Otto Ernst
Asmus Sempers Jugendland
Otto Ernst

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XXXIV. Kapitel.

Warum Asmus die Biographie Ferdinand Lassalles schrieb, warum er nie der Erste werden konnte und warum er die Missionsreisen des Apostels Paulus noch einmal machte.

Dann aber kam gar ein Tag, da er mitdurfte in solch eine Versammlung! Es war keine »politische« Versammlung, es war »Lassalles Totenfeier«. Als der Knabe mit seinen Eltern und Geschwistern den langen, dämmerigen Saal betrat, stand er sogleich still, gebannt von einem Anblick am andern Ende des Saales. Die ganze Breite der gegenüberliegenden Wand war eingenommen von einem seltsamen Bilde. Es war ein transparentes Bild: ein schöner Mann mit einem Schnurrbart und in weißem Hemde lag in den Kissen eines Bettes, die Arme auf die Decke gelegt, die Augen geschlossen, ein Sterbender oder Toter. Das war Lassalle. Ueberall im Saale herrschte nur halbes Licht; Säulen und Decken waren mit Girlanden und Fahnen geschmückt; aber alles war mit Floren umwickelt. Hier und da hingen rechteckige Transparente, die in leuchtenden Lettern Kernsätze der neuen Lehre verkündeten. Auch eine weiße, von Lorbeer umschattete Büste stand auf dem Podium; aber Asmus mußte immer wieder nach dem toten Manne blicken, der nach seiner Meinung für die Armen gestorben war, und sein Herz war voll Mitleid, Trauer, Ehrfurcht, Dankbarkeit und Begeisterung. Dann begannen die Vorträge: Lieder, meistens schlecht gesungen, Gedichte, noch schlechter deklamiert, und Reden, und immer wieder Lieder, Gedichte und Reden, drei Festreden, jede mindestens eine Stunde lang; es währte bis über die Mitternacht hinaus. Immer öfter mußte »Ganz Deitschland« auf die Tribüne steigen und rufen: »Geährte Anwäsende! Ich mechte um Ruhe bitten!« aber sobald er unter allgemeinem Bravo das Podium verlassen hatte, hub der Lärm am Büffet wieder an. Dort hatten sich die meisten Männer versammelt, um Bier zu trinken und sich zu unterhalten; im eigentlichen Saal saßen fast nur noch Frauen und Kinder. Da – der ganze Saal war schon ein wogendes Meer von Tabaksqualm, Stimmengewirr und Bierdunst – da betrat ein hagerer, steifer Jüngling die Tribüne, und das war Heinrich Moldenhuber. War's möglich! Der Wolkenschieber, der jeden Tag bei ihnen in der Stube saß, dem er immer die Aepfel aus der Rocktasche geholt hatte, damals im »Düstern langen Balken« – der war auch einer von den großen Männern, die Reden halten konnten. Und er war gar nicht bange; er schob die Unterlippe vor, lächelte und begann zu reden. Asmus hörte genau zu; aber er verstand nur sehr wenig: Moldenhuber sprach nämlich um halb zwölf Uhr über Gervinus und dessen »Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts«, und am Büffet waren Unterhaltung und Bierverbrauch in stetiger Zunahme begriffen. Dann ging wieder »Ganz Deitschland« auf und mahnte zur Ruhe, und dann kamen wieder Lieder und Gedichte. Asmus blickte zuletzt durch all diesen Wirrwarr und Qualm und Lärm nur noch still nach dem stillen Mann auf dem Totenbette: das war das Schönste an diesem Abend. Dieses Bild folgte ihm in die Tage und Nächte, und endlich konnte er's nicht mehr in sich bewältigen und bergen; er nahm, da er kein anderes Papier hatte, seine Schulkladde her und schrieb dahinein nach seinem Gedächtnis mit zitternder Erregung das Leben und Sterben Ferdinand Lassalles.

Nun war aber Asmus in Dingen der Ordnung nie in seinem Leben ein Pedant gewesen, und so geschah es ein paar Monate nachher, daß er seine Kladde in der Schule vergaß und liegen ließ. Ein Mitschüler fand sie am andern Morgen und zeigte sie herum. Man fand die Lassalle-Biographie. Ungeheures Gaudium! Das mußte man Herrn Cremer zeigen, der von Zeit zu Zeit in seinen Religionsunterricht wuchtige Reden gegen ungläubige und demokratische Menschen verflocht!

Zu jener Zeit hatte der Sozialismus selbst unter der Arbeiterbevölkerung nur noch geringen Anhang, und besonders waren die Kinder noch von keiner Politik angesteckt.

Herr Cremer also nahm das Heft, las die begeisterte Monographie und steckte dann das Ganze in den Ofen. Gleich darauf trat Asmus ein. Er spürte sofort, daß die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse auf ihn gerichtet war, eine spitzige, lauernde, nicht eben liebevolle Aufmerksamkeit: stechende Augen und gespannte Mundwinkel. Aber es geschah etwas Unerhörtes: Herr Cremer erwähnte die ganze Angelegenheit mit keinem Worte, hielt seinen Unterricht wie immer und fragte Asmus Semper so oft und so freundlich wie je. Für diese bittere Enttäuschung mußten sie Entschädigung haben. Und schon in der nächsten Pause ging es los. Er hieß jetzt nicht mehr Trudel, sondern Lassalle. »Hurra, kiek, Lassalle mit'm Ueberzieher!« riefen sie. »Lassalle, halt mal 'ne Rede!« »Lassalle, bist du 'n Jud', Lassalle?« Freilich, so rohe Mißhandlungen wie ehemals hatte er nicht zu dulden; Herr Cremer hielt seine feste Hand schützend über jeden Schüler. Es waren feinere Qualen, die er litt. Er hatte das Gefühl, ein Einsamer, Gemiedener zu sein, wie ein schlechter Kerl von ihnen angesehen zu werden.

»Nehmt jo man in acht«, sagte ein Bauernsohn, »hee will allens deelen! Paßt man op joer Botterbrot! Min Vadder seggt: De Dezimalkroaten wüllt ni arbei'n, ober fix verdienen!« Am schwersten aber litt er, wenn Herr Cremer, wie er das von Zeit zu Zeit für seine Pflicht hielt, gegen die Ungläubigen, die Unzufriedenen und die Volksverführer sprach und sie verächtlich oder lächerlich machte. Dann wußte Asmus: Jetzt denken sie alle an dich, und ihre Blicke schlichen, wo es möglich war, zu ihm hin und verweilten schadenfroh auf seinem Gesichte, daß er nicht wußte, wohin mit seiner Scham. »He glövt ook nich an Gott«, sagten sie von ihm und ließen ihn allein stehen wie einen Aussätzigen.

Der gute Herr Cremer hatte für solche Kampf- und Streitreden eine ganz bestimmte Schlußformel. Wenn er mit schlagenden, gar nicht zu widerlegenden Gründen das Dasein Gottes oder die Notwendigkeit der Monarchie oder der bestehenden Gesellschaftsordnung bewiesen hatte, dann schloß er:

»Wissen denn das alles die Volksverführer nicht? – Wissen sie sehr gut! – Warum handeln sie denn nicht darnach? – Paßt ihnen nicht in ihren Kram.«

Und dann war die Sache erledigt.

Obwohl nun aber Herr Cremer ganz genau wußte, welch ein Geist im Hause des kleinen Semper geschäftig war und dieses Kind unverkennbar beeinflußte, so dauerte es doch nicht lange, bis Asmus auf der ersten Bank saß und der dritte in der Klasse war. Dann freilich hieß es: Bis hierher und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen. Höher konnte Asmus nun und nimmermehr steigen; die beiden über ihm waren nicht zu bewältigen.

Der Erste nämlich war ihm überlegen in der Ordnung und in der Religion. Der war immer tadellos angezogen, hatte tadellose Hefte, machte tadellose Striche, gab tadellose Antworten, war überhaupt tadellos und dabei doch ein guter Junge. Und von der Religion glaubte er alles, ohne Abzug. Herr Cremer mochte fordern, welches Dogma er wollte, Julius Tipp bekannte sich dazu. Asmus betrachtete ihn oft mit Staunen. Er dachte so oft: Auf diese Frage könnte man doch alles mögliche antworten; aber nein: Julius Tipp präsentierte Herrn Cremer genau die eine Antwort, die er wollte, und immer genau mit den Worten des Herrn Cremer. Wenn Herr Cremer fragte:

»Wissen denn das die Volksverführer nicht?« dann antwortete Julius:

»Wissen sie sehr gut.« und wenn Herr Cremer dann fragte:

»Warum handeln sie denn nicht danach?« dann sagte der Primus:

»Paßt ihnen nicht in ihren Kram.«

Der war nicht wegzubringen, das war klar. Der saß fest. Das war der primus omnium. Er ist auch später Stationsvorsteher geworden.

Und der Zweite war Asmussen überlegen im Rechnen und in der Sittlichkeit. Im Rechnen war es noch nicht so schlimm, da hätte ihn Asmus mit einiger Mühe vielleicht eingeholt; aber in der Sittlichkeit war es schlimm. Der secundus omnium besaß nämlich eine unglaubliche Geschicklichkeit darin, während des unmittelbarsten Unterrichts zu schwatzen und zu frühstücken. Er konnte unsichtbar kauen und schlucken, und wenn er seinem Nachbar Asmus etwas mitzuteilen hatte, dann wußte er mit Zähigkeit und Schlauheit den Augenblick abzupassen, da Herr Cremer nach einer anderen Richtung blickte. Asmus aber war viel zu temperamentvoll, um erst auf einen gleich günstigen Zeitpunkt zu warten; er antwortete frei von der Leber weg oder er steckte gerade eine Kirsche in den Mund, wenn ihn Herr Cremer nach den Funktionen des heiligen Geistes fragte, und dann rief Herr Cremer mit finsterem Adlerblick:

»Asmus Semper – hieher!!!«

Dann mußte Asmus herausklettern aus der Bank, sich neben dem Pult des Herzogs von Alba aufstellen und gegen die Wand blicken. In den mehr als tausend Religionsstunden, die Asmus zu den Füßen Cremers genoß, mußte er manche hundertmal neben dem Pulte stehen und gegen die Wand blicken. An der Wand aber hing eine große Karte von Europa, und die war seine Freundin. Auf dieser Karte war auch Kleinasien mit Palästina, und Asmus machte nun zunächst etwa einen Spaziergang ums Tote Meer. Er blickte langsam empor an dem schroffen Felsengestade, um dessen Wände das öde Grauen hing, und starrte hin über die Flut, die in schauriger Stille floß, wo Sodom und Gomorrha einst gelebt und gelärmt. Dann war er in Pniel, wo Jakob mit dem Herrn rang, bis er »hinkte an seiner Hüfte«. Dann in Kirjath Jearim, wo die Bundeslade aufbewahrt wurde. Dann in Sichar, wo Jesus mit einem Weibe am Brunnen saß. Dann in Nain – da hörte er ganz deutlich, wie Christus zu der Witwe, deren einziger Sohn gestorben war, herantrat und sprach: »Weine nicht«. Wenn er das sagte, dann weinte man nicht mehr. Dann kam Asmus nach Kana in Galiläa, wo eine Hochzeit war und der Herr fröhlich und menschlich unter den Menschen saß und lächelte zu ihrer Freude. Es war auch ein Plan von Jerusalem auf der Karte, und Asmus verweilte mit bangem Blick auf dem Berg des Aergernisses und dem Berg des bösen Rates, dann aber eilte er hinauf an den von ewiger Freude umgrünten See von Tiberias und zum Berg der Seligkeiten, der lächelnd in ihn hinabschaute. Und von Antiochien machte Asmus sich auf und ging mit Saul von Tarsus auf die Reise und machte mit ihm drei große Missionsreisen, lange, weite Reisen durch Sonnenbrand und Staub, durch Einsamkeit und Not, durch Leiden und Verfolgung, und doch Reisen durch lauter Licht. Alles ein einziger Gang nach Emmaus, breite Sonne auf Weg und Höhen, geheimes Himmelslicht im Herzen. Es war dem kleinen Semper, als wäre eine große, köstliche Festlichkeit in dieser ganzen Frühzeit des Christentums. Sie glaubten alles, was sie lehrten und wofür sie starben; sie waren ganz mit sich eins, und wo das ist, da ist Allgegenwart des Lichtes, Allgegenwart Gottes. Licht und Freude ist überall in diesen Jahrhunderten der Kindheit: in den Krypten der geheimen Gemeinden wie in Kerkern und Arenen, auch im Martyrium und im Tode. »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!« – das klang durch die Jahrhunderte unter Domitian bis Diokletian. Nicht schrecklich und grauenvoll erschienen ihm die Christenverfolgungen; er sah nur auf der Stirn der Märtyrer den Glanz des Morgenlichtes, dem die Seligen entgegenstarben. Auch Asmus Semper war bereit zu sterben; für seinen Vater wollte er sterben. Er wünschte, es möchte doch eines Tages heißen: »Du mußt sterben oder dein Vater!« Dann wollte Asmus sagen: »Ich will sterben; laßt meinen Vater leben.« Einstweilen aber zog er noch mit Paulus gen Paphos und Ikonia, gen Lystra und Derbe, gen Thessalonich und Ephesus. Er sah den Aufruhr sich durch die Straßen wälzen, den der Goldschmied erregt hatte, und hörte die Menge schreien: »Groß ist die Diana der Epheser!« – und plötzlich hörte er eine Stimme aus dem Haufen fragen:

»Welches sind also die fünf Stücke der christlichen Heilsordnung, Asmus Semper?«

Es war Herr Cremer, der ihn aus Ephesus abberief. Aber Asmus konnte nicht antworten; er konnte nicht so schnell zurückkommen; da zog ihn denn Herr Cremer an einem Ohr von Ephesus nach Oldensund und rief:

»Paßt du noch immer nicht auf, du Schlingel?« und gab ihm eine Maulschelle wegen seiner mangelhaften Religion. Und doch war es alles Religion gewesen, was er soeben in Syrien und Kleinasien, in Mazedonien und Hellas getrieben hatte: lautere, klare Religion, nur freilich eine andere als Herr Cremer lehrte. Die Religion liebte er nicht, die glaubte er nicht, für die konnte er nicht sterben, nein.

Er hatte den religiösen Lehren des Herrn Cremer lange genug und scharf genug zugehört. Er wußte, daß die zu Hause von dem, was sein Lehrer vortrug, entweder wenig oder gar nichts glaubten; er hatte eine Menge von radikal-rationalistischen Ideen und Worten in sich aufgenommen, ja viele von den Arbeitern seines Vaters hatten alle Religion als Unsinn und Pfaffenbetrug bezeichnet. Aber er hatte trotz alledem mit horchender Seele zugehört; sein ganzes Wesen hatte sich darauf gespannt, hier, von diesem vortrefflichen Manne die Wahrheit und das Rechte zu hören. Und Herr Cremer war ein ausgezeichneter, lebendiger Lehrer, der das Menschenmögliche tat, die Knochen der Dogmatik mit Fleisch zu umkleiden. Und Asmus horchte und horchte, straffte seine Stirnhaut und drängte alle seine Aufmerksamkeit nach vorn, als wenn das Gehirn zu den Augen hinaussollte – aber er verstand Herrn Cremer nicht. Merkwürdig: Julius Tipp, der Erste, schien ihn zu verstehen, Ewald Knapp, der Zweite, auch, und noch viele, viele andere, die weit dümmer waren als er. Er hatte immer das Gefühl: Er muß gar nicht das sagen, was er sagt, er könnte auch irgend etwas anderes sagen. Wenn Herr Cremer etwas bewies, dann dachte Asmus: mit diesen Worten könnte er alles andere auch beweisen; es war ihm überhaupt, Herr Cremer spräche dann nur irgend etwas Beliebiges – so wenig verstand er ihn, so wenig überzeugte ihn der treue, ehrliche, kluge Herr Cremer. Daß Gott eins sei und auch wieder drei und auch wieder eins, das verstand Asmus nicht. Daß Jesus Mensch sei und doch auch nicht Mensch, Gott und auch nicht Gott – er verstand es nicht. Daß man aus Liebe für die Menschen sterben könne – ja, das begriff er, das hatte er im Tiefsten seines Herzens gefühlt, als der armselige Herr Rösing das Leiden Christi vorlas; aber daß durch diesen Tod die Menschheit erlöst sei, daß um dieses Leidens willen anderen ihre Sünden vergeben wurden – das verstand er nicht, da mochte Herr Cremer reden, so lange er wollte. O, Asmus Semper kannte sie alle sehr wohl, die Antworten, die der Lehrer erwartete und die Julius Tipp und die andern ihm gaben; er wußte sehr wohl, daß er, wenn Herr Cremer fragte:

»Warum ist Christus zur Hölle niedergefahren?«, zu antworten hatte:

»Um den Seelen der Ungetauften das Evangelium zu bringen und dem Teufel die Macht zu nehmen; aber Asmus antwortete nicht. Er hatte die ganze Katechismuslehre am Schnürchen; aber er antwortete nicht. Denn er dachte bei sich: »Wenn ich ihm das antworte, dann meint er, ich glaube daran«, und dieser Gedanke war ihm unsäglich widerwärtig. Er hatte den Lehrer zu lieb, um ihn zu betrügen; er war aber auch zu stolz, zu hartköpfig dazu, etwas zu sagen, was er nicht glaubte, ja, was er wegen der Aufdringlichkeit, mit der es ihm immer wieder vorgerückt und aufgenötigt wurde, haßte. Einmal im Jahre kam der Schulinspektor, ein Pastor, und prüfte vierzig Minuten in der Dogmatik und fünf Minuten in den Wissenschaften. Asmus antwortete nicht. Einmal kam sogar der Generalsuperintendent der Provinz, ein Patriarch, dessen rundes Gesicht ein Präsentierbrett voll himmlischer Süßigkeiten war – aber Asmus antwortete nicht. Er wollte lieber für dogmendumm, faul oder unaufmerksam gelten, als Antworten geben, die ihm Bekenntnisse schienen.

Hin und wieder mußte er auch beten; denn das Beten zu Anfang und am Schlusse des Unterrichts ging reihum. Hundert und hundert Mal dachte Asmus: Du willst ihm sagen: Bitte, lassen Sie jemand anders beten, ich kann nicht beten, ich mag nicht beten, ich glaube ja gar nicht daran. Das waren ihm schreckliche, qualvolle Minuten, wenn er den Kopf neigen, die Hände falten und so tun mußte, als wenn er fromm wäre; er kam sich dann sehr schlecht und feige und verlogen vor; aber er wagte doch nicht, sich zu weigern. Denn er hatte eine dunkle Furcht, als wenn dann ein großer Zusammenbruch kommen, als wenn er dann die Zuneigung seines Lehrers für immer verlieren und sein Leben in der Schule unerträglich werden müßte. Und dennoch betete er zuweilen. Er ging dann wieder in ein Zimmer ganz mit sich allein, faltete die Hände und sprach:

»Lieber Gott, sag' mir nur ein einziges Mal, ob du wirklich da bist, – gib mir ein Zeichen, dann will ich auch ganz gewiß an dich glauben, mein ganzes Leben lang –«, aber es kam kein Zeichen. So blieb ihm denn jede Religionsstunde ein anderthalbstündiges Leiden, bei dem er sich auch körperlich unwohl fühlte, es sei denn, daß ihn eine wohltätige Unaufmerksamkeit überfiel oder daß er sich plötzlich mit inniger Freude erinnerte, diesen Morgen Butter auf dem Brote oder gar ein paar Pflaumen in der Tasche zu haben. Dann begann er behutsam zu frühstücken; aber dann hieß es gewöhnlich schon nach dem ersten Bissen:

»Asmus Semper, hieher!!!« und dann machte er wieder Missionsreisen und wurde am Oelberg oder am See Genezareth wieder ein Christ.


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