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Neuntes Kapitel.

Der Mond erhob sich jetzt in voller Scheibe,
Von Wolken halb verhüllt. Still war der Wind
Und spiegelgleich die See.

Italien.

 

Die meisten Passagiere stellten sich auf dem Decke ein, sobald sie Saunders wieder unter den Gläsern klappern hörten. Das Dämmerlicht war schon hell genug, um unterscheiden zu lassen, was vorging; auch hatte der Wind umgeschlagen. Dieser Wechsel hatte erst vor zehn Minuten stattgefunden, und die meisten Kajütenbewohner strömten fast in Masse die Treppen hinauf; denn Mr. Leach war eben mit dem Umlegen der Raaen fertig geworden, um die Segel der steif von Nordosten her blasenden Brise anzupassen. Land war nirgends sichtbar, und der Mate hatte eben seine Ansicht dahin abgegeben, daß sie sich in der Höhe von Scilly befänden, als Kapitän Truck, unter der Gruppe erschien.

Ein Blick nach den Masten und ein zweiter nach dem Himmel reichte zu, um den erfahrenen Meister in alle Geheimnisse seiner gegenwärtigen Lage einzuweihen. Dann sprang er in das Tackelwerk hinauf, um in der Richtung des Lizard die See zu überblicken, und ersah dort zu seinem großen Verdruße ein Schiff unter allem Tuch, das ziehen wollte, und mit flappendem Leesegel, da letzteres noch nicht hatte eingeholt werden können. Der Kapitän erkannte im Augenblick, daß es das verwünschte Foam war. Er preßte die Lippen zusammen und erging sich in einem innerlichen Fluche, den hier zu wiederholen wir mit unsern Begriffen von Schicklichkeit nicht in Einklang bringen können.

»Bietet die Matrosen auf und schüttelt die Reffe aus, Sir,« sagte er ruhig zu seinem Maten, denn er hatte sichs zum Gesetz gemacht, gerade dann die gelassenste Außenseite zur Schau zu stellen, wenn er in der größten Wuth war. »Die Mannschaft soll sich rühren, Sir, und jeden Fetzen zeigen, der ziehen will, vom Flaggenknopf an bis zur untersten Leesegelspiere. Möge sie alle der Teufel holen!«

Auf diesen Wink beeilte sich Mr. Leach, und die Matrosen befanden sich im Nu auf den Raaen, wo sie die Beschlagseisingen und die Reffpunkte losmachten. Segel um Segel that sich auf, und da die Zwischendeckpassagiere, welche eine Händekraft von dreißig oder vierzig Mann bieten konnten, aus Leibeskräften mithalfen, so lief der Montauk unter Allem, was ziehen konnte, und mit Prallsegeln auf beiden Seiten bald todt vor dem Winde. Die Maten sahen sich überrascht um, und die Matrosen warfen fragende Blicke nach hinten; aber Mr. Truck zündete jetzt eine Cigarre an.

»Gentlemen,« sagte der Kapitän nach einigen philosophischen Rauchwolken, »es ist nicht daran zu denken, nach Amerika zu kommen, so lang jener Kerl dort auf meinem Luvbuge steht; denn er würde uns noch vor zehn Uhr einholen und festnehmen. Ich kann daher nichts thun, als den Wind recht über den Hackebord bringen, wo wir ihn jetzt glücklicherweise haben. Ich glaube, wir können ihn in diesem Wettrennen ausstechen, denn die scharfen Kiele pflügen keine so volle Furche, wie die Kesselboden. Was das Führen von Tuch betrifft, so wird der Montauk vor einer Kühlte so lange Stand halten, als irgend ein Schiff in König Wilhelms Flotte. Auf Eines mögt ihr euch also verlassen – ich führe lieber euch Alle nach Lissabon, ehe euch jener Tabakschnüffler wieder nach Portsmouth zurückbringen soll. Dieß ist eine Categorie, an der ich festhalten will.«

Diese characteristische Erklärung diente dazu, die Passagiere in die wahre Sachlage einzuweihen. Niemand erhob eine Gegenvorstellung, denn Alle wollten es weit lieber auf ein Wettrennen ankommen lassen, als wieder in den Hafen zurückgeführt zu werden, und sogar die Engländer, welche sich an Bord befanden, begannen wieder sich auf Seite des Montauk zu schlagen, um so mehr, da Kapitän Truck unverhohlen zugestand, ihr Kreuzer sey ihm auf jedem Gange zu stark, den einzigen ausgenommen, welchen er versuchen wollte. Mr. Sharp drückte die Hoffnung aus, daß sie entkommen möchten, und was Sir Georg Templemore betraf, so wiederholte er abermals sein großmüthiges Erbieten, lieber alle Kosten in was immer für einem französischen, spanischen oder portugiesischen Hafen zu bezahlen, als daß er mit ansehen könne, wie einem fremden Schiff in einer Zeit des tiefsten Friedens Unglimpf widerfahre.

Das Auskunftsmittel des Kapitän Truck bewies, wie richtig er geurtheilt hatte und wie sehr er seinen Beruf verstand. Im Laufe einer Stunde stellte sich heraus, daß, wenn unter gegenwärtigen Umständen ein wesentlicher Unterschied im Segeln der beiden Schiffe stattfand, dieser einigermaßen dem Montauk zu Gunsten kam. Das Foam setzte nun zum erstenmal seine Flagge aus, zum Zeichen, daß es mit dem Schiffe in Sicht zu sprechen wünschte; aber Kapitän Truck lachte nur darüber, denn er erklärte diesen Schritt für ein Merkmal, daß der Gegner die Ueberzeugung gewonnen habe, der Montauk werde nicht in das Bereich seines Geschützes kommen.

»Zeigt ihm den Bratroost,« rief der Kapitän, in fröhlicher Stimmung; »es geht nicht an, sich von einem Manne in Höflichkeit überbieten zu lassen, der uns bereits auf so vielen Gängen ausgestochen hat; aber haltet Alles so fest zu, wie eine Kirchenthüre an Werkeltagen.«

Die letztere Vergleichung war vermuthlich dem Umstande zuzuschreiben, daß der Kapitän aus einem Landestheile kam, wo alle Religion sich in die vier und zwanzig Stunden zusammendrängt, welche mit Sonnenuntergang des Samstags beginnen und am Sonntag Abend schließen – wenigstens war dies seine eigene Erklärung von der Sache. Wenn Mr. Truck etwas gelang, so pflegte er stets redselig zu werden, und er begann nun viele treffliche Anekdoten zu erzählen, die ihm entweder in Person zugestoßen oder von Augenzeugen mitgetheilt worden waren; seine Zuhörer durften sich also, wie Sancho sagt, so zuverläßig auf die Wahrheit derselben verlassen, daß sie, wenn sie wollten, ohne Gefährde darauf schwören konnten, sie hätten Alles selbst mitangesehen. »Da wir eben von Kirchen und Thüren sprechen, Sir George,« sagte er zwischen den Zügen, die er aus seiner Cigarre holte, – »seyd Ihr je auf Rhode Island gewesen?«

»Nie, denn dies ist mein erster Besuch in Amerika, Kapitän.«

»Richtig. Nun, Ihr werdet wahrscheinlich hinkommen, wenn Ihr nach Boston geht, da dies der beste Weg ist; es müßte denn seyn, wenn Ihr nicht lieber über die Nantuket-Untiefen laufen und ein Ditto von etwa vierzig Seemeilen machen wollt, wie Mr. Dodge es nennt.«

» Ditter, Kapitän, wenn ich bitten darf – Ditter. Es ist ein festländisches Wort und bedeutet einen Roundabout Umweg, oder auch ein Ueberrock (sogenannter Paletot)

»Den Teufel auch – na, etwas der Art muß man schon wissen. Und wie heißt denn eine Schifferjacke auf Französisch?«

»Ihr versteht mich nicht recht, Sir – Ditter ist ein Umweg oder ein längerer Weg.«

»Na, beim Görge, und etwas der Art machen wir eben! – He, Leach, wißt Ihr auch, daß wir einen Ditter nach Amerika machen?«

»Ihr spracht von einer Kirche, Kapitän Truck,« bemerkte Sir George höflich, denn er war mit seinem Kajütengenossen schon ziemlich vertraut geworden.

»Ich kam vor einigen Jahren auf der Reise von Providence nach New-London durch diesen Staat und man hatte eben damals einen neuen Weg geöffnet. Es war ein Sonntag und die Postkutsche – ein Kasten von vier Pferdekraft, müßt Ihr wissen – hatte ihn noch nie am Tage des Herrn befahren. Nun, wir mochten so zu sagen hier im rechten Winkel von unsrem Curse ab seyn, und da war eine kurze Wendung in der Straße – will annehmen etwa dorthinaus. Wie wir der Wendung ansichtig wurden, bemerkte ich einen Burschen im Mastkorb eines Baums, der jetzt herunterrutschte und geradaus ging nach dem Meetinghause, das etwa zwei oder drei Kabellängen vom Wege ablag. Wir trabten wacker weiter, und just wie die Kirche vor uns lag strömte die ganze Heerde heraus, Reiter und Fußgänger, Pfarrer und Faullenzer, Sünder und Heuchler, um mitanzusehen, wie die Vier-Pferdekraft vorbeisauste. Na, dieß ist's, was ich ein Oeffnen der Kirchthüre am Sonntag nenne.«

Wir würden Anstand genommen haben, diese Anekdote des Kapitäns zu berichten, wenn wir nicht den gleichen Vorgang von einer Seite her erfahren hätten, weiche es über allen Zweifel erhebt, daß seine Darstellung von der Sache im Wesentlichen ganz richtig war. Dieses Abenteuer nebst einigen andern, die zum Theil wohl erfunden seyn mochten, obschon er auf ihre buchstäbliche Wahrheit schwor, setzten den würdigen Meister in den Stand, das Halbdeck in guter Laune zu erhalten, während das Schiff mit einer Geschwindigkeit von zehn Knoten in der Stunde auf einer Linie dahin lief, die weit von dem eigentlichen Curse abging. Uebrigens finden Leute, die nicht an Seereisen gewöhnt sind, im Allgemeinen schon große Beruhigung in dem Umstande, daß sie günstigen Wind haben; sie sind daher wenig geneigt, mit den Folgen zu hadern. Der Tag war sehr schön, das Schiff bewegte sich stätig fort, und die Lust, mit den Wellen in die Wette rennen zu können, nebst dem Interesse, welches durch die Jagd geboten wurde, hatte männiglich in eine behagliche Stimmung versetzt. Sogar Steadfast Dodge brannte weit weniger, als sonst, von Neid, von Eifersucht auf seine vermeintlichen Verdienste und von dem Verlangen, überall seine Hände einzumengen. Weitere Vorstellungen fanden nicht Statt, und doch wurde im Laufe dieses Tags die kleine Welt in dem Paketschiffe weit besser unter sich bekannt, als dies vielleicht in Monaten eines gewöhnlichen Verkehrs auf dem Lande der Fall gewesen wäre.

Der Montauk fuhr bis zum Sonnenuntergang fort, dem Verfolger mehr und mehr Vorsprung abzugewinnen; aber jetzt begann Kapitän Truck, über die Zufälligkeiten der Nacht Erwägungen anzustellen. Er wußte, daß sein Fahrzeug in die Mündung der Bay von Biscaja einlief, oder sich doch derselben schnell näherte, weshalb er jetzt auf Mittel sann, westwärts zu kommen. Es stand keine dunkle Nacht in Aussicht, denn obgleich viele phantastische Wolken an dem Himmel herzogen, verbreitete doch der Mond eine Art Zwielicht durch die Luft. Mr. Truck wartete jedoch geduldig ab, bis die Mittelwache wieder aufgezogen war, ließ dann die Segel kürzen und holte das Schiff zu einem südwestlichen Curs um, weil er durch diese leichte Veränderung allmählig offene See zu gewinnen hoffte, ehe es von dem Foam aus bemerkt würde. Er versprach sich um so mehr günstigen Erfolg von diesem Manöver, weil er im Laufe des Tages so viel Vorsprung gewonnen hatte, daß schon vor Eintritt der Nacht die großen Segel der Schaluppe unter die Krümmung des Wassers gesunken waren.

Sogar die Regsamsten werden nachgerade des Wachens müde; Kapitän Truck sah sich daher am nächsten Morgen in sehr unangenehmer Weise durch das Geschrei aufgestört, das die Corvette nun eben auf Kanonenschußweite stehe und rasch nachkomme. Er begab sich auf das Deck und fand daselbst, daß sich die Thatsache unbestreitbar so verhielt. Durch die Veränderung im Kurse begünstigt, war der Kreuzer seit Ablösung der ersten Wache dem Montauk immer näher gerückt und hatte in der That die Entfernung zwischen den Schiffen um zwei Drittheile gemindert. Der Kapitän wußte nichts Anderes anzufangen, als daß er zu dem alten Auskunftsmittel seine Zuflucht nahm und den Wind wieder über den Hackebord streichen ließ, indem er zugleich alles Tuch zeigte, das man ausbreiten konnte. Da bekanntermaßen gleiche Ursachen gleiche Wirkungen hervorbringen, so führte dieser Kunstgriff das frühere Ergebniß herbei. Das Paketschiff gewann Vortheil und die Kriegsschaluppe blieb langsam im Sterne zurück. Mr. Truck erklärte jetzt, er wolle »ein regelmäßiges Geschäft daraus machen« und behielt deshalb den ganzen Tag über nebst der darauf folgenden Nacht die gleiche Richtung. Erst um Mittag des nächsten Tags änderte er seinen Kurs leicht nach dem Winde, den er eifrig von hinten zu fassen bemüht war, so daß die Prallsegel von beiden Seiten ziehen konnten. Um Mittag am vierten Tage der Ausfahrt stellte er eine genaue Beobachtung an und gewann daraus die Ueberzeugung, daß sich das Schiff in der Breite von Oporto und in einer hohen See von nicht weniger als einem Grade befand. Um diese Zeit konnte man vom Deck aus nur noch die Oberbramsegel des Foam wahrnehmen, die sich am Horizonte wie ein kleines Boot ausnahmen. Mr. Truck war fest entschlossen, lieber in einen Hafen zu laufen, als sich einholen zu lassen, und hatte sich deshalb so nahe an's Land gehalten, um von seiner Lage Vortheil ziehen zu können, im Falle irgend ein Wechsel den Kreuzer begünstigte; jetzt glaubte er aber, gegen Sonnenuntergang ohne Gefährde seinen Kurs nach Amerika aufnehmen zu können.

»Der Kerl müßte doppelt bewaffnete Augen an Bord haben, wenn er in solcher Entfernung sehen sollte, was wir treiben, sobald einmal die Nacht eingebrochen ist,« sagte er zu Mr. Leach, der alle seine Aufträge mit dienstwilligem Eifer vollzog. »Wir wollen unsere Gelegenheit erlauern, um hübsch in die große Prärie hinauszuwischen, und dann werden wir sehen, wer sich am Besten auf die Spur versteht. Ihr werdet, wenn wir einmal in Amerika sind, wohl auch einen Ausflug nach den Prärieen machen und Eure Hand gleich den Uebrigen an einem Büffel versuchen wollen, Sir George? Wenn vor zehn Jahren noch ein Engländer zu uns kam, um uns zu begaffen, hatte er Angst, sogar in Broad-Way skalpirt zu werden, und jetzt ist keiner zufrieden, wenn er nicht schon in den ersten vierzehn Tagen rittlings auf den Rocky Mountains gesessen hat. Ich führe jeden Sommer ein Rudel Londoner Sonntagsjäger mit herüber, die nur einen Schuß oder zwei auf den grauen Bären oder auf eine Antilope thun wollen, um zeitig genug wieder zur Eröffnung von Drury-Lane zurückzukommen.«

»Ließe sich Euer Plan nicht weit sicherer ausführen, wenn wir auf ein paar Tage zu Lissabon unsere Zuflucht nähmen? Ich gestehe, daß ich diese Stadt sehr gerne sehen möchte, und was die Hafenauflagen betrifft, so wollte ich sie lieber zweimal bezahlen, als daß dieser arme Mann seinem Weibe entrissen wird. Ich hoffe, Kapitän Truck, mich in Betreff dieses Punktes mit genügender Bestimmtheit ausgedrückt zu haben.«

Kapitän Truck schüttelte dem Baronet herzlich die Hand, wie er stets zu thun pflegte, wenn dieser sein Erbieten erneuerte, und erklärte, daß ihm jene Gesinnung sehr zur Ehre gereiche.

»Fürchtet nichts für Davis,« sagte er; »denn jenes Foam dort soll ihn so wenig in seine Fänge kriegen, als der alte Grab. Eher wollte ich ihn über Bord werfen, als daß ich eine solche Schmach über ihn kommen ließe. Na, dieser Blutigel hat uns von unserem alten Wege abgebracht, und es bleibt uns jetzt nichts übrig, als die Südfahrt zu machen, wenn wir anders nicht Gegenwind erhalten.«

Der Montauk war in der That nicht weit von einem Kurse abgekommen, der sonst bei den Londoner Schiffern sehr beliebt war; denn Lissabon und New-York liegen unter demselben Parallelkreise, und die Strömungen begünstigen oft die Fahrt, wenn man sie gebührend zu benützen weiß. Allerdings hielt sich der Montauk viel länger an die Küste, als es bei der genannten Fahrt üblich war; aber die eigenthümlichen Umstände des Schiffes gestatteten keine andere Wahl – eine Thatsache, welche der Kapitän seinen Zuhörern zur Genüge auseinandersetzte.

»Wir mußten an der Küste hinfahren oder uns nach Portsmouth zurücktauen lassen, Sir George,« sagte er; »und ich weiß, Ihr liebt den Montauk zu sehr, als daß Ihr wünschen könntet ihn so bald zu verlassen.«

Hiezu sagte der Baronet bereitwillig ja und betheuerte, das Schiff, auf welchem er sich befinde, liege ihm so am Herzen, daß er gerne tausend Pfunde in die Schanze schlagen wolle, wenn es nur nicht eingeholt werde. Der Meister drückte sein Wohlgefallen über diese Gesinnungen aus und schwor, daß solche Passagiere die Freude seines Herzens seyen.

»Setzt Jemand seinen Fuß auf das Deck eines Schiffes, Sir George, so sollte es ihm von Stund an Heimath, Kirche, Weib und Kind, Onkel und Tanten sammt allem übrigen Ufergerümpel ersetzen. Nur bei einer solchen Gesinnung kann man ein tüchtiger Seemann werden. So ist mir zum Beispiel das kürzeste Taugarn an Bord dieses Schiffes lieber, als die Marssegelschooten oder der beste Buganker irgend eines andern Fahrzeuges, wie überhaupt dem Menschen sein eigener Finger oder seine Zehe theurer ist, als eine andere Person mit Haut und Haaren. Ich habe zwar sagen hören, man solle seinen Nächsten lieben, wie sich selbst; mir für meinen Theil aber liegt mein Schiff weit näher am Herzen, als das meines Nachbars oder das meines Nebenmenschen, oder überhaupt der Nebenmensch selbst, und ich denke wohl, wenn die Wahrheit an's Licht tritt, zahlt mich besagter Nebenmensch mit derselben Münze wieder aus. Was mich betrifft, so liebe ich eine Sache, weil sie mir gehört.«

Ein wenig vor Dunkel war der Schnabel des Montauk gegen Lissabon geneigt, als gedenke er in dessen Hafen einzulaufen; aber sobald sich der dunkle Punkt, welcher die Lage des Foam andeutete, im Nebel des Horizonts verloren hatte, ertheilte Kapitän Truck Befehl, zu vieren, und das Schiff legte auf einen westsüdwestlichen Kurs an.

Die meisten Reisenden erwarteten mit Sehnsucht den nächsten Morgen, um sich von dem Stand der Dinge zu überzeugen, und sämmtliche Männer befanden sich mit Anbruch des Tages bereits angekleidet auf dem Verdeck. Der Wind hatte die ganze Nacht über frisch und stätig angehalten, und da auf dem Fahrzeug alle Raaen ein wenig gehemmt, zugleich aber auch die Stengenprallsegel gesetzt waren, so meldeten die Offiziere, daß sie wenigstens vierzig Seemeilen westlich von der Stelle seyn müßten, wo der Montauk geviert hatte. Der Leser kann sich übrigens den Verdruss der Schiffsmannschaft denken, als sie das Foam ein wenig auf dem Luvbuge und nicht viel mehr als eine Meile entfernt bemerkten. Die Corvette hielt mit demselben Eifer auf den Montauk ab, welchen sie an den Tag gelegt hatte, als sie am Abend der Ausfahrt von Portsmouth nach demselben aufholte.

»Dies ist in der That eine außerordentliche Beharrlichkeit,« sagte Paul Blunt zu Eva, an deren Seite er stand, als ihm diese Thatsache zur Gewißheit wurde; »und ich denke, unser Kapitän dürfte gut thun, wenn er beilegte und sich nach der Ursache erkundigte.«

»Wir wollen dies nicht hoffen,« rief seine Gefährtin mit Lebhaftigkeit. »Ich theile den esprit de corps des Schiffes und erkläre mich für den wackeren Entschluß, ›das Ende abzupassen,‹ wie Mr. Leach sein Vornehmen bezeichnet. Wem könnte es auch gefallen, sich in dieser Weise über den Ocean verfolgen zu lassen, wenn nicht die Reise dadurch Interesse gewänne? Im Grunde ist es so doch viel besser, als eine langweilige Einsamkeit, und wie viel Leben gewinnt dadurch nicht die Einförmigkeit des Oceans!«

»Ihr seyd also der Ansicht, daß der Ocean ein einförmiges Schauspiel biete?«

»Er ist mir weit öfter in diesem, als in irgend einem andern Lichte erschienen, und ich selbst gebe einen triftigen Beleg dafür ab, da ich nie le mal de mer gehabt habe. Jetzt aber spreche ich ihn von dieser Sünde frei, denn eine derartige Verfolgung bei leidlich gutem Wetter bietet eben so viel Interesse, wie ein Pferderennen, und dies ist ein Anblick, der mir stets viel Vergnügen gewährt. Selbst Vetter John heitert sich auf unter der Aufregung der Stunde.«

»Und wenn dies der Fall ist, wird er zu einem ungemein schönen Manne, denn selten sieht man einen edleren Gesichtsschnitt, als den des Mr. John Effingham.«

»Sein Antlitz ist der Abdruck einer edlen Seele, wenn er es nur selbst auch wüßte,« entgegnete Eva mit Wärme. »Niemanden liebe ich so sehr wie ihn, natürlich meinen Vater ausgenommen, und dies geschieht pour cause, wie Mademoiselle Viefville sagen würde.«

Der junge Mann hätte ihr den ganzen Tag zuhören können; aber Eva machte lächelnd und mit glänzenden Augen eine anmuthige Verbeugung und verließ hastig das Deck, denn sie war sich bewußt, eines ihrer innigsten Gefühle gegen einen Mann verrathen zu haben, der nicht berechtigt war, sie zu theilen.

Kapitän Truck war im höchsten Grade ärgerlich, oder, wie er sich selbst ausdrückte, »an den Mast geworfen, wie ein altes Weib, die von einem schießenden Bergschlitten herunterfliegt«; dennoch säumte er nicht, gegen das Uebel das alte Abhülfmittel in Anwendung zu bringen. Der Montauk wurde wieder vor den Wind gestellt, das Tuch ausgesetzt und der Ausgang der Jagd wieder einmal dem »Spielen des Schiffes« anheimgegeben.

Der Commandeur des Foam verbat sich freilich diesen Wechsel, denn die Aenderung des Kurses war kaum geschehen, als er seine Flagge aufzog und eine Kanone abfeuerte. Von diesen Signalen wurde jedoch keine andere Notiz genommen, als daß der Montauk gleichfalls eine Flagge zeigte, während der Kapitän und seine Maten fortfuhren, die Kriegsschaluppe aufmerksam zu beobachten. Schon zehn Minuten zeigten, daß sie abermals in den Vortheil kamen; nach zwanzig standen die Angelegenheiten noch besser, und in einer Stunde lag der Verfolger weit bagstags hinten aus.

Der Tag verging wieder in einer Wettfahrt, die eigentlich blos von der Segelschnelligkeit abhing; denn an Bord des Montauk wurde kein Tau angerührt, da der Wind noch immer frisch und stätig war. Die Schaluppe machte viele Signale, um ihren Wunsch, den Montauk zu sprechen, anzudeuten; aber Kapitän Truck meinte, er sey ein zu erfahrener Schiffer, um sich durch Tuch fangen zu lassen, um so weniger, da er keine Zeit habe, sich aufzuhalten und unterwegs zu plaudern. »Vattel hat nirgends behauptet, daß man in einer Zeit tiefen Friedens zu einer derartigen Gefälligkeit verpflichtet sey. Ich befinde mich nicht in dieser Categorie.«

Aus dem bereits Mitgetheilten läßt sich das Resultat voraussehen. Die beiden Schiffe fuhren vor dem Winde, bis das Foam wieder weit im Sterne lag, und Kapitän Truck entnahm aus seinen Beobachtungen, daß er sich ungefähr in der Höhe der Azoren befand. Zu einer dieser Inseln wollte er seine Zuflucht nehmen, wenn ihm anders nicht ein günstiger Zufall in den Weg kam; denn weiter nach Süden wollte er nicht fahren, es wäre denn, daß er absolut dazu gezwungen wurde. Als er am Abend des sechsten Tages seine Entfernung berechnete, fand er, daß er zu Pico einen Ankergrund erreichen konnte, ehe es der Kriegsschaluppe möglich wurde, ihm nachzukommen, selbst wenn es nöthig wurde, das Schiff wieder in den Wind aufzuholen.

Aber die Vorsehung hatte es anders beschlossen. Gegen Mitternacht legte sich die Brise fast ganz, indem sie nur noch in seltenen Einzelnstößen blies, und als der Morgen dämmerte, meldete der Offizier der Wache, daß Gegenwind eingetreten sei. Das nachsetzende Schiff war zwar noch immer sichtbar, aber glücklicherweise so weit zurück und im Lee, daß man keinen Besuch der Boote zu befürchten hatte; die Mannschaft des Montauk hatte daher Zeit, die Vorbereitungen zu treffen, welche beim Aufspringen einer neuen Brise nöthig werden konnten. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß ein derartiger Wechsel in Bälde zu erwarten stand, denn am nordwestlichen Himmel bemerkte man Wetterleuchten, – in einer Richtung also, aus welcher der Genius der Stürme am liebsten seine Gewalt entfaltet.


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