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Zweites Kapitel.

Graf Freßbauch und Graf Geier,
Baron von Eselsschreier,
Der Marschall Kupferfratz,
Die gnädige Frau von Katz.

Bad-Wegweiser.

 

Das Eintreffen der Passagiere auf einem Packetschiff hat jedesmal für alle Betheiligten großes Interesse, namentlich aber, wenn die Fahrt nach dem Westen geht, die füglicherweise nie kürzer, als zu einem Monat angeschlagen werden kann; denn man hat in einem solchen Falle die Aussicht, diese ganze Zeit über in dem engen Raume eines Schiffes mit Leuten zusammengesperrt zu seyn, wie sie der Zufall zusammenführte, und sich in alle Launen und Eigenheiten der verschiedenen Charaktere zu schmiegen, der Verschiedenheiten in Nationalität, Lebensstellung und Erziehung gar nicht zu gedenken. Allerdings gilt das Halbdeck als eine Art Local-Auszeichnung, und die armen Geschöpfe im Volkslogis scheinen für die Zeit der Fahrt von der Vorsehung ganz hintangesetzt zu seyn; aber Alle, welche das Leben kennen, werden leicht begreifen, daß das bunte Durcheinander der Kajüten Leuten von Bildung und Geschmack selten viel Lockendes bieten kann. Dagegen findet sich übrigens eine eigenthümliche Quelle der Beruhigung: die Meisten sind nämlich geneigt, sich mit dem löblichen und zeitgemäßen Wunsche, Andern den Aufenthalt angenehm zu machen, um selbst auch die Fahrt nicht allzu ungemächlich finden zu müssen – in die Verhältnisse, wie sie einmal sind, zu fügen.

Als ein Mann von Weltkenntniß und Bildung hatte Mr. Effingham dieser Reise um seiner Tochter willen nicht ohne große Besorgniß entgegengesehen; denn sein Zartgefühl ließ ihn nur mit Bangen an die Nothwendigkeit denken, ein Wesen von ihrer edlen und bildsamen Einfachheit dem rauhen Verkehr mit einer Schiffsgesellschaft aussetzen zu müssen. Die drei ersten Probetage hatten ihm übrigens Manches von seiner Beklommenheit benommen, da er Eva unter seiner, Mademoiselle Viefvilles, Nanny's und Johns Bewachung in guter Obhut sah, und er nahm jetzt einigermaßen mit der Sicherheit eines Mannes, der in seinen vier Pfählen verschanzt ist, seine Stellung in Mitte der eigenen Familie, um die neuen Ankömmlinge zu beobachten.

Der Platz, den sie an einem Fenster des Sturmhäuschens einnahmen, gestattete ihnen keine Aussicht nach dem Meere; indeß war aus den Vorbereitungen, die auf dem Gange der Landseite stattfanden, zureichend zu erkennen, daß die Boote nahe genug waren, um einen Blick auf das Wasser unnöthig zu machen.

» Genus – Londoner; species – Musterkartenreiter,« murmelte John Effingham, als der erste Ankömmling das Deck betrat. »Dieser Ehrenmann hat blos den Korb einer Kutsche gegen das Deck eines Packetschiffes vertauscht. Wir werden nun bald erfahren, wie hoch die Knöpfe im Preise stehen.«

Es bedurfte keines Naturforschers, um die species des Fremden richtig zu bestimmen, obgleich John Effingham in seiner Schilderung ein bischen schärfer zu Werke ging, als durch den Thatbestand gerechtfertigt wurde. Die fragliche Person gehörte in die Classe der Handelsagenten, welche England so reichlich über die ganze Welt ausstreut und von denen einige die meisten gediegenen Eigenschaften ihrer Nation besitzen, obgleich vielleicht die Mehrzahl ein wenig geneigt ist, den Werth anderer Leute eben so sehr zu verkennen, als den eigenen. Dies war das genus, wie John Effingham sich ausgedrückt hatte, die species übrigens wird sich am besten aus der Zergliederung ergeben. Der Schiffsherr begrüßte diesen Mann herzlich und wie einen alten Bekannten unter dem Namen Monday.

»Ein wiedererstandener Mousquetair,« sagte Mademoiselle Viefville in ihrem gebrochenen Englisch, als ein anderer Mann, welcher mit dem vorerwähnten in dem gleichen Boote angelangt war, sein schnurr- und backenbärtiges Gesicht über das Geländer des Ganges erhob.

»Wahrscheinlicher ein Barbier, der seinen eigenen Kopf in einen Perückenstock umgewandelt hat,« brummte John.

»Wahrhaftig, er wird doch kein verkleideter Wellington seyn,« fügte Mr. Effingham mit einem Spotte bei, der bei ihm ganz ungewöhnlich war.

»Oder ein Peer des Reichs in seiner Standestracht!« flüsterte Eva, belustigt über die ausgesuchte Toilette des Gegenstands ihrer Bemerkungen, der, von einem Matrosen unterstützt, die Leiter heranstieg und, nachdem er mit dem Schiffsmeister gesprochen, seinem Bootsgefährten förmlich als Sir George Templemore vorgestellt wurde. Die beiden trieben sich einige Minuten auf dem Halbdecke umher und verdankten bei dieser Gelegenheit dem fleißigen Gebrauch ihrer Augengläser unterschiedliche Unannehmlichkeiten, da sie mit ihren Beinen gegen verschiedene Gegenstände anstießen, welche sie sonst wohl hätten vermeiden können. Indeß waren beide zu fein gebildet, um ihren Schmerz kundzugeben – oder meinten es wenigstens zu seyn, was dem Zwecke eben so gut entsprach.

Nach diesem Schwadroniren stiegen sie mit einander nach der Kajüte hinunter, ohne übrigens ihre Blicke von der Gesellschaft in dem Sturmhäuschen, namentlich aber von Eva zu verwenden, die sie, zum großen Aergerniß der alten Anna, vorzugsweise zum Gegenstand ihrer unverhohlenen Beobachtung und Bewunderung gemacht hatten.

»Man kann sich einigermaßen freuen, wenn man hoffen darf, gegen die lange Weile einer Seefahrt eine derartige Abhülfe zu finden,« sagte Sir George, als sie die Treppen hinabstiegen. »Ohne Zweifel seyd Ihr an dergleichen Dinge gewöhnt, Mr. Monday; aber bei mir ist's die erste Reise – das heißt, wenn ich die Fahrten auf dem Kanal und auf den Meeren ausnehme, die man auf der gewöhnlichen europäischen Tour mitnehmen muß.«

»O Himmel, ich gehe und komme so regelmäßig, wie die Tag- und Nachtgleichen, Sir George, die, wie Ihr wißt, des Jahrs einmal zutreffen. Auch nenne ich meine Fahrten so, denn ich mache mir's gewissenhaft zur Pflicht, stets just zwölf Stunden von den vierundzwanzig in meinem Berth zuzubringen.«

Dies waren die letzten Worte, welche vorderhand denen auf dem Decke von der Weisheit der Beiden zu Ohren kamen; und wahrscheinlich würden sie nicht einmal so viel vernommen haben, wenn nicht Mr. Monday ein gewisses renomistisches Wesen an sich gehabt hätte, das ihn bewog, stets eine Oktave höher zu sprechen als andere Leute. Obgleich übrigens ihre Stimmen fast verstummt oder doch für die oben Befindlichen so ziemlich unvernehmlich waren, so hörte man sie doch in ihren Staatsgemächern herumpoltern; namentlich versäumte Sir George nicht, häufig unter dem Namen »Saunders« nach dem Steward zu rufen, während Mr. Monday sich unter der passenden Bezeichnung »Toast« an den Gehülfen dieses Würdenträgers wandte.

»Ich denke, wir können ohne Gefährde wenigstens diese Person als einen Landsmann in Anspruch nehmen,« sagte John Effingham, als ein Dritter an Bord stieg; »er gehört zu dem Schlage, den ich als ›Amerikanisch in europäischer Maske‹ bezeichnen hörte.«

»Der Charakter ist weit mehr ehrgeizig gedacht, als geschickt festgehalten,« versetzte Eva, welche sich alle Mühe geben mußte, um nicht laut hinauszulachen. »Wenn ich eine Vermuthung wagen dürfte, so würde ich den Gentleman für einen Sammler von Trachten nehmen, der sich's in den Kopf gesetzt hat, eine Auswahl seiner Schätze an der eigenen Person zur Schau zu tragen. Mademoiselle Viefville, Ihr versteht Euch so gut auf Kostüme und könnt uns daher sagen, aus welchen Ländern er die verschiedenen Theile seines Anzugs zusammengerafft haben dürfte.«

»Für den Berliner Laden, wo er die Reisemütze gekauft hat, will ich einstehen,« entgegnete die belustigte Erzieherin; »denn etwas Aehnliches ist in keinem anderen Theile der Welt zu finden.«

»Ich sollte denken, Ma'am,« nahm Nanny mit der ruhigen Einfachheit ihrer Natur und ihrer Angewöhnungen das Wort: »daß der Gentleman seine Stiefeln in Paris gekauft haben muß, denn sie scheinen ihm die Füße zu drücken, und dies ist bei allen Pariser Stiefeln und Schuhen der Fall – wenigstens war's bei den meinigen so.«

»Die Taschenuhr trägt zuverlässig den Stempel von Genf,« fuhr Eva fort.

»Der Rock kommt von Frankfurt: c'est une équivoque

»Und die Pfeife von Dresden, Mademoiselle Viefville.«

»Die Conchiglia schmeckt nach Rom und das daran angebrachte Kettchen deutet auf den Rialto. Auch die Moustaches sind nichts weniger als indigènes, und das tout ensemble spricht von der Welt. Jedenfalls ist der Mann gereist.«

Eva's Augen funkelten von Laune, als sie dies sagte; da aber inzwischen der neue Passagier, welcher von dem Kapitän als ein Mr. Dodge angeredet wurde und gleichfalls ein alter Bekannter desselben zu seyn schien, in die Nähe der Gesellschaft gekommen war, so mußten fernere Bemerkungen unterbleiben. Ein kurzes Gespräch zwischen ihm und dem Schiffsherrn weihte die Zuhörer bald in den Umstand ein, daß der Reisende im Frühling von Amerika herübergekommen war, die europäische Tour gemacht hatte, und jetzt im Herbste wieder über den atlantischen Ocean zurückzukehren gedachte.

»Also genug gesehen, ha!« fügte der Kapitän mit einem freundlichen Kopfnicken bei, nachdem der Andere mit einer kurzen Schilderung seiner Erlebnisse auf der östlichen Hemisphäre zu Ende gekommen war. »Seyd ganz Auge gewesen – aber keine Muße oder Neigung nach mehr?«

»Ich habe so viel gesehen, als ich zu sehen wünschte,« entgegnete der Reisende, indem er einen Nachdruck auf das letztere Wort legte, der sich auf dem Papiere nicht wieder geben läßt, aber beredt die Selbstzufriedenheit und Selbstkenntniß des Sprechers ausdrückte.

»Na, das ist die Hauptsache. Hat man von irgend etwas, was man wünscht, so ist jede weitere Zugabe reiner Ballast. So oft ich auf meine fünfzehn Knoten aus dem Schiffe kommen kann, muß es bei mir nach Herzensgelüsten gehen, zumal, wenn das Fahrzeug unter dicht gerefften Topsegeln und an einem strammen Bolien liegt.«

Der Reisende und der Kapitän nickten sich mit den Köpfen zu, wie Leute, die einander besser verstehen, als gerade in dem dürren Sinn der Worte ausgedrückt ist, und ersterer ging sodann hinunter, nachdem er zuvor mit besonderem Interesse sich erkundigt hatte, ob sein Zimmergenosse Sir George Templemore bereits angelangt sei. Ein Verkehr von drei Tagen hatte eine Art Bekanntschaft zwischen dem Kapitän und den Passagieren eingeleitet, die er den Fluß herunter gebracht hatte, und als er jetzt sein rothes, verfängliches Gesicht den Damen zuwandte, bemerkte er mit unnachahmlicher Gravität:

»Nichts ist so schön, als wenn man weiß, wann man genug hat – selbst wenn sichs dabei um Kenntnisse handelt. Ich habe noch nie einen Schiffmann gesehen, der am nämlichen Tage zwei ›Mittagshöhen‹ gefunden hätte, ohne daß er in Gefahr gewesen wäre, Schiffbruch zu leiden. Ich will deshalb gern glauben, daß Mr. Dodge, der eben hinunterging, seiner Aussage gemäß Alles gesehen hat, was er zu sehen wünschte, denn es ist überhaupt recht wohl möglich, daß er jetzt schon mehr weiß, als er füglicherweise tragen kann. – Die Leute sollen die Spieren an die Raaen bringen, Mr. Leach; es wird nöthig seyn, daß wir unsere Schwingen ausbreiten, ehe wir mit unsrer Fahrt zu Ende kommen.«

Da Kapitän Truck zwar oft schwor, aber nie lachte, so ertheilte sein Mate die nöthigen Befehle mit einer Würde, welche der in nichts nachstand, mit welcher er ursprünglich gegeben worden war, und sogar die Matrosen stiegen zur Vollziehung desselben mit desto größerer Behendigkeit in das Tackelwerk hinauf, um einer Laune nachhängen zu können, die ihrem Beruf eigentümlich ist und deren sie sich um so mehr erfreuten, je weniger sie von Anderen verstanden wurde. Da auf dem Rückwege die Mannschaft aus denselben Leuten bestand, wie bei der Ausfahrt, und Mr. Dodge seine Reise ebenso gelbschnäblig angetreten hatte, als er gereift wieder heimkehrte, so konnte dieser Reisende von sechs Monaten unterschiedlichen Bemerkungen nicht entgehen, die ihn buchstäblich ›vom Leik bis zum Ringe‹ zerarbeiteten und in dem Tackelwerk umherflogen, wie lustige Vöglein in der Krone eines Baumes von Zweig zu Zweig flattern. Der Gegenstand aller dieser Witzeleien blieb jedoch in tiefer, um nicht zu sagen – glücklicher Unwissenheit über das Aufsehen, das er erregt hatte, denn er war zur Zeit damit beschäftigt, die Dresdner Pfeife, die venetianische Kette und die römische Conchiglia in seinem Staatsgemach unterzubringen, zugleich aber, wie er sich ausdrückte, mit seinem Zimmergenossen, Sir George Templemore »eine Bekanntschaft zu instituiren«!

»Zuverläßig muß noch bessere Reisegesellschaft kommen, als diese,« nahm Mr. Effingham das Wort, »denn ich bemerkte, daß zwei von den Staatsgemächern in der großen Kajüte einzeln genommen wurden.«

Damit der Leser dieß verstehe, wird es hier am Ort sein, auseinanderzusetzen, daß die Packetschiffe in jedem Staatszimmer zwei Schlafstellen haben; wer aber extra zahlt, kann ein Gemach einzeln erhalten. Es ist kaum nöthig, beizufügen, daß Leute von Bildung, wenn anders die Umstände es erlauben, lieber in andern Dingen sparen, um den Monat, der gewöhnlich auf die Fahrt verwendet werden muß, für sich selbst leben zu können; denn in nichts spricht sich die Bildung mehr aus, als in der Zurückhaltung, mit welcher man die persönlichen Gewohnheiten den Blicken Anderer entzieht.

»Es fehlt nicht an gemeinen Dummköpfen, die sich mit vollen Taschen auf den Weg machen,« entgegnete John Effingham. »Die beiden Gemächer, von denen Ihr sprecht, können eben so gut von ›Jährlingskälbern‹ gemiethet seyn, die wenig besser sind, als der weise Fant von einem halben Jahre, der eben an uns vorbei kam.«

»Wenigstens spricht sich darin etwas von dem aus, Vetter Jack, was ein Gentleman wünschen kann.«

» Etwas ist es allerdings, Eva; aber zuletzt ists ein leerer Wunsch oder gar eine Carrikatur.«

»Wie heißen sie wohl?« fragte Mademoiselle Viefville scherzhaft. »Die Namen geben vielleicht einen Schlüssel zu ihren Charakteren.«

»Die Zettel, welche mit Stecknadeln an die Bettvorhänge geheftet sind, geben die widersprechenden Namen Mr. Sharp Scharf. und Mr. Blunt; Stumpf, oder auch Derb. Siehe später. indeß ist es leicht möglich, daß bei ersterem zufälligerweise ein Buchstabe wegblieb und Letzterer blos ein Synonym des alten nom de guerre ›cash‹ ist.«

»Reist man denn in unseren Tagen wirklich noch mit erborgten Namen?« fragte Eva mit einem kleinen Anflug von der Neugier unserer gemeinsamen Mutter, deren Namen sie trug.

»Ja wohl, und ebensogut, wie früher, auch mit erborgtem Gelde. Ich wette übrigens, diese unsere beiden Reisegefährten werden in Wahrheit ihren Namen Ehre machen – scharf genug und stumpf genug.«

»Meint Ihr, sie könnten Amerikaner seyn?«

»Warum nicht? Beide Eigenschaften sind ja ganz indigènes, wie Mademoiselle Viefville sagen würde.«

»Nicht doch, Vetter John; – wir wollen uns nicht länger mit Worten herumbalgen; denn seit der letzten zwölf Monate habt Ihr wenig Anderes gethan, als Euch Mühe gegeben, das freudige Vorgefühl, mit welchem ich nach dem Schauplatze meiner Kindheit zurückkehre, zu schwächen.«

»Liebes Kind, ich möchte nicht gerne irgend eine Deiner jugendlichen, edlen Freuden durch eine Beimischung meiner eigenen Bitterkeit verkümmern – aber was willst Du? Eine kleine Vorbereitung auf das, was so nothwendig kommen muß, als die Sonne der Morgenröthe folgt, wird ja eher dazu dienen, die [Enttäuschung] zu mildern, die unausbleiblich bevorsteht.«

Eva hatte nur noch Zeit, ihm einen Blick liebevollen Dankes zuzuwerfen – denn wenn er auch im Hohne sprach, geschah es stets mit einem Gefühl, das sie von Kindheit an würdigen gelernt hatte – als die Ankunft eines andern Bootes die gemeinschaftliche Aufmerksamkeit nach dem Gange hinlenkte. Ein Ausruf des dienstthuenden Offiziers hatte den Kapitän nach dem Geländer geführt, und sein Befehl, »das Gepäcke von Mr. Sharp und Mr. Blunt heraufzuschaffen«, wurde von Allen in der Nähe deutlich vernommen.

»Jetzt kommen les indigènes«, flüsterte Mademoiselle Viefville mit der gespannten Aufregung, welche bei dem zarteren Geschlecht eine lebhafte Erwartung zu bekunden pflegt.

Eva lächelte, denn es gibt Lagen, in welchen Kleinigkeiten das Interesse wecken helfen, und das Wenige, was bis jetzt vorgegangen war, hatte dazu gedient, die Neugierde der ganzen Gesellschaft zu erregen. Mr. Effingham hielt es für ein günstiges Anzeichen, daß der Meister, der alle seine Passagiere schon in London kennen gelernt hatte, den neuen Ankömmlingen bis an die Laufplanke entgegenging; denn eine Bootslast ordinären Halbdecksvolks war einen Augenblick zuvor an Bord gekommen, ohne von ihm größerer Berücksichtigung als einer allgemeinen Verbeugung und des gewöhnlichen Befehls zu Empfangnahme ihrer Effekten gewürdigt zu werden.

»Die Zögerung deutet auf Engländer,« konnte der spöttische John eben noch einwerfen, ehe die stumme Vorbereitung an der Planke durch das Erscheinen der neuen Ankömmlinge unterbrochen wurde.

Mademoiselle Viefville's ruhiges Lächeln deutete, als die beiden Reisenden auf dem Deck erschienen, auf Beifall, denn ihr geübtes Auge erkannte auf den ersten Blick, daß die Ankömmlinge ohne Frage Männer von Bildung waren. Die Frauen haben in ihrer Art für den geselligen Verkehr einen viel reineren Sinn und lernen schon vermöge ihrer Erziehung weit feiner zu unterscheiden, als die Männer; Eva wandte daher, sobald sie einen Blick der Neugierde auf die beiden Männer geworfen hatte, gleich einer wohlerzogenen jungen Person in einem Besuchszimmer, unwillkührlich ihre Augen ab, obschon sie vielleicht Sir George Templemore und Mr. Dodge so ruhig wie Thiere in einer Menagerie oder wie Geschöpfe, die sie durchaus nichts angingen, gemustert haben würde.

»Sie sind in der That Engländer,« bemerkte Mr. Effingham ruhig, »und ohne Zweifel auch gebildete Engländer.«

»Der Nächste scheint mir ein Festländer zu seyn,« antwortete Madam Viefville, die sich nicht, gleich Eva, bewogen gefühlt hatte, den Blick abzuwenden; »er ist jamais Anglais

Eva ließ wider Willen einen verstohlenen Blick hinübergleiten und deutete mit dem angeborenen Scharfblicke eines Weibes an, daß sie zu demselben Schlusse gekommen sey. Die beiden Fremden waren schlanke, entschieden gentlemanisch aussehende junge Männer, so daß sie wohl unter allen Umständen Beachtung finden mußten. Der Eine, welchen der Kapitän als Mr. Sharp anredete, war noch sehr jung, wie sein blühendes Gesicht bekundete, und hatte lichte Haare; dagegen zeigte das Antlitz des Anderen einen edleren und ausdrucksvolleren Schnitt, und Mademoiselle Viefville meinte in der That, sie habe nie ein süßeres Lächeln gesehen, als das, womit er den Gruß auf dem Decke erwiederte. Allerdings lag auch mehr als der gewöhnliche Stempel eines feinen Umgangtons und die entsprechende Mimik darin, denn die Beobachterin glaubte in dem Lächeln des Fremden Sinnigkeit und wohl gar einen Anflug von Schwermuth lesen zu können. Sein Gefährte benahm sich anmuthig und ganz nach den Regeln des guten Tons; indeß lag doch in seiner Haltung weniger von der Seele des Mannes, da sie eher auf die gesellschaftliche Kaste hindeutete, zu welcher er gehörte. Diese Unterscheidungen mögen dem Leser für die Umstände doch als gar zu fein gehalten erscheinen; aber Mademoiselle Viefville hatte ihr ganzes Leben in guter Gesellschaft und in einer Stellung verbracht, in welcher Beobachtung und Urtheil – namentlich die Beobachtung des andern Geschlechtes – für sie sehr nöthig wurden.

Jeder der Fremden hatte einen Diener bei sich, und während ihr Gepäck aus dem Boote herausgeschafft wurde, verfügten sie sich in Begleitung des Kapitäns mehr nach dem Hinterschiffe in die Nähe des Sturmhäuschens. Jeder Amerikaner, der mit der Welt nicht sehr bekannt ist, scheint von einer wahren Manie des Vorstellens besessen zu seyn, und Kapitän Truck machte keine Ausnahme von dieser Regel; denn obschon ein tüchtiger Schiffsbefehlshaber, der die Etikette des Halbdecks auf ein Haar hin verstand, gerieth er doch augenblicklich in's blaue Wasser, sobald sich's um Feinheit des Benehmens handelte. Er gehörte zu jener Schule von Elegants, welche meinen, es zeuge von guter Bildung, wenn sie miteinander ein Glas Wein trinken oder eine Vorstellung an den Mann bringen können; denn es überstieg ganz seine Fassungsgabe, daß diese beiden Akte ihren besonderen Nutzen haben könnten und daher nur bei besonderen Gelegenheiten benützt werden sollten. Dennoch war der würdige Schiffsmeister, der sein Leben ohne vorläufige Kenntniß der Gebräuche in der Back begonnen und den Satz, daß »das Benehmen den Mann mache,« im engsten Sinne des Wortes genommen hatte, gar eifrig in dem, was er für feine Bildung hielt, und darunter gehörte zuvörderst das Vorstellen, weil seiner Ansicht nach die Passagiere sich nicht wohl fühlen konnten, wenn sie sich nicht gegenseitig kannten; übrigens brauchen wir kaum zu sagen, daß dieses Benehmen unter der besseren Classe von Reisenden gerade das Gegentheil von der beabsichtigten Wirkung zur Folge hatte.

»Ihr seyd bereits miteinander bekannt, Gentlemen?« fragte er, als er mit den Beiden in die Nähe des Sturmhäuschens kam.

Die beiden Reisenden versuchten, sich die Miene des Interesses zu geben, während Mr. Sharp obenhin bemerkte, sie hätten sich erst im Boot zusammengefunden. Dies war eine gar liebliche Kunde für Kapitän Truck, der keinen Augenblick zögerte, die Gelegenheit bestens zu benützen. Er blieb vor seinen Begleitern stehen und machte mit einer feierlichen Schwenkung der Hand die Ceremonie durch, die ihm so viel Vergnügen machte und in deren Ausführung er sich ein Eingeweihter zu seyn schmeichelte.

»Mr. Sharp, erlaubt mir, Euch Mr. Blunt vorzustellen. – Mr. Blunt, ich gebe mir die Ehre, Euch mit Mr. Sharp bekannt zu machen.«

Die Gentlemen, obgleich ein wenig überrascht über die Gravität und Förmlichkeit des Kapitäns, griffen gegenseitig höflich an ihre Hüte und lächelten. Eva, die sich durch die Scene nicht wenig belustigt fühlte, beobachtete den Vorgang genau und entdeckte nun gleichfalls die milde Schwermuth in dem Antlitze des Einen nebst der marmorartigen Ironie auf den Zügen des Andern. Möglicherweise lag in diesem Umstande der Grund, daß sie fast unmerklich zusammenfuhr und erröthete.

»Die Reihe wird nächstens an uns kommen,« murmelte John Effingham. »Haltet nur die nöthigen Grimassen bereit.«

Seine Vermuthung erwies sich als richtig; denn da der Kapitän Johns Stimme gehört hatte, ohne übrigens ein Wort des Gesagten zu verstehen, so verfolgte er zur eigenen großen Selbstbefriedigung seinen Vortheil.

»Gentlemen – Mr. Effingham, Mr. John Effingham« – Jedermann lernte nämlich bald beim Anreden der beiden Vetter diese Unterscheidung machen – »Miß Effingham, Mademoiselle Viefville: – Mr. Sharp, Mr. Blunt; Gentlemen, Mr. Blunt, Mr. Sharp.«

Die würdevolle Verbeugung Mr. Effinghams, wie auch das leichte abgemessene Lächeln Eva's würde selbst bei Leuten von weniger gutem Tone, als an den beiden Fremden zu bemerken war, jede ungebührliche Vertraulichkeit verbannt haben; sie nahmen daher die unerwartete Ehre in einer Weise auf, als fühlten sie, daß sie im Augenblick belästigten. Mr. Sharp lüpfte jedoch gegen Eva seinen Hut, hielt ihn für einen Moment über seinem Kopfe, ließ dann seinen Arm der vollen Länge nach fallen und verbeugte sich mit tiefer, aber doch zurückhaltender Höflichkeit. Mr. Blunt benahm sich nachlässiger in seiner Begrüßung, aber doch immerhin mit so viel Anstand, als es die Umstände überhaupt forderten. Beide Gentlemen waren ein wenig betroffen von dem entfremdenden Stolze John Effinghams und dessen »gebieterischer« Verbeugung, wie sie Eva lachend zu nennen pflegte, obschon es die äußere Form derselben an nichts fehlen ließ. Das Gewühl der Vorbereitungen zur Abfahrt und die Gewißheit, daß es nicht an Gelegenheit fehlen werde, den Verkehr zu erneuern, hatten zur Folge, daß es bei der allgemeinen Begrüßung blieb, und die neuen Ankömmlinge stiegen nach ihren Staatsgemächern hinunter.

»Ist Euch nicht die Art aufgefallen, wie diese Leute meine Vorstellung entgegennahmen?« fragte Kapitän Truck seinen Hauptmaten, den er zur Packetschiffshöflichkeit heranzubilden bemüht war, als sei diese das einzige Mittel, sich in Zukunft Auszeichnung zu sichern. »Meiner Ansicht nach hätten sie sich doch wenigstens die Hände drücken sollen. So was nenne ich nach Vattel handeln.«

»Man trifft wohl hin und wieder auf dergleichen abgeschmackte Kunden,« entgegnete der Andere; »aber wenn Einer seine Hände in den Taschen behalten will, so soll er's thun, sage ich, obschon ich es für eine Geringschätzung gegen die Gesellschaft ansehe, wenn Jemand in solchen Dingen von dem gewöhnlichen Gange abschiert.«

»Ich bin auch dieser Ansicht; aber was können im Grunde die Packetschiffer in solchen Fällen thun? Wir setzen den Passagieren ihr Lunch und ihr Diner auf, sind aber nicht im Stande, sie zum Essen zu zwingen. Was mich betrifft, so mach' ich mir's zur Regel, wenn mich ein Gentleman vorstellt, die Sache säuberlich ablaufen zu lassen und Druck für Druck zu erwiedern, so gut als dreimal drei neun ist; aber dieses Hinaufstechen an den Castor kommt mir ebenso vor, wie wenn wir ein Oberbramsegel einziehen wollten, wenn man zur See an einem Schiff vorbeikommt: es bedeutet just gar nichts. Wer kann auch ein Schiff kennen lernen, wenn man dessen Ziehtaue laufen und die Raa wieder aufschwingen läßt? Manierlichkeit halber könnte man dies eben so gut vor einem Türken thun. Nein, nein, es liegt etwas darin, und – hole mich der Henker, nur um mich zu überzeugen, will ich bei erster Gelegenheit, die sich bietet – ja, ich will sie Alle sich gegenseitig noch einmal vorstellen! – Die Leute sollen ihre Handspacken aufnehmen, Mr. Leach, und die schlaffe Kette aufziehen. – Ja, ja – ich will, wenn alle Matrosen auf dem Deck sind, die Gelegenheit ersehen und sie schiffsgerecht einen nach dem andern vorstellen, wie unsere Grünschnäbel durch ein Tölpelloch schlüpfen; denn wahrhaftig, sonst ist während der ganzen Fahrt an kein freundschaftliches Verhältniß zu denken.«

Der Mate nickte beifällig, als habe sein Oberer das beste Auskunftsmittel getroffen, und schickte sich sodann an, die Aufträge zu vollziehen, während der Commandeur durch die Sorge für sein Schiff genöthigt wurde, sich für den Augenblick den Gegenstand aus dem Sinn zu schlagen.


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