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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Frisch, wackres Schifflein, denn die Ladung dein
Ist köstlicher, als Gold und Edelstein;
Und alle Schätze, die du führest, theilen
Dein Schicksal, sollt' Verderben dich ereilen.

Park.

 

Die Abfahrt des Bootes geschah gerade zur rechten Zeit. Wäre es noch neben dem Schiffe gewesen, so lange sich die Beduinen unbeschäftigt auf dem Floße befanden, so hätte es in der kurzen Entfernung von ihrem Feuer bestrichen werden können, da wenigstens ein Dutzend von den Enterern mit Musketen versehen waren; so aber glitt es jetzt ins Lee, während sie emsig an der Seite hinankletterten oder doch dem Schiffe so nahe waren, daß sie die Lansche gar nicht einmal sehen konnten. Als Paul Powis, welcher am Stern durch einen Spalt blickte, den ersten Beduinen auf dem Deck des Montauk sah, war das Boot bereits fast um Kabelslänge abgekommen und lief mit frischem freiem Winde in einen der zahlreichen Kanäle ein, welche die nackten Sandbänke durchschnitten. Der ungewöhnliche Bau der Lansche mit ihrem umschlossenen Dache, wie auch der Umstand, daß Niemand an ihrem Bord sichtbar war, übte die Wirkung, die Barbaren unthätig zu erhalten, bis der Abstand unsere Flüchtlinge aus dem Bereich der Gefahr gebracht hatte. Es fielen zwar einige Schüsse, die aber nur aufs Ungefähr und in der Bravour der Halbwildheit abgefeuert worden waren.

Paul ließ die Lansche frei laufen, bis sie fast fünfhundert Ruthen von dem Schiffe abgekommen war; als er aber fand, daß er sich im Nordosten dem Riff näherte und in kurzer Entfernung vor ihm eine günstige Sandbank lag, so stellte er das Steuer nieder, ließ die Schoote fliegen, und das Reitknie des Boots schoß auf den Sand. Da das Wasser zureichend tief war, wurde durch eine kleine Wendung die Breitseite gegen die Bank gebracht und angelegt, so daß die Frauenzimmer, wenn sie die Läden öffneten, landen konnten.

Der Uebergang von der scheinbaren Hoffnungslosigkeit, in der sie sich noch vor ein paar Stunden befanden, zu ihrer nunmehrigen Sicherheit war so eindrucksvoll, daß sich die ganze Gesellschaft beziehungsweise glücklich fühlte. Paul und John Effingham gaben vereint die Versicherung ab, es sey recht wohl möglich, in einem so guten Fahrzeuge eine der Inseln im Lee zu erreichen, und sie dürften sich in Gemäßheit der Umstände glücklich preisen, daß sie sich im Besitze der kleinen Barke befänden, die so gut mit allem Erforderlichen ausgestattet sey. Eva und Mademoiselle Viefville, welche während ihres Aufenthalts im Boot dem großen Lenker der Dinge ihren glühenden Dank dargebracht hatten, gingen jetzt sogar mit einem Gefühl von Freude auf dem harten Sand umher, und auf dem schönen Antlitze der Ersteren begann wieder ein Lächeln zu leuchten. Mr. Effingham erklärte mit dankbarem Herzen, daß er in keinem Park oder Garten je einen so lieblichen Spazierweg getroffen habe, als hier auf dem nackten, feuchten Sande in der Nähe der unfruchtbaren Saharaküste. Indeß lag der ganze Zauber eben in der Sicherheit, denn die Sandbank erschien Allen nur deshalb als ein Paradies, weil sie den Beduinen von keiner Seite aus zugänglich war.

Indeß konnte sich Paul Powis doch einer inneren Unruhe nicht erwehren, obgleich er eine wohlgemuthe Miene beibehielt und das Bewußtseyn, das Werkzeug zur Rettung seiner Reisegefährten gewesen zu seyn, seinem Herzen nicht nur eine schwere Last abgenommen hatte, sondern ihn sogar heiter stimmte. Er erinnerte sich der Boote des Dänen, und da er es für mehr als wahrscheinlich hielt, Kapitän Truck sey in die Hände der Berbern gefallen, so fürchtete er, die Letzteren möchten doch noch Mittel finden, sich ihrer zu bemächtigen. Während er eifrig bemüht war, das Tackelwerk zu ordnen und einen Jigger anzufertigen, um die Lansche lenkbarer zu machen, warf er wiederholt unruhige Blicke nach Norden, in fieberischer Angst einem der so lang ersehnten Boote entgegenschauend. Er zählte zwar nicht länger auf die Rückkehr seiner Freunde, fürchtete aber, die Gegner möchten nur allzufrüh aus dieser Richtung herkommen. Indeß ließ sich nichts blicken, und Saunders machte auf der Sandbank Feuer an, um die Gesellschaft mit Thee erfrischen zu können, da sie, obschon die Nacht bald einzubrechen drohte, vom Morgen an noch nichts genossen hatte.

»Man sieht wohl,« sagte Paul lächelnd, als er das Mahl überblickte, welches Anna Sidley auf dem Dache des Boots aufgetragen hatte, während Schemel, Kisten und Koffer als Sitze dienen mußten – »man sieht wohl, daß unsere Lieferanten dem zarteren Geschlechte angehörten; denn wir haben hier Leckerbissen, die eher für ein Bankett, als für eine Wüste passen.«

»Ich glaubte,« ergriff Nanny in demüthiger Entschuldigung das Wort, »Miß Eva würde Geschmack daran finden, Sir; denn sie ist an grobe Kost nicht sonderlich gewöhnt, und Mammerselle liebt gleichfalls etwas Feines, wie dies, glaube ich, bei allen Personen von französischer Abkunft der Fall ist.«

Eva's Augen glänzten; indeß hielt sie es doch für nöthig, einige Worte der Entschuldigung zu sagen.

»Die arme Anna ist schon so lange daran gewöhnt, die Launen eines verzärtelten Mädchens zu befriedigen,« sagte sie, »daß ich fürchte, diejenigen, welche so sehr aller ihrer Kräfte bedürfen, könnten darunter Noth leiden. Es sollte mir ewig leid thun, Mr. Powis, wenn Ihr, der Ihr für uns in jeder Hinsicht von so großer Wichtigkeit seyd, die Kost nicht nach Eurem Geschmacke finden solltet.«

»Ich habe, ohne es zu wissen und ganz gegen meine Absicht mich selbst dem Verdacht blosgestellt, als sey ich einer von Mr. Monday's Gourmets, ein Mensch, einfach für's Gesottene und Gebratene,« entgegnete der junge Mann lachend; »obschon ich blos mein Vergnügen darüber auszudrücken wünschte, daß für diejenigen, deren Behaglichkeit mir über Alles geht, so gut gesorgt wurde. Mit Vergnügen wollte ich sogar hungern, Miß Effingham, wenn ich Euch unter den außerordentlichen Umständen, in denen wir uns befinden, frei von aller Beschwerniß sehen könnte.«

Eva drückte ihren Dank durch Blicke aus, und die Erregung, welche durch diese Worte hervorgerufen wurde, stellte schnell die Schönheit wieder her, welche kürzlich noch unter den Schauern der Furcht gelitten hatte.

»Habe ich nicht zwischen Euch und Mr. Saunders ein Gespräch über die Vortrefflichkeit mancher Vorräthe, die im Schiffe zurückgelassen werden mußten, mitangehört?« fragte John Effingham, um die Verlegenheit seiner Nichte zu erleichtern, indem er Paul um Antwort ansah.

»Wohl möglich, denn er kürzte sich die Zeit, als wir an den Ketten thätig waren, mit einer schönen Jeremiade über das Unglück seiner Truhen. Vermuthlich, Steward, haltet Ihr das Mißgeschick, welches die Speisekammer betraf, für das schwerste von denen, welche den Montauk befallen haben?«

Saunders lächelte selten und hatte in diesem Punkte viele Aehnlichkeit mit Kapitän Truck, obschon bei Letzterem der Grund darin lag, daß er von jeher an eine ernste Komik gewöhnt war und dabei stets die Verantwortlichkeit seines Commandos vor Augen hatte, während der Erstere fast alle Lust an Heiterkeit etwa so verloren hatte, wie der Karrengaul das Ausschlagen verlernt – nemlich in Folge allzu angestrengter Thätigkeit. Außerdem hatte sich's der Steward in den Kopf gesetzt, das Lachen bekunde den »Nigger«; und da er viel auf die Ehre seiner Farbe hielt, welche ungefähr in der Mitte stand zwischen einem Einfuhr-Exemplar von der Goldküste her und einem Reisplantagenaufseher, der im dritten Stadium des gelben Fiebers liegt, so hatte das Gefühl der Würde in Verbindung mit der störrischen Hingebung an die unausgesetzten Plackereien seines Berufs der Physiognomie des armen Teufels den vorherrschenden Character einer weinerlichen Sentimentalität aufgedrückt. Er hielt sich für sehr fein gebildet, weil er in so vielfache innige Berührung mit seekranken Gentlemen und Ladies gekommen war, und war sich bewußt, daß sich Niemand im Schiff einer Sprache bedienen konnte, wie die war, welche ihm stets zu Gebot stand; deshalb hörte er, ungeachtet seiner großen Hinneigung zur Melancholie doch gerne sich selbst reden, und weil ihn nun obendrein John Effingham und Paul ermuthigten, so nahm er, vielleicht ein wenig dreist gemacht durch die nothwendige Vertraulichkeit einer Lage, die fast ein Schiffbruch zu nennen war, keinen Anstand, sich in die Unterhaltung zu mischen, obschon er dabei gegen die Effinghams die gewohnte Ehrerbietung an den Tag legte.

»Ich schätze es für ein großes Privileg, Ladies und Gentlemen,« bemerkte er, sobald Paul aufgehört hatte, »die Ehre zu haben, in solcher Gesellschaft ein Frack geworden zu seyn (denn so sprach der Steward im Einklang mit dem dorischen Dialekte der Back das Wort aus). Ich würd' es für eine Schande halten, in mancher andern Gesellschaft, die ich nennen könnte, verschlagen zu werden, obgleich ich, wie wir in Amerika sagen, nichts über sie prädiziren will in ihrer Abwesenheit. Was aber die Vorräthe betrifft, so ist mir von selbst eingefallen, daß die Damen eine feinere Kost lieben würden, und ich habe daher auch Mrs. Sidley und der andern französischen Jungfer meine Ansicht eröffnet. Glaubt ihr wohl, Gentlemen, daß es den Seelen der Todten gestattet ist, zurückzublicken auf die Ereignisse dieses Lebens, sofern sie mit ihren eigenen Gefühlen und Besorgnissen in Verbindung stehen?«

»Dies wird wohl von der Art abhängen, Steward, wie die Seelen beschäftigt sind, sollte ich meinen,« entgegnete John Effingham. »Zuverläßig muß es Seelen geben, denen alles Andere angenehmer seyn kann, als ein Rückblick. Doch warum stellt Ihr diese Frage?«

»Weil ich nicht glaube, Mr. John Effingham, daß Kapitän Truck je im Himmel glücklich seyn kann, so lange sich das Schiff in den Händen der Beduinen befindet. Wäre es säuberlich und ehrenhaft ein Frack geworden und der Kapitän durch Ertrinken ums Leben gekommen, so könnte er Ruhe finden wie ein jeder andere] Christ; aber ich bin der Ansicht, Sir, wenn es für Seeleute eine besondere Marter gibt, so besteht die größte wohl darin, daß sie zusehen müssen, wie so ein Beduinentroß ihr Fahrzeug durchstöbert. Ich stehe dafür, diese Spitzbuben haben ihre Finger schon in Allem gehabt, in Zucker, Chokolade, Rosinen, Kaffee, Kuchen und Allem! Ich möchte wahrhaftig wissen, wer von den Artikeln noch Gebrauch machen möchte, nachdem sie's in Händen gehabt haben! Und da ist auch der arme Toast, Gentlemen, ein anstrebender junger Mann, aus dem etwas werden konnte, denn er hatte den Stoff zu einem guten Steward in sich, obschon ich kaum sagen möchte, daß er schon vollständig in ihm entwickelt wäre. Ich habe schon dem Tag entgegengesehen, an welchem ich ihn Mr. Leach als meinen Vorgänger empfehlen könnte, wann einmal Kapitän Truck und ich uns zurückziehen würden – und dies wäre ohne Zweifel mit der Zeit geschehen, wenn dieser betrübende Vorfall nicht stattgefunden hätte. Ich bete andächtig zum Himmel, Toast möchte gestorben seyn, denn alles Unglück, was ihm in der andern Welt zustoßen könnte, ist besser, als wenn er genöthigt seyn sollte, mit solchen beduinischen Niggers Gesellschaft zu machen. Todt oder lebendig, Ladies – ich bin stets dafür, daß ein Mensch sich achtbar halte und in einer passenden Gesellschaft bleibe.«

Das unerwartete Entkommen hatte Alle so heiter gestimmt, daß sie Saunders alle Nachsicht schenkten; auch erfreute sich dieser, während er beim Auftragen seines Mahls zwischen seinem Feuer auf dem Sande und dem Dach der Lansche hin- und herging, eines weit herzlicheren Geplauders, als je während der ganzen Fahrt, nicht einmal die Kicherscenen ausgenommen, die er mit Toast in der Speisekammer ausführte, obschon er sich hier ein wenig gehen zu lassen pflegte und die Würde des Steward in den angeborenen Liebhabereien des Schwarzen vergaß.

Paul Powis ging nur für einen Augenblick in den Scherz ein, da auf ihm die Sicherheit des Ganzen beruhte. Er war der Einzige, der sich auf die Seefahrt verstund oder überhaupt nur das Boot in rauhem Wasser zu handhaben wußte; und während die Anderen unbedingtes Vertrauen in seine Festigkeit und Einsicht setzten, fühlte er die gewöhnliche Last der Verantwortlichkeit. Er nahm daher nach Beendigung des Nachtessens, als die Uebrigen auf den Sandinselchen hin- und hergingen, seinen Posten auf dem Dach und beobachtete durch das Fernglas das Treiben der Beduinen; Mr. Sharp aber verzichtete mit einer Art ritterlicher Selbstverläugnung, die sein Gefährte zu schätzen wußte, auf das Glück, sich an Eva's Seite zu ergehen, und blieb in seiner Nähe.

»Die Elenden haben ohne Zweifel die Kajüten bereits verwüstet,« bemerkte Mr. Sharp, nachdem Paul das Schiff eine Weile beobachtet hatte. »Sie werden in einer Stunde zerstören, was herzustellen Monate gekostet hat.«

»Ich sehe dies nicht,« versetzte Paul. »Es sind nur etwa fünfzig im Schiffe, und ihre Anstrengungen scheinen darauf abzuzielen, das Fahrzeug nach den Klippen hinüberzubringen. Sie entbehren der Mittel, ihren Raub von der Stelle aus, wo der Montauk liegt, ans Land zu schaffen und vermuthlich sind sie mit einander überein gekommen, an der Plünderung Alle theilnehmen zu lassen. Ein Paar, welche mir Häuptlinge zu seyn scheinen, gehen in den Kajüten ein und aus; die Uebrigen aber sind eifrig beschäftigt, das Schiff von seiner Stelle zu bringen.«

»Und mit welchem Erfolge?«

»Mit gar keinem, wie es scheint. Es überbietet ihre Kenntnisse von der Mechanik, eine so schwere Masse aus ihrer Lage zu zwängen. Der Wind hat das Schiff fest auf die Bank getrieben, und nichts als die Spille wird im Stande seyn, es wieder loszubringen. Die unwissenden Tröpfe haben zwei oder drei dünne Taue zwischen die Fahrzeuge und das Riff gebracht und reißen vergeblich an beiden Enden. Unsere Hauptaufgabe wird übrigens seyn, einen Ausweg in den Ocean zu finden, damit wir uns ehestens nach dem grünen Vorgebirge auf den Weg machen können.«

Paul begann nun das Riff sorgfältig zu untersuchen, um eine Oeffnung zu entdecken, durch welche die Lansche in die See hinausgebracht werden könnte. Nördlich von dem großen Einlasse befand sich eine fortlaufende Linie von Klippen, auf denen sich zu seinem großen Leidwesen bereits bewaffnete Beduinen zu zeigen begannen – ein Beweis, daß sie noch immer der Hoffnung Raum gaben, die Flüchtlinge gefangen zu nehmen; dagegen waren südlich viele Stellen zu erblicken, welche schon bei halber Fluth eine Durchfahrt hoffen ließen, und er zweifelte nicht, mit dem Eintritte der Dunkelheit eine derselben benützen zu können. Seiner Ansicht nach hatten die Beduinen nur deßhalb die Boote des Wraks noch nicht heruntergebracht, weil sie auf ein Entkommen in der Lansche nicht gerechnet hatten; befand sich aber letztere am nächsten Morgen noch innerhalb des Riffes, so verzweifelte er an der Möglichkeit, wirklich entwischen zu können, weil die Boote den Vortheil der Ruder besaßen – gleichviel wie unwissend auch die Barbaren in geeigneter Führung derselben seyn mochten.

Alles war jetzt bereit und das Innere der Lansche durch Decken, Koffer und Kisten in zwei Gemächer getheilt, deren vorderes die Frauenzimmer mit ihren Matratzen einnahmen, während das hintere den Männern zur Benützung angewiesen wurde. Einige von jenen gründlichen Auslegern des Gesetzes, welche die Gesetzgebung durch Handelspfiffe erläutern, hatten mehrere hundert rohe, bleierne Büsten Napoleons in den Montauk verladen, um sich den Zollunterschied zwischen verarbeitetem und unverarbeiteten Metall zu ersparen, und vier oder fünf Exemplare davon waren als Ballast in die Lansche geworfen worden. Diese hatte man nebst dem Wasser und allen schwereren Artikeln fest in den Boden des Fahrzeugs verpackt. Der Jigger war gefertigt und angeschlagen, deßgleichen ein passender Mast vermittelst des Daches eingesetzt. Kurz, Paul hatte nach Kräften jede mögliche Vorsorge für die Gemächlichkeit sowohl als für die Sicherheit getroffen, und Alles war zur Wiedereinschiffung bereit, sobald die passende Stunde herankam.

Der zartere Theil der Gesellschaft saß auf dem Rande des Daches, sah dem Untergang der Sonne zu und unterhielt sich mit einem Gespräche, dessen Stimmung mehr ihrer wahren Lage entsprach, als dies unmittelbar nach ihrem Entkommen der Fall gewesen war. Der Abendhimmel hatte um diese Stunde etwas von jenem wilden, wolkigten Anblick, der Kapitän Truck so viele Besorgniß eingeflößt hatte; aber die Sonne tauchte prachtvoll in die flüssige Welt des Westens nieder und die ganze Scene bot mit Einschluß der endlosen Wüste, des dunkeln Riffs, des gestrandeten Schiffs und der Regsamkeit der Beduinen, ein Bild düsterer Großartigkeit.

»Könnten wir nur voraus wissen, was uns im Laufe eines Monats begegnen wird,« sagte John Effingham; »mit wie ganz andern Gefühlen würden wir die Gegenwart beurtheilen. Als wir vor nicht ganz drei Wochen London verließen, war unser Sinn angefüllt von den Bewegungen, den Sorgen, den Genüssen und dem Interesse einer großen, gebildeten Hauptstadt, und jetzt sitzen wir hier als heimathlose Wanderer, um an der Küste von Afrika die Abendlandschaft zu betrachten. In gleicher Weise werdet ihr jungen Männer und ihr jungen Frauenzimmer finden, daß im schnellen Hingleiten des Lebens die Zukunft so oft die Erwartungen der Gegenwart täuscht.«

»Nicht alle Zukunft ist düster, Vetter Jack,« versetzte Eva, »und nicht alle Hoffnungen sind zur Vereitelung bestimmt. Ein barmherziger Gott sorgt für uns, selbst wenn wir am Rande der Verzweiflung zu seyn wähnen, und sendet einen Strahl unerwarteten Lichtes in unsere dunkelsten Stunden. Wahrhaftig von allen seinen Geschöpfen sollten wir am wenigsten dies in Abrede stellen.«

»Ich stelle es nicht in Abrede. Wir sind in so einfacher Weise gerettet worden, daß sie fast nothwendig zu seyn schien, und doch so unerwartet, daß sie uns wie ein Wunder vorkommen muß. Wäre nicht Mr. Blunt oder Mr. Powis, wie ihr ihn nennt, obschon ich in das Geheimniß der Mummerei nicht eingeweiht bin – aber wäre nicht dieser Gentleman ein Seemann gewesen, so hätte es alle unsere Mittel überboten, dieses Boot ins Wasser zu bringen oder auch nur es zweckmäßig zu gebrauchen, selbst wenn wir es hätten herausschaffen können. Ich betrachte seinen Beruf als das erste große Walten der Vorsehung, die uns retten will, und seine überlegene Geschicklichkeit und Einsicht ist ein Umstand, der für uns keine geringere Bedeutung hat.«

Eva verstummte; aber die Gluth des westlichen Himmels war kaum strahlender, als der Blick, welchen sie dem Gegenstand dieser Bemerkung zusandte.

»Es ist kein großes Verdienst, ein Seemann zu seyn, denn die Kunst beruht wie jede andere, blos auf Uebung und Erziehung,« ergriff Paul nach einem Augenblicke beengender Verlegenheit das Wort. »Wenn ich, wie Ihr sagt, das Werkzeug zu eurer Rettung war, so werde ich die Zufälligkeiten – ich könnte fast sagen die bitteren Zufälligkeiten meines früheren Lebens – nie bedauern, die mich in meiner Jugend zwangen, mein Glück auf dem Meere zu suchen.«

Es herrschte so tiefe Stille, daß man eine Nadel hätte fallen hören können, und Alle hofften, der junge Mann werde fortfahren; aber er zog es vor, zu schweigen. Saunders hörte zufällig die Bemerkung mit an, denn er leistete eben Anna Sidley im Boote Beistand und nahm den Gegenstand, welchen der Andere abgebrochen hatte, in einem Nebengespräch mit seiner Gefährtin wieder auf.

»Es ist ein Unglück, daß Mr. Dodge nicht hier ist, um den Gentleman zu befragen,« sagte der Steward zu der Dienerin, »und dann könnten wir mehr von seinen Abenteuern hören, die ohne Zweifel sehr pathetisch und romantikalisch sind. Mr. Dodge ist ein wahrer Inquisitor, Mrs. Anna – kein solcher Inquisitor, der die Leute verbrennt und ihnen die Haut abzieht, wie an einem Orte, wo ich gewesen bin, sondern ein Inquisitor, der die Leute in anderer Weise plagt und wie wir deren eine Unzahl in Amerika haben.«

»Laßt den armen Mann in Frieden ruhen!« sagte Nanny mit einem Seufzer. »Er ist hingegangen zur großen Rechenschaft, Steward, und ich fürchte, Niemand von uns wird, wenn's zur Schlußabrechnung kömmt, eine besonders gute Figur machen. Außer Miß Eva habe ich nie einen sterblichen Menschen gekannt, der nicht mehr oder weniger ein Sünder gewesen wäre.«

»So sagen Alle, und ich muß zugeben, daß meine Erfahrung auch für die schlimme Seite der Frage spricht. So war zum Beispiel Kapitän Truck ein sehr würdiger Mann, aber er hatte doch seine Fehler – und eben so erging es Toast. Was den Erstern betrifft, so pflegte er zu fluchen, wenn er aufgebracht war, und dann nahm er durchaus keinen Anstand sich über einen Nebenmenschen auszusprechen, wenn zufälligerweise der Kaffee zu dick war oder bei dem Geflügel die Mästung nicht anschlagen wollte. Ich habe selbst mit angesehen, wie er über den Compaß herfluchte, wenn das Schiff in Eisen gerieth.«

»Dies ist eine große Sünde, und es steht zu fürchten, daß in seinen letzten Augenblicken alles dies schwer auf sein Herz fiel.«

»Wenn sich die Beduinen unterstanden, ihn zu kannibalisiren, so wird er's ihnen, wie ich glaube, wohl rechts und links gegeben haben,« fuhr Saunders fort, indem er sich ein Auge wischte; denn zwischen ihm und dem Kapitän hatte ungefähr die Zuneigung bestanden, die der Gefangene bisweilen zu den Fesseln fühlt, mit denen er sich in seiner langen Weile unterhält. »Einige seiner Flüche hätten einen Hund erwürgen können.«

»Laßt ihn ruhen – laßt ihn ruhen. Die Vorsehung ist gütig, und vielleicht hat der arme Mann noch in Zeiten bereut.«

»Und Toast gleichfalls. Wahrhaftig, Mrs. Anna, ich vergebe Toast alle die kleinen Versehen, die er gemacht hat, aus dem Grunde meines Herzens – namentlich die Geschichte, als er das Beefsteak in den Kaffee fallen ließ und Kapitän Truck mich dafür am selbigen Morgen so unbarmherzig mitnahm. Auch bete ich in Demuth, der Kapitän, der jetzt sein Sterblichkeitskabel hat fallen lassen, so daß er nichts mehr als die Seele besitzt, möge nicht dahinter kommen, damit es nicht auch im Himmel noch böses Blut zwischen ihnen gebe.«

»Steward, Ihr wißt kaum, was Ihr sagt,« unterbrach ihn Anna, die ganz entsetzt war über seine Unwissenheit, »und ich will nicht weiter mit Euch über die Sache sprechen.«

Mr. Saunders mußte sich zufrieden geben und unterhielt sich fortan damit, daß er den Gesprächen derjenigen zuhörte, welche sich auf dem Dach befanden. Da Paul sich nicht auf weitere Erklärungen einlassen wollte, so wurde die Unterhaltung wieder aufgenommen, als ob er nichts gesagt hätte. Sie sprachen von ihrem Entkommen, ihren Hoffnungen und dem vermeintlichen Schicksal ihrer Reisegefährten – Gegenstände, welche wohl geeignet waren, Alle mit einem Ernst zu erfüllen, der mit der schwermüthigen, aber nicht unmalerischen Landschaft im Einklange stand. Endlich kam der Abend heran, Und da die Nacht finster und feucht zu werden drohte, so trafen die Damen frühzeitig ihre Vorbereitungen, um sich nach ihrem Gemache zurückzuziehen. Die Gentlemen blieben viel länger auf dem Sande, und erst um zehn Uhr befanden Paul Powis und Mr. Sharp, welche die Wache übernommen hatten, sich allein im Freien.

Dies war ungefähr eine Stunde später, als der Zeitpunkt, in welchem, wie wir früher gezeigt haben, Kapitän Truck sich in der Lansche des Dänen zum Schlafen niederlegte. Das Wetter hatte in dem kurzen Zwischenraume einen merklichen Wechsel erlitten, und es waren Anzeichen vorhanden, die unsern jungen Seemann noch eine bedeutendere Veränderung besorgen ließen. Die Nacht war tief und eigentlich pechfinster, so daß sich nicht länger die Küste unterscheiden ließ, und die beiden Gentlemen konnten die Lage derselben nur noch an den verglimmenden Wachfeuern im Beduinenlager und an der Richtung des Windes erkennen.

»Wir wollen jetzt einen Versuch machen,« sagte Paul, in seinem kurzen Spaziergang auf dem Sande innehaltend und nach dem düsteren Gewölbe des Himmels aufblickend. »Mitternacht ist nahe und gegen zwei Uhr werden wir Hochfluth haben. Freilich ist's eine dunkle Nacht, um sich in einer so gebrechlichen Barke durch die schmalen Kanäle in's Meer hinauszuschlagen, aber es bleibt uns keine andere Wahl.«

»Wäre es nicht besser, das Wasser noch höher steigen zu lassen? Ich sehe an dieser Sandbank, daß es noch immer im Weiterrücken begriffen ist.«

»In diesen niedrigen Breiten geht die Fluth nicht hoch, und die kleine Steigung, die wir noch zu erwarten haben, kann uns von einer Bank weghelfen, wenn wir auflaufen sollten. Geht Ihr auf das Dach – ich will die Bootshaken hereinholen und das Fahrzeug abstoßen.«

Mr. Sharp willfahrte, und nach einigen Minuten schwamm die Lansche langsam von der gastfreundlichen Sandbank ab. Paul holte den Jigger aus – ein kleines Bugsprietsegel, das sich von selbst anspannte, weil es an einer unbeweglichen Raa befestigt war – und setzte ganz hinten einen kleinen Mast ein, um auf diese Weise das Boot gegen den Wind zu zwängen. Dies brachte den Schnabel der Lansche auf; aber man mußte sehr achtsam seyn, wenn man die leichte Bewegung bemerken wollte, welche das Fahrzeug durch das Wasser machte.

»Ich trenne mich von dieser Sandbank mit so schwerem Herzen, wie von einem erprobten Freunde,« sagte Paul in dem Flüstertone, in welchem fortan alles weitere Gespräch geführt wurde. »In ihrer Nähe weiß ich, wo wir uns befinden; aber es wird nicht lang anstehen, bis wir in dieser tiefen Finsterniß völlig verirrt sind.«

»Wir haben noch die Feuer der Beduinen als Leuchtthürme vor uns.«

»Sie können uns allerdings einigen Begriff von unserer Lage geben; aber ein derartiges Licht ist ein sehr heimtückischer Führer in einer so dunkeln Nacht. Wir haben wenig anders zu thun, als das Wasser zu beobachten und uns Mühe zu geben, daß wir windwärts kommen.«

Paul setzte das Sturmsegel, dessen Eigenschaft das Oberbramsegel zu vertreten hatte, und nahm seinen Platz unmittelbar auf dem Schnabel des Boots ein, indem er seine Beine rechts und links vom Brustholz niederhängen ließ. Er hatte an der Ruderpinne zwei Leinen angebracht, von denen er jede mit einer Hand faßte, und so steuerte er das Fahrzeug wie mit Leitseilen. Mr. Sharp saß in seiner Nähe und hielt die Schoote des großen Segels, während neben ihm auf dem Dache ein Bootshaken und eine leichte Spiere lagen, für den Fall, daß sie auf den Grund liefen.

So lange sie sich noch auf der Sandbank befanden, hatte Paul bemerkt, er könne, wenn er das Boot nah an den Wind hielt, fast tausend Ruthen weit durch einen der weitesten Kanäle kommen, wenn er nicht etwa durch Strömungen gestört würde; auch meinte er, am südlichen Ende desselben weit genug windwärts gelangt zu seyn, um den Einlaß zu erreichen, es wäre denn, daß Sandbänke in dieser Richtung lägen. Die Entfernung hatte ihn gehindert, am entlegeneren Ende dieses Kanals eine Durchfahrt durch das Riff zu entdecken; indeß hoffte er doch, daß ihm dies gelingen dürfte, da das Boot nur zwei Fuß Wassertracht hatte. Seiner Ansicht nach reichte für seinen Zweck eine kleine Lücke zu, wenn sie zur Zeit der Hochfluth nur tief genug war, um den Uebergang der Beduinen zu hindern. Das Boot ging stätig und mit ziemlicher Geschwindigkeit vor sich, wie es eben bei der Bewegung eines schweren Körpers im Dunkeln möglich war. Die Gentlemen beobachteten das Wasser vorn auf's Sorgfältigste, um die Sandbänke zu vermeiden, aber mit geringem Erfolg, denn im Vorrücken folgte blos eine Schichte Finsterniß auf die andere. Zum Glück kamen ihnen Pauls vorläufige Beobachtungen zu Statten, so daß sie mehr als eine halbe Stunde ungehemmt weiter steuern konnten.

»Sie schlafen unter uns in völliger Sicherheit,« sagte Paul, »während wir fast auf's Gerathewohl steuern. Wir befinden uns in einer seltsamen und sehr gewagten Lage, denn die Dunkelheit verdoppelt die Gefahr.«

»Den Wachfeuern zufolge müssen wir nahezu die Bai gekreuzt haben; ich glaube, wir können nicht mehr weit von dem südlichen Riffe seyn.«

»Ich bin derselben Ansicht, aber die Unstätigkeit des Windes will mir nicht gefallen. Er kömmt für Augenblicke frischer, aber nur stoßweise, und ich fürchte, es wird ein Umschlagen folgen. Vorderhand ist er mein bester Lootse.«

»Der Wind und die Feuer.«

»Die Feuer sind stets unsicher. Es steht vorne dunkler aus als je.«

Der Wind hörte nun ganz auf zu blasen, und das Segeltuch klappte schwerfällig gegen den Mast. Fast im selben Augenblick verlor die Lansche ihren Weg, und Paul hatte nur noch Zeit, vorne die Bootshaken auszustoßen, um das Anprallen an einem Felsen zu verhindern.

»Dies ist also ein Theil des Riffs, der nie unter Wasser steht,« sagte er. »Wenn Ihr auf die Klippen steigen und das Boot halten wollt, so möchte ich wohl eine Untersuchung vornehmen, ob wir nicht einen Platz zur Ausfahrt finden. Wären wir hundert Fuß weiter südwestlich, so könnten wir in die offene See hinaus, wo wir beziehungsweise sicher wären.«

Mr. Sharp willfahrte, und Paul stieg sorgfältig auf das Riff hinaus, um in der tiefen Finsterniß vermittelst des Bootshakens einen Weg zu suchen. Er tastete ungefähr zehn Minuten mit größter Behutsamkeit umher, da er bei jedem Schritte Gefahr lief, in die See zu fallen. Sein Freund begann unruhig zu werden; denn schon in dieser kurzen Zeit vergegenwärtigte sich die große Gefahr ihrer gemeinschaftlichen Lage auf's Lebhafteste seinem Auge, im Falle ihrem einzigen Führer ein Unglück zustoßen sollte. Er blickte ängstlich nach der Richtung, in welcher Paul verschwunden war, bis er plötzlich seinen Arm fest angefaßt fühlte.

»Wir dürfen kaum athmen!« flüsterte Paul hastig. »Die Felsen sind mit Beduinen bedeckt, die auf dem trockenen Theile des Riffs bleiben wollten, um am Morgen sogleich bei der Plünderung bei der Hand zu seyn. Dem Himmel sey Dank, daß ich Euch wieder gefunden habe, denn ich fing schon an zu verzweifeln. Ein Ruf würde zu sicherer Gefangenschaft geführt haben, da acht oder zehn von den Berbern kaum fünfzig Fuß von uns schlafen. Sucht so geräuschlos als möglich wieder auf das Dach zu kommen und überlaßt alles Uebrige mir.«

Sobald Mr. Sharp wieder im Boote war, schob Paul das Fahrzeug mit einem gewaltsamen Ruck von dem Felsen ab und sprang in demselben Augenblick auf das Dach. Hiedurch kam die Lansche sternwärts und für jetzt in eine sicherere Lage. Aber der Wind hatte nunmehr umgeschlagen und kam in Stößen von der Wüste her – ein Umstand, der sie wieder leewärts brachte.

»Dies ist der Anfang der Passatwinde,« sagte Paul. »Sie sind durch die letzte Bö unterbrochen worden und kehren jetzt wieder zurück. Wären wir außerhalb des Riffs, so könnte unseren Gebeten keine schönere Erhörung zu Theil werden, als gerade durch Gewährung dieses Windes; aber hier kömmt er uns sehr unzeitig. Ha! – dies hilft wenigstens dem Fahrzeuge!«

Ein Windstoß vom Lande aus füllte die Segel und im Stern begann, obschon kaum hörbar, das Wasser zu plätschern. Das Steuer wurde nun gehandhabt und das Boot entfernte sich, vorwärtsgehend, langsam von dem Riffe.

»Wir haben allen Grund, dem Himmel zu danken! Diese Gefahr wenigstens ist vermieden. – Ha! das Boot sitzt auf.«

Die Lansche war auf eine Sandbank gelaufen. Sie waren den Klippen noch so nahe, daß sie ihre Bewegungen nur mit größter Vorsicht verfolgen konnten, und als sie behutsam die Spiere in Anwendung brachten, entdeckten die beiden Gentlemen, daß das Boot im Sterne aufsaß; sie hatten daher keine andere Wahl, als sich in Geduld zu fassen.

»Es ist ein Glück, daß die Beduinen keine Hunde mit auf die Felsen genommen haben; im Lager dagegen hört man sie unablässig heulen.«

»Allerdings. Glaubt Ihr, daß wir in dieser tiefen Finsterniß je den Einlaß finden werden?«

»Er ist unser einziger Ausweg. Wenn wir dem Klippenzug folgen könnten, so müßten wir ihn nothwendig auffinden; aber Ihr bemerkt, daß sie bereits außer Sicht sind, obschon sie kaum dreißig Faden von uns abliegen. Das Steuer ist frei, folglich muß das Fahrzeug wieder vom Boden los seyn. Dieser letzte Windstoß hat uns geholfen.«

Es folgte ein abermaliges Schweigen, und die Lansche bewegte sich langsam weiter, obschon die Gentlemen über die Richtung nicht in's Klare kommen konnten. Ein einziges Feuer war noch in Sicht, aber es glimmte nur wie eine ersterbende Flamme. Von Zeit zu Zeit kam ein heißer, trockener Windstoß mit der Glut der Wüste heran; dann trat aber wieder die todtenstille Ruhe ein. Paul beobachtete eine halbe Stunde lang das Boot auf's Sorgfältigste und suchte jeden Luftzug auf's Beste zu benützen, obschon er durchaus nicht wußte, wo er stand. Das Riff hatten sie nicht wieder zu Gesicht bekommen; auch waren sie dreimal aufgesessen, und eben so oft durch die Fluth wieder frei geworden – desgleichen hatten sie den Kurs wiederholt ändern müssen. Das Ergebniß davon war jenes tiefe, peinliche Gefühl der Hoffnungslosigkeit, welches uns Alle befällt, wenn uns alles Denken im Stiche läßt und die Vernunft ein viel werthloseres Hülfsmittel wird, als der Instinct.

»Das letzte Feuer ist erloschen,« flüsterte Paul. »Ich fürchte, das Grauen des Tages wird uns noch immer innerhalb des Riffes finden.«

»Ich bemerke einen Gegenstand in unsrer Nähe. – Kann hier wohl eine hohe Sandbank liegen?«

Der Wind hatte gänzlich nachgelassen, und das Boot stand fast unbeweglich. Paul bemerkte ein noch tieferes Dunkel als gewöhnlich vor sich und beugte sich vorwärts, während er zugleich behutsam die Hand vorhielt.

Er stieß gegen etwas an, ohne den Gegenstand unterscheiden zu können. Es war eine harte, glatte Oberfläche, dis er anfänglich für einen Felsen hielt; als er jedoch seine Augen langsam aufrichtete, bemerkte er bei dem geringen Lichte, das noch am Himmel zurückgeblieben war, unbestimmte Umrisse, die er plötzlich erkannte. Seine Hand hatte die Windvierung des Schiffes berührt.

»Es ist der Montauk,« flüsterte er athemlos, »und auf seinen Decken muß es von Beduinen wimmeln. Bst! – hört Ihr nichts?«

Sie lauschten und vernahmen deutlich die gedämpften Stimmen der Schildwachen – Laute, in die sich hin und wieder ein leichtes Gelächter mischte. Dies war eine Crisis, die wohl jeden Anderen, der weniger Festigkeit und Umsicht besaß, als Paul, hätte erschrecken können; er bewahrte jedoch seine Fassung.

»Wir haben hier Schlimmes und Gutes zumal,« flüsterte er. Ich weiß jetzt, wo wir stehen. Gott sey Dank, wir sind dem Einlaß nahe – wenn wir ihn nur erreichen können. Durch einen kräftigen Ruck können wir stets die Lansche von der Schiffsseite abbringen und dadurch verhindern, daß wir geentert werden; auch glaube ich, daß wir unter Anwendung der größten Vorsicht sogar im Stande sind, das Boot unentdeckt an dem Schiffe vorbeizubringen.«

Das verfängliche Werk wurde unternommen. Man mußte sogar jedes schwerere Auftreten, desgleichen die Anwendung des Bootshakens oder die Berührung des Schiffes vermeiden, da in der lautlosen Stille der tiefen Nacht auch das leiseste Geräusch deutlich vernommen werden konnte. Sobald übrigens Paul einmal über seine wahre Lage im Reinen war, erfaßte er mit dem Auge seines Geistes alle Hindernisse, denen ein Anderer wohl nicht zu begegnen im Stande gewesen wäre; er wußte genau, wie er's beim Abhalten angreifen mußte und um wieviel er sich der Schiffsseite näherte, als er behutsam das Boot an dem massenhaften Rumpfe hinführte. Die Raa der Lansche war glücklicherweise gegen das Riff geneigt und bot daher kein Hinderniß. In dieser Weise holten die beiden Gentlemen ihr Boot bis gegen die Buge des Montauk vor, und Paul war eben im Begriffe, ihr Fahrzeug kräftig abzustoßen, um möglichst weit von dem Paketschiff weg zu kommen, als der Bewegung der Lansche plötzlich und gewaltsam Einhalt gethan wurde.


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