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VIII.

Der Juwelier ließ Asbjörn Krag stehen, um die hübsche junge Dame zu bedienen. Unterdessen betrachtete Krag sie heimlich. Er mußte zugeben, der Geschäftsinhaber hatte recht. Sie war eine entzückende Schönheit, etwas unter Normalgröße, mit blondem, lockigem Haar und großen, grauen Augen. Krag betrachtete sie sekundenlang mit größter Aufmerksamkeit; jede Linie ihres weichen, ovalen Gesichtes prägte er sich ein.

Er besaß ein phänomenales Gedächtnis für Personen und Gesichter. Wenn er nur wenige Sekunden ein Gesicht betrachtet hatte, so entstand gleichsam in seinem Gehirn eine Photographie der betreffenden Person, die in der Bildergalerie seines Gehirns bis zu dem Augenblick ruhte, wo er sie, manchmal erst nach vielen Jahren, hervorsuchte, um sie mit dem Original zu vergleichen, wenn ihm das Gesicht wieder begegnete.

Die junge Dame überreichte dem Juwelier ein Armband, das repariert werden sollte.

Krag trat langsam und bescheiden an sie heran und sagte mit höflicher Verbeugung: »Bitte, verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich Sie mit einigen Fragen belästige.«

Sie blickte ihn kühl und abweisend an.

»Wer sind Sie?« fragte sie. »Ich besinne mich nicht auf Sie und wüßte nicht, aus welchem Grunde ich Ihre Fragen beantworten sollte.«

»Mein Name ist Asbjörn Krag,« sagte der Detektiv, indem er der jungen Dame den Knopf zeigte. Dann fragte er: »Sollten Sie vielleicht diesen Knopf kennen?«

Krag blickte sie an. Sie erblaßte und eine große Angst schien sich ihrer zu bemächtigen; das Entsetzen wich jedoch schnell aus ihrem Gesicht. Sie lenkte ihren Blick von der Hand des Detektivs auf sein Gesicht.

»Nein,« erwiderte sie mit fester und klarer Stimme.

Asbjörn Krag ließ den Knopf wieder in seine Tasche gleiten und wandte sich dem Juwelier zu, dessen rotes Gesicht noch röter wurde. Dieser betastete mit nervösen Fingern die Glasplatte und stotterte unter unausgesetzten Verbeugungen hervor:

»Gnädige Frau müssen sich doch noch darauf besinnen können, ich meine, gnädige Frau haben vor zwei Tagen die Manschettenknöpfe gekauft.«

Mit hartem und überlegenem Blick sah sie den Goldschmied an. »Mein Herr, wie können Sie es wagen, mich als eine Lügnerin hinzustellen?«

Sie legte das Armband auf die Tonbank und fügte hinzu: »Das Armband lasse ich morgen um elf Uhr holen.«

Beim Hinausgehen blickte sie Asbjörn Krag einen Augenblick forschend an, der sich höflich, jedoch schweigend vor ihr verneigte. Der Detektiv bemerkte noch, daß sie in eine Equipage stieg, die schnell mit ihr davonfuhr. Pferde und Wagen hatte er sich genau gemerkt.

Rot vor Erregung stand der Juwelier wie angewurzelt an seinem Platz. »Das begreife ich nicht,« stieß er hervor. »Sie hat nein gesagt!«

Krag lachte. »Na, selbstredend sagt sie nein.«

»Aber – aber sie war es doch.«

Der Detektiv ergriff seinen Hut. »Auf Wiedersehen,« rief er dem Juwelier zu, »vielleicht komme ich morgen um elf Uhr wieder.«

Asbjörn Krag war jetzt auf eine Spur gelangt, die allem Anschein nach ihn den Verbrecher finden ließ. Er schätzte sich glücklich, daß er in weniger als einer Stunde nach Beginn seiner Recherchen so glänzende Resultate aufzuweisen hatte.

Und doch war der Detektiv nicht zufrieden. War eine Sache zu einfach, verlor er das Interesse daran. Er hatte tatsächlich Freude darüber verspürt, dieses mit außerordentlichem Scharfsinn ausgeführte Verbrechen zu enträtseln. In gewisser Weise fühlte er sich enttäuscht und überlegte schon, ob er diese ganze Angelegenheit einem andern Beamten übergeben sollte. Unterwegs ereignete sich jedoch etwas, das ihn daran hinderte, den Plan auszuführen.

Er trat in ein Zigarrengeschäft, und während er noch im Begriff war, eine recht dunkle, frische Zigarre auszusuchen, fühlte er plötzlich eine fremde Hand sich in die Tasche seines Ueberziehers hineinschieben.

Der Detektiv tat, als hätte er nichts gemerkt und zündete seelenruhig seine Zigarre an der Gasflamme an, packte dann aber ganz plötzlich die Hand, die nun tief in der Tasche steckte, mit festem Griff und zog sie hervor.

Die Person, der die Hand gehörte, blickte er gar nicht an; er betrachtete nur die Hand, die er umfaßt hatte. Sie war schmal und weiß, auch die Finger waren schmal und aristokratisch. Er faßte sie so hart an, daß sie sich öffnete und ihr etwas Glänzendes entglitt.

Das Glänzende war nichts anderes als die kleine goldene, mit drei Edelsteinen besetzte Platte.

Als sich Asbjörn Krag dem Unbekannten zuwenden wollte, traf ihn ein harter Schlag an die Schläfe, und die Hand, die er immer noch festgehalten hatte, riß sich los. Bevor der Detektiv es hindern konnte, war der Mann verschwunden. Sowohl Krag als auch der Geschäftsinhaber liefen zur Tür hinaus; aber keiner von beiden konnte des Täters habhaft werden.

Der Detektiv legte den Knopf nun in seine Brieftasche, während er darüber nachsann, welchen ungeahnten Wert dieser Knopf wohl besitzen müsse, wenn sein Besitz einen Menschen zu einem so gemeinen Ueberfall verleiten könne. Jedenfalls lag die Annahme nahe, daß er es mit einem sehr kühnen Verbrecher zu tun hatte.

Dies alles hatte sich im Verlaufe ganz kurzer Zeit ereignet; diese wenigen Sekunden genügten jedoch, der Sache erneutes Interesse abzugewinnen.

Krag begab sich nach dem Kriminalamt und befahl, daß sich am Vormittag des nächsten Tages ein Beamter in Zivil im Laden des Juweliers aufhalten solle, um Namen und Adresse der Eigentümerin des Armbandes festzustellen.

Als anerkannt tüchtiger Detektiv hatte Asbjörn Krag immer mehrere Fälle gleichzeitig zu behandeln; wenn ihn aber eine Sache besonders interessierte, legte er alles beiseite oder brachte die Angelegenheiten zum Abschluß, um sich einzig und allein der einen interessanten Sache widmen zu können.

An diesem Abend hatte er noch tüchtig zu arbeiten. Um zehn Uhr abends hatte er genügend Beweise erbracht, um einen Schwindler großen Stils verhaften zu lassen. Um ein Uhr konnte er der Polizei eine Adresse übermitteln, die zur Verhaftung eines gefürchteten Diebes führte.

Müde und total ermattet kam er erst um zwei Uhr in seiner Wohnung an, wo er sich sogleich zu Bett begab und auch sofort einschlief.

Er hatte das Gefühl, als habe er nur wenige Minuten geschlafen, als er plötzlich dadurch erwachte, daß sich jemand in sein Schlafzimmer hereinschlich. Konnte es ein Dieb sein? Oder war es vielleicht irgendein Verbrecher, der die Absicht hatte, sich an ihm zu rächen? Unbeweglich lag er da. Als der Schein einer Blendlaterne nicht mehr auf seinem Gesicht ruhte, benutzte er die Gelegenheit, aufzublicken. In dem Moment fiel das Licht wieder auf sein Gesicht und damit auf seine geöffneten Augen.

Aus dem Dunkel hinter der Laterne erscholl ein leises Lachen und eine Stimme sagte: »Mein bester Herr Krag, nun habe ich doch gesehen, daß Sie wach sind.«

Die Stimme klang weich und angenehm, hatte aber dennoch einen energischen Ton, und der Lauf eines Revolvers kam für einen Augenblick zum Vorschein.


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