Jakob Frey
Die Waise von Holligen
Jakob Frey

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX

Mit genauester Überlegung und Benützung der Umstände hätten die Kanoniere keinen für ihr verwegenes Unterfangen günstigeren Augenblick wählen können, als es nun ohne absichtliches Zutun geschah. Als die aus den Angeln gehobene Türe polternd zwischen den Pfosten auf das Pflaster hinausstürzte, sprang der Wachtmeister mit einem Satze über dieselbe weg auf den wachehabenden Soldaten los. "Guter Freund", sagte er, das Gewehr des Überraschten anfassend, "laß mir das Ding da und verhalt’ dich ruhig! Komm’ was will, ich geb’ dir mein Wort, wir alle werden dir bezeugen, daß du unversehens überrumpelt und wehrlos gemacht worden seiest."

"I nu ja", meinte der Soldat gutmütig, indem er zweifelnd über den öden Hinterhof der Kaserne wegblickte, "das werdet Ihr immer sagen müssen, wollt Ihr nicht jämmerlich lügen. Aber was habt Ihr eigentlich im Sinne?"

"Das ist unsere Sache", entgegnete der Wachtmeister, "sag’ du uns nur, wie stark am vorderen Tore die Kasernenwache ist und wer sie befehligt?"

"Was werden’s sein? Zwölf Mann und der Ädemajor Wacker; alles andere ist zum Exerzieren auf den Wyler und die Schützenmatt gezogen."

"Der Ädemajor Wacker, sagst du?"

"Ja, eben der – von Bümpliz."

"Vorwärts, Kameraden!"

Nach dem vorderen, der Stadt zu liegenden Kasernenhofe führte ein schmaler, dunkler Torweg, den die Kanoniere hastig mit hallenden Tritten ausfüllten. Am anderen Ende desselben stand ebenfalls eine Schildwache; aber noch bevor sie wußte wie ihr geschehen, hatte der Belper-Fritz ihr Gewehr ergriffen und rief der Wachtmeister mit dröhnender Stimme: "Mir nach, mir nach zur Wachtstube!" Der fest zusammengedrängte Knäuel wälzte sich über den Hof weg, und noch hatte keiner der achtlos plaudernden und herumliegenden Soldaten in der Wachtstube das Gewehr ergriffen, als sich dieselbe schon mit einem erdrückenden Gedränge erfüllte.

"Zum Teufel, was ist das?" rief der Ädemajor, erschrocken aus der kleinen Nebenstube herbeispringend, "macht fertig!"

"Fertig ist’s schon", sagte der Wachtmeister, dem Offizier vergnügt näher tretend, als er sah, wie flink sich die Kanoniere sämtlicher Gewehre bemächtigt hatten; "aber darum keine Feindschaft zwischen uns, Herr Ädemajor; Ihr seid in unserer Gewalt und müßt Euch ergeben; übrigens nur auf ein Wort!" Er beugte sich vor, um dem Offizier leise etwas ins Ohr zu sagen. Dieser schaute den Wachtmeister einen Augenblick erstaunt und zweifelnd an, dann rief er laut: "Ja freilich, ich nehm’ alle zu Zeugen, daß wir nur der Übermacht weichen, wir geben uns gefangen."

"Wir werden selbst zu diesem Zeugnis stehen", entgegnete der Wachtmeister – "fort, Kameraden!"

So gegen alles Erwarten schnell im Rücken gedeckt, stellte sich die Kompagnie im Hofe, dem großen Eingangstor gegenüber, in Marschordnung auf, die den Wachen abgenommenen Gewehre wurden über die ganze Linie verteilt, wobei die Anordnungen des Wachtmeisters mit einer Raschheit befolgt wurden, als wär’ er von jeher der Befehlshaber der Truppe gewesen. "Nun denn in Gottes Namen vorwärts", rief er, die Linie nochmals überschauend, indem er sich, mit einem Gewehre bewaffnet, neben den Belper-Fritz an die Spitze stellte, "es lebe unser Hauptmann!"

"Er lebe hoch!" dröhnte es durch die leeren Kasernenräume, und im Laufschritte marschierte die Kompagnie durch das Tor auf die Straße hinaus.

Draußen jedoch hatte sich bald ein breiter Schwarm Neugieriger angesammelt, der die über den Bärenplatz ziehenden Kanoniere wie ein Bienenflug umsummte. Manche hatten schon vorher in der Nähe der Kaserne gestanden, sich von der Rebellion der Kompagnie unterhaltend, über welche die abenteuerlichsten Gerüchte und Meinungen umliefen, andere blieben über den sonderbaren Aufzug der ohne Seitengewehr und nur mit einzelnen Musketen bewaffneten Kanoniere verwundert stehen und schlossen sich dem nachfolgenden Zuge ebenfalls an. "Wir müssen pressieren", sagte der Wachtmeister, den immer stärker anschwellenden Haufen überschauend, "sonst könnten uns die da noch irgendwie zwischen die Füße kommen, Vorwärts – Sturmlauf!" und wie eine hetzende Jagd ging es die Spitalgasse aufwärts, dem Tore zu.

"Du hast recht", rief der Belper-Fritz, als sie um den Christoffelturm der Stadtmauer entlang hereinbogen, "siehst du, der Spürhund dort hat uns schon gemerkt!"

"Zum Teufel mit dem Judenbuben", entgegnete der Wachtmeister aufflammend, als er den Genannten in eiligem Laufe hinter dem Marterturme verschwinden sah, "der hat zum letztenmal gesündigt, wenn er uns in die Quere kommt. Immer zu, Kameraden!"

Nach wenigen Sprüngen war das mächtige Eichentor des Turmes erreicht, und der Belper-Fritz rannte mit gewaltigem Satze gegen das eingefügte kleinere Eingangspförtchen; aber dasselbe lag fest in seinen Riegeln und schien mit dem schweren Beschläge, das in breiten, dicken Eisenspangen die kreuz und quer über das Holzwerk lief, einen trotzigeren Widerstand zu bieten als die Türe im hintern Kasernenhofe. "Der Halunke hat den Turmwärter gewarnt oder selbst hinter sich verriegelt", sagte der Belper-Fritz, von der fruchtlosen Anstregung aufatmend, "da können wir die Zähne schön ausbeißen!"

"Siehst, dort liegen ja die Schlüssel", rief der Wachtmeister, auf die gesägten Holzstämme zeigend, die an den Werkhütten der Mauer entlang herumlagen; "einer von denen wird schon aushelfen." Im Augenblicke bückten sich ein halbes Dutzend frischer Burschen nach einem zur Zugschwelle zugehauenen jungen Eichenstamme, der, zwischen den gegenüberstehenden Trägern und von arbeitsschwieligen Händen in balancierende Bewegung gesetzt, sich mit drohender Spitze rasch gegen das Tor bewegte. "So recht, Kameraden", rief der Wachtmeister, "jetzt in richtigem Takte auf und nieder... eins... zwei... drei...", und beim letzten Worte donnerte der zum Sturmbocke umgeschaffene Ballen so gewaltig gegen das Eingangspförtchen, daß die alten Turmmauern erzitterten und hoch vom Dachrande herab kleine Ziegelstücke, mit Mörtel vermischt, niederfallen ließen. Das wohlgefügte Tor dagegen schien die Ehre seines Erbauers wahren zu wollen, und der Wachtmeister, der hart neben demselben stand, schaute, nachdem er sich die Augen von dem herabwirbelnden Staube ausgewischt, prüfend und verwundert auf das festgebliebene Spangenwerk. "Eineweg könnten sie’s drinnen gehört haben, wenn sie aufmachen wollten", sagte er mit fast komischem Ernste; "drum noch einmal probiert!" Beim zweiten donnernden Stoße hoben sich die dicken Nagelköpfe von den Eisenbändern ab, diese selbst bogen sich da und dort auseinander und wichen aus ihren Knotenpunkten; aber wieder ließ sich von innen noch kein Laut, kein herannahender Tritt hören, der die Absicht verraten hätte, die schweren Riegel zurückzuschieben, während um die Werkhütten sich bereits eine immer dichtere Menschenmasse herandrängte. "Zum drittenmal", rief der Wachtmeister, und unter dröhnendem Poltern stürzte das Pförtchen mit zerspringendem Eisenwerke auf den dunklen Flur hinein. Wie eine hochgehende Woge wollte sich die ungeduldige Mannschaft durch die gewonnene Öffnung stürzen; aber mit lauter Stimme befahl Christen, daß die Hälfte sich vor dem Tore aufstellen, die andere ihm und dem Belper-Fritz vorsichtig und nur Mann für Mann nachfolgen solle.

Auf den obersten Staffeln der schmalen, dunkeln Steintreppe trat den Eindringenden der Turmwächter entgegen, dessen wohlgenährtes Vollgesicht mit der behäbigen, fast ebenso dicken als langen Gestalt zu dem Amte, das er versah, gar nicht gepaßt haben würde, hätten nicht zwei kaltgraue Augen mit einem bald stechenden, bald wieder eigentümlich schielenden Blicke dem Antlitz einen abstoßenden, unheimlichen Ausdruck gegeben. Mit dem Tone des unbefangensten Erstaunens rief er den Ankommenden entgegen, was der Lärm zu bedeuten hätte und was sie eigentlich hier wollten. "Das wird Euch der Judenbub schon gesagt haben", entgegnete der Belper-Fritz, "nur vorwärts!"

"Der Judenbub?" antwortete der Turmwärter; "dem Judenbuben gucke ich eben nach, wie er eilig am Turme vorbei und an der alten Mauer hinlief. Ich dachte noch bei mir selbst, was er wohl so Pressantes haben möge."

Diese Worte waren wieder mit einem solchen Ausdrucke der Verwunderung gesprochen, daß der Wachtmeister bei sich zweifelhaft wurde; in ihrer argwöhnischen Eilfertigkeit konnten sie sich ja doch getäuscht haben, und der Judenbube mochte wohl um die Biegung des Turmes, statt in denselben hinein ihren Blicken entschwunden sein. Nach einem Augenblicke zögernder Überlegung sagte er daher: "Nun, sei dem, wie ihm wolle, von Euch wollen wir auch nichts Übles, Meister Kratzer; seid nur so gut und zeigt uns die Gefangenschaft unseres Hauptmanns... des Malers König, mein’ ich."

"Ah, ah, zu Eurem frühern Hauptmann wollet Ihr", machte der Turmwächter beifällig nickend, "recht brav... ganz scharmant ist das von Euch. Kommt nur mit; recht gerne will ich Euch zeigen, wo er die letzte Zeit hier logierte. Aber um ihn selbst zu sehen, kommt Ihr freilich zu spät... er ist nicht mehr hier."

"Was sagst du? er ist nicht mehr hier?" rief der Wachtmeister erbleichend; "wo ist er denn... Mann?"

"Wie ich Euch sage und Ihr selbst sehen könnt", erwiderte Meister Kratzer, indem er seine kurzen Beine nach einem dunkeln Seitengänglein in Bewegung setzte und dort geschäftig eine schwere Türe aufriegelte; "seht, meine Herren Soldaten, hier hat Euer Hauptmann gewohnt; aber heute früh, lange vor Tagesanbruch, wurde er abgeholt. Wohin?... Das erfährt natürlich unsereins nicht."

Der Wachtmeister stand mit den nächst nachgefolgten Kameraden in der Zelle, die ihr Licht nur durch eine runde, vergitterte Öffnung hoch oben in der Mauer erhielt, in Verwirrung und Bestürzung, ungewiß, was zu tun und glauben sei; aber mit einer Art von Teilnahme fuhr der Turmwächter in redseligen Worten fort: "Seht nur, ihr Mannen, hier liegt ja noch die braune Sammetmütze Eueres Hauptmanns... er muß sie heute in der Eile vergessen haben, und hier auf dem Tische – ach ja, da hat er ja auch noch eine schöne Malerei zurückgelassen – vielleicht absichtlich, mir zum Andenken. Wie gesagt, bin ich seit heute früh noch nicht in die Zelle gekommen. Er klagte gar bedauerlich über die lange Weile, und wie ich ihn denn gut leiden mochte, ließ ich mich bewegen und hab’ ihm die Farbenschachtel gebracht, die mein Ruedeli zu Neujahr geschenkt bekommen hat. Ei, seht, seht... das ist ein prächtig schmuckes Weibsbild."

Verwirrt, gedankenlos, das Herz voll dumpfer Beklommenheit, bückte sich der Wachtmeister auf das Blatt nieder; aber mit einem Ausrufe der Überraschung, fast des Schreckens, fuhr er zurück, als ihm aus demselben mit täuschender Lebendigkeit das Antlitz seines Schloßfräuleins entgegenblickte. "Ei ja", sagte Meister Kratzer mit einer Art Kennerwichtigkeit, "malen kann der König, das muß ihm sein ärgster Feind lassen. Wie das Weibsbild so deutlich ist, als wollt’ es jeden Augenblick zu reden anfangen und könnt’ man’s ordentlich anpacken; das vornehme Mäulchen so rund und rot wahrhaftig zum Küssen. Nicht wahr, Wachtmeister? Hahaha!"

Je länger dieser auf das Bild blickte, um so lebendiger stellten sich ihm die Formen desselben dar, bis er instinktmäßig, als müßt’ er dem unerfahrenen Auge noch eine Beihilfe geben, den Finger auf die dunkle Haarflechte legte, die in zierlicher Windung über den Scheitel dahinlief; als sich die Flechte unter seiner Berührung aufzulösen schien und bald in einen ungestalten schwarzgrauen Fleck verschwommen war. Dem Erschrecken folgte jedoch bald eine andere Empfindung, als Christen den Finger betrachtete und an der Spitze desselben die Farben kleben sah. "Ha, Meister Kratzer", rief er auffahrend, "da muß kaum vorhin noch an dem Bilde gemalt worden sein... die Farbe ist ganz naß... wo ist der Maler hingekommen?"

"Und ich will drauf schwören", rief der Belper-Fritz im nämlichen Augenblicke, "daß die Mütze da vor ein paar Minuten noch auf einem Kopfe gesessen... der untere Sammetrand fängt kaum zu erkalten an."

Der Turmwärter war auf eine so unerwartete und plötzliche Wendung nicht gefaßt. Wie um Hilfe suchend oder sich auf einen Ausweg besinnend, ließ er seine Augen schielend an der Mauer herumgleiten, bis er mit unsicherer Stimme, die umsonst nach einem trotzigen Tone rang, entgegnete: "Was schwatzt Ihr für Dummheiten? wahrscheinlich ist mein Ruedeli in die Zelle gekommen, hat da an den Farben herumgekleistert und auch die schöne Sammetmütze aufgesetzt. Ja, ja... so muß es gegangen sein, Ihr könnt sicher drauf rechnen."

Der Wachtmeister blickte dem Manne eine Weile fest in das Gesicht, auf dem sich Tücke und Ängstlichkeit zu streiten schienen, und sagte dann, einen Schritt zurücktretend, kalt: "Hör’, Meister Kratzer, wir haben Ehr’ und Leben nicht aufs Spiel gesetzt, um uns von dir narren zu lassen. Den Maler hast du eben erst von hier weggebracht; sagst du uns nicht, wohin, bis mein Kamerad da zehn gezählt hat, so jag’ ich dir, so wahr mir der gerechte Gott helfe, die Kugel durch den Leib!"

Er erhob das Gewehr zum Anschlage und ließ die Mündung gegen die Brust des Turmwächters sinken. Der Belper-Fritz begann in gemessenem Takte zu zählen, während die an der Türe stehenden Kanoniere mit angehaltenem Atem dem Vorgange zuschauten. Sie waren gestern wohl mit dem Gedanken an Kampf und Blut von daheim weggezogen; aber da nun der Tod in so unerwarteter Weise vor ihre Augen treten sollte, kam doch ein Bangen über ihre Herzen; nur der Wachtmeister schien von dieser Empfindung nichts zu kennen. Der Lauf seines Gewehres richtete sich ohne das leiseste Zittern nach der Brust des Meisters Kratzer, und der Belper-Fritz sagte seine Zahlen so gleichmäßig her, als stünden sie vor ihm auf der Mauer angemalt.

"Um Gotteswillen, habt Erbarmen", rief der Turmwärter, sich etwas in die Knie niederlassend, als der Zählende die siebente Nummer ausgesprochen, "ich weiß nichts und kann Euch nichts anderes sagen." Aber statt aller Antwort senkte sich auch die Mündung des Gewehres in dem Maße, als seine Brust durch das einsinkende Knie in eine tiefere Lage gekommen war. Der Wachtmeister drückte das linke Auge ein, um sein Ziel im entscheidenden Augenblicke mit Sicherheit fest zu halten, während der Belper-Fritz in gleichmäßigem Takte die nächste und folgende Nummer sprach.

Meister Kratzer überflog noch einmal mit einem letzten verzweifelten Blick seine Peiniger; und Belper-Fritz, dem der Gedanke, daß der Mann doch eben, auch wenn er den Hauptmann wirklich versteckt halte, nur in seiner Pflicht handle, lebhafter durch die Seele gehen mochte, hielt unwillkürlich einen Augenblick inne, bevor er das tötende ’’zehn" über die Lippen ließ. Nur der Wachtmeister zuckte, den Finger auf den Drücker gelegt, weder mit Hand noch Auge. Als der Belper-Fritz jedoch mit hörbar angezogenem Atem den Mund öffnete, um durch sein Kommando ein Lebenslicht auszulöschen, rollte sich Meister Kratzer auf dem Boden zusammen und rief mit kläglicher Stimme: "Halt, Pardon, ich will Euch alles bekennen... laßt mich am Leben!"

Die Umstehenden atmeten leicht auf, als wäre ihnen eine schwere Last vom Herzen genommen; aber der Wachtmeister sagte, seine Waffe senkend, mit hörbarem Spotte: "So... das ist verständig von Euch, Meister Kratzer; ich wußte wohl, daß Ihr von jeher ein kluger Mann waret und es auch diesmal nicht aufs äußerste würdet ankommen lassen. Aber jetzt vorwärts und keine weiteren Flausen mehr! Mein Gewehr könnt’ sonst auch ohne Kommando losgehen."

"Kommt nur mit", erwiderte der Turmwärter, sich mühsam aufrichtend; "ob Ihr geschossen hättet oder nicht, könnt Ihr später einmal einem anderen sagen, der Euch fragen wird."

"Seid darüber ruhig", sagte der Wachtmeister, der in den schielenden Blicken Meister Kratzers noch immer eine Tücke zu lesen glaubte, "ich hätte geschossen, und Ihr wäret ohne Euere verständige Überlegung jetzt schon auf der großen Reise begriffen. Drum macht jetzt schnell; wohin geht es?

"Da links durch den Gang."

Der Wachtmeister nahm den Turmwärter am Arm, und sie schritten, von den andern gefolgt, durch den Gang, bis sie an eine schmale, nur spärlich erhellte Wendeltreppe kamen, die in die Tiefe ging. Nachdem sie wohl an zwanzig Stufen hinuntergestiegen, blieb Meister Kratzer stehen, mit dem Fuße gegen einen großen Quaderstein stoßend, und im Augenblicke erhob sich ein Knarren und Surren, wie von einem schwer ineinandergreifenden Räderwerke herrührend. Die Mauer fing an sich zu bewegen, und die wohlgefügten Quadersteine auseinander zu weichen, bis sich ein dunkeldämmernder Raum auftat wie der Eingang eines großen Kellergewölbes.

"Ha, was ist das?" riefen der Wachtmeister und Belper-Fritz überrascht wie aus einem Munde; "in das Loch hinunter hast du den Hauptmann gebracht?"

"Das ist kein Loch", erwiderte Meister Kratzer mit schadenfrohem Schielen, "das ist der unterirdische Gang, der von hier weg zum Blutturm, zur "heimlichen Richte", drunten an der Aare hinabführt, und dahin ist der Judenbub mit Euerem Hauptmann gegangen, gerade im Augenblick, als Ihr draußen das kleine Tor einschluget."

X


 << zurück weiter >>