Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Wenn Wolken auf sich thürmen, hüllt der Weise
Sich in den Mantel; fällt das große Laub,
So ist der Winter nah. Wer schaut der Nacht
Entgegen nicht, wenn sich die Sonne senket?
Unzeit'ge Stürme stellen Theuerung
In Aussicht, wenn es gleich auch möglich ist,
Daß alles gut geht. Ist dies Gottes Wille,
So ist es mehr, als wir verdienen – mehr
Als ich erwarte.

Richard III.

 

Diese Gespräche bildeten jedoch bloße Zwischenspiele in der großen Angelegenheit der Ueberfahrt. Den ganzen Morgen sah man den Kapitän geschäftig, den Maten ihre Obliegenheiten anzuweisen, die Stewards und Köche auszuschelten, die Logleine zu überholen, die Passagiere vorzustellen, nach der Stauung der Anker zu sehen, die Signalstange herunterzuholen, Sätze von Vattel auszustreuen, den Dienst zu beaufsichtigen und seine Ansichten zum Besten zu geben. Uebrigens behielt er dabei stets das Foam so scharf im Auge, wie nur eine im Gras lauernde Katze den Vogel bewachen kann, der auf dem Boden dahin hüpft. Auf einen gewöhnlichen Beobachter hätten die beiden Schiffe den Eindruck machen können, als segelten sie mit ziemlich gleicher Geschwindigkeit in die nämliche Richtung, und da der Curs derselbe war, welcher eingeschlagen werden mußte, um aus dem Kanal zu kommen, so begannen die meisten Passagiere und in der That auch der größere Theil der Matrosen sich der Meinung hinzugeben, daß der Kreuzer, gleich ihnen, blos eine Westfahrt beabsichtige. Mr. Truck aber zog seine Schlüsse aus Zeichen und Bewegungen, die einem so sehr an die Manöver eines Schiffs und an ihre wahrscheinliche Bedeutung gewöhnten Manne weit mehr auffallen mußten, als seinen Untergebenen, und kam deshalb zu einer ganz anderen Ansicht. Ihm war der Grund des kleinsten Wechsels an Bord der Kriegsschaluppe so verständlich, als wäre er in Worten ausgedrückt worden, weshalb er denn auch Vieles voraussehen konnte, was demnächst stattfinden mußte. Vor Mittag war das Foam in den gleichen Strich gerathen, und Mr. Leach, der auf diesen Umstand aufmerksam machte, bemerkte, der Fremde werde jetzt wohl laviren müssen, wenn er sie zu überholen gedenke; denn die Matrosen betrachten es als Regel, daß ein nachsetzendes Schiff sich windwärts zu wenden habe, so oft es sich dem Gegenstande seiner Jagd nahe genug befinde. Kapitän Truck jedoch hatte zu viel Erfahrung, um in diesem Puncte nicht besser belehrt zu seyn. Die Fluth bewegte sich in den Kanal hinein und der Wind setzte beide Schiffe in den Stand, die Strömung mit ihren Leebugen zu fassen, so daß sie windwärts gezwängt wurden; hätte daher das Foam laviren wollen, so würde die Macht der Fluth so sehr auf seine Luvseite gewirkt haben, daß es viel zu weit sternwärts gefegt worden wäre, um den Unterschied der Geschwindigkeit leicht oder in Zeiten wieder ausgleichen zu können.

»Die Korvette ist uns auf den Fersen und luvt gegen uns, wie ich bemerke,« brummte der Kapitän. »Dies ist ein Umstand, der einen weniger bescheidenen Mann zufrieden stellen könnte. Ich habe den Gentleman schon so weit marschiren lassen, daß er nicht in der besten Stimmung seyn wird, wenn er uns einholt; wir dürfen uns deshalb darauf gefaßt halten, Portsmouth vor New-York wieder zu sehen, wenn uns nicht ein schräger Wind oder die Nacht zu statten kommt. Ich hoffe, Leach, Ihr habt Eure Aussichten im Leben nicht dadurch zu Grunde gerichtet, daß Ihr allzu sehnsüchtige Blicke auf ein Tabacksfeld geworfen habt?«

»Nein, Sir; und wenn Ihr mir zu sprechen erlauben wollt, Kapitän Truck, so glaube ich nicht, daß vom Schiffe aus ein Tabacksröllchen gelandet werde, welches nicht in einer bona fide-Dose ans Ufer ging und sich vor jedem englischen Gerichtshof hätte können blicken lassen. Das Schiffsvolk wird Mann für Mann darauf schwören, daß dies wahr ist.«

»Ja, ja – und die vornehmen Herren von der Schatzkammer wären wohl die größten Narren, wenn sie es nicht glaubten. Wenn keine Schmälerung der englischen Revenuen stattgefunden hat, warum folgt ein Kreuzer einem regelmäßigen Paketschiff in die See?«

»Der Grund liegt wahrscheinlich in der Angelegenheit mit dem Zwischendeckpassagier Davis, Sir; der Mann steckt vielleicht tief in Schulden – möglich auch, daß er anvertraute Gelder veruntreut hat, denn dergleichen Spitzbuben fallen oft, wenn sie Bankerutt machen, tiefer, als in das Zwischendeck eines Paketschiffs.«

»Dies wird dazu dienen, während der Fahrt das Halbdeck und die Kajüte in guter Laune zu erhalten, denn sie finden dadurch Anlaß, gegenseitig die Bekanntschaft zu eröffnen; aber nur Anfänger lassen sich dergleichen Sägestaub ins Auge streuen. Ich kenne diesen Seal seit Jahren her, und der Spitzbube ist nie mit einem Fall angestiegen gekommen, der das Halbdeck betroffen hätte. Es ist so, wie das junge Pärlein sagt, und ich werde sie hier außen im blauen Wasser nicht um so viel Schaum aufgeben als nach einem Oststurme am Jersey Gestade liegt. Kein Stück von der Familie Davis wird jenen Windfresser dort zufrieden stellen, denn er sieht mir eher darnach aus, als beabsichtige er Hand zu legen an die ganze Bevölkerung des Montauk, und derselben nur die angenehme Wahl zu lassen, entweder in seiner lieblichen Gesellschaft nach Portsmouth zurückzukehren, oder mitten im Kanal auszusteigen und in bestmöglicher Weise ans Ufer zu waten. Hole mich dieser und jener, wenn ich glaube, Leach, daß Vattel sich dieses Kerls annehmen könnte, selbst wenn ein ganzes Faß voll Blätter ohne Erlaubniß an seine Insel gerollt worden wäre.«

Mr. Leach wußte hierauf keine ermuthigende Antwort zu geben, da er, gleich den meisten seiner Classe vor praktischer Gewalt weit größere Achtung hatte, als vor Bücher-Citaten. Indeß hielt er es für räthlich, zu schweigen, obschon er großen Zweifel in die Wirksamkeit schriftstellerischer Belege setzte, wenn als Gegengewicht schwarz auf weiß ein Befehl des Portsmouther Admirals, oder gar ein Signal, das die Admiralität in London hatte geben lassen, vorhanden war.

Der Tag rückte vor, und in der beziehungsweisen Lage der Schiffe fand eine gradweise Veränderung statt, obschon nur so langsam, daß Kapitän Truck sich der Hoffnung hingab, in der nächsten Nacht, welche sehr dunkel und stürmisch zu werden versprach, seinem Verfolger entwischen zu können. Allerdings hatte er sich fest vorgenommen, nach Portsmouth wieder zurückzukehren, aber nicht früher, bis seine Fracht und seine Passagiere in New-York abgeliefert waren; denn gleich allen Menschen, die mit Leib und Seele an der Erfüllung einer besonderen Pflicht hangen, sah er in einer Vereitelung seiner augenblicklichen Aufgabe ein viel größeres Unglück, als in einem doppelt so großen ferneren Uebel. Außerdem vertraute er schließlich auf die Freisinnigkeit der englischen Behörden und zweifelte nicht, sich und sein Schiff allen Ahndungen zu entziehen, denen ihn vielleicht die Unbesonnenheit oder Habsucht einiger seiner Untergebenen bloßgestellt hatte.

Als die Sonne eben auf dem Pfade des Montauk ins Wasser niedertauchte, erschienen die meisten Passagiere wieder auf dem Deck, um von der Lage der beiden Schiffe Einsicht zu nehmen und sich über das wahrscheinliche Ergebniß des Abenteuers eigene Muthmaßungen zu bilden. Mittlerweile hatte das Foam zweimal lavirt, einmal luvwärts gegen das Kielwasser des Montauk und dann, um wieder in die Linie zu kommen, welche ihm die Verfolgung möglich machte. Das Paketboot war ein zu gutes Schiff, um leicht eingeholt werden zu können, und der Kreuzer stand mit fast untergetauchtem Rumpfe im Sterne, schoß aber augenscheinlich mit einer Geschwindigkeit vorwärts, welche ihn vor dem nächsten Morgen heranbringen mußte. Der Wind blies in Stößen – ein Umstand, welcher einem Kriegsschiff stets zu Statten kömmt, da es durch die größere Anzahl seiner Leute in den Stand gesetzt ist, schnell und leicht die Segel aufzuziehen oder zu kürzen.

»Dieses unstäte Wetter thut uns wohl ein paar tausend Ellen in der Stunde Abtrag,« bemerkte Kapitän Truck, dem der Gedanke durchaus nicht gefallen wollte, daß er durch irgend etwas Schwimmendes überholt werden könnte; »und wenn doch einmal die Wahrheit heraus muß, so glaube ich, jener Kerl hat auf einer Bogenlinie und unter dieser Brise immerhin einen halben Knoten zum Voraus. Freilich ist er auch ohne Ladung, und man tackelt dergleichen Boote wie Schnellwagen auf. Hätte ich nur ein Bischen mehr oder freieren Wind, so sollte er mir trotz aller seiner Vortheile an seinen Befehlen dauen, wie ein Hayfisch an einem Merlpfriem oder an einem Ringbolzen; denn es sollte ihm dann wenig nützen, wenn er den Versuch machen wollte, wie ein Dampfboot in des Winds Auge zu laufen. So aber müssen wir uns eben fügen. Wir stecken in einer Categorie, die der Teufel holen möge.«

Der Sonnenuntergang hatte jenen wilden Character, den man so häufig im Herbste findet, obschon er vielleicht schlimmer aussieht, als er in Wirklichkeit ist. Die Schiffe standen nun der Kanalmündung so nahe, daß kein Land mehr sichtbar war, und der ganze Horizont bot den frostigen winterlichen Anblick düsteren, treibenden Gewölks, dessen matte Streiflichter dem Blicke eher die endlose Raumerstreckung vergegenwärtigen, als einen lieblichen Eindruck auf das Auge machen. Die herannahende Nacht mußte Allen, welche nicht an die See gewöhnt waren, unheimlich vorkommen, obschon diejenigen, die sich auf die Zeichen am Himmel, wie sie sich auf dem Oceane darbieten, besser verstanden – in dem Ganzen wenig mehr sahen, als die Aussicht auf eine tiefe Finsterniß und die gewöhnlichen Gefahren, welche die Dunkelheit in einer viel besuchten See bietet.

»Es gibt eine garstige Nacht,« bemerkte John Effingham, »und es könnte sich wohl Gelegenheit finden, noch vor der Wiederkehr des nächsten Morgens Einiges von der flunkernden Eitelkeit dieses Schiffes einzubüßen.«

»Das Fahrzeug scheint mir in guten Händen zu seyn,« entgegnete Mr. Effingham. »Ich habe die Mannschaft aufs Genaueste beobachtet, denn ich war, obschon ich mir keinen Grund dafür anzugeben weiß, in Betreff dieser Fahrt ängstlicher, als bei irgend einer andern von den neunen, die ich bereits gemacht habe.«

Während dieser Worte ließ der Vater unwillkührlich den Blick nach Eva niedergleiten, die sich mit Innigkeit an ihn angeschmiegt hatte, um ihre leichte Gestalt in dem Stoßen des Schiffes aufrecht zu erhalten. Sie begriff vielleicht seine Gefühle besser, als er selbst; denn da sie von Kindheit an seine zärtliche Sorgfalt kannte, so wußte sie wohl, daß er selten an Andere oder auch nur an sich selbst dachte, so lange ihr eigenes Wohl seine unermüdliche Liebe in Anspruch nahm.

»Vater,« sagte sie lächelnd, indem sie zu seinem ernsten Antlitze aufblickte, »wir haben schon weit wildere Wogen gesehen, als hier, und dieß noch obendrein in einem viel gebrechlicheren Fahrzeuge. Erinnert Ihr Euch nicht des erbärmlichen Nachens auf dem Wallenstädter See? Ich hörte Euch damals sagen, daß wirkliche Gefahr vorhanden sey, und doch sind wir Alle nur mit ein Bischen Schrecken davongekommen.«

»Ich erinnere mich vollkommen jener Fahrt, meine Liebe, und habe auch unsern wackeren Begleiter nicht vergessen, der uns in jenem verhängnißvollen Augenblicke so gute Dienste leistete. Ohne seinen kräftigen Arm und seine zeitige Beihülfe wäre es, wie Du weißt, nicht bei dem bloßen Schrecken geblieben.«

Obgleich Mr. Effingham während dieser Worte nur seine Tochter ansah, bemerkte doch Mr. Sharp, welcher mit Interesse zuhörte, den raschen Blick, welchen Eva nach Paul Blunt hingleiten ließ, und es durchzuckte ihn eisig kalt, als er wahrnahm, wie ihre Wangen die Gluth wiederzuspiegeln schienen, welche das Antlitz des jungen Mannes übergossen hatte. Uebrigens beobachtete blos er diese geheime Kundgebung gemeinsamen Interesses an einem Ereignisse, in welchem augenscheinlich Beide Rollen gespielt hatten; denn die übrige Umgebung war zu sehr mit dem Schiffe beschäftigt und zu wenig argwöhnisch, um auf diesen geringfügigen Umstand zu achten. Kapitän Truck hatte, zur nicht geringen Verwunderung sogar des Schiffsvolks, alle Matrosen an die Segel befehligen lassen und im Nu schwankte das Fahrzeug unter so viel Tuch, als es nur möglicherweise führen konnte, während die Maten forschenden Blickes nach Oben schauten, als wollten sie fragen, was sich weiter thun lasse.

Der Kapitän beseitigte bald alle Ungewißheit. Mit einer Raschheit, die man auf einem Kauffahrer nicht häufig, dafür aber desto gewöhnlicher auf Paketschiffen sieht, wurden die unteren Leesegel nebst den beiden Marsleesegeln zugerüstet und zum Aufhissen fertig gehalten. Sobald der Ruf »Alles bereit« erscholl, wurde das Ruder aufgezogen, die Segel entfalteten sich, und der Montauk lief mit freiem Winde auf die enge Durchfahrt zwischen den Scilly-Inseln und Lands-End zu. Kapitän Truck war ein erfahrener Kanallootse, und da er außerdem den Lauf der Fluth auswendig wußte, so hatte er beiläufig berechnen können, daß sein Schiff bei dem freien Winde und nach der guten Strecke, welche in den letzten vierundzwanzig Stunden zurückgelegt worden war, genug offene See hatte, um durch den Paß kommen zu können.

»Es ist ein kitzlich Ding, in einer pechfinstern Nacht und bei krachender Brise durch dieses Loch zu laufen,« sagte er, indem er sich die Hände rieb, als freue er sich über das Wagniß. »Wir werden jetzt sehen, ob dieses Foam Muth genug hat, uns zu folgen.«

»Der Kunde hat jedenfalls ein scharfes Auge und gute Gläser, selbst wenn er vor den Scilly-Felsen Scheu tragen sollte,« rief der Mate, der in der Besahntackelung das Amt eines Auslugers versah. »Da flattern bereits seine Leesegel, an denen wahrhaftig kein Mangel ist.«

Der Kreuzer hatte in der That seine Leesegel, die sich in fünf Minuten füllten, ausgeworfen und seinen Curs in einer Weise geändert, daß er dem Montauk folgen konnte. Sein Zweck konnte jetzt natürlich nicht länger bezweifelt werden, denn wie hätte man annehmen sollen, daß zwei Schiffe in der Dunkelheit einer solchen Nacht einen so kühnen Schritt wagen würden, wenn sich nicht die Bewegungen des einen nach denen des andern richteten?

Mittlerweile begannen ängstliche Gesichter auf dem Halbdeck aufzutauchen, und bald sah man Mr. Dodge sich verstohlen unter den Passagieren umherschleichen, wie er da dem Einen in's Ohr flüsterte, dort einen Andern in die Ecke nahm und überhaupt angelegentlich damit beschäftigt zu seyn schien, Ansichten über das Zweckmäßige des Schrittes zu sammeln, welchen der Kapitän eben eingeschlagen hatte, obschon er in Wahrheit eher den Schein des Widerspruchs annahm, als er Andere vorbereitet fand, auf seine Wünsche einzugehen. Sobald er übrigens eine hinreichende Anzahl von Stimmen gesammelt zu haben glaubte, um einen Versuch zu wagen, zu welchem ihn blos die Abneigung vor dem Schiffbruche und vor einem wässerigen Grabe ermuthigen konnte, lud er den Kapitän zu einer Privatverhandlung in dem Staatsgemache ein, das von ihm und Sir George Templemore bewohnt wurde. Mr. Truck, der im Augenblick ohne Cigarre war, ging sehr bereitwillig darauf ein, nur mit dem Unterschiede, daß er das venue, wie es die Rechtsgelehrten zu nennen pflegen, nach seinem eigenen Gelasse verlegte; denn kein Paketschiffer ist geneigt, eine Geschäftssache an einem andern Orte zu verhandeln.

Sobald die Beiden Platz genommen hatten und die Thüre geschlossen war, schneuzte Mr. Dodge behutsam das Licht, schaute umher, um sich zu überzeugen, ob sich in dem acht Fuß breiten und sieben Fuß langen Raume kein Lauscher befand, und ging dann mit – wie er meinte, sehr empfehlender Zartheit und Umsicht auf den Gegenstand ein.

»Kapitän Truck,« sagte er in gedämpftem vertraulichen Tone, in welchem sich in gleicher Weise Besorgniß und Geheimnißkrämerei ausdrückte, »ich glaube, Ihr müßt mich nachgerade als einen Eurer wärmsten und treuesten Freunde kennen gelernt haben. Ich habe in Eurem Schiffe die Herfahrt gemacht, und gefällt es Gott, uns den Gefahren der See entrinnen zu lassen, so hoffe und gedenke ich auch vermittelst desselben wieder in die Heimath zu gelangen.«

»Wenn Ihr dies nicht hofftet und gedächtet, Freund Dodge,« entgegnete der Meister, als er bemerkte, daß der Andere inne hielt, um die Wirkung seiner Anrede abzuwarten, mit jener Vertraulichkeit, die, wie er aus der früheren Fahrt entnommen hatte, hier nicht am unrechten Orte war – »wenn Ihr dies nicht hofftet und gedächtet, Freund Dodge, so habt Ihr ein schlimmes Versehen begangen, indem Ihr Euch an Bord des Montauk einschifftet, sintemalen sich wahrscheinlicher Weise durchaus keine Gelegenheit bieten wird, aus ihm hinauszukommen, bis wir irgendwo in der Breite und Länge von Sandy Hook auf ein Neuigkeitsboot oder auf eine Lootsenwache treffen. Ihr raucht, glaube ich, Sir?«

»Ich kann mir kein besseres Schiff wünschen,« erwiederte Steadfast, das Erbieten ablehnend, »und habe überhaupt Jedermann auf dem Continent mitgetheilt,« – Mr. Dodge war nemlich in Paris, und Genf, am Rheine, in Belgien und Holland gewesen – eine Wanderung, die in seinen Augen den ganzen europäischen Continent in sich faßte, – »daß es auf dem ganzen Ocean kein trefflicheres Fahrzeug und keinen ausgezeichneteren Kapitän gebe. Na, und Ihr wißt ja, Kapitän – wenn ich will, so habe ich so eine Art an mir, etwas vorzubringen, daß es die Leute nicht so leicht vergessen. In der That, mein theurer Sir, ich habe in die Rotterdamer Zeitung einen ganz sachgemäß abgefaßten Artikel zum Lobe der ganzen Linie und insbesondere dieses Schiffes einrücken lassen, und die Sache war so gut eingeleitet, daß keine Seele auf den Argwohn kam, der Aufsatz rühre von einem Eurer persönlichen Freunde her.«

Der Kapitän rollte eben das dünne Ende einer Cigarre in seinem Mund, um sie zum Rauchen zuzubereiten, da im Raume unten das wirkliche Rauchen durch die Schiffsregulative verboten war; als ihm jedoch diese Versicherung zu Theil wurde, entfernte er mit jener Art mystifizirender Einfalt, die bei den regelmäßigen Dienern Neptuns zur zweiten Natur wird, seinen Taback und antwortete mit einer Kälte, die in possierlichem Gegensatz zu der erkünstelten Ueberraschung stand, welche sich in den Worten ausdrückte:

»Den Teufel – habt Ihr wirklich? – Doch wohl in gutem Holländisch?«

»Ich verstand nicht viel von der Sprache,« sagte Mr. Dodge stockend; in der That kannte er nur die Wörtchen ja und nein, und diese nicht einmal sonderlich gut; »aber es kam mir vor, als sey der Styl ungemein gut gehalten. Natürlich konnte ich weiter nicht thun, als einen Menschen bezahlen, daß er den Aufsatz übersetzte. Um übrigens wieder auf unsere Angelegenheit zurückzukommen, – ich meine das Laufen durch die Scilly-Inseln in einer solchen Nacht –«

»Zurückzukommen, mein guter Freund? Dies ist ja die erste Sylbe, die Ihr über die Sache verloren habt.«

»Die Sorge um Euch hat mich darauf vergessen lassen. Offen gesprochen, Kapitän Truck – denn wenn ich nicht Euer allerbester Freund wäre, so würde ich schweigen: man ist über diese Angelegenheit in considerablem Excitement.«

»Excitement – was mag dies wohl seyn? – meint Ihr vielleicht eine Art moralischer Widersee?«

»Ganz richtig; und ich muß Euch die Wahrheit sagen, obschon ich lieber tausendmal schweigen möchte. Dieser Wechsel im Schiffscurs ist übrigens monströs unpopulär.«

»Der Tausend, das sind schlimme Neuigkeiten, Mr. Dodge. Ich werde mich auf Euch verlassen müssen und hoffe, Ihr werdet als ein alter Freund eine Opposition zu Stande bringen.«

»Mein theurer Kapitän, was in meinen Kräften lag, habe ich bereits versucht; aber ich muß gestehen, daß ich nie Leute traf, die auf einen Gegenstand so verpicht gewesen wären, wie die meisten dieser Passagiere. Die Effinghams sind trotz ihres Beutelstolzes und ihrer Vornehmthuerei sehr entschieden; Sir George Templemore erklärt den Fall für ganz außerordentlich, und sogar die französische Lady ist wüthend. Um also so aufrichtig zu seyn, wie es der bedenkliche Augenblick fordert: die öffentliche Meinung kehrt sich mit solcher Macht gegen Euch, daß ich eine Explosion erwarte.«

»Na, wenn nur die Fluth mir günstig ist, so muß ich's wohl über mich ergehen lassen. Eine Strömung in oder außer dem Wasser zu dämmen ist zwar Bergauf-Arbeit, aber mit einem guten Kiel, reinem Kopfe und reichlichem Wind ist sie dennoch ausführbar.«

»Es würde mich nicht wundern, wenn nach unserer Ankunft die Gentlemen an das Urtheil des Volkes appellirten und den gegenwärtigen Fall zu einer Handhabe gegen Eure ganze Linie machten.«

»Dies wäre allerdings möglich; aber was läßt sich thun? Wenn wir umkehren, wird uns der Engländer zuverläßig fangen, und in diesem Falle würde mein eigenes Bewußtseyn gegen mich zeugen.«

»Na, schon gut, Kapitän; ich meinte nur, als Freund meine Gesinnungen gegen Euch aussprechen zu müssen. Wenn diese Geschichte wirklich in die amerikanischen Zeitungen kömmt, so wird sie sich wie ein Brand in den Prairieen verbreiten. Ihr wißt doch hoffentlich, Kapitän Truck, was die Zeitungen sind?«

»Ich denke so, Mr. Dodge, und danke Euch für Eure Andeutungen; indeß glaube ich, auch zu wissen, was die Scilly-Inseln sind. Wenn wir anlangen, werden die Wahlen nahezu oder ganz vorüber seyn; es steht daher, Gott sey Dank, für diesen Herbst wenigstens nicht zu erwarten, daß man aus dieser Geschichte eine Parteifrage mache. Mittlerweile verlaßt Euch darauf, daß ich guten Auslug halten werde nach den Untiefen der Popularität und nach dem Triebsand des Excitements. Ich weiß, Ihr raucht bisweilen, und ich kann Euch diese Cigarren als ganz passend empfehlen, um die Nase jenes Kunden von Straßburg zu laben – Ihr lest Eure Bibel, Mr. Dodge, und ich habe daher nicht nöthig, Euch zu sagen, wen ich meine. Der Steward wird sich glücklich schätzen, Euch nach dem Decke hinauf zu leuchten, Sir.«

In dieser Weise entledigte sich Kapitän Truck mit dem sang froid eines alten Theers und dem Takte eines Paketschiffers seines überlästigen Besuchs, welcher sich halb mit dem Argwohn entfernte, daß er zum Besten gehalten worden sey, gleichwohl aber noch immer darüber brütete, ob es nicht zweckmäßig seyn dürfte, ein Committee oder wenigstens ein öffentliches Meeting in der Kajüte zusammenzubringen, um die Sache weiter zu verfolgen. Durch Letzteres glaubte Mr. Dodge, wenn er nur Mr. Effingham zu Uebernehmung des Präsidiums bewegen und Sir George Templemore zum Sekretär machen könnte, einer schlaflosen Nacht zu entgehen und – was eben so wichtig war – nach der Ankunft zu New-York in einem Zeitungsartikel Figur zu machen.

Mr. Dodge, dessen Taufname – Dank sey es der Frömmigkeit seiner Vorfahren – Steadfast Beharrlich. lautete, vereinigte in sich die Eigenschaften, welche durch seine beiden Bezeichnungen nicht unpassend ausgedrückt waren. Dodge, siehe eine frühere Note. In Auskramung seiner hohen Grundsätze und seiner Willensfestigkeit zeigte er eine merkwürdige Beharrlichkeit, die aber am Schlusse doch in ein ränkevolles Benehmen überging. Obschon ein eifriger Vertheidiger der Volksrechte, hatte er doch nie daran gedacht, daß dieses Volk aus so vielen integrirenden Bestandtheilen zusammengesetzt sey, sondern stets der Ansicht gelebt, daß Alles der großen Masse zu gravitiren müsse. Die Mehrheit war sein Steckenpferd; und obwohl er als Individuum oder in der Minderzahl sich ausfallend schüchtern ausnahm, so zeigte er sich doch, sobald er auf der stärksten Seite stand, bereit, sogar dem Teufel Trotz zu bieten. Mit einem Worte, Mr. Dodge war ein Volksmann, und er pflegte oft zu erklären, daß er seinen »Ehrgeiz und Stolz« darein setze, ein Mann des Volkes zu seyn. In seiner Heimath verzweigten sich die Ansichten, gleich dem Gold in den Minen – in den Adern oder Gängen der öffentlichen Meinung, und wenn sich dieselben auch drei- oder vierfach theilten, scheute sich doch Niemand, sie einzugestehen, so lange nur für jede Spaltung eine Partei vorhanden war. Sobald sich's aber um Festhaltung einer Ueberzeugung handelte, welche keine derartige Stütze hatte, so witterte man sogleich Aristokratie und verdammte sogar mathematisch wahre Sätze, wie regelmäßig aufgelöst und bewiesen sie auch seyn mochten. Mr. Dodge hatte so viel und so lange die moralische Atmosphäre eines solchen Gemeinsinns geathmet, daß er in vielen Dingen sogar das Bewußtseyn der eigenen Individualität verlor; denn er war in der That so weit gekommen, daß er zu glauben schien, er respirire mit einer County-Lunge, esse mit einem Gemeindemund, trinke aus dem Stadtbrunnen und schlafe in der freien Luft.

Ein derartiger Mensch war nicht sehr geeignet, auf einen Mann Eindruck zu machen, der, wie Kapitän Truck, daran gewöhnt war, in Mitten der empörten Elemente sich blos auf sich selbst zu verlassen und die Ueberzeugung festzuhalten, daß ein Schiff nur einem einzelnen Willen, dem seines Meisters, gehorchen dürfe, wenn es anders sicher seinen Hafen erreichen sollte.

Die Zufälligkeiten des Lebens konnten kaum größere Gegensätze bilden, als sich in Steadfast Dodge's und John Truck's Characteren aussprachen. Der Erstere führte höchstens Handlungen der allergewöhnlichsten Art aus, ohne zuerst ihre wahrscheinliche Wirkung auf seine Mitbürger, ihre Popularität oder Unpopularität zu erwägen; er mußte zuvor sich klar seyn, wie sie sich mit den verschiedenen Volksmeinungen, welche durch die County wühlten, zusammenreimten, in welcher Weise sie Einfluß üben konnten auf die nächste Wahl, und ob sie ihn in der öffentlichen Stimmung heben oder sinken lassen mochten. Kein asiatischer Sklave scheute sich je mehr vor einem zornmüthigen Herrn, als Mr. Dodge vor den Rügen, Beleuchtungen, scheelen Blicken und Bemerkungen des nächsten Besten in seiner County zitterte, welcher zufälligerweise zu der politischen Partei gehörte, die im Augenblicke das Uebergewicht behauptete. Der Minorität gegenüber war er so tapfer wie ein Löwe; er schnippte die Finger nach ihr und stand stets vorne an, wenn es galt, alle ihre Worte oder Handlungen zu verlachen und zu bespötteln. So zeigte er sich übrigens blos, wenn die Politik in Frage kam; denn sobald der Parteizwang aufhörte, war Steadfast's ganze Festigkeit dahin, und er erholte sich in allen andern Dingen pflichtschuldigst bei der öffentlichen Meinung seiner Nachbarschaft Raths. Freilich hatte dieser schätzbare Mann so gut wie jeder andere seine schwachen Seiten, und – was noch mehr ist – er war sich derselben vollkommen bewußt, wie aus der eifrigen Hut zu erkennen war, mit welcher er seine Lieblingssünden bewachte, um sich durch dieselben keine Blößen zu geben. Mit einem Worte, Steadfast Dodge war ein Mann, der sich mit Allem zu befassen und auf Alles Einfluß zu üben wünschte, ohne jedoch Geist genug zu besitzen, um sich selbst beherrschen zu können; denn sein wüthendes Ringen, sich die gute Meinung eines jeden menschlichen Wesens zu verschaffen, ließ ihn gar oft aller Selbstachtung vergessen. Wenn er standhaft die Rechte des Gemeinwesens verfocht, ließ er ganz außer Acht, daß die Gemeinschaft selbst nur ein Mittel ist, das zu Erreichung eines gegebenen Zweckes dienen soll; auch fühlte er in seinem Innern den tiefsten Respekt vor Allem, was außerhalb seines Bereiches war, und bekundete dies nicht in männlichen Anstrengungen, die verbotene Frucht zu gewinnen, sondern vielmehr in einem Geiste des Widerspruchs und der Verläumdung, der durch sein eifersüchtiges Lauern das Vorhandenseyn dieses Gefühles kund gab, obschon er dasselbe unter dem Deckmantel seiner Achtung vor den Volksrechten zu bemänteln suchte; denn er hielt es für ganz unausstehlich, daß irgend ein Mensch etwas ausschließlich besitze, sogar wenn sich's um Eigenschaften handelte, an welchen der Nachbar nicht mit Recht Theil nehmen konnte. Doch alle diese und noch obendrein viele ähnliche Züge hielt Mr. Dodge nur für den ächten Geist der Freiheit.

Andererseits fühlte sich John Truck als Herrn auf seinem Schiffe, war sowohl aus Gewohnheit als aus Politik höflich gegen seine Passagiere, wußte, daß jedes Schiff einen Kapitän haben mußte, und hielt das ganze Menschengeschlecht für wenig besser, als die gesammte Zunft der Esel. Er stellte selbstständig seine Beobachtungen an und kümmerte sich keinen Strohhalm um die seiner Maten, verrieth nie größere Lust, seinen eigenen Ansichten zu folgen, als wenn alle Matrosen brummten und andere Meinungen aufstellten, besaß von Natur aus kühnen Muth, in Folge langer Gewohnheit, die ihm Selbstvertrauen gegeben, einen entschiedenen Willen, und war in jeder Hinsicht geeignet, sein Fahrzeug ebenso gut auf den spurlosen Bahnen des Lebens hinzusteuern, wie auf denen des Oceans. Für einen Mann von seiner eigenthümlichen Stellung fügte sich's glücklicherweise, daß ihn die Natur bei seinem Eigensinne und bei dem Ansehen, das er auf seinem Schiffe behauptete, eher kalt und spöttisch, als hitzköpfig und ungestüm geschaffen hatte – ein Umstand, um dessen willen allein Mr. Dodge häufig hätte Gelegenheit finden können, sich Glück zu wünschen.


 << zurück weiter >>