seinen Füßen lag. Mit einem leisen Ausruf des Schreckens bückte er sich nieder, um ihr in das Antlitz zu schauen, die Züge waren ihm unbekannt, aber die hellblauen Augen, die unbeweglich und starr zwischen den halbgeöffneten Lidern lagen, schienen ihn mit so tiefer Trauer anzublicken, daß sich seine eigenen Augen unmerklich mit Tränen füllten. So blieb er eine lange Weile über die Tote hingebeugt, bis er sich endlich wieder erhob und laut ausrief: "Jung gestorben ist wohl gestorben; es ist noch nicht Abend, Christen!"

Als er sich von der Mitte des Waldes an mehr der Straße näherte, lagen die Toten bald so dicht wie Garben auf dem Erntefeld, bunt durcheinander Männer und Frauen, Freund und Feind, wie sie der blutige Zufall eben zusammengebettet. Es ging dem Wachtmeister ein kaltes Grauen über das Herz in dieser stummen Gesellschaft der Waldeinsamkeit, durch die nur da oder dort eine gebückte Gestalt wankte, als suche sie etwas, das sie zu finden fürchtete. Christen selbst eilte, ohne weiter um sich zu blicken, vorwärts und nur auf kurze Augenblicke hielt er an, um auf den immer schwächer werdenden Lärm des Kampfes zu horchen. "Ich komme zu spät", rief er, als er sich dem Rande des Waldes näherte, "unsere Zwölfpfünder schweigen schon lange, und das Kleingewehrfeuer kann nur von einzelnen zerstreuten Haufen herrühren." Seine Befürchtung war nur zu wohl begründet. Ins Freie gelangt, sah er die feindlichen Massen in ungestörtem Aufmarsche die Straße nach der kleinen Talsenkung hinabziehen, während dunkle Tirailleurschwärme und leichte Reitergeschwader bereits die jenseitige Anhöhe hinanjagten und die vereinzelten Haufen der zersprengten Bernertruppen vor sich her trieben.

"Mein Hauptmann, meine Kameraden", klagte Christen, die wirren Knäuel der Flucht und Verfolgung durchforschend, "soll ich Euch nicht mehr finden oder muß ich Euch hinter den Gebüschen suchen?" Er blickte zweifelhaft um sich, ob er vorwärts gehen oder umkehren solle, als wie zur Antwort auf seine Frage eine Stimme seinen Namen rief und ihm am Waldrande herauf ein Mann in der Uniform seiner Kompagnie entgegenlief. Es war ein Trompeter, der fröhlichste Bursche unter seinen Kameraden, der den Mund fast nur zu einem Scherze oder lustigen Liede öffnete; aber jetzt war sein Gesicht von Pulverdampf geschwärzt, und seine Stimme zitterte, als er, dem Wachtmeister beide Hände entgegenstreckend sagte: "Dem Himmel sei Dank! wir alle glaubten, dich heute früh zum letztenmal gesehen zu haben; der Belper-Fritz konnte sich nicht trösten, daß er dich allein fortreiten ließ."

"Wo ist er", rief der Wachtmeister erfreut und zugleich über das Aussehen seines Kameraden erschreckt, "wo sind die andern und der Hauptmann?"

"Wenn wir den Weg da links um die Papiermühle gehen und uns die verdammten Rotschwänze nicht zuvorkommen, so werden wir sie wohl antreffen", entgegnete der Trompeter; "sie marschieren alle miteinander Muri zu."

"So komm, komm", sagte Christen, indem er rasch zu gehen anfing, "aber warum bist du nicht bei ihnen geblieben?"

"Es hat mir einer gesagt, mein Vater liege da droben im Walde", lautete die leise Antwort, "und bin ich hingegangen, ihn zu suchen."

"Und hast du ihn gefunden?"

Der Trompeter nickte langsam mit dem Kopfe. "Nicht weit von da, er hat jetzt überwunden."

Der Wachtmeister hielt, von dem dumpfen Schmerze ergriffen, der in diesen Worten lag, die Schritte an und sagte: "Armer Jörg, du mußt dich drein fügen wie wohl noch viele andere; aber komm zurück, wir wollen die Leiche holen und sie dort in das Haus hinabtragen. Die Deinigen können sie dann morgen holen, es wird ein Trost für sie sein, wenn auch ein trauriger."

"Nein, nein, komm nur vorwärts", erwiderte der Trompeter, dem große Tränen aus den Augen schossen, "er liegt wohl da droben. Er hat meinen jüngern Bruder, den kleinen Heinrich, im Arm, der auf Ostern fünfzehn Jahre alt geworden wäre."

Christen nahm seinen Kameraden bei der Hand, ohne eine Antwort zu geben. So schritten sie lange schweigend den von einsamen Häusern und Hecken unterbrochenen Abhang hinunter, um auf der andern Seite wieder aufwärtssteigend die Hochfläche zu gewinnen, die sich in breiter Ebene links und rechts bis an die steilen Aarufer hindehnt. Von feindlicher Verfolgung blieben sie unbelästigt. Die Franzosen zogen im Schnellschritte die Heerstraße und entsandten ihre Plänkler und leichten Husaren nach beiden Seiten nur so weit, als zur Deckung des Marsches nötig war. Es galt ihnen vor allem, den Rathausplatz von Bern zu erreichen, den noch nie ein Feindesfuß betreten hatte.

Als die beiden Flüchtigen die schmale Taltiefe erreicht hatten und nun etwas langsamer die Anhöhe hinanstiegen, fragte der Wachtmeister, auf das Grauholz zurückdeutend, leise: "Ist mancher von unsern Kameraden da drüben zurückgeblieben?"

"Genau kann ich’s nicht sagen", erwiderte der Trompeter, "doch mögen immer noch siebenzig Mann bei dem Hauptmann sein; aber unsere schönen Pfeifen sind alle dahin!"

"Alle?" rief der Wachtmeister; "um Gotteswillen, wie ist das hergegangen?"

"Wie soll ich’s dir erzählen?" sagte der Trompeter, "es geht mir noch alles wie ein Wirbelwind im Kopfe herum. Als wir ins Grauholz kamen, hatten wir noch zwei Kanonen, mit denen wir an der ersten Biegung des Weges außerhalb des Wirtshauses Posten faßten; indessen traf bald Befehl ein, daß eines der Stücke sich links ab am Waldrande aufstellen solle, um das Moos gegen Jegenstorf hin zu bestreichen. Der Hauptmann tat es ungern, doch gab er nach, und die Hälfte von uns zog mit dem Junker und dem Belper-Fritz auf die Wiese hinab, ich war mit dabei. Eine Weile ging es ganz prächtig, die Husaren hatten Respekt vor uns und wagten sich nicht auf das Moos herein; aber plötzlich waren wir von einem Schwarm Grenadiere umringt, die durch das Gebüsch herabschleichend unsere Bedeckung umgangen hatten. Den Augenblick wird keiner vergessen, denk’ ich, und wenn er hundert Jahre alt würde. Ein Offizier faßte den Junker, der eben das Geschütz richtete, am Arme und schrie ihm zu: "Ihr seid gefangen"; aber er hatte das Wort noch kaum ausgesprochen, als ihn der Belper-Fritz schon hoch überm Kopfe schwang und wie einen leichten Spreuersack auf die Köpfe seiner Grenadiere zurückschleuderte. Jetzt begann ein Hosenlupf, wie ihn noch kein Ostermontag auf der Schanze in Bern gesehen hat. Glücklicherweise waren wir so dicht aneinander, daß die Franzosen weder von Gewehr noch Bajonett Gebrauch machen konnten, und von den unsern hat, glaub’ ich, keiner den Säbel gezogen. Herrgott, ich selbst schlug drein, wie sich’s eben traf, und doch mußt’ ich dabei immer auf den Belper-Fritz schauen. Unterm linken Arm trug er den Junker, den ein Stoß besinnungslos niedergeworfen hatte, während die rechte Faust auf- und niederfuhr wie der Hammer in einer Hammerschmiede und bei jedem Schlage einem der Weißhosen das Blut aus Mund und Nase schoß. So kamen wir durch; aber die Kanone war verloren. Es waren ihrer wenigstens zehn gegen einen von uns."

"Und der Junker", fragte der Wachtmeister mit einem leisen Seufzer, der mehr dem Verluste seines Anteiles an dem Strauße als der verlorenen Kanone galt, "steht es gefährlich mit ihm?"

"Ich glaub’ es nicht", erwiderte der Trompeter, "der Belper-Fritz hielt ihn im Arme wie die Mutter ein krankes Kind, und als er endlich die Augen wieder aufschlug, fing Fritz an zu jauchzen und lachen wie närrisch, während ihm doch die hellen Tränen in den Augen standen."

"Braver Kamerad", sagte der Wachtmeister nachdenklich vor sich hin, "aber wie ging’s unterdessen bei der Kanone des Hauptmanns?"

"Als wir zurückkamen", fuhr der Trompeter fort, "pfiff sie noch lustig über die Straße hin und fegte weg, was sich um die Ecke herumwagen wollte; aber unsere Leute waren schon auf beiden Seiten zurückgedrängt, und fast im nämlichen Augenblick flog unser Munitionswagen in die Luft, und die Lafette wurde von einer Kugel zerschmettert. Da wälzte der Hauptmann die Röhre in den Straßengraben und rief uns zu: "Nun können wir gehn, Kameraden, unsere Arbeit ist hier getan."

Unter dieser Erzählung hatten die beiden die Ebene erreicht, hinter deren Rande die Türme und Häuser der Stadt aufstiegen. Landstürmer und Soldaten flohen nach allen Richtungen auseinander. Jeder, wie es schien, auf sich bedacht, ohne sich um den Nachbar zu bekümmern, da und dort knallten hinter Bäumen und Hecken noch vereinzelte Schüsse hervor, aber von geordnetem Zusammenhalten war nirgends eine Spur mehr zu erblicken. Der Trompeter hielt einen Augenblick an, die trostlose Verwirrung überblickend; dann rief er, mit der Hand das Feld aufwärts deutend, "Sieh dort! das sind die Unserigen – daß Gott erbarm, noch die einzige Schar, die zusammenhält!"

"Du hast recht", entgegnete der Wachtmeister, bei dem Anblicke von Stolz und Schmerz zugleich ergriffen; "aber was mögen sie dort machen? sie halten an dem Hause und ziehen einen Wagen aus der Scheune."

"Vermutlich für den Schultheißen", sagte der Trompeter; "denn der Junker ist schon vor unserm Abmarsche nach der Stadt zurückgebracht worden."

"Für den Schultheißen, sagst du", rief der Wachtmeister, "ist der beim Hauptmann?"

"Ach ja, das weißt du nicht", erwiderte der Trompeter; "der alte Herr stand nicht weit hinter unserer Kanone auf einem Baumstamme, von aller Welt verlassen und von Kugeln umsaust. Der Hauptmann rief ihm zu, herabzukommen, aber er schüttelte den Kopf mit den langen weißen Haaren und deutete auf den Boden, als ob er warten wolle, bis er dahin gelegt werde. Es war die höchste Zeit, daß wir hinliefen und ihn mit Gewalt fortführten, denn kaum hatte ihn der Hauptmann am Arme gefaßt, als hinter dem Gebüsch hervor ein Franzose ansprengte, der sich auf ihn werfen wollte. Den haben wir aber gepackt – er wird auch dort droben mitmarschieren."

"Komm", sagte der Wachtmeister bewegt, "ich möchte den Herrn auch noch sehen."

Als die beiden in eiligem Laufe ihre Kameraden erreichten, hatte der Schultheiß bereits das offene Wägelein bestiegen, und so mischte sich die Freude des unerwarteten Wiedersehens mit der Wehmut eines seltsamen Scheidens, das mehr als alle Worte den mächtigen Wechsel der Zeiten und menschlicher Schicksale vor Augen stellte.

"Die Wege sind schwer zu wandeln, die das Lehen mich alten Mann noch führen will", sagte der Schultheiß, mit feuchten Augen auf seine Begleiter schauend; "aber Euer Anblick gibt mir Kraft, das Schwerste zu tragen und den Rest meiner Tage, den Ihr dem Tode entrissen, mit neuem Mute dem Dienste unseres Vaterlandes zu weihen. Vor wenigen Wochen standet Ihr mir als Übertreter des Gesetzes gegenüber und heute habt Ihr mein Leben mit Euern Leibern gedeckt und seid die letzten, die auf dem Schlachtfelde zusammenstehen." Bei diesen Worten richtete sich der Greis höher empor und rief, beide Hände gegen die ferne Stadt erhebend: "Und du, mein geliebtes Bern, einst nein Stolz und jetzt mein Kummer, lebe wohl; der Herr der Heerscharen halte seine Hand über dir!"

Er sank auf seinen Sitz zurück und beugte das Haupt tief auf die Brust herab, um die Tränen zu verbergen. Zwei Kanoniere, die in der obern Gegend zu Hause waren, stiegen schweigend auf den Vordersitz, und das Wägelein rollte, von zwei kräftigen Pferden gezogen, in das Feld hinaus. Die Kanoniere schauten ihm mit entblößten Häuptern nach, bis es um die Ecke des nahen Wäldchens verschwunden war, dann schlugen sie, in Reih und Glied marschierend und den gefangenen Franzosen in der Mitte führend, den Weg nach dem nahen Dorfe Muri ein, um hier eine kurze Rast zu halten.

Es lag im Plane der bernischen Führer, nach dem Verluste der Hauptstadt sich in das leicht zu verteidigende Oberland zurückzuziehen, wohin schon früher die zu einem verzweifelten Gebirgskriege nötigen Mittel und Vorräte geschafft worden waren. Dahin hatte sich vom Grauholze aus der Obergeneral auf den Weg gemacht, und dahin waren auch die Kanoniere im Begriffe, dem Schultheißen nachzufolgen; aber kaum hatten sie Muri erreicht, als die Schreckenskunde anlangte daß der General in Münsingen, zwei kleine Stunden weiter aufwärts, von wütenden Soldaten und Landstürmern ermordet und sein Gefolge zerstreut worden sei.


 << zurück weiter >>