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I.

Zuletzt hatte ich Lizzie im November 1914 in London gesehen. Allem Anschein nach ging es ihr gut, jedoch verrieten ihr stark ergrautes Haar und die vielen Falten in ihrem Gesicht, Zeichen des herannahenden Alters, die zu verbergen sie nicht für nötig hielt, ein an Leiden reiches Leben.

Als ich sie sah, fuhr sie im Hydepark allein in einem offenen Privatauto. Ihr charakteristisches Gesicht, vor allem ihre eigenartigen Augen bewirkten, daß ich sie sofort wiedererkannte. Ich blieb im Gedränge stehen und sah ihrem Auto nach, das langsam durch die herbstlichen Bäume dahinfuhr. Ich dachte: Ein Privatauto? Dann muß sie doch wieder auf einen grünen Zweig gekommen sein. – Ich wußte nämlich, daß Lizzie Holmes, die während der Schwurgerichtsverhandlung jener denkwürdigen Septembertage des Jahres 1902 in Norwegen alle Gemüter erregte, Zeiten durchgemacht hatte, wo sie dem größten Elend preisgegeben war. Dann wiederum ging das Gerücht, daß sie in Badeorten und Kasinos hier und da in Europa gesehen worden sei. Aber selbst wenn sie »obenauf« war, so führte sie doch nie, trotz ihrer Schönheit, die schnell verblaßte, ein anderes Dasein, als das einer Schattenexistenz. Sie hatte ein sonderbares Aussehen, als trüge sie in Demut unausgesetzt eine große Sorge mit sich herum. So war es in Wirklichkeit auch.

An dies alles dachte ich, als ich sie an jenem Novembertage vor einigen Jahren in London im Auto sah. Langsam fuhr das Auto zum Fußgängerweg hinüber, wo es haltmachte. Ein junger Mann, kaum in den Zwanzigern, trat an das Auto und ergriff die Hand, die Lizzie ihm entgegenstreckte. Der junge Herr, der sehr elegant, fast zu auffällig gekleidet war, lächelte sie freundlich an, die Art und Weise dieser Begegnung erinnerten mich an eine Begegnung zwischen Mutter und Sohn. Als das Auto weiterfuhr, blieb der junge Mann stehen und sah lange der Dame nach, während seine Begleiter, junge Lebemänner Londons, auf ihn warteten.

Diese Begegnung interessierte mich sehr, da in dem Gesicht des jungen Mannes etwas war, das mir bekannt schien, eine gewisse Aehnlichkeit. Da ich nun gerade in jener Zeit mit Leuten verkehrte, die das Londoner Leben zur Genüge kannten, so versuchte ich, Auskunft über Lizzie zu erhalten. Ich erfuhr denn auch, daß Lizzie sich nach einigen äußerst seltsamen Erlebnissen mit ihrer Familie ausgesöhnt hatte. Der junge Mann, den ich gesehen hatte, war ihr Sohn.

Heute, ein Jahr nach ihrer Begegnung, erfahre ich, daß Lizzie in London gestorben ist. Die Todesanzeige war von ihrem Mann und ihrem Sohn unterzeichnet. Diese Anzeige lese ich gerade jetzt, wo ich mich damit befasse, die Notizen, die ich über ihr merkwürdiges Leben aufgezeichnet habe, zu ordnen. Diese Aufzeichnungen sind im Grunde nichts anderes als die Geschichte eines Lebens, ein erschütternder Kampf eines edlen Menschen gegen Unglück und Vernichtung; darum habe ich mich entschlossen, meine Bearbeitung der Aufzeichnungen zu veröffentlichen.

Das Material hierzu habe ich zum Teil in Kristiania, zum Teil in London und Ostende beschafft.

Der wichtigste Teil dieser Geschichte befaßt sich mit dem Aufenthalt Lizzies in Kristiania. Hier wohnte sie im Jahre 1901 mit ihrem Mann, dem bekannten Polarforscher Cyrus Holmes, der gerade im Begriff war, den Plan jener Forschungsreise nach dem Osten Grönlands vorzubereiten und für die Ausrüstung zu sorgen, deren erfreuliche Resultate seinen Namen weltberühmt machten.

Viele werden sich noch der Angelegenheit erinnern, die sich am Ende des Jahres 1901 an Cyrus Holmes' Namen knüpfte, eine Affäre, die in dem sensationellen Auftreten im Schwurgericht am 24. Oktober desselben Jahres kulminierte.

Diejenigen, die sich der angedeuteten Sache nicht zu erinnern vermögen, brauchen nur in einem Zeitungsjahrgang jener Zeit nachzuschlagen. Dort werden sie die richtigen Namen der Personen finden, die in dieser Geschichte die Hauptrolle spielen. Nach der Schwurgerichtsverhandlung geriet die Sache in Vergessenheit, und da gerade der Krach nach den goldenen Tagen der Börsenspekulation alle Gemüter in Aufregung brachte und das Interesse in Anspruch nahm, war Lizzie Holmes' Angelegenheit bald vergessen. Auffällig war jedoch, daß die Presse schon bald darauf nichts mehr von der Sache erwähnte; es ist anzunehmen, daß das Gerücht auf Wahrheit beruht, wonach große Anstrengungen gemacht worden sind, um die Sache zu vertuschen.

Inzwischen – den neugierigen und unbarmherzigen Augen des Publikums verborgen – entwickelten sich die Ereignisse weiter. Als Verbrecherroman begann die Sache, eine Zeitlang konnte man sie wohl als Posse bezeichnen, ging dann über in die charakteristische Art der Sensationsdramen, war lange Zeit vorzugsweise Tragödie und endete schließlich in harmonischer Versöhnung.

Von dem Mann, der zuerst in den Verbrecherroman eingriff, der dann das seinige dazu beitrug, die Posse in ein Sensationsdrama zu verwandeln und schließlich der Entwicklung der Tragödie mit Aufmerksamkeit folgte, um durch Scharfsinn und Energie die Versöhnung vorzubereiten, habe ich das wichtigste Material zu diesen Aufzeichnungen erhalten. Dieser Mann ist Asbjörn Krag. Die Geschichte beginnt mit seinem Auftreten. Zu diesem Zweck muß ich mir jenen Septemberabend des Jahres 1901 ins Gedächtnis zurückrufen, an dem der in Geschäftskreisen Kristianias bekannte Generalkonsul Spade ein Fest gab, das später durch zwei Umstände berühmt geworden ist, nämlich: durch die Rede, die dem Wirt zu Ehren gehalten wurde, und durch den Diebstahl, der abends um elf Uhr erfolgte. Der erste Umstand ist mehr humoristischer Art, der zweite leitet den Verbrecherroman und das Sensationsdrama ein.

Der Generalkonsul Spade gehörte zu jenen Geschäftsleuten, die mit erstaunlicher Schnelligkeit bis in die vordersten Reihen vorgedrungen waren. Zu jener Zeit war es selbst dem Aermsten möglich, durch Unterschrift eines Wechsels zu großem Vermögen zu gelangen.

Niemand wußte eigentlich, woher er stammte, im geheimen aber sprach man davon, daß seine Vergangenheit nicht ganz einwandfrei sei. Man vergißt das aber leicht, wenn man das Gold flimmern sieht; seines Mäzenatentums wegen lag ihm alles zu Füßen. Spade war ein äußerst liebenswürdiger Mensch, der gern Gäste bei sich sah und weniger Eingebildetheit besaß, wie Parvenüs sonst zu haben pflegen. Er besaß einen hellen Kopf und glänzende Anlagen, die ihn zu einem routinierten Geschäftsmann und Menschenkenner machten.

Die kleinen Schwächen, die er besaß, verbarg er ganz und gar nicht. Er liebte Titel, und zwar nicht nur deswegen, weil ein wohlklingender Titel ihm bei seinen Geschäften und Spekulationen von großem Wert war, sondern auch, weil er für Pomp und Pracht war. Aus diesem Grunde hatte er sich von der Regierung Costa Ricas den Generalkonsultitel für fünfzehntausend Kronen erkauft. Daß er gleichzeitig den Orden dieses Landes erhielt, spricht nur für seinen ausgeprägten Geschäftssinn.

Es war ein Zeichen seiner Prahlsucht, daß er es liebte, sich mit Diamanten und Edelsteinen zu schmücken. Wenn er im Glanze des elektrischen Lichtes am festlich gedeckten Tisch saß, strahlend vor Freude, Herr des Hauses und Millionär, dann glänzte sein Vorhemd von Edelsteinen wie der Abhang eines schneebedeckten Berges im Mondenschein.

Er glaubte, daß die Entfaltung all dieser Pracht die Leute seine Vergangenheit vergessen ließe, deren Unbedeutendheit und Fragwürdigkeit nur wenig mit seiner jetzigen Stellung übereinstimmte. Indem er mit bedeutenden Männern verkehrte, suchte er außerdem noch den Glanz zu erhöhen. So war es ihm denn auch gelungen, mit dem Dichter Pedersen in freundschaftlichen Verkehr zu treten, dem Dichter, dessen beißender Witz von allen gefürchtet war, und dessen aristokratische Allüren so bekannt und zugleich anerkannt waren, daß man wohl annehmen konnte, daß er nicht unter zehntausend Kronen auf eine Freundschaft mit Spade eingegangen sei. Außerdem hatte der Generalkonsul von kunstverständiger Seite durch Aufstellung einer Büste des Dichters Wergeland im Schriftstellerverein Anerkennung gefunden.

Am heutigen Tage jedoch, dem 7. September 1901, war sein Traum, die Kirche mit seiner Person zu verknüpfen, in Erfüllung gegangen.

Er hatte ein Wort darüber fallen lasten, daß er nicht abgeneigt sei, eine Kapelle in irgendeinem Stadtteil erbauen zu lassen; er wünsche jedoch, die Bausumme einem hohen Würdenträger persönlich bei einem von ihm veranstalteten Fest zu übergeben.

Aus diesem Grunde finden wir am 7. September 1901 den Herrn Generalkonsul noch strahlender als sonst an der vollbesetzten Tafel in seiner neuen Villa. Ihm zur Linken sitzt der Dichter Pedersen, zur Rechten Bischof Areadrey.

Seine Hochehrwürden lenkt gerade unter allgemeiner Sensation die Aufmerksamkeit der Gesellschaft durch Anschlagen an sein Glas auf sich.

Der Generalkonsul bebt vor Erwartung dieses wichtigen Augenblicks seines Lebens.

Gerade in diesem Augenblick zeigen sich die ersten Spuren des Verbrechens an anderer Stelle in Spades Villa.


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