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XXXVI.

Der Herr, der nun eintrat und dem Detektiv als Monsieur Zephyr Hamard vorgestellt wurde, kam Krag bekannt vor. Nicht gerade, daß er meinte, ihn früher gesehen zu haben, sondern mehr, weil er das Gefühl hatte, von ihm gelesen zu haben. Er kam ihm vor als der Held einer französischen Novelle. Der Typ eines Boulevardiers, wie ihn Balzac und Abel Hermant beschrieben. Vielleicht ein wenig karikiert, oder besser gesagt, soviel karikiert, daß er seinen Mitmenschen ein gewisses literarisches Interesse abgewann. Sein strohgelbes und außerordentlich spärliches Haar war mit einer beinahe phantastischen Kunstfertigkeit so arrangiert, daß es seinen ziemlich kahlen Schädel fast bedeckte. Man hatte das Gefühl, als wäre jedes Haar gezählt und ließe sich mit Gold nicht aufwiegen. Die Schläfen waren hohl und sein Gesicht hatte jene graue Farbe, die eine Folge von zu großem Absinthgenuß und zu wenig Aufenthalt in frischer Luft ist. Schloß Monsieur Zephyr die Augen halb – was er in seiner Blasiertheit oft tat –, dann machte er den Eindruck eines Greises. Klemmte er jedoch das Monokel ins Auge und lächelte dabei – er hatte ein hübsches Lächeln –, dann bekam sein Gesicht trotz des gelben Haares und der schlechten Hautfarbe einen jugendlich heiteren Ausdruck. Ein echter Pariser.

»Ich werde mich zurückziehen,« sagte Nelson. »Ich habe die Absicht, mich heute abend hier in Paris ein wenig zu amüsieren. Treffen wir uns morgen früh um halb sieben Uhr in meinem Hotel in der Rue de Rivoli. Ich werde für Fahrgelegenheit sorgen. Meine Herren, ich verspreche Ihnen eine erfrischende Morgenfahrt.«

Damit ging er.

Krag und Monsieur Zephyr waren allein.

»Dieser Nelson ist doch ein ganz kaltblütiger Mensch,« sagte Krag.

Monsieur Zephyr wußte nicht, was Krag damit meinte.

»Jetzt geht er aus, um sich zu amüsieren, obwohl er weiß, daß er die beste Aussicht hat, morgen von der Kugel getroffen zu werden.«

Monsieur Zephyr zuckte mit den Achseln und ließ sein Monokel fallen. Er verstand nicht, wie man anders auftreten konnte.

»Betrachten Sie die Sache vom geschäftlichen Standpunkt,« sagte er. »Ich würde es aufrichtig bedauern, wenn mein alter Freund von dem morgigen Ausflug nicht zurückkommen sollte. Es liegt aber doch keine Veranlassung vor, sentimental zu werden. Heut trifft's dich, morgen mich. Ich glaube, dies Duell wird das fünfundzwanzigste sein, woran ich als Sekundant teilnehme. Selbst habe ich achtmal duelliert. Ich habe drei Menschen getötet. Ich vermute, daß das Ihr erstes Duell ist.«

»Ja.«

»Sie glücklicher Mensch.«

»Warum denn das?«

»Ich erinnere mich, welch unheimliche Freude ich empfand, als ich das erstemal Sekundant war. In dieser sensationsarmen Zeit wird man ja nicht gerade verwöhnt. Aber schon beim dritten Duell langweilte mich die Sache. Ich stellte mich nur meinen allernächsten Freunden zur Verfügung. Meine eigenen Duelle langweilen mich schon.«

Krag, der seinen Prahlereien gern Einhalt tun wollte, sagte schließlich: »Vergessen Sie nicht, daß es diesmal Engländer sind, die sich duellieren.«

Sofort verstand Monsieur Zephyr die Zurechtweisung. Pikiert klemmte er das Monokel ins Auge.

»Mein Herr,« begann er sehr gemessen, »ich habe Sie ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß drei meiner acht Duelle tödlich verliefen. Mit Scheinduellen habe ich mich nie befaßt. Einmal hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, Sekundant eines französischen Politikers zu sein. Das werde ich nie wieder tun. Politiker verstehen sich nicht aufs Duellieren. Denken Sie, er bekam einen Schuß in ...« schrie Monsieur Zephyr beinahe. Noch jetzt entsetzte er sich bei dem bloßen Gedanken an das Geschehene, »einen Streifschuß in ...« Es war ihm nicht möglich, das Wort über die Lippen zu bringen. »Nie im Leben tu ich es wieder,« sagte er noch einmal und schüttelte so energisch den Kopf, daß das Monokel wieder herabfiel.

»Sie sagten vorhin, daß Sie sich nur Ihren nächsten Freunden zur Verfügung stellen. Dann ist Mr. Nelson wohl ein guter, alter Freund von Ihnen?«

»Gewiß. Ich kenne ihn seit der Baccaratschlacht im Zansibarklub vor zwei Jahren. Sie hätten nur sehen sollen, wie er damals spielte. Von dem Augenblick an war er mein Freund.«

»Gewann er denn?«

»Nein, er verlor. Aber das hat doch wirklich nichts zu sagen.«

»Dann gewannen Sie wohl?«

»Nein, ich verlor auch.«

»Wer gewann denn?«

Mit seinem aristokratischen Zeigefinger klopfte sich Monsieur Zephyr gegen die Stirn. Es klang hohl.

»Mein Herr,« sagte er, »mein Geist beschäftigt sich nicht mit Kleinigkeiten.«

Krag merkte, daß mit dem Manne nicht zu verhandeln war; er lebte in einer ihm vollständig fremden Welt. Es war ihm eine Erleichterung, als der Diener ihm eine neue Karte überreichte.

Roger Pemberton war es, der nun mit dem zweiten Sekundanten Sir Holmes' eintrat.

Die Begrüßung war höflich, aber von eisiger Höflichkeit.

»Wie ich höre, ist Monsieur Zephyr Hamard Mitglied des Jockeiklubs, das genügt mir,« sagte Sir Roger.

Sich an den Detektiv wendend, fuhr er fort: »Ihre Wahl hat Sir Cyrus selbst akzeptiert. Das genügt erst recht.«

Monsieur Hamard fragte beleidigt:

»Wollen Sie damit sagen, Sir, daß Sie Zweifel gegen meine Person hegen?«

Krag fürchtete ein neues Duell und versuchte darum, sich in das Gespräch zu mischen, um ihm eine andere Wendung zu geben. Bevor er jedoch zu Worte kam, hatte Sir Roger schon geantwortet.

»Ich bin hier fremd. Nun bin ich aber beruhigt.«

Monsieur Hamard kniff die Lippen zusammen und runzelte gedankenvoll die Stirn. Krag wußte, daß sein Geist augenblicklich damit beschäftigt war, etwas zu überlegen, was mit den gewöhnlichen gleichgültigen Kleinigkeiten des Lebens nicht zu vergleichen war; nämlich ob Sir Rogers Worte eine Beleidigung enthielten oder nicht:

Schließlich machte er eine tiefe Verbeugung, sagte aber nichts.

Sir Rogers Worte hatten zwar die Grenze des Erlaubten gestreift, waren aber nicht darüber hinausgegangen.

Nun ging man dazu über, die Bedingungen für das Duell festzulegen. Man einigte sich ziemlich schnell auf Pistolen.

»Vierzig Schritt Abstand!« sagte Krag.

Sir Roger, der sicherlich Instruktionen hatte, machte Einwendungen. »Fünfundzwanzig, scheint mir, genügen.«

Monsieur Hamard bemerkte: »In Frankreich ist es Sitte, daß man auf den Wunsch des Geforderten Rücksicht nimmt.«

Vierzig Schritt wurden also vereinbart.

Nachdem noch über Einzelheiten verhandelt war, gingen die Herren auseinander.

Die formelle Höflichkeit, die beim Abschiednehmen beobachtet wurde, rief Krags größtes Erstaunen hervor.

Als sich Krag zur festgesetzten Stunde im Hotel Meurice einfand, erwarteten Nelson und Hamard ihn schon im Vestibül. Ein dritter Herr war auch noch hinzugekommen. Wahrscheinlich der Arzt. In der Hand trug er ein kleines, schwarzes Etui.

Hamard war steif, korrekt und formell wie immer.

Nelson, der sich eine noch taufrische Blume ins Knopfloch gesteckt hatte, war in bester Laune. »Ich fühle mich so wohl wie ein Fisch im Wasser,« sagte Nelson. »Ich habe heute nacht auch ganz vorzüglich geschlafen, nachdem ich um drei Uhr nach Hause kam. Nach der Reise war ich natürlich auch müde.«

Präzis sieben Uhr erreichte der Wagen die verabredete Stelle im Bois de Boulogne. Dieser Park verdankt seine Weltberühmtheit weniger seiner Schönheit als dem Umstand, daß hier so viele Duelle stattgefunden haben. Duelle im Bois de Boulogne sind in Tausenden von Romanen beschrieben und haben dazu beigetragen, daß Leihbibliotheken so fleißig benutzt werden.

Hatte die Höflichkeit der Sekundanten Krag schon in Staunen versetzt, so überstieg die Höflichkeit bei der Begrüßung hier im Walde alle Begriffe. Man hätte glauben können, daß vier Diplomaten hier zusammengekommen waren, um sich in tadellosen Formen zu überbieten. Mit unvergleichlicher Sicherheit gab Monsieur Hamard den Ton an.

Zunächst entnahmen die Gegner dem goldgeschmückten Etui Sir Roger Pembertons die Pistolen, die die Sekundanten luden.

Danach wurde der Abstand gemeinschaftlich von Sir Roger und Monsieur Zephyr abgeschritten. Hierbei ließ sich nicht vermeiden, daß sie einander stießen, was Veranlassung gab, daß stahlharte Blicke und höfliche Entschuldigungen gewechselt wurden.

Man loste, wer den ersten Schuß abgeben sollte.

Mr. Nelson war dazu ausersehen.

»Hazardspieler wie gewöhnlich,« sagte er. »Diesmal habe ich Glück gehabt.«

Er ging an seinen Platz und feuerte. Er schoß in die Luft.


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