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Monsieur Zephyr Hamard war über ein derartiges Benehmen Mr. Nelsons ganz entsetzt. Für Sekunden verlor der elegante Franzose seine Fassung. Krag betrachtete seinen Gesichtsausdruck. Das Erstaunen des Franzosen ließ den Detektiv stutzen. Erst später sollte ihm Aufklärung werden. Das Gesicht des Franzosen drückte nämlich nicht allein Erstaunen aus, es lag darin auch ein gewisser Schreck und Aerger; ein Aerger, der so auffallend war, daß zu seiner Erklärung nicht bloß der Umstand genügte, daß Nelson die Regeln des Duells mißachtet hatte, indem er in die Luft schoß. Es war überhaupt ein Vergehen gegen die geheiligten Gesetze des Duells. Aber im Kampf mit Sir Cyrus zeugte sein Verhalten von Mut.
Nelson starrte in die Baumkronen, wie man einem abgeschossenen Pfeil nachblickt. Es sah aus, als wartete er darauf, die kleine Metallkugel zwischen den Zweigen der Bäume in der Morgensonne zu sehen, die ihre ersten Strahlen auf den Bois de Boulogne warf. Er lächelte, lächelte verschmitzt und triumphierend, als er vollkommen ruhig mit gesenktem Revolver den Schuß des Gegners abwartete.
Sir Cyrus, der Engländer mit dem unbeweglichen Gesicht, zeigte auch nicht die geringste Erregung, als Nelson die Waffe zum Schuß erhob. Das flotte und elegante Auftreten seines Gegners hatte jedoch für Augenblicke den sonst so phlegmatischen Mann aus seiner Ruhe gebracht. Eine gewisse Ueberraschung konnte Sir Cyrus nicht verbergen. Nach den Regeln des Duells wäre er berechtigt gewesen, sofort zu schießen, nachdem Nelson seine Kugel in die Wipfel der Bäume geschickt hatte. Statt dessen ließ er eine Pause eintreten, um näher über die Lage nachzudenken. Hier aber zeigte es sich wiederum, daß der Haß die edelste Handlungsweise schlecht auslegt. Sir Cyrus faßte Nelsons Auftreten als Hohn auf, als eine schmähliche Beleidigung.
Als er den Revolver hob, hörte man ihn murmeln: »Auch dies noch, solche Infamie!«
Es waren kaum Worte; mehr ein Zähneknirschen.
Asbjörn Krag, der dem Briten direkt gegenüberstand, konnte ein leichtes Grauen kaum unterdrücken. Wußte er doch, daß Sir Cyrus in diesem Moment nur den einen Gedanken hatte, seinen Gegner zu töten.
Der Abstand war jedoch groß. Als ausgezeichneter Schütze kam ihm der Gedanke: »Dies hier ist nicht nur ein Duell, sondern auch eine Sportsleistung. Das Leben ist die Prämie. Wer wird diesen herrlichen Preis gewinnen?«
Sir Cyrus schoß. – Nelson stand. Ein kleines Loch im Hemdärmel zeigte die Stelle, wo die Kugel durchgegangen war. – Es war ein Meisterschuß.
Nun war Nelson wieder an der Reihe. Würde er den Preis gewinnen?
»Mein Kompliment!« rief er, sich vor Sir Cyrus verbeugend, diesem zu. »Sie besitzen keinen unverdienten Ruhm.«
Der Gegner antwortete nicht. »Neue Pistolen!« rief er.
Mit diesem ernsten und steifen Engländer verglichen, machte Nelson den Eindruck eines fröhlichen Jünglings, der vor lauter Uebermut lachte und spaßte.
Die Sekundanten brachten die Waffen.
Als Monsieur Zephyr seinem Freunde die geladene Pistole reichte, flüsterte er ihm einige Worte zu, darunter recht vernehmlich ein Wort, das eher in den Wortschatz eines Pariser Straßenjungen hineinpaßte, als daß es ein feingebildeter Herr und Mitglied des hochvornehmen Jockeiklubs benutzte. Der entsetzte Detektiv meinte gehört zu haben: »Sei kein Idiot, du Schweinehund!«
Nelson sah ihn an und sagte nur: »Das Monokel.«
»Wie, bitte?« fragte Monsieur Hamard.
»Das Monokel,« wiederholte Nelson. »Es baumelt hin und her. Das steht Ihnen nicht, mein Herr. Es gehört ins Auge.«
Monsieur Zephyr zitterte vor Aerger, er war jedoch so sehr Sklave seiner Eleganz, daß er das Monokel einklemmte. Dabei machte er ganz gewohnheitsmäßig die Grimasse, wie ein wirklicher Lebemann sie machen muß, wenn er für voll gerechnet werden will. Trotz des Ernstes der Stunde wirkte diese Komik auf Krag.
Die Duellanten waren bereit. Diesmal schoß Nelson nicht daneben. Er zielte auf Sir Cyrus und traf ihn auch.
Dessen Gesicht wurde plötzlich aschfahl. Er hob den Arm, um den Schuß zu erwidern, mußte ihn aber wieder sinken lassen. Dann wankte er. Seine Freunde und die Aerzte eilten herbei und legten ihn auf den Rasen nieder. Der Arzt riß das Hemd auf. An der rechten Brustseite war es von Blut gerötet.
Nelson lächelte nicht mehr. Er stand und wartete.
Monsieur Zephyr trat auf ihn zu. »Endlich, mein Junge,« sagte er.
»Gehen Sie,« war Nelsons harte Antwort.
Sir Cyrus lebte. Nach einigen Minuten kam der Arzt mit der Meldung: »Schulter verwundet. Nur einen Zentimeter weiter nach links, dann wäre der Tod sofort eingetreten.«
Nachdem man ihm ein Glas Kognak gegeben hatte, erholte sich Sir Cyrus so, daß er ohne Hilfe sein Auto besteigen konnte. Er ging an Nelson vorüber, ohne ihn auch nur anzusehen.
»Ist es nicht Sitte,« fragte Monsieur Zephyr, »daß sich die Gegner nach dem Duell die Hände reichen?«
»Ich wagte den Versuch nicht,« entgegnete Nelson.
»Warum nicht?«
»Ich fürchtete eine Abweisung.«
»Das würde eine Verletzung der Regeln bedeuten,« wandte Monsieur Zephyr ein, der nun wieder die Rolle des Wächters über Innehaltung der wahren Ehrbegriffe übernahm. Er begab sich zu den Sekundanten des Gegners, die gerade im Begriff waren, im Auto Platz zu nehmen. Er war wieder Herr der Situation; sein artiges Wesen konnte abermals Triumphe feiern.
Krag sah mit an, wie zwischen Sir Cyrus und seinen Sekundanten hin und her gesprochen wurde, worauf diese Monsieur Zephyr das Resultat ihrer Unterhaltung weitergaben.
Monsieur verneigte sich.
»Ich sehe schon, es ist eine Ablehnung,« sagte Nelson. »Die Herren machen sich zur Abfahrt bereit.«
Ein wenig niedergeschlagen kam Monsieur Zephyr von der Besprechung mit den Sekundanten der Gegenpartei mit der Meldung zurück: »Sir Cyrus läßt Ihnen bestellen, daß er Sie innerhalb eines Monats, von heute an gerechnet, zu töten beabsichtigt, Mr. Nelson.«
»Was entgegneten Sie ihm?« fragte Krag.
»Nichts, ich zuckte nur mit den Schultern. In einem solchen Augenblick fängt ein Gentleman keine Unterhaltung an. Ich hätte ihm aber die rechte Antwort geben können.«
»Nun, was hätten Sie denn sagen wollen?« fragte Nelson.
»Ich hätte sagen können, daß es Sir Cyrus wahrscheinlich nicht schwer fallen würde, sein Vorhaben auszuführen, wenn ihm ein Mann gegenüberstünde, der während des Duells nach Spatzen schießt.«
»Das geschah nur das eine Mal,« wandte Nelson ein.
»Der zweite Schuß war dagegen ein Meisterstück,« sagte Krag.
Nelson wandte sich an Krag. »Ja, es war wirklich ein Meisterschuß. Ich habe niemals bester geschossen.«
»Zwei Zentimeter,« zischelte Monsieur Zephyr.
»Ich mußte ihn ja kampfunfähig machen; sonst hätte er mich getötet.«
»Mein Herr,« rief Zephyr Hamard indigniert. »Ich werde mich Ihnen nie mehr zur Verfügung stellen. Solche Komödien sind mir zuwider.«
Nelson sah nach der Uhr. Mit vor Erregung zitternder Stimme sagte er zu Hamard: »Ich weiß aus Erfahrung, daß die Zeit eines Gentleman sehr kostbar ist. Vermutlich haben Sie eine Besprechung mit Ihrem Schneider oder vielleicht mit dem Parfümhändler.« Er wies auf Krag. »Außerdem habe ich Wichtiges mit diesem Herrn zu besprechen.«
»Das trifft sich gut,« erwiderte Hamard, indem er sich mit sehr viel Anstand verneigte. »Ich gehe ins Restaurant la Boiselle; dort habe ich eine Verabredung.«
Als Krag und Nelson allein durch den Park zurückfuhren, bereitete Nelson dem Detektiv eine Ueberraschung, die alle früheren in den Schatten stellte.
Nelson hatte lange schweigend neben dem Detektiv gesessen. Plötzlich senkte er den Kopf. Krag blickte ihn an. Nelson weinte.