Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigstes Kapitel.

Laß mich ungeschoren. Pflegst du deinen vollen Namen zu unterschreiben oder führst du ein Handzeichen, wie ein ehrlicher, aufrichtiger Mann?

Jack Kade.

 

In einer späteren Stunde wurde die Leiche des Entschlafenen unter denselben Förmlichkeiten, welche am Abend zuvor bei der Bestattung des Matrosen in Anwendung gekommen waren, dem Meere übergeben. Diese beiden Feierlichkeiten boten schmerzliche Rückblicke auf die Scenen, welche die Reisenden durchgemacht hatten, und erfüllten noch viele Tage nachher das Schiff mit Trauer. Da jedoch die Ueberlebenden keinen Blutsverwandten durch den Tod verloren hatten und es nicht in der Menschennatur liegt, stets zu trauern, so milderte sich allmählig dieses Gefühl, und nach drei Wochen hatten die Sterbefälle meist ihren Einfluß verloren oder machten ihn doch nur augenblicklich bei denen geltend, welche es für weise hielten, zuweilen über solche feierliche Momente Betrachtungen anzustellen.

Kapitän Truck hatte alle seine Heiterkeit wieder gewonnen; denn wenn ihn auch die außerordentlichen Schwierigkeiten und Gefahren, welche über sein Schiff ergangen waren, hin und wieder verstimmten, so konnte er doch nicht ohne Stolz an die Art und Weise denken, wie er sich derselben erwehrt hatte. Was die Maten und Matrosen betraf, so waren sie längst wieder zu dem gewohnten Kreislauf von Arbeit und Scherz zurückgekehrt; denn die Zufälligkeiten des Lebens übten nur kurze und oberflächliche Eindrücke auf Naturen, denen Verluste und Wechselfälle zur Gewohnheit geworden waren.

Während der ersten Woche nach dem Entkommen des Schiffs schien Mr. Dodge fast ganz in Vergessenheit gerathen zu seyn, denn er war klug genug, sich im Hintergrund zu halten, damit Alles, was auf ihn selbst Bezug hatte, in der Hast und der Aufregung der Ereignisse übersehen werden möchte. Am Schluß dieser Periode nahm er übrigens sein Ränkespiel wieder auf, indem er sich ohne Scheu zu dem Versuch in Thätigkeit setzte, eine »öffentliche Meinung« in den Gang zu bringen, durch welche er in den Ruf des Muthes zu kommen hoffte. Welcher Erfolg jedoch seinen tief angelegten Planen in Aussicht stand, dürfte am besten aus einer Unterhaltung zu entnehmen seyn, welche in der Speisekammer zwischen Saunders und Toast stattfand, die eben für den letzten Samstag Abend, welchen Kapitän Truck auf der See zuzubringen gedachte, heißen Punsch anfertigten und dabei die vertraulicheren Verhältnisse der Cajüten besprachen. Der Dialog fand gerade zu einer Stunde Statt, in welcher die wenigen bereitwilligen Theilnehmer an einer Belustigung, die so nachdrücklich an Mr. Monday erinnerte, in Folge der drängenden Aufforderung des Kapitäns sich langsam um den großen Tisch versammelten.

»Hört, Mr. Toast,« begann der Steward, während er den Punsch umrührte, »ich muß Euch sagen, – nichts macht mir so große Freude, als daß Kapitän Truck seine alte Natur wieder aufgeweckt hat und abermals auf Fest- und Fasttage Bedacht nimmt, wie es dem Meister eines Packetschiffs ziemt. Ich sehe keinen vernünftigen Grund ein, warum ein Passagier auf seine natürliche Ruhe und die gewohnte Kost verzichten soll, wenn das Fahrzeug unter Nothmasten segelt. Wie es heißt, ist Mr. Monday gar schön gestorben und hat eine so erbauliche Bestattung erhalten, wie ich nur je eine zur See mit angesehen. Ich glaube wahrhaftig nicht, daß seine eigenen Freunde, wäre er am Land gewesen, ihn wirksamer oder frömmer hätten begraben können.«

»'s ist freilich schon etwas, Mr. Saunders, wenn man im Stande ist, zum Voraus Betrachtungen anzustellen über die achtbare Beerdigung, die man von seinen Freunden erhalten hat. Ja, es gereicht zu großer Beruhigung, über einen derartigen Vorgang nachzudenken.«

»Ich muß Euch zugestehen, Toast, daß sich Eure Sprache verbessert, nur erwischt Ihr die Worte zuweilen ein Bischen unrichtig. Wir vermuthen, ehe eine Sache eingetreten ist, und stellen erst Betrachtungen an, wenn sie ihre Endschaft erreicht hat. Ihr konntet zum Beispiel vermuthen, daß der arme Mr. Monday nach seiner Verwundung sterben müsse; Betrachtungen aber waren erst am Ort, nachdem er im Wasser beerdigt war. Indeß bin ich mit Euch einverstanden, daß ein großer Trost darin liegt, wenn wir wissen, daß die Rechte, welche wir an ein anständiges Begräbniß haben, gehörig klar auseinander gesetzt sind. Da uns dies an unsere Schlacht erinnert, Mr. Toast, so benütze ich die Gelegenheit, um Euch zu bedeuten, daß mir Euer gutes Verhalten sehr wohl gefallen hat. Ich habe stets ein Bischen Angst gehabt, Ihr möchtet im Kampfe Kapitän Truck ein Leides thun; so weit ich mich aber durch genaue Inspektion überzeugte, ist Niemand von Euch beschädigt worden. Wir farbigen Leute haben einige Vorurtheile gegen uns, und ich freue mich stets, wenn ich auf Jemanden treffe, der durch sein Benehmen dagegen ankämpfen hilft.«

»Man sagt sich, auch Mr. Dodge habe nicht viel Schaden angerichtet,« entgegnete Toast. »Was mich betrifft, so habe ich, nachdem ich meine Augen geöffnet, nichts von ihm gesehen, obschon ich nicht glaube, daß ich je in meinem ganzen früheren Leben so sehr umherstierte.«

Saunders legte einen Finger an seine Nase und schüttelte bedeutsam den Kopf.

»Ihr könnt Euch zuversichtslos und mit Vertrauen gegen mich aussprechen, Toast,« sagte er; »denn wir sind Freunde, der Farbe nach mit einander verwandt und außerdem in derselben Speisekammer angestellt. Hat vielleicht Mr. Dodge über die Vorfallenheiten jener zwei oder drei sehr ereignißvollen Tage mit Euch conwersirt?«

»Er hat grimmig gekatzenbuckelt, Mr. Saunders, obschon ich ihn nicht für einen Mann halte, der auch sonst gerne frei mit der Rede herausgeht.«

»Hat er Euch nicht angedeutet, es dürfte passend seyn, den Bericht über die ganze Angelegenheit durch das Volk abfassen und durch Zeugenaussagen beglaubigen zu lassen?«

»Ich glaube, er wollte darauf hinaus, Sir. Jedenfalls ist er letzter Zeit viel in der Back gewesen und suchte die Leute zu perschwadiren, sie hätten das Schiff genommen – die Passagiere seyen in der ganzen Geschichte weiter nichts, als eine Belästigung gewesen.«

»Und ist das Schiffsvolk so non compax, um ihm zu glauben, Toast?«

»Je nun, Sir, es thut der Menschennatur wohl, gut von sich selbst zu denken. Ich will zwar nicht sagen, daß irgend einer wirklich daran glaubte; aber wenn meinem armen Verstand ein Urtheil zusteht, Mr. Saunders, so gibt es Leute im Schiff, denen es gar angenehm seyn würde, daran zu glauben, wenn sie könnten.«

»Sehr wahr, denn dies ist natürlich. Euer Wink, Toast, hat in meinem Geist das Bischen Obskurität zerstreut, welches in letzter Zeit über meinem Fassungsvermögen lag. Da haben wir im Schiff den Johnson, den Briggs und den Hewson – drei der trägsten Strolche, die man nur finden kann, und die Einzigen, welche, so viel man ruhigen Blicks mit ansehen konnte, im Kampfe sich pflichtwidrig benommen haben. Diese drei Männer nun behaupteten gegen mich, Mr. Dodge sey die Person gewesen, welche die Kanone auf die Truhe schaffte und die Beduinen nach dem Floß hintrieb. Nun sage ich aber, Niemand, der seine Augen offen hatte, konnte in einen solchen Irrthum verfallen, es sei denn, daß man ihn absichtlich begehen wollte. Seyd Ihr mit dieser Angabe einverstanden, Toast, oder widersprecht Ihr derselben?«

»Ich widersprech' ihr, Sir; denn meinem geringem Urtheile nach ist es Mr. Blunt gewesen.«

»Es freut mich, daß wir der gleichen Ansicht sind. Ich werde nichts sagen, bis der passende Augenblick kömmt, und dann will ich ohne Recrimination oder Angst meine Gesinnungen an den Tag legen, Mr. Toast; denn die Wahrheit ist und bleibt Wahrheit.«

»Ich bin froh, die Frauenzimmer von ihrer Schwermuth wieder hergestellt zu sehen; denn sie scheinen sich's jetzt ganz ostensibel wohl seyn zu lassen.«

Saunders warf einen Blick des Neides auf seinen Untergebenen, denn die Fortschritte desselben in der feinen Bildung, wie er sie in gelegentlicher Einflechtung von Fremdwörtern kund gab, beunruhigten im hohen Grade sein eigenes Ueberlegenheitsgefühl; er unterdrückte jedoch die Eifersucht und entgegnete mit Würde:

»Die Bemerkung ist ganz richtig, Mr. Toast, und bekundet Scharfblick. Ich freue mich stets, wenn ich bemerke, daß Ihr Eure Gedanken zu höheren Dingen elewirt – um der Ehre der Farbe willen.«

»Meister Saunders,« rief der Kapitän von seinem Armstuhle oben an der Tafel herüber.

»Kapitän Truck, Sir.«

»Wir wollen jetzt Euer Getränk kosten.«

Dies war das Signal, daß der Sonnabend beginnen sollte und die Speisekammerbeamten trugen ihr Gemische mit großem Eifer auf. Die Damen hatten zwar ruhig, aber mit Festigkeit ihre Theilnahme an der Festlichkeit abgelehnt, obschon das angelegentliche Drängen des wohlmeinenden Kapitäns so viel über die Bedenken der Gentlemen gewann, daß sie insgesammt sich einzufinden versprochen hatten, um den Anschein zu vermeiden, als nähmen sie keine Rücksicht auf die Wünsche des Schiffmeisters.

»Wahrscheinlich ist dies der letzte Sonnabend, Gentlemen, den ich in Eurer angenehmen Gesellschaft zu verbringen die Ehre haben werde,« sagte Kapitän Truck, als er die Krüge und Gläser in einer Weise vor sich ordnete, daß er den Bedürfnissen seiner Gäste vollkommen gut entsprechen konnte; »und Eure Anwesenheit verschafft mir deshalb einen Genuß, auf den ich nicht gerne verzichten möchte. Wir stehen jetzt westlich vom Golf und, meinen Beobachtungen und Berechnungen zufolge, auf etwa vierzig Seemeilen in der Nähe von Sandy Hook, das ich euch, wenn dieser milde Südwestwind und unsere Luvlage anhält, morgen früh gegen acht Uhr zeigen zu können hoffe. Man hat allerdings schon schnellere Fahrten gemacht; aber vierzig Tage wollen im Grunde noch nicht viel heißen, wenn man dabei bedenkt, daß wir uns auch Afrika betrachtet haben und an Krücken gegangen sind.«

»Den Passatwinden haben wir viel zu danken,« bemerkte Mr. Effingham; »denn sie haben uns gegen das Ende unserer Fahrt eben so freundlich behandelt, als sie anfangs nur mit Widerwillen uns sich anzuschließen schienen. Es ist ein bedeutungsvoller Monat gewesen, und wird hoffentlich heilsame Erinnerungen für das ganze Leben in uns zurücklassen.«

»Niemand wird mit so viel Dank darauf zurückblicken, als ich, Gentlemen,« fuhr der Kapitän fort. »Ihr wart nicht Schuld daran, daß wir in die Klemme geriethen, habt aber aus allen Kräften mitgewirkt, uns aus derselben herauszuwinden. Gott weiß, was aus dem armen Montauk geworden wäre, wenn nicht ihr Alle so viel Sachkenntniß, Klugheit und Muth entwickelt hättet; ich danke euch daher sammt und sonders aus dem Grunde meines Herzens, und da ich die frohe Beruhigung habe, euch um mich zu sehen, so gebe ich mir die Ehre, auf eure Gesundheit, wie auch auf euer künftiges Glück und Wohlergehen dieses Glas zu leeren.«

Die Reisenden erwiderten diesen Trinkspruch mit Verbeugungen, unter denen sich die des Mr. Dodge besonders gewählt und augenfällig ausnahm. Der ehrliche Kapitän fühlte sich übrigens zu ergriffen, um dieses Stückchen Unverschämtheit zu bemerken; denn in diesem Augenblicke hätte er sogar Mr. Dodge umarmen und an sein Herz drücken können.

»Seyd nicht säumig, Gentlemen,« ergriff der Kapitän aufs Neue das Wort; »laßt uns die Gläser füllen und dem Abend seine Ehre anthun. Wir stehen Alle in Gottes heiliger Obhut und trifften in den Böen des Lebens umher, je nachdem Er den Wind blasen heißt. ›Die Liebchen und Frauen!‹ Auch wollen wir die schönen muthigen, verständigen und bezaubernden Töchter nicht vergessen, Mr. Effingham.«

Nach diesem Pröbchen von nautischer Galanterie begann das Glas zu kreisen. Der Kapitän, Sir George Templemore (wie der unächte Baronet noch immer in der Kajüte genannt wurde, weil die Fälschung nur in Eva's Kreis bekannt war,) und Mr. Dodge thaten derbe Züge, obschon der Erstere zu viel auf den Ruf seines Schiffes hielt, um zu vergessen, daß er sich im November an der amerikanischen Küste befand. Die Uebrigen nahmen nur mäßigen Antheil, obschon auch sie einigermaßen dem Einfluß der guten Laune Raum gaben, wie denn überhaupt jetzt zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus dem Riffe in der Kajüte wieder das frühere Lachen ertönte. Nachdem sie etwa eine Stunde beisammengesessen, stellte sich wieder einigermaßen die Freiheit und Behaglichkeit her, welche dem Verkehr eines Schiffes eigenthümlich sind, sobald das Eis einmal gebrochen ist, und man begann sogar Mr. Dodge wieder zu dulden. Dieser Mensch hatte es, trotz seines Benehmens bei Gelegenheit des Kampfes, durch Zudringlichkeit und Schmeichelei einzuleiten gewußt, daß sein gutes Einvernehmen mit dem falschen Baronet ungefährdet blieb, während die Uebrigen eher Mitleid als Abneigung gegen den Feigling fühlten. Die Gentlemen thaten des Umstandes, daß er im kritischen Augenblicke ausgerissen, keine Erwähnung (obgleich Mr. Dodge den Zeugen desselben nie vergeben konnte), denn sie betrachteten sein Benehmen als die Folge einer natürlichen, unüberwindlichen Schwäche, die in ihm mehr einen Gegenstand des Bedaurens, als des Vorwurfs erscheinen ließ. Ermuthigt durch diese Nachsicht, deren Beweggründe er nicht begriff, hatte er sich der Hoffnung hinzugeben angefangen, daß seine Abwesenheit in der Verwirrung des Gefechts nicht entdeckt worden sey, und er trieb seine Kühnheit sogar so weit, daß er Mr. Sharp zu überreden versuchte, er sey mit unter der Bemannung der Lansche des Dänen gewesen, als dieselbe nach Wiedererringung des Montauk das Boot und das Floß nach dem Riff herunterbrachte. Allerdings traf diesen Versuch eine kalte Zurückweisung, aber doch nur so fein und abgemessen, daß der Ehrenmann noch immer der Hoffnung Raum gab, es dürfte ihm gelingen, die Uebrigen zum Glauben an seine Behauptung zu vermögen; und um dies mit desto mehr Nachdruck thun zu können, gab er sich alle Mühe, selbst auch an seine Heldenthaten zu glauben. Hatte doch während des Gefechts in seinem eigenen Seelenvermögen eine so große Verwirrung geherrscht, daß er wohl auf die Einbildung kommen konnte, auch Andere dürften außer Stande gewesen seyn, die Sachlage genau zu unterscheiden.

Unter dem Einfluß der herrschenden nachsichtigen Gesinnung forderte Kapitän Truck, nachdem die Gläser schon wacker gekreist hatten, den Herausgeber des Active Inquirer auf, die Gesellschaft mit einigen weiteren Auszügen aus seinem Tagebuch zu erfreuen. Hiezu war nicht viel Ueberredungskunst erforderlich, denn Mr. Dodge begab sich sehr bereitwillig nach seinem Staatsgemach, um die werthvollen Berichte über seine Beobachtungen herbeizubringen. Er that dies in der Ueberzeugung, daß Alles vergessen sey und er wieder den ihm gebührenden Platz in den gesellschaftlichen Verhältnissen des Schiffes einnehmen könne. Die vier Gentlemen, welche selbst in den Gegenden gewesen waren, die der Herausgeber zu schildern sich unterfing, schickten sich zum Zuhören an, wie es wohl Männer von Welt zu thun pflegen, wenn sie den oberflächlichen und werthlosen Ergüssen eines Neulings ihr Ohr leihen, weil sie sich einige Unterhaltung davon versprachen.

»Ich mache den Vorschlag, den Schauplatz nach London zu verlegen,« sagte Kapitän Truck, »damit auch ein einfacher Seemann, wie ich bin, in den Stand gesetzt werde, Eure schriftstellerischen Talente zu würdigen; denn obschon ich nicht daran zweifle, daß sie sehr groß sind, kann ich doch vorderhand nicht mit so gutem Gewissen darauf schwören, als ich wohl gerne möchte.«

»Wenn dies der Wunsch der Mehrheit ist,« entgegnete Mr. Dodge, indem er sein Tagebuch niederlegte und fragend umherblickte, »so werde ich mit Freuden darauf eingehen; denn ich bin der Ansicht, daß man sich immer nach der Mehrheit richten sollte. Paris, London oder der Rhein – es kömmt mir nicht darauf an, da ich sie alle gesehen habe und deshalb qualifizirt bin, den einen eben so gut zu schildern, wie die anderen.«

»Niemand zweifelt daran, mein theurer Sir; aber ich bin nicht so gut qualifizirt, die eine von Euren Schilderungen so gut zu verstehen, wie die andere. Vielleicht drückt Ihr Euch mit mehr Gewandtheit aus, Sir, und habt besser verstanden, was zu Euch gesagt wurde, wenn es in englischer, und nicht in einer ausländischen Sprache geschah.«

»Was dies betrifft, so glaube ich nicht, daß der Werth meiner Bemerkungen durch derartige Umstände erhöht oder gemindert werden kann; denn ich mache mir's stets zur Regel, das, was mir vorkömmt, wo möglich richtig aufzuzeichnen, und mehr kann man, glaube ich, von den Eingeborenen eines Landes selbst nicht erwarten. Ihr braucht nur zu bestimmen, Gentlemen, ob ich über England, Frankreich oder das Festland einen Vortrag halten soll.«

»Ich gestehe, daß ich eine Vorliebe für das Festland habe,« versetzte John Effingham, »denn ein so umfassender Geist, wie der des Mr. Dodge, sollte nicht auf eine Insel oder gar auf Frankreich beschränkt werden.«

»Ich sehe, wie es steht,« rief der Kapitän. »So müssen wir eben dem Reisenden auf allen seinen Schritten folgen und ihn um ein Bischen von Beidem ersuchen. Habt die Güte, Mr. Dodge, Euch über Alles im Himmel und auf Erden zu verbreiten – London und Paris miteingeschlossen.«

Auf diesen Wink hin schlug der Journalist sorgfältig einige Blätter um und begann sodann: –

»›In Bruxelles angelangt (Mr. Dodge sprach dieses Wort wie Brucksils aus) um sieben Uhr Abends und im besten Gasthause des Platzes, im silbernen Lamm abgestiegen, das in der Nähe des berühmten Rathhauses und deshalb natürlich im Mittelpunkt des schönsten Stadttheils liegt. Da wir erst am andern Morgen nach dem Frühstück wieder aufbrachen, so kann der Leser mit Recht eine Beschreibung dieser alten Hauptstadt erwarten. Sie liegt auf einem Streifen niedrigen, ebenen Landes – –‹«

»Ei, Mr. Dodge,« unterbrach ihn der sogenannte Sir George, »ich denke, dies muß ein Irrthum seyn. Ich bin in Brüssel gewesen, und es kam mir wahrhaftig vor, als liege es großentheils an der Seite eines sehr steilen Hügels.«

»Ich versichere Euch, Sir, daß Ihr Euch getäuscht habt. In Bruxils ist so wenig Hügel zu bemerken, als auf dem Decke dieses Schiffes. Ihr seyd zu eilig gewesen, mein theurer Sir George, wie es bei den meisten Reisenden der Fall ist, welche sich nicht Zeit nehmen, um auf die Einzelnheiten zu achten. Namentlich geht es bei euch Engländern gerne im Galopp, mein theurer Sir George, und ich kann mir denken, daß Ihr mit einer vierspännigen Post reistet – eine Art, weiter zu kommen, welche Einen wohl veranlassen kann, in der Einbildung einen Berg von der einen Stadt nach der andern zu versetzen. Ich reiste meist in einer Voitury und hatte daher hinreichend Muße zum Beobachten.«

Mr. Dodge lachte jetzt, denn er fühlte, daß er sein Feld gut behauptet hatte.

»Ich denke, Ihr werdet wohl nachgeben müssen, Sir George Templemore,« bemerkte John Effingham, indem er auf den Namen einen Nachdruck legte, welcher unter seinen Freunden ein Lächeln hervorrief. »Brüssel liegt zuverlässig auf einer Ebene, und den Hügel, den Ihr sahet, habt Ihr ohne Zweifel in Eurer Hast von Holland mitgebracht. Mr. Dodge erfreut sich bei seiner Reisemethode eines großen Vortheils; denn da er Abends in der Stadt anlangte und erst am Morgen wieder aufbrach, so stand ihm die ganze Nacht zu Gebot, um sich umzusehen.«

»So hab' ich's stets gehalten, Mr. John Effingham; denn ich machte mir's zum Grundsatze, in jeder großen Stadt, die ich berührte, eine ganze Nacht zuzubringen.«

»Dieser Umstand wird Euren Ansichten unter unseren Landsleuten einen doppelten Werth verleihen, Mr. Dodge, da sie sich selten nur halb so viel Muße gönnen, wenn sie einmal im Zuge sind. Ich hoffe, Ihr habt die belgischen Staatseinrichtungen nicht übergangen, Sir, und namentlich auch dem Zustande der Gesellschaft in der Hauptstadt, von der Ihr so viel saht, Eure Aufmerksamkeit geschenkt?«

»Es fehlt an nichts – hier sind meine Bemerkungen über diese Gegenstände – ›Belgien oder das Belgische, wie das Land jetzt genannt wird, ist eines von den schnell aufgeschossenen Königreichen, die sich in unsern Tagen gebildet haben, und trägt, wie aus unverkennbaren Zeichen hervorgeht, das Schicksal in sich, bald durch die glorreichen Prinzipien der Freiheit über den Haufen geworfen zu werden. Wie gewöhnlich erliegt die Bevölkerung dem Drucke hartherziger Beamten und blutdürstiger Priester. Der Monarch, der ein finsterer Katholik aus dem Hause Sachsen ist – nämlich ein Sohn des Königs über dieses Land und kraft der Rechte seiner ersten Gattin der muthmaßliche Erbe des großbritannischen Thrones – trägt sich in allen seinen Gedanken mit nichts als Mirakeln und Heiligen. Der Adel bildet eine abgesonderte Klasse, schwelgt in allen Arten von Lastern‹ – ich bitte um Verzeihung, Sir George; aber in unserem Lande muß man die Wahrheit sagen oder lieber ganz schweigen – ›in allen Arten von Lastern und bekundet auch anderweitig die ungeheuerlichen Tendenzen des Systems.‹«

»Mit Erlaubniß, Mr. Dodge,« unterbrach ihn John Effingham, »habt Ihr nichts über die Art gesagt, wie sich die Einwohner der ewigen langen Weile, stets auf einer ebenen Fläche spazieren gehen zu müssen, erwehren?«

»Leider nein, Sir. Meine Aufmerksamkeit war hauptsächlich dem Zustand der Gesellschaft zugewandt, obschon ich gerne glauben will, daß sie ihrer Ebene herzlich müde werden müssen.«

»Je nun, Sir, sie haben es so eingerichtet, daß an dem Dach ihrer Cathedrale eine Straße aufwärts und abwärts läuft; auf dieser wandeln sie nun alle Stunden des Tags hin und her.«

Mr. Dodge machte eine argwöhnische Miene, aber John Effingham behauptete seinen Ernst. Nach einer Pause fuhr der Erstere wieder fort:

»›Die Gebräuche von Brucksills sind, wie die Sprache, ein Gemisch von Niederländisch und Holländisch. Der König, der als ein Enkel des Polenkönigs Augustus von polnischer Abkunft ist, gibt sich angelegentlich Mühe, an seinem Hof die russischen Bräuche einzuführen, während seine liebenswürdige junge Königin, die zu New-Jersey geboren wurde, wo ihr durchlauchtiger Vater zu Haddonfield Schulmeister war, früh die Ansichten des Republikanismus einsaugte, durch welche sich Se. Gnaden, der ehrenwerthe Louis Philippe Orleans, der gegenwärtige König der Franzosen, auszeichnet.‹«

»In der That, Mr. Dodge,« sagte Mr. Sharp. »Ihr werdet alle Geschichtschreiber so gegen Euch in den Harnisch jagen, daß sie Euch vor Neid die Gurgel abschneiden möchten.«

»Nun ja, Sir, ich hielt es für meine Pflicht, keine der schönen Gelegenheiten, die sich mir darboten, zu versäumen, denn Amerika ist ein Land, in welchem ein Zeitungsschreiber nie hoffen darf, seinen Lesern etwas aufbinden zu können. Wir geben unsrem Publikum Thatsachen, Mr. Sharp; dies mag vielleicht in England nicht üblich seyn, aber wir sind der Ansicht, daß die Wahrheit allgewaltig ist und den Sieg davontragen wird. Um übrigens fortzufahren: – ›Das Königreich der Belgier ist ungefähr so groß, wie die nordöstliche Ecke von Connectikut mit Einschluß einer einzigen Stadt von Rhode Island, und die ganze Bevölkerung mag ungefähr der unseres Stamms der Creek-Indianer gleichkommen, die in den wilderen Theilen unseres Staates Georgien ihre Sitze haben.‹«

»Diese Vergleichung ist sehr überzeugend,« bemerkte Paul, »und hat noch obendrein das Verdienst, durch einen Augenzeugen bekräftigt zu werden.«

»Ich will nun mit euch nach Paris zurückkehren, Gentlemen, wo ich mich volle drei Wochen aufhielt. Meine Sprachkenntnisse setzen mich natürlich in den Stand, über die Gesellschaft dieser Stadt noch werthvollere Berichte abzugeben.«

»Ich hoffe, Ihr gedenkt diese Andeutungen drucken zu lassen, Sir?« fragte der Kapitän.

»Ich werde sie wahrscheinlich sammeln und zu einem eigenen Werk erweitern, obschon sie in den Spalten des Active Inquirer bereits dem amerikanischen Publikum vorgelegt worden sind. Ich kann euch versichern, Gentlemen, daß sich meine Collegen von der Presse sehr günstig über meine Briefe ausgesprochen haben. Vielleicht ist es euch nicht unangenehm, einige ihrer Kritiken zu hören?«

Mr. Dodge öffnete hierauf ein Taschenbuch, aus welchem er sechs oder acht Streifen bedruckten Papiers herausnahm, die er, obschon sie sehr abgegriffen waren, mit großer Sorgfalt aufbewahrte. Er entfaltete den einen und las wie folgt:

»›Unser Freund Dodge, Herausgeber des Active Inquirer, unterrichtet seine Leser und erbaut das Menschengeschlecht im Allgemeinen mit einigen trefflichen und schlagenden Bemerkungen über den Zustand Europa's – eines Welttheils, den er jetzt einigermaßen mit dem Unternehmungsgeist und der Ausdauer erforscht, wie sie Columbus an den Tag legte, als er sich in die unbekannte Unendlichkeit des atlantischen Weltmeers hinein wagte. Seine Ansichten verdienen unsere unbedingte Billigung, da sie eben so gediegen und umsichtig, als ächt amerikanisch sind. Wir denken, diese Europäer werden nachgerade einzusehen anfangen, daß Jonathan manche gar feine Begriffe von ihnen selbst, diesen Creaturen, unterhält!‹ – Dies ist ein Auszug aus dem Volksadvokaten, einem sehr gediegenen Journale, welches unter der Redaktion von Peleg Pond, Esquire, einem Ausbund-Republikaner und einem tiefen Menschenkenner steht.«

»Als solcher wird er insbesondere in seinem Kirchspiel erscheinen,« fügte John Effingham trocken bei. »Ich bitte, Sir, habt Ihr noch mehr dergleichen kritische morceaux

»Wenigstens ein Dutzend,« entgegnete der Herausgeber, der sogleich wieder zu lesen anfing. »›Steadfast Dodge, Esquire, der Herausgeber des Active Inquirer reist nun in Europa und erleuchtet den öffentlichen Geist seines Vaterlands durch Briefe mit dem Styl eines Johnson, während sie an Geschmack und Weltkenntniß mit den Schriften eines Chesterfield wetteifern; ihre ansprechendsten Eigenschaften sind übrigens Vaterlandsliebe, Republikanismus und Wahrheit. Wir freuen uns, aus diesen werthvollen Beiträgen zur amerikanischen Literatur zu ersehen, daß Steadfast Dodge, Esquire, keinen Grund findet, um die Bewohner der alten Welt um ihre gepriesene Civilisation zu beneiden, da er im Gegenteil mit jeder neuen Reisestation mehr und mehr die Ueberzeugung gewinnt, wie sehr unsere eigenen Zustände über die aller andern Länder erhaben sind. Amerika hat nur wenige Männer wie Herrn Dodge hervorgebracht, und sogar Walter Scott dürfte sich die Autorschaft einiger seiner Schilderungen zur Ehre rechnen. Wir hoffen, er werde seine Reisen noch lange fortsetzen –‹«

»In der Voitury,« fügte John Effingham ernst bei. »Ihr bemerkt, Gentlemen, wie bescheiden diese Redakteure ihr vertrauliches Verhältniß zu dem Reisenden an den Tag legen. ›Unser Freund Dodge, Herausgeber des Active Inquirer,‹ und ›Steadfast Dodge, Esquire‹ – eine Ausdrucksweise, die mehr, als in Bänden gesagt werden kann, über ihren Geschmack und ihre hohe Achtung vor der Lesewelt Zeugniß ablegt.«

»Wir sprechen stets von einander in dieser Weise, Mr. John Effingham – hierin besteht unser ésprit du corps

»Und ich sollte meinen, das Publikum thäte wohl daran, ésprit du corps darin zu zeigen, daß es dies nicht duldet,« bemerkte Paul Blunt.

Diese Unterscheidung ging an Mr. Dodge verloren, welcher eben nach einer seiner ausgesuchtesten Stellen über den gesellschaftlichen Zustand Frankreichs blätterte und dabei die ganze Eigenliebe dicker Unwissenheit und dummdreisten Provinzial-Dünkels an den Tag legte. Sobald dieser gründliche Beobachter der Menschen und ihres Treibens, welcher ein fremdes Volk, dessen Sprache sogar für ihn ein Kauderwelsch war, durch fünftägiges Reisen in einem Omnibus, einen vierwöchentlichen Aufenthalt in Schenken und Speisehäusern, ferner durch dreimaligen Besuch der Theater, in welchen er kein einziges Wort verstand, studiren zu können glaubte, – die gewünschte Stelle aufgefunden hatte, schickte er sich an, den Zuhörern die Ergebnisse seiner Prüfungen vorzulegen.«

»›Das weibliche Geschlecht ist in einem wahrhaft schaudervollen Zustand,‹ nahm er wieder auf, ›da, wie allgemein bekannt ist, die französische Revolution weder Anstand noch Zucht oder Schönheit in der Nation zurückgelassen hat. Abends mache ich einen Spaziergang in den Gallerien des Palais Royal, wo ich mir einen Standpunct wähle und jede Gelegenheit benütze, um in der Hauptstadt Europa's die Eigenthümlichkeiten der Damen vom feinsten Geschmack zu beobachten. Hier zieht, ich gestehe es, namentlich eine Herzogin durch ihre Anmuth und ihr Embonpoint meine Bewunderung auf sich. Mein Laquais de place sagt mir, diese Dame werde bisweilen wegen ihrer Popularität und Leutseligkeit la mère du peuple genannt. Den Beispielen nach zu urtheilen, die ich hier gesehen habe, zeichnen sich die jungen Damen von Frankreich – und hierorts müssen sich wohl die Vornehmsten der Hauptstadt zusammenfinden, da der Spaziergang sich unter den Fenstern eines der königlichen Paläste befindet – keineswegs durch jene ruhige Zurückhaltung und bescheidene Züchtigkeit aus, welche man unter den jungen Schönen Amerika's findet; denn es muß im Gegentheil zugestanden werden, daß die Art, wie sie allein gehen, auffallend und meiner Ansicht nach unziemend ist, da sie nur für Männer paßt. Das Weib ist nicht dazu geschaffen, allein zu seyn, und ich getraue mir daher zu behaupten, daß das Allein-Spazierengehen gleichfalls nicht in ihrem Schöpfungszwecke liegt. Gleichwohl gestehe ich, daß eine gewisse Anmuth in der Weise dieser Damen liegt, in jede Tasche ihrer Schürzen eine Hand zu stecken und den Körper hin und her zu wiegen, so daß sie wie Herzoginnen durch die Gallerien dahinschweben. Ich möchte in aller Bescheidenheit andeuten, daß es nicht übel seyn würde, wenn die amerikanischen Schönen diesen Pariser Gang nachahmten, denn als Reisender halte ich es für meine Pflicht, jede überlegene Eigenschaft, welche andere Nationen besitzen, anzuerkennen. Auch erlaube ich mir, im Allgemeinen auf die anmuthigen Manieren hinzudeuten, welche diese Damen von Qualität (Mr. Dodge sprach dieses Wort wie Kahlität) bei ihren Promenaden in diesem gentilen Theile von Paris beobachten.‹«

»Die französischen Damen müssen sich durch die Aufmerksamkeit, die ihr ihnen geschenkt habt, sehr geschmeichelt fühlen,« rief der Kapitän, indem er Mr. Dodge's Glas füllte. »Im Namen der Wahrheit und des Beobachtungsgeistes, Sir, fahrt fort.«

»›Ich wurde von einer der ersten Familien Frankreichs, welche in der rue Saint Jacques, der Saint-James-Straße von Paris, wohnt, zu einem Balle eingeladen. Die Gesellschaft war auserlesen und bestand aus vielen der vornehmsten Personen im Königreich des Français. Hier waren die bestmöglichen Manieren zu sehen, und namentlich zeichnete sich der Tanz durch seine Anmuth und Schönheit aus. Die Art, wie die Damen ihre Köpfe auf die eine Seite drehten und in der Vor- oder Rückwärtsbewegung ihre Körper neigten, war in einem Style gehalten, welcher dem Hofe Terpsichorens Ehre machen würde. Die Frauenzimmer gehörten insgesammt den ersten Familien Frankreichs an. Ich hörte, wie eine ihr frühes Weggehen entschuldigte, weil Madame la Duchesse sie erwarte, und eine andere erklärte, daß sie Tags darauf mit Madame la Vicountesse Paris verlasse. Die Gentlemen waren, mit wenigen Ausnahmen, nach ihrer Liebhaberei gekleidet und trugen Fräcke von himmelblauer, grüner, scharlachrother oder matrosenblauer Farbe, je nach ihrer Laune; auch waren die Nähte mehr oder weniger mit Borden besetzt – so ziemlich in der Welse, wie bei dem ehrenwerthen König, den ich am Morgen nach Njully hatte abreisen sehen. Diese Unterhaltung war weit geordneter, als ich je irgend einer anwohnte: die Gentlemen benahmen sich sehr herablassend und ohne den mindesten Stolz, während die Damen lauter Grazie waren.‹«

»Grazien würde noch bezeichnender seyn, wenn Ihr mir die Hindeutung auf dieses Wort zu Gut halten wollt, Sir,« bemerkte John Effingham, als der Vorleser inne hielt, um Athem zu holen.

»›Ich habe bemerkt, daß in den meisten Monarchien die Menschen in ihrem Benehmen äußerst kriechend und wegwerfend sind. So ziehen zum Beispiel die Männer, wenn sie in eine Kirche treten, die Hüte ab, obschon der Geistliche noch nicht zugegen ist, und sogar die Knaben thun ein Gleiches, wenn sie nur in ein Privathaus kommen. Dies heißt früh mit der Servilität anfangen. Ich habe mitangesehen, wie Männer in der gemeinsten Weise auf dem kalten Pflaster der Kirchen knieten und anderweitig die Gesinnung bekundeten, welche nothwendig durch sclavische Institutionen hervorgerufen wird.‹«

»Gott stehe ihnen bei!« rief der Kapitän. »Wenn sie schon so jung anfangen, welch' eine sich bückende und knieende Bande von Halunken müssen sie nicht mit der Zeit werden!«

»Vermuthlich hat Mr. Dodge die Folgen in dem Beispiele der gemeinen alten Männer andeuten wollen, welche wahrscheinlich ihre Servilität damit begannen, daß sie mit abgezogenen Hüten in die Häuser traten,« sagte John Effingham.

»Ganz richtig, Sir,« entgegnete der Herausgeber. »Ich lasse diese kleinen Züge aus dem Volksleben mit einfließen, weil ich glaube, daß sie am schlagendsten den Unterschied zwischen den Nationen nachweisen.«

»Ich muß hieraus wohl folgern,« nahm Mr. Sharp das Wort, »daß in dem Theile Amerika's, in welchem Ihr wohnt, kein Knabe den Hut abnimmt, wenn er in ein Haus kommt, und kein Mann in der Kirche niederkniet?«

»Gewiß nicht, Sir. Unser Volk reift früh zur Idee der Männlichkeit, und was das Knieen in der Kirche betrifft, so haben wir zwar einige abergläubische Secten – nun, ich will sie nicht nennen, aber im Ganzen kann keine Nation die Gotteshäuser vernunftgemäßer behandeln, als dies bei uns in Amerika der Fall ist.«

»Dafür will ich stehen,« erwiederte John Effingham; »denn bei meinem letzten Besuche in der Heimath wohnte ich einem Concert in der Kirche an, in welchem ein Künstler von ausgezeichnetem Talent in Nasentönen die Gesellschaft mit jenem in Text sowohl als musikalischer Trefflichkeit so ausgezeichneten Stücke erfreute: ›vier und zwanzig Fiedler, all' in einer Reih'!‹«

»Ich glaube dies gerne,« rief Mr. Dodge, der sich in seinem Nationalstolz aufblähte und die ganze Zeit so frei und unabhängig that, als säße er in einer Schenke. »Oh! in Ameriky ist der Aberglaube völlig erstorben! Ich habe übrigens auch einige Bemerkungen über die Kirche in meinen englischen Notizen; vielleicht wünscht ihr sie zu hören?«

»Ich bitte Euch, sie vorzulesen,« sagte der ächte Sir George Templemore mit einiger Hast.

»Aber ich protestire gegen jede Illiberalität,« fügte der falsche Sir George bei, indem er seine Finger schüttelte.

Mr. Dodge achtete übrigens nicht auf die beiden Sprecher, sondern schlug die von ihm beabsichtigte Stelle auf, welche er laut mit der gewöhnlichen Selbstgefälligkeit und Salbung vorlas.

»Heute besuchte ich den öffentlichen Gottesdienst der Saint – – Kirche in den Minories. In der Versammlung waren viele der angesehensten Leute Englands – darunter Sir Salomon Snore, vormaliger Obersherif von London, welcher zu den einflußreichsten Männern des Reichs gezählt wird, und der berühmte Mr. Shilling von der Firma Pound Shilling und Pence. Die Anwesenden benahmen sich allerdings sehr fein, ließen aber doch ein Bischen zu viel Götzendienst blicken. Sir Salomon und Mr. Shilling wurden mit Auszeichnung empfangen – nicht mehr wie billig, wenn man ihre hohe Stellung bedenkt; aber das Kniebeugen und Singen erfuhr meine unbedingte Mißbilligung.‹«

»Sir Salomon und die andere von Euch genannte Person waren vielleicht ein Bischen engbrüstig, so daß ihre Anmuth darunter Noth litt,« bemerkte Mr. Sharp.

»Ich mißbillige schon aus allgemeinen Grundsätzen alles Knieen. Wenn wir vor Einem knieen, knieen wir auch bald vor einem Andern, und Niemand kann wissen, wo es enden wird. ›Die abschließende Weise, wie die Versammlung in Stühlen saß, deren Seiten so hoch waren, daß man den nächsten Nachbar nur mit Schwierigkeit sehen konnte, und der Umstand, daß diese Stühle,‹ (Mr. Dodge sprach das Wort wie Stiele aus) ›oft Vorhänge haben, die den Eigenthümer ganz verbergen – bekundet eine Selbstsucht, welche in Ameriky nicht lange Duldung finden würde.‹«

»Haben die Leute in Amerika keine eigenen Kirchenstühle?« fragte Mr. Sharp.

»Oft,« entgegnete John Effingham, »sogar immer. Nur diejenigen Landestheile machen eine Ausnahme, wo man einen derartigen Besitz für anmaßend hält und einen Verstoß gegen die öffentlichen Rechte darin sieht, wenn sich Jemand vor seinem Nachbar dadurch auszeichnen will, daß er sich etwas aneignet, an was die ganze Gemeinde nicht bessere Ansprüche hätte, als der Eigenthümer.«

»Und kann der Besitzer eines Kirchenstuhls denselben nicht mit Vorhängen verhüllen, um im Stande zu seyn, bei der öffentlichen Gottesverehrung in seinem Inneren Einkehr zu halten?«

»Amerika ist in allen diesen Dingen das gerade Widerspiel von England. Vermuthlich kommt Ihr mit der Vorstellung zu uns, unsere Freiheit sey so maßlos, um es einem Manne zu gestatten, daß er seine Zeitung allein lese?«

»Ich gestehe, daß ich allerdings dieser Meinung bin,« entgegnete Mr. Sharp lächelnd.

»Wir wollen ihn hierüber eines Bessern belehren, Mr. Dodge, noch ehe wir ihn abreisen lassen. Nein, Sir, Ihr habt, wie ich bemerke, sehr verkümmerte Begriffe von Freiheit. Bei uns wird Alles durch Mehrheiten abgethan. Wir essen, wenn die Mehrheit ißt, trinken, wenn die Mehrheit trinkt, schlafen, wenn die Mehrheit schläft und beten, wenn die Mehrheit betet. Statt uns in Kirchenstühle mit hohen Wänden zu begraben und diese mit Vorhängen zu umgeben, haben wir den Boden amphitheatralisch erhöht, so daß Jeder den Andern sehen kann. Die Seiten der Stühle sind weggenommen und in freie und gleiche Sitze umgewandelt. Auch haben wir die Kanzeleinfassung abgetragen, um den Geistlichen ganz sehen zu können, und wie ich höre, ist jetzt sogar ein Plan im Werke, die Versammlung in die Kanzel und den Pfarrer ins Kirchenschiff zu verpflanzen, damit Letzterer sehe, er sey nicht besser, als Andere. Mr. Dodge, dies wäre eine treffliche Einrichtung für die ›vierundzwanzig Fiedler, all' in einer Reih'.‹«

Der Herausgeber des Active Inquirer traute John Effingham nicht ganz und nahm daher bereitwillig seine Vorlesung wieder auf, obschon er dadurch möglicherweise Gefahr lief, sich noch weiter in das Feuer seines Gegners zu bringen.

»›Diesen Morgen,‹ fuhr Mr. Dodge fort, ›trat ich in das Kaffeezimmer eines Gasthauses, »Schaufel und Zange« genannt, um die Morgenzeitung zu lesen. Ich setzte mich an der Seite eines Gentlemans, der eben mit der »Times« beschäftigt war, und zog die Blätter des Journals, um der größeren Bequemlichkeit willen, zu mir heran; aber der Mann fragte mich in unverschämter, anmaßender Weise, »was zum Teufel ich damit wolle.« Diese Unverträglichkeit im englischen Character hat ihren Grund in der Engherzigkeit der Staatseinrichtungen, welche die Leute auf den Glauben bringen, die Freiheit beziehe sich auf die Personen, nicht aber auf die Mehrheit.‹«

»Ihr bemerkt, Mr. Sharp,« sagte John Effingham, »welchen Vorzug der Fremde vor den Eingeborenen hat, wenn es gilt, die Gebrechen eines National-Characters nachzuweisen. Vermuthlich habt Ihr bisher, wenn Ihr nach Belieben handeltet, der Vorstellung Raum gegeben, daß dies Freiheit sey?«

»Ich fürchte, daß ich mir eine solche Schwäche zu Schulden kommen ließ. Aber Mr. Dodge wird die Güte haben, weiter zu lesen.«

Der Herausgeber willfahrte in Folgendem: –

»›Nichts hat mich mehr überrascht, als der gemeine Geschmack der Engländer in Betreff der Namen. So heißt zum Beispiel dasselbe Gasthaus, welches man in Amerika als »Adlerwirthschaft«, als »orientalisches oder occidentatisches Hotel,« als »Angelsächsisches, demokratisches Caffeehaus,« oder mit irgend einem andern gleich edlen und würdevollen Namen bezeichnen würde – »Schaufel und Zange.« Ein anderes Gasthaus, welches man sehr passend »Friedenssaal« nennen könnte, führt den gemeinen Titel: »Dolly's Garküche«.‹«

Sämmtliche Gentlemen, selbst Mr. Sharp nicht ausgenommen, gaben murmelnd ihren Abscheu vor einem so gemeinen Geschmack zu erkennen. Die meisten aber hatten die anmaßende Unwissenheit und den gemeinen Dörflersinn des Vorlesers satt, so daß sie nach einander den Tisch verließen. Jetzt schickte Kapitän Truck nach Mr. Leach und dem zweiten Maten, und diese beiden Ehrenmänner blieben mit Mr. Dodge und dem falschen Baronet noch ein Stündchen sitzen, worauf auch sie sich nach ihren Lagerstätten begaben.


 << zurück weiter >>