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Bevor wir näher auf die Entwicklung des Sensationsdramas eingehen, müssen wir die Rede Seiner Hochehrwürden über uns ergehen lassen.
Der Herr Superintendent war der Ansicht, daß große Vermögen und große Unternehmungen sehr viel zur Hebung von Kultur, Wissenschaft und Religion beitragen könnten. Es stände zwar geschrieben, daß man die Schätze dieser Welt nicht sammeln solle; da aber diese Schätze einen notwendigen Bestandteil der von der Religion vorgeschriebenen sozialen Ordnung ausmachten, sei es nötig, daß große Vermögen in Händen einzelner lägen, um Initiative und Arbeitsfreudigkeit anzuregen, wodurch das Glück der Menschheit aufrechterhalten würde. Mit diesen Tatsachen müßte man sich abfinden und es sei besser, darüber nachzudenken, in welcher Weise diese großen Summen allen zum Segen gereichen könnten.
Nun wandte sich der Superintendent mit gewinnendem Lächeln an den Gastgeber, seinen Tischnachbar, der mit halbgeschlossenen Lidern und strahlender, erwartungsvoller Miene zu erraten schien, was nun folgen würde.
»Ich bin davon überzeugt,« fuhr der Superintendent fort, »daß unser verehrter Gastgeber das rechte Gefühl dafür hat, daß mit dem Besitz eines großen Vermögens auch gewisse Verpflichtungen verbunden sind. Man weiß, daß er sich um Kunst und Literatur große Verdienste erworben hat. (Bei diesen Worten verdeckte der Dichter Pedersen sein Gesicht mit dem Weinglas.) Wie mir bekannt, verläßt kein Bittender des Herrn Generalkonsuls Haus, ohne daß ihm Hilfe wurde, obgleich der Herr Generalkonsul wegen seiner vielen Reisen und geschäftlichen Unternehmungen nur selten anzutreffen ist. Nun ist mir zu Ohren gekommen, daß unser Gönner beabsichtigt, durch ein ansehnliches Geschenk diejenigen zu unterstützen, die sich die Verbreitung der ewigen Wahrheiten zur Aufgabe gemacht haben. Dies alles trägt dazu bei, den Herrn Generalkonsul Spade für einen Repräsentanten des Reichtums und des Kaufmannsstandes anzusehen, dem wir mit größter Anerkennung unsere Huldigungen darbringen. Ich erlaube mir, ein Hoch auf unseren Gastgeber auszubringen.«
Der diplomatische Superintendent hatte sich zwar außerordentlich vorsichtig ausgedrückt. Für Spade war es jedoch ein bedeutungsvoller Augenblick, als er mit dem Superintendenten anstieß. Sein ganzer Körper bebte vor Erregung; seine Augen, seine Backen, seine Hände zitterten, Kragen und Vorhemd zitterten mit und ließen dabei alle Diamanten funkeln. Der Superintendent klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.
Da antwortete Spade mit bewegter Stimme:
»Hochehrwürden! Meine Herren! (Es war eine Herrengesellschaft.) Ich bin ein Mann, der bar bezahlt.«
Bei diesem Ausspruch räusperte sich der Dichter Pedersen vernehmlich und blickte den Generalkonsul entsetzt an. Das Zeichen dieses Mißvergnügens war darauf zurückzuführen, daß der Dichter schon vor zwei Tagen, als man wußte, daß der Superintendent das Wort ergreifen würde, Herrn Spades Antwort zurechtgelegt hatte. Dieser spontane Ausbruch stand aber nicht im Konzept.
Der Generalkonsul, der jedoch selbständig genug war und nicht fürchtete, einen Schnitzer zu machen, bemerkte wohl des Dichters Unzufriedenheit. Er errötete, wiederholte jedoch mit erhobener Stimme:
»Ich sage nochmals, ich bin ein Mann, der bar bezahlt. Habe ich etwas versprochen, dann werde ich es auch halten.«
Dann begann er die Rede herzuleiern, die er nach dem Manuskript des Dichters auswendig gelernt hatte. Er dankte für das von der Geistlichkeit erwiesene Entgegenkommen. Die große Bedeutung der Religion erkannte er an und versprach sein möglichstes zu tun, damit die Geistlichkeit unter den günstigsten Bedingungen arbeiten könnte.
Hier ließ er das Manuskript, Manuskript sein und fuhr fort:
»Wissen Sie, so bin ich gar nicht, daß ich etwas gebe, das erst nach zehn Jahren oder gar nach meinem Ableben Wert hat. Ich bin immer für Barzahlung. Reden Sie nicht dazwischen, Hochehrwürden. Fünfzigtausend Kronen habe ich der Kirche versprochen und damit zahle ich fünfzigtausend Kronen bar. Einen Augenblick, Hochehrwürden.«
»Evensen!« rief er laut.
Evensen, ein alter, graubärtiger Mann in Livree, war sein Faktotum. Geheimnisvoll lächelnd trat er zu ihm; man konnte ihm deutlich anmerken, daß er wußte, was nun wohl geschehen würde. Der Generalkonsul wurde immer eifriger, glühender und nervöser. Ein großer Coup sollte ihm jetzt gelingen. Der Wein hatte seine Wirkung an ihm getan; er war ein kräftiger Mensch, der die Freuden des Lebens genoß, wo sie sich ihm boten. – Er lebte ja fortwährend unter dem Druck der Spannungen, die seine Riesenspekulationen mit sich brachten, und griff daher zu Betäubungsmitteln.
Nachdem Evensen zu ihm getreten war, zog Spade sein Schlüsselbund aus der Tasche, suchte den Schlüssel zum Geldschrank hervor, wies auf die ihm gegenüberliegende Tür und sagte: »Hol' die Kassette; du weißt, wo sie steht.«
Mit dem rasselnden Schlüsselbund in der Hand schritt Evensen stolz davon. Der Generalkonsul nickte mit vielsagenden Blicken seinen Gästen zu, um anzudeuten, daß Außerordentliches bevorstände.
Wir verlassen nun den strahlenden Generalkonsul und den betroffen dreinblickenden Geistlichen und folgen dem alten Evensen.
Im großen Speisesaal waren drei Türen. In der Mitte der einen Längswand befand sich eine breite Flügeltür, die geöffnet war, so daß man durch eine Reihe festlich erleuchteter Räume sah. Ferner befand sich eine Tür an der rechten Seitenwand, durch welche man in den Anrichteraum gelangte, und schließlich noch eine Tür an der schmalen Wand links. Nach dieser Tür lenkte Evensen seine Schritte. Als die Tür geöffnet wurde – sie war verschlossen gewesen – bemerkten die Zunächstsitzenden im fast dunklen Raum einen Schreibtisch, Telephon und Bücherregale. Es stand fest, dies mußte das Arbeitszimmer des Herrn Generalkonsuls sein.
Nachdem Evensen ins Zimmer hineingegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lenkte ein kalter Luftzug seine Aufmerksamkeit auf sich; nun entdeckte Evensen auch, daß ein Fenster geöffnet war.
Indem er das Fenster schloß, murmelte er: »Sonderbar! Der Konsul muß selbst hier gewesen sein und es geöffnet haben.«
Während er noch nach dem Schlüssel im Schlüsselbund sucht, womit er den großen Schrank in der Ecke öffnen will, fällt sein Blick durchs Fenster auf Kristiania, die Stadt, die nun in der Abendbeleuchtung daliegt, von feinem Nebel umgeben, aus dem tausend Lichter hervorleuchten. Von diesem Fenster aus hat man eine weite Fernsicht, weil die Villa des Generalkonsuls auf einer kleinen Bergkuppe liegt.
Endlich hat Evensen den richtigen Schlüssel gefunden. Nach Einstellung des Schlosses öffnet er die gewaltigen Türen des Geldschrankes, die sich langsam in ihren Angeln drehen. Aus einem der Fächer zieht er eine kleine Mahagonikassette hervor, die er mit beiden Händen hochhebt und auf den Tisch neben dem Schrank stellt. Seine Anstrengungen lassen darauf schließen, daß die kleine Kassette sehr schwer sein muß. Darauf schließt das alte Faktotum wiederum den Schrank mit peinlicher Sorgfalt.
Mit der Kassette im Arm begibt er sich dann wieder zur Gesellschaft in den Speisesaal zurück.
Schon bei seinem Eintritt geht ein erwartungsvolles Gemurmel von Mund zu Mund. Beim Anblick der Kassette ahnt man, was kommen wird. Nur der Dichter Pedersen, der derartige theatralische Auftritte haßt, starrt geistesabwesend vor sich nieder auf seinen Teller.
Zwischen Seiner Hochehrwürden und dem Herrn Generalkonsul setzte Evensen die Kassette auf den Tisch. Um zu markieren, wie schwer die kleine Kassette gewesen sei, atmete Evensen unnötigerweise erleichtert auf. Der Superintendent, der Sinn für Humor hat, amüsierte sich unzweifelhaft über dieses Arrangement des Parvenüs.
Wie man sich sonst durch Anschlagen an ein Glas Gehör erbittet, so klopfte nun der Herr Generalkonsul mit seinen diamantenbesetzten Fingern an die Mahagonikassette, um der Gesellschaft Schweigen aufzuerlegen. Danach nahm er seine Rede wieder auf.
»Ich werde beweisen, daß ich ein Mann bin, der bar bezahlt,« sagte er. »Fünfzigtausend habe ich gestiftet, und mit zweifelhaften Papieren aufzuwarten, ist nicht meine Art und Weise. In dieser Mahagonikassette, die ich hiermit Seiner Hochehrwürden überreiche, liegen fünfzigtausend Kronen in Gold.«
Ein lautes Gemurmel erhob sich am Tisch, alle beugten sich vor, während der Generalkonsul die Kassette öffnete. Die Gesellschaft war ziemlich gemischt, ein Umstand, der auf die Verhältnisse und Herrn Spades Bekanntenkreis zurückzuführen war; es waren einige Gäste darunter, denen diese Summe märchenhaft vorkam.
Mit gespanntem Gesichtsausdruck saß der Superintendent dabei, als der Generalkonsul die Kassette öffnete.
Als er jedoch den Deckel zurückschlug, wurde sein Gesicht starr vor Schreck. Ein furchtbares und drohendes Schweigen trat ein.
Das Geld war nicht mehr da.