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XL.

Bisher war es Asbjörn Krag gelungen, die dunklen Angelegenheiten Nelsons ans Licht zu bringen, so daß er verhaftet werden konnte; nun hieß es noch das Verschwinden des ganzen Komplotts in Paris aufzudecken. Das sollte zwar noch etwas dauern.

Als Asbjörn Krag in Paris von einem Hotel zum andern wanderte, hatte er das beklemmende Gefühl, nicht recht zu wissen, wo er die Schuldigen suchen sollte; denn daß alle drei unter einer Decke spielten, davon war er überzeugt. Einige Zeit glaubte er, daß jeder nach einer anderen Richtung gereist sei, um später zusammenzutreffen; darum wußte er nicht recht, wem er folgen sollte. Mittlerweile wurde ihm aber die Gewißheit, daß Sir Cyrus derjenige war, für den er sich ausgab. Dann richtete er sein Augenmerk auf Nelson, um möglicherweise sein Versteck ausfindig zu machen; aber Nelson war und blieb verschwunden, wie eine Nadel in einem Fuder Heu. Vorläufig ließ sich in der Sache gar nichts unternehmen.

Dann und wann beschäftigten sich seine Gedanken aber doch mit dieser Angelegenheit, ja, er hatte das bestimmte Gefühl, daß ihm die Lösung dieses Rätsels früher oder später doch gelingen würde.

Da kam der Zufall ihm zu Hilfe, und zwar so, daß auch er bei der Lösung eine Rolle zu spielen bekam.

Es mag hier festgestellt werden, daß Nelsons Name in den norwegischen Gerichtsprotokollen tatsächlich vorkommt; Sir Cyrus' Name und der seiner Gattin sind jedoch fingiert und decken den berühmten Namen eines Forschers.

Zu den drei schon bekannten Hauptpersonen tritt nun noch die Erscheinung des jungen Herbert, Sir Cyrus' Sohn.

Als die aufsehenerregende Gerichtsverhandlung, worin seine Eltern eine so peinliche Rolle spielten, in Kristiania stattfand, war der junge Mann erst fünfzehn Jahre alt. Nun, da das Drama seinem endlichen Abschluß entgegengeht, ist er zwanzig Jahre alt, und seit kurzem als Attaché im britischen Ministerium des Aeußeren angestellt. Fünf Jahre sind also vergangen, seitdem Asbjörn Krag von Nelson nichts mehr gesehen noch gehört hatte. Da geschah es, daß er, als er an einem dämmrigen Augustabend am Grand Hotel in Ostende vorüberging, mit Lizzie Holmes zusammentraf.

Er erkannte sie sofort; aber er erschrak über ihr verändertes Aussehen. In dieser verhältnismäßig kurzen Zeit war sie auffallend gealtert; ihre Erscheinung, die früher ganz ladylike gewesen war, hatte nun etwas Degradiertes an sich. Wohl besaß sie noch das Auftreten einer Dame von Welt; aber ihr Gesicht, ihre Kleidung, die Schmucksachen, die sie trug, zeugten von Katastrophe und Ruin. Der Detektiv folgte ihr unbemerkt in ein Restaurant, wo sie an einem abseitsstehenden Tisch ihr Diner einnahm. Er setzte sich so, daß ihr Gesicht ihm zugewandt war.

Trotzdem die verheerende Wirkung der Zeit auf dem Gesicht Spuren hinterlassen hatte, war es dennoch schön zu nennen. Ihre Augen aber hatten jenen unheimlichen Glanz, dem man so oft am Spieltisch begegnet, und den Morphinisten oder solche Menschen haben, die durch betäubende Mittel Elend und Unglück zu vergessen suchen. Sie war der Typ jener älteren Damen, die von Badeort zu Badeort reisen, teils um ihren Unterhalt durch Spielen zu gewinnen, teils um in einer Welt zu leben, der sie im Grunde nicht mehr zugehören.

Gegen Ende der Mahlzeit sah sie öfter nach der Uhr über dem Büfett. Die Uhr war fast neun. Um diese Zeit wurden die Spielsäle gewöhnlich geöffnet. Krag wußte nun, wo sie anzutreffen war. Er stand auf und ging an ihrem Tisch vorüber; im Vorbeigehen grüßte er. Sie stutzte und schien nachzudenken, wo sie ihn früher gesehen hätte. Plötzlich erblaßte sie und starrte hinter Krag her, der im Palmengarten sich ihren Blicken entzog.

Dieses Zusammentreffen sollte für Krag jedoch nicht die einzige Ueberraschung sein. Als er wenige Minuten später sein Hotel betrat, erfuhr er vom Portier, daß man ihm Zimmer Nummer Z7 angewiesen hatte. Auf der Fremdentafel sah er nach, ob sein Name vermerkt war. Als er noch damit beschäftigt war, die vielen hundert Namen zu studieren, trat der Portier hinzu und schrieb den Namen eines eben angekommenen Gastes an, dieser lautete: Herbert Cyrus Holmes.

Der Detektiv stutzte. Ein junger Mensch, eine elegante dunkelbraune Handtasche in der Hand, wurde gerade in den Fahrstuhl hineingelassen. Nur ein Blick genügte, und Krag hatte ihn wiedererkannt. Dies war tatsächlich der Sohn des Forschers, derselbe, den Krag zuletzt in Kristiania als fünfzehnjährigen Knaben gesehen hatte. Nun war aus ihm ein eleganter junger Mann geworden. Die Neugier, womit er seine Umgebung betrachtete, verriet, daß er sich nicht nur in Geschäftsangelegenheit aufzuhalten beabsichtigte.

Am sonderbarsten schien Krag der Umstand, daß er an ein und demselben Tage sowohl die Mutter, die er in fünf Jahren nicht gesehen hatte, als auch den Sohn treffen sollte, den er auch seit jenen unseligen Tagen in Kristiania nicht gesehen hatte. Er überlegte, ob einer wohl von der Anwesenheit des andern wußte. Stellte er sich den unglücklichen Ausdruck im Gesicht der Mutter vor, und dann wiederum das frohe Antlitz des Sohnes, konnte er es kaum für möglich halten.

Er nahm sich vor, den Abend im Spielsaal zu verbringen, wo er jedenfalls die Mutter, Frau Lizzie, anzutreffen hoffte, vorher sah er jedoch die Lokalzeitungen Ostendes durch, die im Lesezimmer auslagen. Er las die Nachrichten über den Fremdenverkehr, einige interessante Mitteilungen über die vornehmsten Gäste, kleine Skandalgeschichten, Tips usw. Unter anderen fiel sein Blick auf eine Mitteilung, die sein lebhaftes Interesse hervorrief. Sie lautete:

»Herbert Holmes, ein Sohn des bekannten Forschers Sir Cyrus Holmes, Attaché im Ministerium des Aeußeren in London, hat seine Ankunft in Ostende angemeldet.«

Eine andere Notiz, die er nur flüchtig las, sollte später für ihn von größter Bedeutung werden. Die Zeitung meldete nämlich:

»Großfürst Sergius von Rußland, der auf der Durchreise von Paris heute in Ostende hätte eintreffen sollen, hat seine Ankunft um vier Tage verschoben.«

Krag ließ die Zeitungen liegen, um sich in den Spielsaal zu begeben. Vom Vestibül aus sah er den jungen Herbert mit einer Zigarette im Munde aus dem Speisesaal schlendern. Er blickte sich neugierig um und studierte dann die Theateranzeigen. »Er langweilt sich,« dachte Krag, »da wird es gar nicht lange dauern, daß er mir in den Spielsaal folgt.«

In den prächtigen Sälen war das Spiel noch nicht recht im Gange. Unter den Spielern am ersten Roulette bemerkte Krag Frau Lizzie. Vor sich hatte sie ein Stückchen Papier liegen, worauf sie Zahlen notierte. Sie spielte sehr vorsichtig. Krag mußte lächeln. »Der Typ stimmt,« dachte er, »sie kennt das System. In dieser Weise verbringt sie nun ihr Leben; wandert von einer Spielbank zur andern, überall ihr Glück versuchend, überall dem Rate älterer Grafen und ruinierter Lebemänner folgend, aber auch immer neue Erfahrungen sammelnd. Bald ganz mittellos, dann auch wieder im Besitz großer Summen – – und doch von den Vornehmen nicht gerechnet. Welch ein ödes und trauriges Leben! Womöglich auch noch jeden Tag Absinth, vielleicht sogar Morphium.«

Der junge Herbert stand am Eingang zum Saal.


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