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XXV.

Als der Verteidiger die Worte vom konsequenten Festhalten fallen ließ, horchte der Angeklagte auf. Nun stand er auf. »Ich habe diesen Diebstahl eingestanden, weil ich mit Konsequenz daran festhalte, die Wahrheit zu sagen. Ich wünsche für meine Vergehen verurteilt zu werden. Ich habe das Geständnis abgelegt. Genügt das nicht, um verurteilt zu werden?«

»Ihren Wunsch werden wir schon erfüllen; als Verteidiger aber ist es meine Pflicht, darauf zu achten, daß man Ihrem Geständnis nicht mehr Wert beilegt, als es tatsächlich hat.« Er wandte sich wieder an den Chef der Kriminalpolizei: »Außer diesem etwas unklaren Beweis durch den Manschettenknopf gibt es also keine zwingenden Indizienbeweise dafür, daß der Angeklagte diesen Einbruch begangen hat?«

»Nein.«

»Hat die Polizei denn Spuren feststellen können, die darauf hindeuten, daß der Angeklagte für andere Einbrüche in Betracht kommen könnte?«

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Ausgenommen, daß jeder Sachverständige einräumen muß, daß zwischen dem Einbruch beim Generalkonsul und den übrigen Einbrüchen ein gewisse Ähnlichkeit besteht. Ueberall ist mit größter Verschlagenheit zu Werke gegangen, überall die gleiche schlaue und kühne, ja elegante Ausführung.«

»Das ist ja nur eine ganz persönliche Auffassung,« entgegnete der Verteidiger.

»Leider haben wir nicht mehr zu bieten.«

»Da Sie nun einmal Ihre persönliche Auffassung hier vorgebracht haben,« fuhr der Verteidiger fort, »darf ich Sie wohl fragen, ob es Ihnen nicht auch aufgefallen ist, daß der Angeklagte es ganz vorzüglich verstanden hat, die Spuren seiner Verbrechen zu verwischen?«

»Ja,« gab der Beamte zu.

»Ist Ihnen ein solcher Fall schon früher vorgekommen?«

»In fast allen Fällen hinterläßt der Täter irgendeine Spur. Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu können, daß in allen Fällen, wo ein Einbrecher ergriffen und ein Geständnis abgelegt wird, Indizienbeweise vorliegen, die die Aussagen bestätigen. Gewöhnlich geht es aus der Verhaftung Mitschuldiger oder durch Auffindung der gestohlenen Gegenstände hervor.«

»Wenn er diesen Diebstahl nicht eingestanden hätte, würden Sie ihn deswegen angeklagt haben?«

»Darüber würde ich im Zweifel gewesen sein.«

»Wie groß würde dieser Zweifel sein?«

»So groß, daß ich es nicht hätte verantworten können, die Beschuldigung aufrecht zu halten.«

Hier unterbrach der Staatsanwalt: »Hat der Herr Verteidiger wirklich im Sinne, das Geständnis des Angeklagten zu entkräften? Dann wäre die ganze Gerichtsverhandlung ja sinnlos. Es scheint mir, daß es einem Verteidiger nicht zukommt, die Wahrheit, die in dem vorbehaltlosen Geständnis des Angeklagten liegt, verschleiern zu wollen.«

»Ich berufe mich auf meine lange Gerichtspraxis. Während dieser ist es mehr als einmal vorgekommen, daß ein Verbrecher ein kleineres Vergehen eingesteht, um dadurch ein größeres zu verbergen. Ein vorbehaltloses Geständnis kann daher auch in anderer Absicht abgegeben werden. Ich trachte in ebenso hohem Grade nach der Wahrheit, wie mein sehr verehrter Kollege. Ist es Ihnen nicht sonderbar vorgekommen, daß der Angeklagte Nelson so plötzlich und rückhaltlos sein Geständnis ablegte, obgleich er es ja gar nicht nötig hatte?«

»Ich habe es nur auffallend gefunden, daß ein so nüchterner und berechnender Mann ohne weiteres ein Vergehen gesteht, das seine Lage so verschlechtert.«

»Sind Sie sich also darüber klar, daß Nelson nur des Diebstahlsversuchs bei Sir Cyrus Holmes bezichtigt wäre, wenn er nicht den Einbruch bei dem Generalkonsul Spade zugegeben hätte? Damit wäre die ganze Angelegenheit bedeutend einfacher gewesen. Dies Geständnis macht aus einem ganz gewöhnlichen Dieb den gefürchteten und lange gesuchten Räuber, den Gentlemandieb. Mit aller Gewalt will er der Gentlemandieb sein, nicht wahr?«

»So sonderbar sich die Sache ausnimmt,« entgegnete der Chef der Kriminalpolizei, »ich habe genau denselben Eindruck davon.«

»Was kann ihn aber zu einem so merkwürdigen Auftreten veranlassen?«

Der Gefragte lächelte. »Darüber haben wir uns ja einen Monat den Kopf zerbrochen, ohne daß es uns geglückt wäre, den Grund zu finden.«

»Angenommen, Sie wären dem Grund auf die Spur gekommen,« fragte der Verteidiger den Chef weiter, »glauben Sie dann auch, den Grund gefunden zu haben, weshalb er die übrigen Vergehen nicht eingestanden hat?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Könnte man nicht annehmen, daß der Grund allein darin läge, daß er nichts zu gestehen hat?«

»Niemals wird ein Mann sich freiwillig ins Zuchthaus begeben,« war die Antwort. Der Verteidiger blickte von seinen Akten auf und sagte: »Ja, das wäre möglich! – Ich habe nur feststellen wollen, daß das Geständnis des Angeklagten an und für sich rätselhaft ist. Nicht allein, daß absolut keine Beweise vorliegen: das Geständnis scheint ziemlich sinnlos zu sein. Der Polizei ist es nicht gelungen, irgendeine Auskunft über die Persönlichkeit des Angeklagten zu ermitteln. Er selbst gibt nicht die geringste Auskunft. Er ist uns allen ein großes Geheimnis. Die Vermutung liegt nahe, daß sich hinter dem Namen Nelson ein Mann verbirgt, der zu Unrecht in diesem Saale und auf dieser Anklagebank sitzt. Meine Herren, wir dürfen annehmen, daß sein Geständnis, der Gentlemandieb zu sein, nur darum zustande gekommen ist, um eine gewisse andere Person zu verbergen. Es spielen sich im Menschenleben mancherlei Tragödien ab; es können im Dasein eines Menschen Geschehnisse eintreten, wo selbst die ärgste und herabwürdigendste Lüge der Wahrheit vorzuziehen ist. Hiermit will ich keine Behauptung ausgesprochen haben. Ich weiß nichts. Ich habe damit nur andeuten wollen, daß der Angeklagte vielleicht dies Geständnis gemacht hat, um etwas anderes damit zu verdecken. Vielleicht ist es gar nicht einmal aus egoistischen Gründen geschehen. Ich nehme sogar das Gegenteil an. Halten wir uns vorläufig an dieses winzige Körnchen Sympathie. Später kann darauf näher eingegangen werden. Uns fehlen ja noch die Zeugenaussagen. Sir Cyrus Holmes ist der erste Zeuge. Rufen Sie ihn herein. Bitte, wünscht der Angeklagte sich zu äußern?«

Nelson hatte sich erhoben. Er war nicht imstande, seinen Zorn noch länger zu verbergen.


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