Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Mein guter Hoch-Bootsmann, hab Acht!

Sturm.

 

Um Sonnenuntergang war der Flecken, welcher das gereffte Marssegel der Corvette andeutete, im Süden unter den Horizont hinuntergesunken und von dem Foam nichts weiter zu sehen. Der Montauk hatte an mehreren Inseln vorbeigetrifftet, die mitten in der Wuth des Sturmes ruhig und lächelnd aussahen; aber es war unmöglich, nach einer derselben umzuholen. Man konnte nichts weiter thun, als das Schiff todt vor dem Winde halten, es vor dem Beidrehen bewahren und Sorge tragen, daß es sich von den Felsen und dem Boden klar hielt, nach denen sich Nanny Sidley so sehr sehnte.

Die Passagiere waren nachgerade mit der Scene vertrauter geworden, so daß sie weniger Besorgnisse hegten, und da das Segeln vor dem Winde denjenigen, welche zur Seekrankheit geneigt sind, die zuträglichste Schiffsbewegung ist, so war jetzt die Aufmerksamkeit der Reisenden hauptsächlich dem Kurse zugewendet, welchen das Schiff steuern mußte. Der Wind hatte so weit gegen Westen umgeholt, daß sie, wenn sie noch viele Stunden länger zu lenssen genöthigt waren, nothwendig auf die Küste von Afrika treffen mußten, denn Kapitän Truck hatte sich durch seine Beobachtungen überzeugt, daß er genau südöstlich von den canarischen Inseln stand. Dies war freilich ein weiter Abstand von seinem eigentlichen Kurse, aber die Segelgeschwindigkeit machte die Thatsache hinreichend klar.

Dies war auch wirklich der Moment, in welchem der Montauk die Gewalt des Sturmes oder vielmehr denjenigen Theil derselben, welcher ihm vorbehalten war, am schwersten fühlte. Es war nemlich ein Glück für das gute Schiff, daß es nicht einige Stunden früher in diese Breite eingetreten war, weil um diese Zeit hier ein eigentlicher Orkan gewüthet hatte. Kapitän Truck fühlte sich jetzt durch die Verantwortlichkeit und die Gefahr seiner Lage ernstlich beunruhigt, obschon er, wie es einem klugen Offizier ziemt, seine Besorgnisse für sich behielt. Er wiederholte alle seine Berechnungen mit größter Genauigkeit, schätzte behutsam die Segelgeschwindigkeit ab und entnahm daraus, daß zehn oder fünfzehn Stunden weiter unausbleiblich einen Schiffbruch zur Folge haben mußten, wenn sich inzwischen der Wind nicht ermäßigte.

Glücklicherweise begann die Bö gegen Mitternacht sich zu brechen. Der Wind blies zwar noch immer mit furchtbarer Gewalt, aber doch weniger stätig, und es traten Zwischenräume von halbstündiger Dauer ein, in welchen das Schiff sogar am Bolien weit mehr Tuch hätte führen können. Die Geschwindigkeit des Schiffes nahm daher verhältnißmäßig ab, und als der Morgen graute, konnte man auch nach langer und angelegentlicher Musterung von den Masten im Osten nirgends Land entdecken. Sobald sich Kapitän Truck von dieser wichtigen Thatsache überzeugt hatte, rieb er vergnügt die Hände, ließ sich eine Kohle für seine Cigarre bringen und begann mit Saunders über die Qualität des Kaffees, welcher während des Sturms verabreicht worden war, zu schelten.

»Diesen Morgen wollen wir etwas Besseres haben, Sir,« fügte er nach einem scharfen Verweise bei, »und merkt Euch wohl – wir sind jetzt in der Nachbarschaft des Landes Eurer Vorväter, wo Ihr allen Grund zum Wohlverhalten hättet. Höre ich noch einmal von einem so ärmlichen Plempel, so setze ich Euch an's Land und lasse Euch einen Sommer oder zwei nackend und unter den Orangoutangs herumlaufen.«

»Ich gebe mir bei allen passenden Gelegenheiten Mühe, Euch und Allen, mit denen ich zu segeln die Ehre habe, nach Gefallen zu handeln«, entgegnete der Steward; »aber der Kaffee, Sir, kann in solchem Wetter, Sir, unmöglich sehr gut seyn, Sir. Ich meine, der Wind muß ihm den Wohlgeschmack weggeblasen haben, denn ich würde es ja gern gestehen, wenn er nicht so gut wie gewöhnlich gerochen hätte, als ich die Ehre hatte, ihn zuzubereiten. Was Afrika betrifft, Sir, so schmeichle ich mir, Kapitän Truck, daß Ihr mich zu hoch schätzt, um zu glauben, ich passe in die Gesellschaft der ungebildeten und ungezogenen Menschen, welche jenes wilde Land bewohnen. Ich erinnere mich nicht, ob meine Vorfahren aus diesem Theile der Welt kommen oder nicht; aber wenn's auch der Fall ist, Sir, so haben mich meine Manieren und mein Beruf hoffentlich ganz unfähig für eine Gemeinschaft mit ihnen gemacht. Ich weiß, ich bin nur ein armer Steward, Sir; aber Ihr werdet Euch gefälligst erinnern, daß Euer großer Mr. Vattel auch nichts Anderes war, als ein Koch.«

»Hole der Teufel den Kerl, Leach; ich glaube, nur dieser Dünkel ist Schuld daran, daß wir die letzte Zeit so schlechten Kaffee erhalten haben. Meint Ihr, es könne wahr seyn, daß ein so großer Schriftsteller wirklich nichts Besseres war, als ein Koch, oder wollte mich jener Engländer nur aufziehen und mir den Küchenwitz des Küstenvolkes zeigen? Ich möchte dies fast glauben, wenn nicht auch die Damen ihr Zeugniß abgelegt hätten; aber diese würden sich doch wahrscheinlich nicht zu einem solchen unanständigen Spasse hergeben. – Warum habt Ihr da beigelegt, Sir? Packt Euch in Eure Speisekammer und vergeßt nicht, daß die Bö sich gebrochen hat. Wir wollen uns insgesammt diesen Morgen zu Tische setzen und unsre Zähne so scharf brauchen, als Eure Brüder am Lande dort, die sich vielleicht zum Frühstück mit einem gebratenen Säugling verlustiren.«

Saunders, der, so zu sagen ex officio, an dergleichen Kapitel gewöhnt war, ging schmollend an seine Arbeit und trug Sorge dafür, einen gebührenden Theil seiner üblen Laune auf Mr. Toast abzuladen, der natürlicherweise in demselben Verhältnisse, wie sein Oberer, an der eigenen Person das Gewicht von Kapitän Truck's Ansehen tragen mußte. Es ist vielleicht ein Glück, daß die Natur auf diese leichte und augenfällige Erleichterungs-Methode hingewiesen hat, da sonst die rohe Gewohnheit auf einem Schiffe das Verhältniß zwischen dem Befehlshaber und dem, welcher zu gehorchen verpflichtet ist, mitunter fast unerträglich machen würde.

Die Entladungen des Kapitäns waren jedoch nur von kurzer Dauer, und bei gegenwärtiger Gelegenheit gerieth er bald in eine ungewöhnlich gute Stimmung, da jede nachfolgende Minute mehr und mehr die erfreuliche Gewißheit brachte, daß sich der Sturm seinem Ende näherte. Der Meister des Montauk hatte seine dritte Cigarre beendigt und wollte eben Befehl zum Entreffen des Focksegels und zum Aufziehen des dicht gerefften großen Marssegels geben, als die meisten Passagiere, zum erstenmal diesen Morgen, auf dem Decke erschienen.

»Wir sind jetzt Guinea näher, als mir lieb ist, Gentlemen,« rief ihnen Kapitän Truck als Gruß zu, »und haben die schönste Aussicht, uns bald quer über den ganzen Atlantischen schlagen zu müssen, was vielleicht eine Fahrt von dreißig oder fünfunddreißig Tagen ausmacht. Lassen wir übrigens nur diese See ruhig werden, und dann hoffe ich, Euch zu zeigen, was der Montauk außer den Passagieren und der Ladung noch in sich hat. Ich denke, wir werden das Foam noch eben so gut vom Halse kriegen, als die Bö. Einmal meinte ich, seine Leute dürften wohl an die Küste von Cornwall waten müssen; aber jetzt, glaube ich, haben sie's wahrscheinlicher mit dem Sand der großen Wüste Sahara zu versuchen.«

»Es steht zu hoffen, daß sie diesem letzteren Unglück eben so gut entkommen sind, wie dem ersten,« bemerkte Mr. Effingham.

»Möglich; aber der Wind hat nach Nordwesten umgeschlagen und in den letzten zwölf Stunden nicht blos geseufzt. Capo blanco ist keine hundert Stunden vor uns, und bei seiner Reisegeschwindigkeit kann der Gentleman mit dem Sprachrohre jetzt über den Trümmern seines Schiffs philosophiren, wenn er nicht verständig genug war, mehr nach Westen umzuholen, als wir ihn zuletzt haben steuern sehen. Sein Schiff hätte den Namen ›Scud‹ Scud, die vom Wind gejagte Wolke. und nicht ›Foam‹ erhalten sollen.«

Männiglich drückte die Hoffnung aus, daß dem Schiffe, obschon sie demselben ihre eigene gegenwärtige Lage zuschreiben mußten, nichts Schlimmes begegnet seyn möchte, und alle Gesichter heiterten sich auf, als sie das Tuch fallen sahen, zum Zeichen, daß die Gefahr vorüber sey. Der Wind ließ überhaupt so schnell nach, daß das Marssegel kaum aufgehißt war, als schon der Befehl ertheilt wurde, ein weiteres Reff auszuschütteln, und im Laufe von einer Stunde war alles schwere Tuch, das vor dem Wind ziehen konnte, gesetzt, ausschließlich in der Absicht, das Schiff stetig zu halten.

Die See war übrigens noch immer furchtbar anzusehen, und Kapitän Truck mußte von seinem Kurse abhalten, um die Gefahr einer Ueberschwemmung der Decken zu vermeiden. Das Rennen mit den Wellenkämmen hatte jedoch sein Ende erreicht, denn die Wogen hören, wenn sich die Gewalt des Windes erschöpft hat, bald auf, überzuschlagen und sich zu brechen.

Zu keiner Zeit ist die Bewegung des Schiffes unangenehmer oder überhaupt gefährlicher, als in dem Zwischenraume zwischen dem Aufhören eines heftigen Sturmes und dem Eintreten eines neuen Windes. Das Schiff wird ganz unlenksam und gleitet in die Wellentröge hinab, während das Wasser über die Decken hereinbricht, und oft ernstlichen Schaden anrichtet; auch haben Spieren und Tackelwerk viel auszustehen, weil sie den plötzlichen ungestümen Wellenstößen Trotz bieten müssen. Alles dies wußte Kapitän Truck wohl, weshalb er denn auch, ehe er das Deck verließ, um dem Aufgebote zum Frühstück zu folgen, Mr. Leach die größte Vorsicht einschärfte.

»Die neuen Wände, die wir in London anschlugen, wollen mir nicht gefallen,« sagte er, »denn das Tauwerk hat sich während dieser Bö in einer Weise gestreckt, daß das alte Tackelwerk zu straff angespannt ist. Haltet daher Alles bereit, damit gleich nach dem Frühstück der Mannschaft ein frisches Zugnetz daran angelegt werden kann. Wohlgemerkt, haltet das Schiff aus dem Troge, Sir, und gebt auf jeden Roller Acht, den Ihr Euch nachstürzen seht.«

Erst nachdem Kapitän Truck diese Einschärfungen zu verschiedenen Malen wiederholt und zwischenhinein nach dem Wind oder etliche Minuten lang nach den Masten gesehen hatte, begab er sich nach der Kajüte hinunter, um über Mr. Saunders Kaffee zu Gericht zu sitzen. Sobald er in seinem Throne oben an der langen Tafel Platz genommen und den Passagieren die gebührende Aufmerksamkeit erzeigt hatte, übte er die Pflicht der Restauration, wie der Steward in seiner gezierten Rede das Essen zu nennen pflegte, mit einem Eifer, der ihn bei solcher Gelegenheit nie im Stiche ließ. Er hatte eben eine Tasse des Kaffees zu sich genommen, über welchen von Saunders eine Vorlesung gehalten worden war, als ein schweres Flappen der Segel ankündigte, daß der Wind plötzlich ganz und gar aufgehört hatte.

»Dies ist eine schlimme Neuigkeit,« sagte Kapitän Truck, als er hörte, wie die Leinwand lose gegen die Masten schlug. Es ist mir nie lieb, wenn ein Schiff seine Fittige schüttelt, während schwere See vorhanden ist; aber immerhin sind wir hier besser daran, als in der Wüste Sahara, und so will ich Euch denn, meine theure junge Dame, eine Tasse von diesem Kaffee empfehlen, welcher heute durch die Furcht vor Orangoutangen gewürzt ist, wie Mr. Saunders Euch mitzutheilen die Ehre haben wird –«

Einer plötzlichen Erschütterung des ganzen Schiffes folgte ein Knall, ähnlich dem einer Muskete. Kapitän Truck stand auf, stützte sich in vorgebeugter Haltung auf die eine Hand, und in jedem Zuge seines Gesichtes sprach sich Erwartung und Mißtrauen aus. Es folgte ein zweites hülfloses Rollen des Schiffes, und unmittelbar darauf wiederholte sich das Knallen drei oder viermal, wie wenn starke Taue rasch hinter einander rissen. Dann vernahm man das Krachen brechenden Gebälkes, und es gewann den Anschein, als ob in chaotischer Verwirrung der Himmel über dem unglücklichen Schiffe einstürze. Die meisten Passagiere schlossen die Augen, und als sie dieselben einen Moment später wieder öffneten, war Mr. Truck verschwunden.

Es ist kaum nöthig, die nun folgende Verwirrung zu schildern. Eva erschrack sehr, benahm sich aber doch muthig, obschon Mademoiselle Viefville so sehr zitterte, daß Mr. Effingham sie unterstützen mußte.

»Wir haben unsere Masten verloren,« bemerkte John Effingham gelassen – »ein Unfall, der wahrscheinlich nicht sehr gefährlich seyn wird, obschon er die Fahrt um einen oder zwei Monate verlängern dürfte. Je, nun, wir gewinnen dadurch den Vortheil, mit dieser guten Gesellschaft näher bekannt zu werden – ein Vergnügen, für das wir nicht dankbar genug seyn können.«

Eva warf einen bittenden Blick auf ihn, denn sie bemerkte, daß seine Augen unwillkührlich auf Mr. Monday und Mr. Dodge hafteten, gegen die, wie sie wohl wußte, ihr Vetter eine unüberwindliche Abneigung hegte. Seine Worte dienten jedoch zu Erklärung des Vorgangs und die meisten Männer eilten auf das Deck, um sich von dem Thatbestand zu überzeugen.

John Effingham hatte Recht. Das neue Tackelwerk, welches sich während des Sturms sehr ausgedehnt hatte, war die Veranlassung geworden, daß in dem Rollen des Schiffes die anderen Taue zu viel angespannt wurden. Die am meisten ausgesetzte Wand war zuerst gerissen; drei oder vier andere folgten der Reihe nach, und ehe man noch Zeit gewann, Sicherungsmittel anzubringen, ging auch der Rest in Brüche, und der Hauptmast knackte entzwei. An der Stelle, wo dies geschah, ließ sich im Kerne morsches Holz wahrnehmen. Der Mast fiel über die Seite und riß den Besahnmast sammt allem Tauwerk mit sich; auch derjenige Theil des Fockmastes, der über dem Marse stand, folgte nach Kurzem. Von dem ganzen verwickelten Gewebe des Tauwerks, von den stolzen Spieren und den weiten Falten der Segel, welche kürzlich noch das Deck des Montauk überschattet hatten, war nur noch der verstümmelte Fockmast, die Fockraa sammt ihrem Segel und die niedergestürzte Hauptkardeele übrig. Alles Uebrige lag entweder wirr auf dem Deck oder schlug im Wasser gegen die Wandungen des Schiffes.

Einen Augenblick drückte sich in Kapitän Trucks hartem, wetterbraunem Gesichte, als sein Blick über die eben geschilderten Trümmer hinflog, ein bitterer Zug des Schmerzes und der Sorge aus. Sein Geist schien jedoch auch auf Unglück gefaßt zu seyn, und er befahl Toast, ihm eine glimmende Kohle zu bringen, mit welcher er ruhig eine Cigarre anzündete.

»Hier ist eine Categorie, die der Teufel holen möge, Mr. Leach,« sagte er, nachdem er einen Zug gethan hatte. »Ihr thut ganz recht, Sir; kappt das Wrack und sucht das Schiff mit Gewalt davon wegzubringen, oder wir haben zu gewärtigen, daß einige dieser Balken sich durch die Planken bohren. Ich habe immer gedacht, der Londoner Sailer, in dessen Hände der Agent gerathen war, sey ein verdammter Spitzbube, und jetzt weiß ich vollkommen genug, um darauf schwören zu können. Frisch darauf losgehauen, Zimmermann, daß wir uns möglichst bald diesen Rippenstößen entziehen können; – 's ist ein Kapitalschiff, der Montauk, Mr. Monday, denn sonst würden auch die Pumpen herausgerollt und die Schiffsküche umgestürzt worden seyn.«

Man machte keinen Versuch irgend etwas zu bergen, so daß das Wrack schon nach fünf Minuten im Sterne schwamm und das Schiff glücklich dieser neuen Gefahr entrissen war. Trotz seiner erzwungenen Gelassenheit aber blickte Mr. Truck doch mit einer kläglichen Miene nach der schönen Ausstattung zurück, die ihm kürzlich noch so viele Freude gemacht hatte, denn die Nocken, Kreuzbäume, Langsahlingen und Marse hoben sich mit den Wellen oder tauchten in die Tröge nieder wie spielende Wallfische. Die Gewohnheit übrigens, stets der Gefahr in's Auge zu sehen, macht den Seemann zum Philosophen, und in keinem Zuge zeigte sich der Character des Kapitäns achtungswürdiger, als in der Männlichkeit, mit welcher er den Gedanken von sich ferne hielt, über ein unvermeidliches Unglück zu trauern.

Der Montauk glich jetzt einem seiner Zweige beraubten Baume, oder einem Rosse mit steif gewordenen Gliedern – seine Herrlichkeit war großentheils dahin. Nur der Fockmast stand noch, und auch dieser hatte seine Stenge verloren – ein Umstand, welchen Kapitän Truck mehr als jeden andern beklagte, weil er, wie er sich ausdrückte, »das Ebenmaß der Spiere zerstörte, die sich als bewährtes Holz gezeigt hatte.« Die wesentlichere Bedeutung lag jedoch darin, daß es jetzt schwierig, wo nicht unmöglich war, vorn eine Nothstenge aufzusetzen. Da sowohl der Hauptmast, als der Besahnmast ganz in der Nähe des Decks abgeknackt war, so hatte man hierin fast noch das einzige Erleichterungsmittel, und eine Stunde nach dem Unfall kündigte Mr. Truck seine Absicht an, südlich zu steuern, um in den Passatwind zu kommen, und dann den günstigen Wind zu einer Fahrt über das atlantische Meer zu benützen, wenn es ihm nicht etwa möglich würde, die Inseln des grünen Vorgebirgs zu erreichen, wo er vielleicht eine Art neuer Ausstattung gewinnen konnte.

»Ich wünsche weiter nichts, meine theure junge Dame,« sagte er zu Eva, welche sich, sobald das Wrack trifftig gekappt war, gleichfalls auf das Deck wagte, um die Verwüstung mitanzusehen, »ich wünsche weiter nichts, meine theure junge Dame, als daß die westlichen Winde zwei oder drei Wochen ruhen; dann aber kann ich die Zusage geben, euch Alle noch zeitig genug nach Amerika zu bringen, so daß ihr daselbst euer Christfestmahl verzehren könnt. Ich glaube nicht, daß Sir George noch in diesem Jahr viele weiße Bären in den Rocky-Mountains schießen wird; es bleiben aber dann so viel mehr für eine andere Jahreszeit übrig. Das Schiff befindet sich in einer Categorie, und wer es leugnen will, ist ein unverschämter Spitzbube; übrigens hat man schon schlimmere Categorien mit dreister Stirne wegraisonniren hören. Alle Vordersegel reichen nicht zu, um von einem Legerwall abzuhalten; aber dennoch hoffe ich dem Unglück zu entgehen, daß meine Augen die afrikanische Küste erblicken müssen.«

»Sind wir noch weit von ihr entfernt?« fragte Eva, welche die Gefahr, in ihrem gegenwärtigen Zustande an eine unbewohnte Küste geworfen zu werden, an welcher man vergeblich nach einem Hafen späht, wohl begriff. »Ich glaube, ich möchte lieber in der Nachbarschaft eines jeden andern Landes seyn, als in der Nähe der afrikanischen Küste.«

»Namentlich der afrikanischen Küste zwischen den Canarien und Capo blanco,« versetzte Kapitän Truck mit einem ausdrucksvollen Achselzucken. »Es gibt freilich wirthlichere Gegenden, denn wenn man allen Berichten Glauben schenken darf, so kommen die ehrlichen Leute an dieser Küste nie mit einem Christen zusammen, ohne daß sie ihn auf ein Kameel setzen, mit ihm etliche hundert Stunden unter einer glühenden Sonne durch die Sandwüsten traben und ihm nichts zu essen geben, als eine Art Gehäcksel, welches sogar einem Schottländer den Appetit benehmen könnte.«

»Und Ihr wollt uns nicht sagen, wie weit wir von diesem schrecklichen Lande entfernt sind, Monsieur le Capitain?« fragte Mademoiselle Viefville.

»In zehn Minuten sollt ihr Alles erfahren, meine Damen, denn ich bin im Begriffe die Länge zu beobachten. Es ist zwar schon ein wenig spät, wird aber doch noch angehen.«

»Und wir dürfen auf die Zuverläßigkeit Eurer Angabe bauen?«

»Nehmt das Ehrenwort eines Mannes und eines Matrosen darauf.«

Die Damen schwiegen, während Mr. Truck fortfuhr, die Zeit und den Sonnenstand aufzunehmen. Sobald er mit seinen Berechnungen fertig war, kam er mit einem Gesichte zu ihnen, in welchem sich noch immer die gute Laune ausdrückte, obschon sein Auge unstät umherschweifte.

»Und das Resultat?« fragte Eva.

»Ist nicht ganz so schmeichelhaft, als ich wünschen könnte. Die Küste ist keinen Grad mehr entfernt; aber da sich der Wind beinahe gelegt hat, so können wir hoffen, daß sich Mittel finden lassen, weiter vom Lande abzukommen. Ich bin unverhohlen gegen Euch gewesen, muß aber bitten, daß Ihr das Geheimniß für Euch behaltet, denn wenn meine Leute wissen, wie es steht, so träumen sie mir von Türken, statt zu arbeiten.«

Es bedurfte keiner großen Beobachtungsgabe, um zu bemerken, daß Kapitän Truck mit der Lage seines Schiffes durchaus nicht zufrieden war. Ohne Hintersegel und fast ohne die Mittel, eines anzufertigen, war es vergeblich, an ein Umholen gegen die See zu denken – namentlich gegen die schwere See, welche noch immer von Nordwesten herrollte. Der Kapitän trachtete daher vorderhand nach nichts Anderem, als das grüne Vorgebirge anzuthun, wo er natürlich einige Aussicht hatte, die Beschädigungen des Schiffs theilweise auszubessern; auch wußte er wohl, daß er unterwegs auf die Passatwinde treffen mußte. Er würde viel weniger Besorgniß gehegt haben, wenn das Schiff um einen Grad oder zwei weiter südlich – etwa auch um einen Grad weiter im Westen gestanden hätte, da in diesem Theile des Oceans die vorherrschenden Winde aus Nordosten kommen; aber es war nicht leicht, ein Schiff unter einem Focksegel, dem einzigen regelmäßigen Segel, das noch an seiner Stelle stand, so weit zu bringen. Allerdings standen ihm einige der gewöhnlichen Matrosen-Auskunftsmittel zu Gebot, und die Mannschaft wurde augenblicklich in Thätigkeit gesetzt, um sie in Anwendung zu bringen; da jedoch die Hauptmasten so nahe an den Decken abgeknackt waren, so wurde es ungemein schwer, Nothmasten aufzurichten.

Etwas mußte übrigens versucht werden. Man holte daher die ledigen Spieren heraus und begann die geeigneten Vorbereitungen, um sie an ihre Plätze zu setzen und so gut aufzutackeln, als es die Umstände erlauben wollten. Sobald die See nieder ging und die Stätigkeit des Schiffes es zuließ, gelang es Mr. Leach, im Vorderschiffe einen dürftigen Nothbehelf für ein unteres Prallsegel und eine Art Stagsegel anzubringen. Vermittelst dieses weiteren Tuchs ließ sich der Schiffsschnabel südlich stellen, während der Wind leicht aus Westen kam. Gegen Mittag hatte sich der Wellenschlag sehr gemindert; aber sie legten eben in drei Stunden eine einzige Seemeile zurück – eine trübselige Aussicht für Leute, die einen so langen Weg vor sich hatten und sich in der Nähe einer Küste befanden, welcher der Ruf nichts weniger, als Gastfreundlichkeit nachrühmte. Es verbreitete sich daher allgemeine Freude auf dem Montauk, als gegen Abend der Ruf: »Segel ho!« erscholl.

Das fremde Schiff ließ sich in Südosten blicken und steuerte auf einem Kurse, der es ganz nahe in ihre eigene Fahrstraße bringen mußte, denn der Montauk lief damals quer durch die See. Der Wind war übrigens so leicht, daß Kapitän Truck seine Ansicht dahin abgab, sie würden den Fremden vor Einbruch der Nacht nicht ansprechen können.

»Wenn ihn die Küste nicht aufgegriffen hat, muß jener flunkernde Gentleman, der mit seinem leichten Tuche weit besseres Glück gehabt zu haben scheint, als wir, der Foam seyn,« sagte er. »Taback oder kein Taback – junger Ehemann oder junge Ehefrau – der Kerl hat uns endlich, und es bleibt uns kein anderer Trost, als daß wir ihm sehr verpflichtet seyn werden, wenn er uns nach Portsmouth oder in was immer für einen andern christlichen Hafen nehmen will. Wir haben ihm gezeigt, was ein Kesselboden vor dem Wind leisten kann, und jetzt mag er uns ein Schlepptau windwärts zuwerfen, wie ein edelmüthiger Gegner. Dies ist's, was ich einen Vattel'schen Grundsatz nenne, meine theure junge Dame.«

»Wenn er dies thut, wird er sich in der That als einen edelmüthigen Gegner erweisen,« versetzte Eva, »und wir können dann zuverlässig seine Menschlichkeit rühmen, was immer wir auch von seinem Wahnsinne halten mögen.«

»Seyd Ihr vollkommen überzeugt, das Schiff in Sicht sey die Korvette?« fragte Paul Blunt.

»Was anders könnte es seyn? Zwei Schiffe sind hinreichend, um hier unten an der Küste von Afrika in die Klemme zu kommen, und wir wissen, daß sich der Engländer irgend wo im Lee von uns befinden muß. Dennoch will ich gestehen, ich hätte ihn für ferner gehalten, wenn nicht etwa gar unter den Muselmännern, wo er bald zur Federleichtigkeit einschrumpfen müßte, wie Kapitän Riley, der nach einer Wanderung durch die Wüste just noch mit Haut und Knochen wieder herauskam.«

»Ich glaube doch nicht, daß jene Oberbramsegel die Verhältnisse eines Kriegsschiffs haben.«

Kapitän Truck sah den Jüngling einen Augenblick fest an, wie man einem Manne gegenüber zu thun pflegt, aus dessen Mund man ein gutes Urtheil hört, und wandte dann seine Blicke auf den Gegenstand, von dem sie eben sprachen.

»Ihr habt Recht, Sir,« entgegnete er nach kurzer Prüfung, »und ich muß mir da in meinem eigenen Berufe von einem Menschen eine Lehre ertheilen lassen, der jung genug ist, um mein Sohn seyn zu können. Der Fremde ist augenscheinlich kein Kreuzer, und da sich in dieser Breite nirgends ein Hafen befindet, so haben wir's wahrscheinlich mit einem Trader zu thun, der, wie wir, so weit herunter verschlagen wurde.«

»Und in der That, Kapitän,« fügte Sir George Templemore bei, »wir dürfen uns aufrichtig freuen, daß er gleich uns dem Schiffbruch entronnen ist. Was mich betrifft, so beklage ich die armen Unglücklichen an Bord des Foam aus dem Grunde meines Herzens, und ich könnte fast wünschen, daß ich ein Katholik seyn möchte, um für sie Meßopfer bringen zu lassen.«

»Ihr habt Euch während dieser ganzen Geschichte als einen Christen erwiesen, Sir George, und ich werde nicht vergessen, welche schöne Erbietungen Ihr gemacht habt, dem Schiff lieber mit Euren Mitteln freundschaftlich beizuspringen, als uns in den Rachen der Philister fallen zu lassen. Wir haben mit jenem schnellfüßigen Renner in unsrem Kielwasser schon mehr als einmal in einer Kategorie gesteckt, und Ihr seyd der Mann gewesen, Sir George, welcher am nachdrücklichsten seinen Wunsch an den Tag legte, uns wieder herauszuschaffen.«

»Ich fühle stets Interesse für das Schiff, in welchem ich eine Fahrt mache,« entgegnete der Baronet selbstgefällig, denn es machte ihm Vergnügen, seine Freigebigkeit so offen loben zu hören, »und würde lieber tausend Pfunde in die Schanze geschlagen haben, damit es nur nicht genommen werde. Ich denke, dies ist so der Geist eines ächten Fuchsjägers.«

»Oder eines Admirals, mein guter Sir. Offen gesprochen, Sir George, als ich die Ehre hatte, zum erstenmal mit Euch bekannt zu werden, glaubte ich nicht, daß so viel in Euch stecke. Es war eine Art englischer Aufmerksamkeit auf allerlei Tand, eine Art Knieschnallenthum an Eurem Debut, wie es Mr. Dodge nennt, so daß ich nicht erwartete, den Mann von ganzer Seele, welcher nur von einer Idee durchdrungen ist, in Euch zu finden.«

»O! ich liebe eben meine Comforts,« entgegnete Sir George lachend.

»Ich kann mir dies denken und wundere mich nur, daß Ihr nicht raucht. Mr. Dodge, Euer Zimmergefährte da, sagt mir, Ihr hättet sechsunddreißig Paar Hosen.«

»Ganz richtig – ja, es fehlt in der That nicht. Wenn man auf Reisen geht, wünscht man sich doch anständig zu kleiden.«

»Na, wenn uns zufälligerweise das Glück blüht, durch die Wüste zu reisen, so kann Eure Garderobe schon einen ganzen Harem auftackeln.«

»Ich wünschte nur, Kapitän, Ihr erwieset mir die Gunst, Eines Morgens in unser Staatsgemach zu treten, denn ich bin im Besitze vieler Merkwürdigkeiten, die ich Euch gerne zeigen möchte: namentlich ein Besteck von Rasirmessern – ein Toiletten-Etui – ein Paar Patentpistolen – und den Lebenserhalter, den Ihr so sehr bewundert, Mr. Dodge. Mr. Dodge hat das Meiste von meinen hübschen Sachen gesehen und wird, glaube ich, Euch sagen, daß Manches darunter ist, was wirklich eine kurze Beschauung verdient.«

»Ja, Kapitän, ich muß sagen,« bemerkte Mr. Dodge – die ganze Unterhaltung fand nämlich zwischen den gedachten drei Personen beiseits Statt, während der Mate den Schiffsdienst besorgte; denn die Gewohnheit hatte es Mr. Truck leicht gemacht, sich mit seinen Passagieren zu unterhalten und zugleich seine Leute anzuspornen – »ja, Kapitän, ich muß sagen, daß ich noch nie auf einen Gentleman traf, der besser mit dergleichen Nothwendigkeiten ausgestattet gewesen wäre, als mein Freund Sir George. Die englischen Gentlemen sind jedoch überhaupt in dergleichen Dingen sehr erfinderisch, und ich gestehe, daß ich ihren Scharfsinn bewundere.«

»Namentlich in Betreff der Hosen, Mr. Dodge. Habt Ihr auch eine entsprechende Anzahl Röcke, Sir George?«

»Allerdings, Sir, denn es wäre doch ein Bischen abgeschmackt, in Hemdärmeln herumlaufen zu wollen. Indeß wünschte ich doch, Kapitän, wir könnten Mr. Dodge ein Bischen weniger republikanisch machen. Er ist zwar ein ganz angenehmer Zimmergenosse, aber doch etwas langweilig, wenn er auf Könige oder Fürsten zu sprechen kömmt.«

»Ihr haltet also am Volk, Mr. Dogde, oder an der alten Categorie?«

»Ueber diesen Punkt kann ich mit Sir George nie einig werden, denn er ist ein starrer Anhänger der Monarchie; ich sage ihm übrigens stets, er werde deshalb nicht schlechter behandelt werden, wenn er unter uns komme. Er hat mir einen Besuch in unserem Theile des Landes versprochen, und ich sicherte ihm mit meinem Ehrenworte eine unqualifizirt gute Aufnahme zu. Hoffentlich kennt Ihr die ganze Bedeutung eines Ehrenworts?«

»Wie ich höre,« fuhr der Baronet fort, »so ist Mr. Dodge der Herausgeber eines öffentlichen Journals, in welchem er seine Leser mit einem Bericht über seine Abenteuer und mit seinen Reisebemerkungen unterhält: › The Active InquirerDer eifrige Frager. – lautet der Titel. Ist's nicht so, Mr. Dodge?«

»Dies ist der Name, Sir George. › The Active Inquirer‹ – so lautet die gegenwärtige Bezeichnung, obschon wir, als wir Mr. Adams unterstützten, › The Active Enquirer‹ mit einem E auf dem Titel drucken ließen.«

»Eine Unterscheidung ohne Unterschied – dies gefällt mir,« entgegnete Kapitän Truck. »Ich habe nun zum zweitenmale die Ehre, mit Mr. Dodge zu segeln, und ein eifrigerer Frager hat nie seinen Fuß in ein Schiff gesetzt, obschon ich früher nicht wußte, wozu er alle die eingeholte Auskunft brauchte. Ich finde also jetzt, daß es zu seinem Handwerk gehört.«

»Mr. Dodge nennt es einen Beruf, Kapitän, und dünkt sich hoch über den Handwerker erhaben. Er sagt mir, seit unserer Ausfahrt habe sich mancherlei an Bord dieses Schiffes zugetragen, was ganz schöne Artikel geben werde.«

»Den Teufel auch! – Da möchte ich doch gar zu gerne erfahren, Mr. Dodge, was Ihr in Betreff dieser Categorie, in welcher sich der Montauk befindet, zu sagen wißt.«

»O Kapitän, habt keine Sorge vor mir, wenn Eure Persönlichkeit in Frage kömmt. Ihr wißt, ich bin ein Freund, und Ihr habt keinen Grund, etwas zu fürchten, obschon ich dies nicht von Allen an Bord sagen möchte. Es sind Passagiere in diesem Schiff, gegen die ich eine entschiedene Antipathie habe, und deren Benehmen mich mit unqualifizirter Mißbilligung erfüllt.«

»Ihr gedenkt also, sie in einem Artikel zu bearbeiten?«

Mr. Dodge warf sich nun mit dem Dünkel eines gemeinen aufgeblasenen Menschen in die Brust, der sich nicht nur im Besitz einer von Andern gefürchteten Macht wähnt, sondern auch von seinem eigenen Werthe so sehr geblendet ist, daß er glaubt, seine Ansichten müssen auch für diejenigen richtig seyn, welche, wie ihm jede Fiber seines ganzen neidischen und boshaften Organismus sagt, in jeder Hinsicht ihm weit überlegen sind. Zwar wagte er es nicht, sein Gift ganz auszusprudeln; aber dennoch konnte er es nicht über sich gewinnen, es völlig zu unterdrücken.

»Diese Effinghams, dieser Mr. Sharp und dieser Mr. Blunt,« murmelte er, »meinen besser zu seyn, als andere Leute; aber wir werden sehen! Amerika ist kein Land, wo sich die Leute im Zimmer einschließen und in der Einbildung leben können, daß sie gnädige Herren und gnädige Frauen seyen.«

»Gott behüte meine Seele!« entgegnete Kapitän Truck mit erkünstelter Einfalt, »wie habt Ihr dies ausfindig gemacht, Mr. Dodge? Was ist's nicht Schönes um einen eifrigen Frager, Sir George!«

»O, ich merke es bald, wenn ein Mensch aufgeblasen ist von der Vorstellung, er sey Wunder was. Was den Mr. John Effingham betrifft, so war er so lange auf Reisen, daß er ganz vergessen hat, er kehre jetzt zurück nach dem Lande der gleichen Rechte!«

»Ganz richtig, Meister Dodge – nach einem Lande, in dem sich kein Mensch in seine Zimmer einschließen darf, wenn ihn etwa die Lust dazu anwandelt. Dies ist der Geist, Sir George, der eine große Nation zu bilden im Stande ist, und Ihr seht, daß die Tochter wahrscheinlich so würdig werden wird, wie die alte Dame. Aber mein theurer Sir, wißt Ihr auch gewiß, das Mr. John Effingham unbedingt so hohe Stücke auf sich selber hält? Es wäre doch verdrießlich, in einer so ernsten Angelegenheit einen Mißgriff zu begehen und einen Zeitungsartikel für nichts und wieder nichts aufzuwenden. Ihr solltet Euch an das Versehen jenes Irländers erinnern!«

»Was ist damit?« fragte der Baronet, der durch den unbeugsamen Ernst des Kapitän Truck völlig mystifizirt war; denn von dem Character des Letzteren konnte man wohl sagen, er sey durch lange Gewohnheit dazu gebildet worden, die Schwächen seiner Nebenmenschen mit ruhiger Verachtung zu behandeln. »Wir hören Allerlei in unserem Club; aber ich kann mich nicht auf das Versehen eines Irländers erinnern.«

»Er hielt irrthümlicherweise das Trommeln in seinem eigenen Ohr für irgend ein unerklärliches Geräusch, welches auch seine Kameraden hören müßten.«

Mr. Dodge fühlte sich unbehaglich; denn bei einem gemeinen Menschen steht Niemand so sehr im Respekt, als ein gelassener Spötter, der kein Bedenken trägt, von seiner geistigen Kraft Gebrauch zu machen. Er schüttelte daher in drohender Weise seinen Kopf, that, als habe er etwas zu thun, und ging in das Schiff hinunter, den Baronet und den Kapitän allein zurücklassend.

»Mr. Dodge ist ein eisenköpfiger Freund der Freiheit,« sagte der Erstere, sobald sein Zimmergenosse außer Hörweite war.

»Ja, dies ist er, denn Ihr habts ja aus seinem eigenen Munde gehört. Es fällt ihm nicht ein, einen Menschen thun zu lassen, was er eben Lust hat. In Amerika wimmelt es von dergleichen eifrigen Fragern, und ich kümmere mich nicht darum, wie viel von diesem Volke Ihr niederschießt, ehe Ihr Eure Büchse an den weißen Bären versucht, Sir George.«

»Ihr müßt übrigens zugestehen, Kapitän, daß es viel artiger von den Effinghams wäre, wenn sie sich weniger in ihre Kajüte einschlössen und uns ein Bischen öfter Zutritt in ihre Gesellschaft gestatteten. Ich bin ganz Mr. Dodge's Ansicht, daß ein solches ausschließliches Wesen ungemein verdrießlich ist.«

»Ich habe einen armen Teufel in dem Zwischendeck, Sir George, dem ich ein Stück Leinwand gab, um eine Beschädigung an seinem Hauptsegel auszubessern; er könnte wohl das gleiche sagen, wenn er etwas von Euren Sechsunddreißig wüßte. – Nehmt eine Cigarre, mein theurer Sir, und vertreibt Euch die Grillen mit Rauchen.«

»Danke, Kapitän – ich rauche nie. In unserem Club wird nicht geraucht, obgleich Einer oder der Andere bisweilen nach dem Divan geht, um einen Dschibuck zu versuchen.«

»Wir können die Kajüten nicht für uns Alle haben, da sonst Niemand im Vorderschiff bleiben möchte, Sir George. Wenn es den Effinghams in ihrem eigenen Gelasse gefällt, so glaube ich ehrlich, daß es aus dem einfachen Grunde geschieht, weil es das beste im Schiff ist; denn ich stehe Euch dafür, wenn ein besseres da wäre, so würden sie bereit genug seyn, umzuziehen. Ich vermuthe übrigens, wenn wir nach Amerika kommen, wird Mr. Dodge auch Eure Person mit einem Artikel in dem » Active Inquirer« beehren.«

»Die Wahrheit zu sagen, er hat bereits etwas der Art angedeutet.«

»Und warum nicht? Ueber die sechsunddreißig Paar Hosen, die Patentrasirmesser und das Toiletten-Etui läßt sich schon ein sehr belehrender Artikel zusammenschmieden – der Rocky-Mountains und der weißen Bären gar nicht zu gedenken.«

Sir George begann sich nun gleichfalls unbehaglich zu fühlen und entfernte sich nach einigen nichtssagenden Bemerkungen über den kürzlichen Unfall.

Kapitän Truck, der nie anders als aus der Ecke seines linken Auges lächelte, wandte sich ab und begann seine Leute aufzustören; zugleich warf er Saunders hin und wieder mit so großer Gleichgiltigkeit einen Wink zu, als ob er steif und fest an die unfehlbare Orthodoxie einer Zeitung glaube und namentlich eine hohe Achtung gegen den Herausgeber des » Active Inquirer« hege.

Die Voraussagung des Meisters in Betreff des fremden Schiffes erwies sich als richtig, denn es kam Abends gegen neun Uhr in Rufweite und legte nun sein großes Marssegel an den Mast. Das Fahrzeug war ein mit Ballast geladener Amerikaner, der von Gibraltar nach New-York wollte und dem Geschwader im mittelländischen Meere Proviant zugeführt hatte. Es war westlich von Madeira von dem Sturme überfallen worden und hatte, nachdem es sich möglichst lange gehalten, gleichfalls lenssen müssen. Dem Berichte der Offiziere zufolge stand das Foam mehr küstenwärts und war jetzt wahrscheinlich gescheitert. Das eigene Entkommen verdankte der Amerikaner blos dem Nachlassen des Windes; denn sie hatten schon das Land in Sicht gehabt, ohne übrigens Beschädigung zu erleiden, da es ihnen noch möglich wurde, in Zeiten umzuholen.

Zum Glücke bestand der Ballast dieses Schiffes aus süßem Wasser, und Kapitän Truck verbrachte den Abend in Unterhandlungen, welchen zufolge er einen Theil seiner Zwischendeckpassagiere auf das Fahrzeug seines Landsmanns überpflanzte, weil er fürchtete, bei dem verkrüppelten Zustande des Montauk dürften die Vorräthe verbraucht seyn, ehe er Amerika erreichen konnte. Am Morgen wurde es Allen an Bord freigestellt, sich auf dem Proviantfahrzeuge einzuschiffen, und sämmtliche Zwischendeckpassagiere nebst den meisten Kajüteninsassen benützten diese Gelegenheit, den entmasteten Montauk gegen ein Schiff umzutauschen, das wenigstens mit vollem Tackelwerk versehen war. Demgemäß wurden auch die Vorräthe umgeladen, und gegen Mittag des andern Tages segelte der Fremde am Winde weiter, denn die See war leidlich glatt, obschon die Brise noch immer von vorne kam. In drei Stunden verlor sich das Proviantschiff im Nordwesten außer Sicht, während der Montauk seinen eigenen trägen Curs gegen Süden fortsetzte, um entweder in die Passatwinde zu kommen, oder eine von den Inseln des grünen Vorgebirges zu erreichen.


 << zurück weiter >>