Otto Ernst
Asmus Sempers Jugendland
Otto Ernst

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III. Kapitel.

Wie es nach Hafersuppe roch und die weißen Soldaten kamen und Asmus in Leonhards Cylinder promovierte und auf Erden nichts als Licht war.

Noch im »Kurzen Elend« war es, wie Asmus eines Morgens mit Verwunderung bemerkte, daß nicht seine Mutter, sondern sein Vater ihn auf den Schoß nahm und ihm die Stiefelchen anzog. Im ganzen Hause roch es nach Hafersuppe. Es währte auch nicht lange, da erklärte ihm sein Vater, daß er wieder einen kleinen Bruder bekommen habe. Von nun an, wenn es im Hause nach Hafersuppe roch, dachte Asmus: »Aha!«

»Wo ist Mutter denn?« fragte Asmus.

»Mutter liegt zu Bett.«

»Warum?«

»Der Storch hat sie ins Bein gebissen.« Asmus schwieg einen Augenblick. Dann sprach er: »Wenn der Storch uns jetzt wieder 'n Bruder bringt, dann soll er Mutter aber nicht ins Bein beißen.«

Ludwig Semper sagte nichts. Er dachte nach über das Kunststück, den Lohn für die Wärterin und Hebamme zusammenzubringen.

»Darf ich den kleinen Bruder mal sehen?« fragte Asmus.

Er wurde in das wunderbare Zimmer geführt. Die Mutter lächelte ihn besonders zärtlich an, weil sie sich nun wohl acht Tage lang nicht um ihn kümmern konnte, und hob die Bettdecke von einem warmen Wickelpüppchen, das wunderliche Gesichter schnitt.

»O, er hat schon Finger!« rief Asmus begeistert.

Das alles geschah ungefähr um die Zeit, als eines Morgens von der Stelle her, wo mittags immer die Sonne stand, ein wunderherrliches Klingen kam. Kaum war die erste Flocke dieses Klingens in das Sempersche Haus geweht, als auch schon Asmus vor der Tür stand. Denn einem schönen Klange war er folgsamer als den Eltern. Und das Klingen wurde immer heller und größer, und als es endlich um die Ecke kam, da war's ein weißes, goldnes, silbernes, ein herrlich funkelnd Klingen.

»Die Oestreicher kommen!« schrie Asmus ins Haus, und dann war er wieder draußen. Oesterreicher, das wußte er schon, sind weiße Soldaten. Die Oesterreicher zogen damals fort aus Schleswig-Holstein. Sie waren sehr vergnügt dabei und spielten den Marsch:

»Schön ist mein Madl; aber Geld hat sie nit;
Was tu' ich mit dem Gelde, wenn sie mich nur liebt!«

und bei »Schön« und »Geld« und »tu« und »sie« machte die große Trommel, die so groß war, daß man sieben Asmusse aufrecht darin hätte verpacken können, »bumm – bumm – bumm – bumm!«

Es waren viele, viele Soldaten; aber schließlich kamen doch die letzten, und die Musik klang so fern, daß Asmus den Kopf auf die Seite neigte und doch nicht hören konnte, ob sie noch klinge oder nicht, und dann war alles vorbei und die tausend Soldaten waren nur noch eine weiße, goldne, klingende Erinnerung.

Dann ging er wieder ins Haus und an die Arbeit. Ein Tischler hatte es Asmus angetan, und darum hatte er das Tischlerhandwerk ergriffen. Er saß auf dem Fußboden und hatte einen alten Schemel vor sich, und in diesen Schemel schlug er mit einem Hammer seit vielen Tage alle Nägel hinein, deren er habhaft werden konnte. Wenn einer sich krümmte und nicht hinein wollte, dann rief er: »Nale patzig!« was so viel bedeuten sollte wie »der Nagel ist widerspenstig und aufsässig.« Eines Tages aber fiel Asmus Semper bei seiner Arbeit um, obwohl er doch auf dem Boden saß. Er verfiel in Zuckungen, und als er wieder erwachte, da hörte er, wie seine Eltern immer wieder das Wort »Krämpfe« sagten. Sein Vater lachte gar nicht mehr, und seine Mutter war sehr lieb mit ihm. Und dann kam mit einem Mal ein Mann, den nannten sie immer »Doktor Krause«. Der nahm den ausgezogenen Asmus auf die Knie, faßte seine Hand an, setzte ihm ein Blasrohr auf die Brust und auf den Rücken, sprach etwas mit einer trocknen, schnarrenden Stimme, schrieb etwas auf und ging. Die »Krämpfe« kamen immer wieder, und eigentlich waren sie etwas sehr Schönes. Denn weil er Krämpfe hatte, bekam Asmus immer in einem Teelöffel etwas ganz wundervoll Süßes, und hinterher gab es Selterswasser. Das schmeckte nicht gerade schön, aber unterhaltend. Es sprang wie wild im Glase umher, und wenn man davon trank, dann tanzte es auf der Zunge noch immer weiter. Aber freilich: das Beste an den Krämpfen war der Doktor Krause. Der trug immer den Kopf im Nacken und guckte in den Himmel. Auf dem Kopfe hatte er einen Hut, der war so schwarz und lang und rund wie ein Ofenrohr, nur daß ein Ofenrohr nicht so rauh ist. Auf dem Rücken hielt er einen Spazierstock, und auf die Krücke dieses Stockes legte er seinen Kopf. Das war der Mann, der die Krankheiten wegmachte, und nun war Asmussens Entschluß gefaßt: er wollte Doktor Krause werden.

Den Stock, der dazu gehörte, fand er bald; in den Himmel gucken, das konnte er auch; aber der Cylinder, der Cylinder! Asmus bat seinen Vater, ihm einen Cylinder zu kaufen; aber so leichtsinnig Ludwig Semper auch war, so weit ging doch seine Freigebigkeit und übrigens auch seine Kasse nicht. Der junge Semper mußte also mit einem gedachten Cylinder promovieren, und es ging vorzüglich. Wenn die Nachbarn an goldnen Sommertagen vor der Tür standen, trat Asmus genau in Haltung und Gang des Doktor Krause an sie heran und sagte mit der Stimme des Doktors, die er in seiner kindlichen Stimmlage überraschend nachahmte: »Guten Tag. Ich bin Doktor Krause. Haben Sie Leibschmerzen?« und bald erwarb er sich eine ausgedehnte Praxis mit auskömmlichen Honoraren an Aepfeln, Bonbons und Pfeffernüssen. Sein einträglichster Patient aber war ein junges schönes Mädchen; denn das empfing ihn stets mit einem Lächeln, das ihm tief ins Herz drang. Er wußte nicht, daß Frauenlächeln anders ist als Manneslächeln; aber er fühlte es, und sie war seine erste Liebe. Fräulein Johanna pflegte den kleinen Arzt auf den Arm zu nehmen und ihn zu küssen, obwohl er für seine Verhältnisse einen etwas zu großen Kopf und obendrein ein wenig Excelsiornase hatte. Es muß bei dieser Gelegenheit auch gesagt werden, daß der alte Semper, obwohl er hübschere Kinder hatte als den Asmus und obwohl er allen seinen Kindern ein milder Patriarch war, dennoch den Asmus so entschieden verzog, daß es der Junge selbst merkte. Das vierjährige kleine Herz des Knaben erwiderte diese Zuneigung mit einer fast feurigen Dankbarkeit. Es mußte vom Uranfang her zwischen diesen beiden Menschen eine Gemeinschaft bestehen, die noch stärker ist als das Blut und die nur höhere Geister kennen.

Wenn er aber von seinen Eltern und besonders von seinem Vater absah, der ja wie der liebe Gott war, dann gab es für Asmus nichts Schöneres auf der Welt als das schöne junge Mädchen, die große Roßkastanie vor dem Elternhause und den Dorfteich, wenn er zwischen den alten Weidenstämmen hindurchlugte. Das Häßlichste und Schrecklichste auf der Welt aber waren Kunigunde von Turneck und Rudenz. Das waren Ueberreste eines vergangenen Puppentheaters, die über dem Arbeitstische des Vaters an der Wand hingen. Es waren Figuren mit schändlich verschmierten Gesichtern und niederträchtigen Federhüten. Kleine Kinder entsetzen sich vor allem, was an der Erscheinung eines Menschen grotesk und tierisch aussieht; darum schreien sie, wenn Männer mit großen Bärten oder Frauen mit Federhüten sie auf den Arm nehmen wollen. Ludwig Semper brauchte nur eines dieser indianisch geschmückten Malefizgesichter vom Haken zu nehmen, und Asmus betrug sich so gesittet, wie man nur wünschen konnte. Er konnt' es später in der Schule den Römern so gut nachempfinden, daß sie sich vor den tierkopfgeschmückten Germanen entsetzten.

Rudenz und Kunigunde wirkten wie Teufel und Gespenster und viel stärker als der Kochlöffel und die Feuerzange der Mutter. Frau Rebekka Semper war rasch zum Zorn; sie erklärte dies nach einer unsicheren Physiologie damit, daß bei kleinen Menschen das Blut schneller in den Kopf steige als bei langen. Und wenn ihr Blut wieder einmal oben war, dann schlug sie mit dem, was sie gerade in der Hand hatte, und sie schlug nicht nach dem Grade des Verbrechens, sondern nach dem ihres Blutes. Da gab es für Asmus zuweilen Zeiten, trübe, bange Zeiten, da er seine Mutter nicht lieben konnte. Kinder haben das feinste Gerechtigkeitsgefühl; sie lieben auch den strengsten Zuchtmeister, wenn er gerecht ist.

Wenn man das Glück nur erwarten kann, so kommt es auch, und so kam denn auch für Asmus der Tag, da er als Doktor Krause in einem wirklichen und wahrhaftigen Cylinderhut ordinieren durfte. Freilich mußte er seine Praxis auf das Haus beschränken; denn der herrliche Hut war für vier Schillinge vom Hutmacher geliehen und mußte geschont werden. Zu jener Zeit konnte man den in der Taufe mit Gott geschlossenen Bund nur in Cylinder und Gehrock befestigen. Asmus riß vor Staunen und Ehrfurcht Mund und Augen auf, als sein ältester Bruder, ein kleiner, zarter und hübscher Bursche, in solcher Gewandung in die Tür trat. Leonhard, das Sorgenkind der Familie Semper, war konfirmiert worden. Außer dem blanken Hute und der Gestalt des Bruders blieb von diesem Tage nichts in Asmussens Erinnerung haften; das Fest war offenbar aus allgemeinem Vermögensmangel nicht gefeiert worden, nicht durch Rosinenreis, nicht durch Käse und Grog. An einem andern Tage aber muß in dem kleinen Mittelhause des »Kurzen Elends« Springflut gewesen sein. Wochen hindurch hatte der kleine Semper ein Wort durch alle Räume klingen hören, mit dem er unzwingbare Dämmerreste einer Vorstellung vergeblich zu verbinden strebte und das ihn doch mit wundersamer Hoffnung und feierlichem Entzücken rührte. Die Geschwister taten heimlich gegen ihn und gegen einander; Ludwig der Vater sah seinen Asmus noch öfter als sonst mit lächelndem Schweigen an und glänzte dann mit seinen Sonnenaugen durchs Fenster in die Ferne hinaus; Mutter Rebekka blickte ihrem Zweitjüngsten mit vielversprechendem Zwinkern in die unschuldoffenen Augen, und eines Abends stand sie gar am Herde und buk, als wenn Feuer und Fett nichts kosteten, einen Kirchturm von Apfelkuchen. All' ihr Blut war wieder oben im Kopfe; aber es tat nichts. Und wie noch die Geschwister miteinander plauderten und das eine von ihnen gerade sang:

»Vom Himmel hoch, da komm' ich her –«

da ging ganz von selbst eine Tür auf und dann – dann war auf Erden nichts als Licht. Noch in späten Jahren, wenn Asmus Semper in die Vergangenheit zurückblickte, war dieser Weihnachtsabend nur ein einsames, strahlenumkränztes Licht, das aus der Dämmerung eines tiefverlorenen, tiefvergessenen Tales emporschimmerte.

Im »Kurzen Elend« wohnte man zu ebener Erde; die Roßkastanie streckte ihre Kerzen zum Fenster herein; von der Kastanie bis zu den Weiden des Dorfteiches konnte eine Ente mit drei und einem halben Flügelschlage flattern, und mit dem blinkenden Bande des Teiches war dann die Welt des Asmus Semper zugebunden. Nur wenn er sich bückte und unter den tiefen Kronen der Weiden hindurchsah, dann lag jenseits der Welt noch das Strohdachhaus des Herrn Schnede – dann war's ganz aus.

Und eines Morgens war die ganze Welt wie Rauch verflogen; Asmus stand irgendwo hoch oben, und seine Augen gingen immer weiter, immer weiter über endlose Wiesen und durch endlose Himmelsbläue; sie wandelten in einem Paradiese des Raumes, wo sie rot und weiße Wolkenschmetterlinge fangen konnten, ohne je ans Ende zu gelangen. Sempers waren wieder umgezogen, und nun wohnten sie im »Düstern langen Balken«.


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