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XXXV.

Dem Detektiv fiel plötzlich der todernste und unheilverheißende Gesichtsausdruck des Lords ein. Es mußte entsetzlich sein, einen Mann, der sich hinter einer so undurchdringlichen Steinmaske zu verbergen wußte, zum Feinde zu haben.

Soviel stand fest, der mächtige Engländer haßte Nelson von ganzer Seele.

»Und nun steht dieser Nelson vor mir,« dachte Krag, »und ersucht mich um Hilfe.«

Er fragte: »Fürchten Sie etwas?«

Nelson zog die Augenbrauen hoch, wie er zu tun pflegte, wenn er Erstaunen markierte.

»Sie verstehen mich falsch,« entgegnete er, »ich fordere Ihre Hilfe, wie ein Gentleman den andern um eine Handreichung in einer schwierigen Situation bittet.«

»Ich habe Sie nicht mißverstanden,« entgegnete Krag. »Aber ich verstehe Sie auch nicht. Fürchten Sie sich vor Sir Cyrus?«

»Keineswegs.«

»Vielleicht ist Sir Cyrus nicht einmal die Veranlassung Ihrer Bitte?«

»Ja doch.«

»Dann erklären Sie sich, bitte!«

»Ich will Ihnen zunächst verraten, daß wir eine anstrengende Reise vor uns haben. Vertragen Sie lange Reisen?«

»So gut wie Engländer wohl kaum. Aber ich werde schon aushalten.«

»Schön! Wir werden nämlich unsere Reise nach Paris nur im äußersten Notfall unterbrechen.«

Krag nickte. »Darauf bin ich vorbereitet.«

»Weiter möchte ich Ihnen sagen, daß ich Sie auf dem Bahnhof sofort wiedererkannt habe.«

»Damit überraschen Sie mich gar nicht. Ich hatte mit dieser Wahrscheinlichkeit gerechnet.«

»Warum haben Sie sich denn maskiert? Und dazu noch so sorgfältig. Mein Kompliment!«

»Weil ich nicht aufdringlich wirken wollte.«

Nelson lächelte anerkennend. – »Es freut mich, daß ich doch wenigstens von einem vollkommenen Gentleman verfolgt werde. Welches Hotel beabsichtigen Sie in Paris zu bewohnen?«

»Mir scheint,« sagte Krag ungeduldig, »Sie kommen von der eigentlichen Sache ganz ab, Sie haben mich um Beistand gebeten, was ich wahrscheinlich auch nicht ablehnen werde. Nun muß ich Sie aber sehr bitten, mir Ihre Wünsche zu nennen.«

Sie irren,« erwiderte Nelson, »ich gehe absolut nicht um die Sache herum. Ich muß nämlich notwendig wissen, wo Sie in Paris zu wohnen beabsichtigen.«

Krag lächelte. »Ich kann Ihnen ja gern eine Adresse angeben. Ich habe schon früher im Elysée-Hotel gewohnt; dort werde ich wieder hingehen.«

»Ich werde im Hotel Meurice Wohnung nehmen. Mein Ehrenwort, daß ich dort wohnen werde. Nun Sie es wissen, können Sie sich die Nachforschungen nach mir ersparen. Schon am ersten Tage beabsichtige ich, Ihnen in Ihrem Hotel einen Besuch zu machen.«

»Wozu denn diese ausgesuchte Höflichkeit?« fragte Krag laut lachend. »Wäre es nicht besser, wir wären weniger höflich, dagegen aber deutlicher?«

»Sir Cyrus will mich töten,« sagte Nelson.

»Na, nun kommen wir endlich zur Sache.«

»Haben Sie ihn im Zuge gesehen?«

»Ja.«

»Haben Sie jemals einen Menschen gesehen, dessen bestimmten Willen man so vom Gesicht lesen kann?«

»Er ist ja Forschungsreisender,« entgegnete der Detektiv. »Er sieht genau aus wie ein Engländer, der sich ein bestimmtes Ziel gesetzt hat, und vor nichts in der Welt zurückweicht. Seine Ruhe und sein Schweigen muten aber furchtbar an.«

»Das ist sehr richtig,« bemerkte Nelson mit angenommener oder wirklicher Gleichgültigkeit, entzündete eine Zigarette und bot auch Krag eine an. »Nun kennen Sie also seine Absicht. Sir Cyrus hat keinen anderen Gedanken als den, mich zu töten.«

»Das würde vom juristischen Standpunkt aus ein Verbrechen sein. Es ist nicht nur meine Aufgabe, Verbrechen zu entdecken und die Bestrafung des Täters zu veranlassen; es ist auch meine Pflicht, möglichst jedes Verbrechen zu verhindern. Ich bin also gewillt, Ihnen gegen Sir Cyrus beizustehen. Ich muß mich aber erst davon überzeugen, daß es auch wirklich seine Absicht ist.«

Nelson lachte wieder. Dies Lachen schien Krag doch sehr merkwürdig.

»Ich habe Ihre Hilfe nicht nötig, bevor wir nach Paris kommen.«

»Er beabsichtigt also nicht, Sie im Zuge zu töten?«

»Nein; Sir Cyrus ist kein Eisenbahnmörder. Wenn ich mich in Paris in Ihrem Hotel an Sie wende, dann werden Sie sich von seinen Absichten überzeugen können. Werden Sie bestimmt dort anzutreffen sein?«

»Ja.«

»Sie sollten sich darüber freuen, daß ich Sie um Beistand bitte, denn dadurch bleibt Ihnen manche mühevolle Stunde erspart, die meine Verfolgung Ihnen verursachen würde. Ich vermute nämlich, daß ich das verfolgte Wild bin. Vorläufig danke ich Ihnen. Schmeckt die Zigarette? Echt Raschnau. Ich fand noch einige in meiner Wohnung vor.«

»Der Tabak ist ganz vorzüglich,« antwortete Krag.

»Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen!«

Während des zweistündigen Aufenthaltes in Kopenhagen hatte Asbjörn Krag Gelegenheit, seinem Agenten, Herrn Holmsen, eine Depesche nach Kristiania zu senden. Als Adresse gab er das Elysee-Hotel an.

Kaum zwei Stunden nach seiner Ankunft im Hotel ließ sich Nelson bei ihm melden. Er war elegant wie immer, ja, er hatte schon das Aussehen des waschechten Parisers.

»Ich bin auf dem Wege nach dem Atlantis-Variété,« waren seine ersten hastigen Worte. »Ich habe nur wenig Zeit. Darf ich Sie meinem Freunde vorstellen?«

»Sie hatten mir eine andere, und zwar interessantere Mitteilung als Zweck Ihres ersten Besuches in Aussicht gestellt,« sagte Krag unwillig. »Mir liegt nicht daran, meinen Bekanntenkreis zu erweitern.«

»Ich komme ausschließlich in der Sache Cyrus Holmes zu Ihnen. Es ist seine Absicht, mich morgen früh um sieben Uhr zu töten.«

Der Detektiv rückte näher heran.

»Ich muß sagen, Sie sind vorzüglich unterrichtet.«

»Ja, ich habe soeben die Mitteilung bekommen.«

Nelson sprach in leichtem, überlegenen Ton, worin aber doch ein gewisser geschäftsmäßiger Ernst lag. Alle Ironie hatte er abgestreift.

»Wie rücksichtsvoll von Sir Cyrus, sein Opfer zu benachrichtigen,« sagte Krag.

»Aber mein Bester, so ist es doch einmal Brauch unter Gentlemen. Dies veranlaßt mich auch, Sie mit meinem Freunde bekannt zu machen. Augenblicklich ist er mein bester Freund in Paris. Und Sie natürlich. Darum habe ich mich an Sie gewandt. Für meinen Freund garantiere ich. Sein Name ist Zephyr Hamard. Wenn meine Garantie Ihnen nicht genügt, mag nur gesagt sein, daß er Mitglied des Jockeiklubs ist. Das ist der exklusivste Klub der Welt. Kann man sich als Mitglied des Jockeiklubs legitimieren, steht einem das Bankkonto aller Filialen der Credit Lyonnais offen. Genügt Ihnen das?«

»Ja, voll und ganz,« antwortete Krag, der zu ahnen begann, daß zwischen Sir Cyrus Holmes und Nelson ein Duell ausgefochten werden sollte. Dann war ja auch Nelsons Behauptung, daß Sir Cyrus ihn zu töten beabsichtige, stichhaltig. In einem Duell, worin der Mann mit dem steinernen Gesicht Gegner war, konnte von einem Scheinkampf nicht die Rede sein.«

»Sie wünschen mich zu Ihrem Sekundanten?«

»Ganz recht. Sie haben mir Ihre Beihilfe schon von vornherein zugesagt.«

»Und hiermit bestätige ich mein Anerbieten. Also morgen früh um sieben Uhr.«

»Ja. Alles weitere besprechen Sie bitte mit meinem zweiten Sekundanten, Monsieur Zephyr, und Sir Cyrus' Freunden. Ich werde mich nun zurückziehen. Um eines aber möchte ich Sie bitten. Sorgen Sie dafür, daß der Abstand mindestens vierzig Schritt beträgt.«

»Das ist sehr viel,« entgegnete Krag. »In einem ernsten Duell pflegen zwanzig Schritt das Maximum zu sein. Ich habe schon von Duellen über ein Taschentuch hinweg gehört. Sollten Sie sich doch vielleicht fürchten?«

»Bei zwanzig Schritt Abstand treffe ich das Zentrum. Vergessen Sie aber nicht, daß ich derjenige bin, den man töten will. Möglicherweise bekomme ich aber den ersten Schuß. Ich möchte kein Unglück anrichten.«

»Und Sir Cyrus?«

»Der hat mit dem Revolver schon Tiger erlegt. Fragen Sie jeden britischen Offizier zwischen Delhi und Singapore, wie Cyrus Holmes mit dem Revolver umgeht. Man wird Ihnen Wunderdinge erzählen.«

»Ich höre Schritte; es wird Monsieur Zephyr sein.«


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