Otto Ernst
Asmus Sempers Jugendland
Otto Ernst

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XIII. Kapitel.

Asmus bekommt ein Rittergut und der Seefahrer ladet einen eleganten Passagier aus.

Wie der Wolkenschieber immer etwas mitbrachte, so hatte er auch diesmal etwas mitgebracht: ein neues Ideal. Heinrich der Seefahrer wollte jetzt wirklich ein Seemann werden. Die Tropen befahren – den brasilianischen Urwald sehen – das Gangesdelta – ha! Oder im Polareis überwintern und Eisbären jagen – ha! Er hatte in der letzten Zeit ein paar große Reisen gemacht: das Buch sein Fahrzeug, die Blätter darin seine Segel, die Phantasie sein Meer! Und so betrachtete er den Beruf des Seemanns vorwiegend vom Standpunkte des Entdeckungs- und Vergnügungsreisenden. Seine Gründe hatten für Johannes etwas unbedingt Ueberzeugendes, und vorbehaltlich der elterlichen Zustimmung, die man bald zu erlangen hoffte, wurde beschlossen, bei nächster Gelegenheit anzuheuern und als Schiffsjungen in See zu stechen. Der Zufall wollte es, daß Johannes Semper um diese Zeit herum einmal eine Segelfahrt mitmachte, bei der es auf der einen Seite des Fahrzeugs immer hoch herging und bei der ihm so schwermütig und erleichterungssehnsüchtig ums Herz wurde, und daß Heinrich Moldenhuber in der Zeitung eine Gerichtsverhandlung fand, aus welcher ersichtlich wurde, wie man auf einem Segelschiff einen Schiffsjungen durch barbarische Behandlung in den Tod getrieben hatte, und was so im allgemeinen die Arbeit, der Tageslauf und das Leben eines Schiffsjungen sei. Es soll nicht behauptet werden, daß der Seefahrermut der beiden Jünglinge vor diesen Erfahrungen erblichen wäre; aber ihr Ideal erfuhr etwas, was man als Abkühlung bezeichnen kann, und siebzehn, achtzehnjährige Jugend ist so reich an feurigen Idealen, daß sie sich mit einem abgekühlten nicht 24 Stunden lang herumschleppt.

Ja, der Wolkenschieber brachte immer etwas mit; aber zum diesmaligen Weihnachtsfeste brachte er den Sempers etwas ganz Besonderes ins Haus. Das Fest hatte sich sonst nicht besonders huldvoll bewiesen; Ludwig Semper hatte zwar wieder Arbeit gefunden, aber sie war nicht eben lohnend; es war freilich ein Bäumchen mit ein paar goldenen Nüssen entzündet worden; aber es stand auf dem schmalen Tischchen, das man gegen die Wand stellen mußte, damit es nicht umfalle. Um die Geschenke war es vollends nicht glänzend bestellt, und Asmus hätte sich mit einer Lebensgeschichte Garibaldis, die er schrecklich langweilig fand, begnügen müssen, wenn nicht eine Nachbarsfrau, die mit Spielwaren hausierte, ein Rittergut unverkauft im Korbe behalten und dieses schöne Besitztum mit modernen Gebäuden und Stallungen, großem Viehstand, fünf Leibeigenen und so viel Acker und Weideland, wie man sich denken wollte, für sechs Schillinge dem Ludwig Semper überlassen hätte. Für die sechs Schillinge und den Preis des Tannenbaumes hätte Ludwig Semper den wackligen Tisch reparieren lassen können; aber das war ein sittlicher Defekt dieses Mannes und aller derer, die von seinem Geiste angeweht waren, daß sie nämlich auch im Mangel und in der Not den Schmuck des Lebens nicht entbehren wollten. Sie forderten Brot vom Schicksal; aber sie forderten auch Poesie von ihm, und wenn es die nicht gewähren wollte, dann mochte es auch sein Brot behalten.

Das Rittergut war so groß, daß es am heiligen Abend die Herzen der ganzen Semperschaft ernährte; alle spielten sie mit, alle freuten sich, wenn die Hühner auf die Nase fielen, als wenn sie picken wollten, alle lachten über den Gutsherrn, dessen Kopf einem großen Mehlkloß glich, in dem die Nase und die Augen wie große Rosinen steckten. Wenn das Ganze aufgestellt war, nahm es den ganzen Tisch ein und sah wirklich aus wie ein Erdenwinkel voll farbigen Glücks und sonnigen Behagens. »Beatus ille« rezitierte Ludwig Semper:

»Beatus ille, qui procul negotiis
Ut prisca gens mortalium
Paterna rura bobus exercet suis
Solutus omni fenore!«

»Was heißt das?« fragte Asmus begierig, und der Vater übersetzte es ihm in die Sprache der Kinder und in die Sprache seiner eigenen Jugend.

Auch wurde an diesem Abend ein wenig Punsch gemacht; Asmus durfte einen kleinen Schluck nippen, Alfred durfte einen großen Schluck nippen; Johannes bekam ein ganzes Glas für sich. Der, der auch ein ganzes Glas bekommen hätte: Leonhard, er war nicht da.

Aber den größten Weihnachtstrumpf, wie gesagt, den spielte doch am Nachmittag des ersten Weihnachtstages der Wolkenschieber aus. Die ganze Familie war versammelt; auch die Mädchen waren da: die immer lachende Marianne, die von zehn zu zehn Minuten vor Vergnügen kreischte, und die etwas schnippische Adelheid, die partout keinen Mann haben wollte. Auch der durch Erbgut glänzende Adalbert war leiblich und geistig zugegen; er lag in der Wiege, ließ die Augen aufmerksam umhergehen, und sagte nichts, weil er am Kopfe eines hölzernen Elefanten lutschte, und Reinhold begleitete das Ganze auf einer Trommel.

Da tat sich plötzlich die Tür auf – und herein fuhr der Segler und führte an der Steuerbordseite einen hübschen, so zu sagen eleganten jungen Herrn mit sich, und der elegante junge Herr war Leonhard Semper.

Leonhard Semper hatte Karriere gemacht. Begabt, wie er in tausend Dingen war, hatte er es im Cigarrenmachen zu einer gewissen künstlerischen Höhe gebracht. Er hatte es im Gefühl der Hand, die Cigarre nicht um ein halbes Gramm schwerer oder leichter zu machen, als sie sein sollte, und er konnte ihr eine Spitze drehen, daß sie aussah, wie von der Bank des Drechslers gekommen. Er konnte die feinste Arbeit machen, war deshalb gesucht und verdiente in mancher Woche, wenn er nicht einen oder zwei oder drei Tage »blau machte«, dreißig Kurantmark und mehr. Nun war in Leonhard ein ehrgeiziger Plan erwacht: er wollte einmal elegant auftreten! Er kaufte sich also einen Cylinder, einen ganz modernen, kokett geschwungenen Cylinder, dann ließ er sich ein Paar Stiefel anmessen, die seinem kleinen Fuß wie angegossen saßen, dann bestellte er einen schwarzen Anzug mit einer weißen Piquetweste, dazu ein gesticktes Oberhemd mit weit ausgeschnittenem Kragen und Manschetten, die so modern waren, daß sie über die ganze Hand fielen. Dazu kam dann noch ein Regenschirm, den man so knapp aufwickeln konnte, daß er beinahe so schlank wurde wie ein Stoßdegen, und der Elegant war fertig. Er sah gar nicht mehr aus wie ein Cigarrenmacher, sondern wie ein lyrischer Tenor aus Magdeburg oder Posen, und so erschien er nun im Holstenloch.

Mutter Rebekka hatte auf den verlorenen Sohn am heftigsten und häufigsten gescholten; aber so wie sie ihn sah, schmolz ihr Herz in einem Strom von Zärtlichkeit dahin. Sie küßte ihn, klopfte ihm die Wangen und betastete mit scheuer Bewunderung den Cylinder und die Piquetweste. Vater Ludwig war wohl freundlich und ließ kein bitteres Wort vernehmen; aber die Brücke zwischen seinem gütigen Herzen und dem seines Sohnes war in der Mitte durchgebrochen, und ob auch von beiden Seiten schüchtern daran gearbeitet wurde, sie wurde doch nicht wieder ganz.

Das mußte man dem Leonhard lassen, er blieb während des ganzen Besuches in der Rolle des Grandseigneurs. Er schenkte Asmus zwei Schillinge und Alfred vier, und er lud seine Schwestern, seinen Bruder Johannes und den Wolkenschieber ein, mit ihm nach Hamburg ins Konzert zu gehen; er bezahle alles. Das wurde mit Jubel angenommen; als er aber auch die Eltern einlud, winkte Ludwig Semper lächelnd ab und Frau Rebekka desgleichen. Sie dachten wohl beide gleichzeitig an ihren Garderobenvorrat, der sich in festlicher Umgebung nicht sehen lassen konnte; aber die Entsagung wurde ihnen nicht schwer. Sechs glückliche Kinder – mehr verlangten sie von einem Tage wahrhaftig nicht!

»Ja, dann müssen wir wohl gehen«, sagte Leonhard und zog die Uhr.

»Er hat eine Uhr, er hat eine Uhr!« schrie Asmus, und nun versammelten sich alle Geschwister, die Mutter und der Wolkenschieber um den reichen Gast, um das Wunder aus glänzendem Tombak anzustaunen. Er mußte es öffnen, mußte Asmus den Schlag hören lassen und ihm zeigen, wie es mit dem Schlüssel aufgezogen werde. Endlich machte sich die junge Schar unter munterem Lärm auf den Weg; die Alten sahen ihnen lange nach, und Alfred und Asmus dachten an die unermeßlichen Seligkeiten, denen die Glücklichen nun entgegengingen. Frau Rebekka aber hatte ihren ältesten Sohn zuvor noch auf die Seite genommen und ihn gebeten, doch recht oft wiederzukommen und doch ja immer ordentlich, solide und fleißig zu sein. Leonhard hatte alles versprochen, als wären es Kleinigkeiten, und sich dann aufatmend den andern angeschlossen.

»Er ist doch 'n seelensguter Junge«, sagte sie zu ihrem Manne. »Er gibt noch immer gern ab.«

»Hm«, sagte Ludwig.

»Er ist ja leichtsinnig«, sagte die Mutter; »aber sein Herz ist so gut!«

»Ja, ja – hm«, sagte Ludwig.


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