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XV.

Während des gerichtlichen Verhörs, das nun angestellt wurde, war aus Mr. Nelson nichts anderes herauszubekommen, als was er schon Krag erzählt hatte. Er gestand den Diebstahlsversuch im Hause des englischen Forschungsreisenden zu. Auch die anderen Diebstähle, über die man ihn ausfragte, gab er zu. Er versuchte absolut nicht, seine Handlungsweise zu beschönigen. »Ich bin ein Dieb,« sagte er, »denn ich habe gestohlen. Verurteilen Sie mich deswegen. Ich bin gewillt, die Folgen meiner Handlungen zu tragen. Jede weitere Erklärung meiner Handlungsweise und jede weitere Auskunft über mein Leben und meine Motive wünsche ich nicht zu geben.« Man vermochte auch nicht, ihn dazu zu bewegen, Einzelheiten betreffs dieser Diebstähle anzugeben. Dem Assessor lief der Schweiß vor Anstrengung angesichts solcher Hartnäckigkeit von der Stirn. Die echt englische, irritierende Ruhe verließ Nelson jedoch keinen Augenblick. Schließlich teilte er dem Assessor mit, daß er müde sei und Ruhe wünsche. – »Sie können ebensogut schon jetzt die Verhandlungen mit mir abbrechen,« sagte er, »denn Sie werden doch nicht mehr aus mir herausbringen, als ich für nötig halte.«

Nach einigen Bedenken hatte er schon bei Beginn der Verhandlungen seine Wohnung – Parkweg 61 b – angegeben. Hier hatte er eine kleine elegante möblierte Wohnung gemietet.

»Es hat ja keinen Zweck, es zu verschweigen,« sagte er, indem er zwei Kriminalbeamten, die vor Eifer gar nicht abwarten konnten, in die Höhle des Meisterdiebes zu gelangen, wo sie Diebesgut in Massen vermuteten, seine Schlüssel reichte.

»Ich übergebe den Herren meine Schlüssel, weil ich nicht wünsche, daß die kostbaren Möbel durch gar zu stürmisches Drauflosgehen beschädigt werden. Ich besitze auch Kunstgegenstände. – Seien Sie ja vorsichtig.«

Als die beiden Kriminalbeamten sich entfernt hatten, verzog er sein Gesicht zu einem spöttischen Lächeln, woraus Krag, der während der ganzen Zeit dem Verhör beigewohnt hatte, schloß, daß der Ertrag dieser Expedition nicht reichlich ausfallen würde.

Gerade in dem Augenblick, als der Assessor das Verhör für heute abbrechen wollte, kamen die beiden Kriminalbeamten ziemlich niedergeschlagen zurück. Sie hatten in der Wohnung auch nicht das geringste gefunden, was darauf hindeuten konnte, daß sie einem gemeingefährlichen Verbrecher gehöre. Im Gegenteil, alles wies darauf hin, daß der Bewohner ein Gentleman sein müsse, ein Herr der besten Gesellschaft mit gutem Geschmack, da er Sammler kostbarer, moderner Gemälde und seltener Antiquitäten war. Die Kriminalbeamten legten ein Verzeichnis über sämtliches Mobiliar vor, das der Assessor unter Kopfschütteln vorlas.

»Beim Durchsehen der Liste Ihrer Verbrechen sollte man annehmen, daß Sie noch im Besitze einer Menge von Wertgegenständen sind. Es ist gar nicht so leicht, dergleichen Sachen zu realisieren.«

»Es ließe sich ja denken,« antwortete der Dieb gelassen, »daß ich Helfer gehabt hätte.«

»Die die Sachen außer Landes gebracht haben?« fragte der Assessor eifrig, in dem Glauben, daß sich ihm hier ein Ausweg öffnete. Nelson zuckte jedoch nur bedauernd mit den Achseln. Mehr wollte er nicht sagen.

Die Untersuchung, welche an dem Arrestanten vorgenommen wurde, war indessen nicht so ganz ohne Resultat, wie die Untersuchung in seinem Hause. Außer den gewöhnlichen Dingen, die Herren bei sich tragen, Uhr, Kleingeld, Taschenmesser, Bleistift und dergleichen, fand man ein Scheckbuch auf die Kreditbank lautend, woraus hervorging, daß im Laufe von zwei Monaten zehntausend Kronen abgehoben waren. Dieses war gerade nicht sehr auffällig; dagegen fand man ein kleines Instrument, ein scherenartiges Werkzeug aus hartem Stahl, das Krag sofort wiedererkannte. Schon früher hatte er diese Art Werkzeuge im Besitz internationaler Einbrecher gefunden. Derjenige, der mit der Handhabung dieses äußerst sinnreichen Instrumentes bewandert war, konnte mit seiner Hilfe fast jedes Schloß öffnen. Dieser Fund blieb das einzige Beweismaterial, das ihn zum Einbrecher stempelte. Mr. Nelson gab zu, daß es ihm gehöre und daß er es bei Einbrüchen benutze. Asbjörn Krag bat ihn, zu zeigen, wie er dieses Instrument anwende; Mr. Nelson weigerte sich jedoch, indem er lächelnd hinzufügte, man könne doch nicht von ihm verlangen, daß er eine Kunst offenbaren solle, die zu erlernen ihm große Mühe gekostet hätte.

Der Assessor war indessen über diesen Fund sehr erfreut; denn in gewisser Weise war es doch ein Resultat. Krag bemerkte die Zufriedenheit des Assessors; er für seine Person konstatierte, daß dieser Fund ihn nur noch verwirrter gemacht hatte. Je mehr er über die Angelegenheit nachdachte, desto mehr kam er zu der Ueberzeugung, daß die Polizei auf falscher Fährte war. Mr. Nelson war kein Dieb; mit unvergleichlicher Selbstüberwindung hatte er sich geopfert, um das Weib, das er liebte, zu schützen. Dieser Fund jedoch stand im Gegensatz zu der von ihm aufgestellten Hypothese und verwirrte Krags Schlußfolgerungen.

Gleich nach Beendigung des Verhörs bat Krag den Gerichtshof, ihm eine Unterredung unter vier Augen mit dem Gefangenen zu gewähren. Der Assessor erlaubte es ihm sofort; jedoch schien der Dieb selbst von dieser Unterredung nicht erbaut zu sein. Nur widerwillig folgte er dem Detektiv in den nächsten Raum, wo sie allein waren. Auch hier wiederholte er, daß er sehr müde sei und am liebsten in Ruhe gelassen werden wollte.

»Ich begreife nicht,« redete Krag ihn an, »warum Sie mich absolut dazu bringen wollen, Sie für einen Verbrecher zu halten. Ich komme nicht von dem Gedanken ab, daß Sie uns hier Theater vormachen.«

»Wie hoch wird meine Strafe wohl sein?« fragte der Engländer.

»Mehrere Jahre,« antwortete Krag.

»Nun, wir Engländer stehen zwar mit Recht in dem Rufe, exzentrisch zu sein; so exzentrisch sind wir indessen nicht, daß wir einer Idee wegen jahrelange Gefängnisstrafen auf uns nehmen.«

»Ich bin über Sie besser informiert als jeder andere. Das bezweifeln Sie wohl nicht?«

Der Gefangene richtete sich auf und blickte Krag fest an. Sein Blick war abweisend und in seiner Haltung lag eine kalte Vornehmheit, die an die Begegnung zweier Männer auf dem Duellplatz an einem kühlen Morgen vor den Pistolenläufen erinnerte.

»Davon weiß ich nichts,« entgegnete er.

»Erinnern Sie sich der Manschettenknöpfe und unseres Gesprächs von neulich nachts?«

»Was Sie da sagen, ist mir gänzlich schleierhaft.«

Die Frechheit, die in diesen Worten lag, reizte Krag.

»Erinnern Sie sich auch nicht der Dame im Wagen?« fragte er.

»Nein,« antwortete der Engländer, »mich wundert nur, daß Sie dieses nicht auch vergessen.«

»Vorläufig vergesse ich es nicht.«

»Ich an Ihrer Stelle würde mich beeilen, es zu vergessen, da ein solches Wissen für Sie gefährlich ist.«

Asbjörn Krag lachte. »Was kann mir denn geschehen.«

Mr. Nelsons Gesicht nahm einen Ausdruck an, als wollte er aufbrausen. Er unterließ es jedoch. Langsam und mit Nachdruck sagte er dann: »Es ist ja wahr. Sie kennen mich nicht. Sie wissen nicht, wer ich bin!«

Plötzlich sah er Krag eindringlich und forschend an, als studierte er seinen Charakter. Der Detektiv hielt seinem Blicke stand. Er starrte in die Augen des andern und klammerte sich an ihre außerordentliche Klarheit, diese kristallene Tiefe, die auf hochentwickelte Energie und nicht zu bändigende Willenskraft deutet.

Endlich sagte Mr. Nelson:

»Haben die Zeugenaussagen schon stattgefunden?«

»Noch nicht.«

»Müssen sie überhaupt stattfinden?«

»Selbstredend.«

»Ich habe doch alles gestanden.«

»Ein solches Geständnis ist nicht hinreichend.«

»Wird – wird Lady Holmes auch aussagen müssen?«

»Gewiß, sie ist ja der wichtigste Zeuge. In einer halben Stunde wird sie mir in ihrer Wohnung Auskunft geben.«

Mr. Nelson sann wieder nach, als stände er vor einem wichtigen Entschluß. – Dann sagte er: »Sie fragten vorhin, was Ihnen geschehen könnte. Ich will Ihnen verraten, daß Sie in Gefahr sind. Sie können diese Gefahr von sich wälzen, wenn Sie eine Unterredung unter vier Augen mit Lady Holmes herbeiführen wollen.«

»Ich soll ihr möglicherweise einen Gruß von Ihnen übermitteln?« fragte Krag.

»Sie brauchen ihr nichts weiter zu sagen, als daß ich die Diebstähle eingestanden habe.«

»Das kann ich ihr ja auch sagen, während andere es hören.«

»Begreifen Sie denn gar nicht,« sagte Nelson, »daß es weniger darauf ankommt, was Sie ihr zu sagen haben, als auf das, was sie Ihnen sagen wird.«


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