Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel.

Wächter, wie spät ist's in der Nacht? Wächter, wie
spät ist's in der Nacht?

Jesajah.

 

Mr. Monday's Hauptverletzung war eine von jenen Wunden, welche gewöhnlich den Tod innerhalb achtundvierzig Stunden zur Folge haben. Mit Entschlossenheit hatte er den Schmerz ertragen und bis jetzt noch kein Bewußtseyn der großen Gefahr an den Tag gelegt, die doch Allen, welche in seine Nähe kamen, so augenfällig war. Aber jetzt war plötzlich der Nebel von seinen Sinnen verschwunden, so daß er, obschon nur ein mit Vorurtheilen angefüllter Gewohnheitsmensch, welchem der Lebensgenuß über Alles ging, am Schlusse seines kurzen Daseyns zu einem unbestimmten Gefühl seiner wahren Stellung in der sittlichen Welt, wie auch seines körperlichen Zustandes erwachte. Unter dem ersten Einflusse einer derartigen Unruhe hatte er nach John Effingham geschickt, welcher, wie wir bereits gesehen haben, die Weisung ertheilte, auch den Kapitän Truck herbeizurufen. In Folge der früheren Uebereinkunft erschienen nun diese beiden Gentlemen mit Mr. Leach im gleichen Augenblicke an der Thüre des Staatsgemachs. Da der Raum des letzteren nur klein war, so machten sie unter sich aus, daß Mr. John Effingham zuerst eintreten sollte, weil nach ihm ausdrücklich geschickt worden war, die Anderen aber zu erscheinen hätten, wenn es der Verwundete wünsche.

»Ich habe meine Bibel mitgebracht, Mr. Leach,« begann der Kapitän, als er und der Mate allein waren, »denn ein Kapitel ist das Allerwenigste, was man einem Kajütenpassagier geben kann, obschon ich ein Bischen verlegen bin, weil ich gerade keine Stelle kenne, die besonders für den Anlaß paßt. Etwas aus dem Buch der Könige dürfte Mr. Monday wahrscheinlich zusagen, da er so durch und durch königlich gesinnt ist.«

»Es ist so lange her, seit ich das von Euch erwähnte Buch gelesen habe, Sir,« entgegnete der Mate, indem er eifrig mit seinem Uhrenschlüssel spielte, »daß ich mich nicht getraue, meine Ansicht auszusprechen. Indeß glaube ich doch, ein Bischen Bibel dürfte ihm gut thun.«

»Es ist keine leichte Aufgabe, ein Gewissen genau zwischen Wind und Wasser zu treffen. Einmal meinte ich, auf mein Schiffsvolk einen rechten Eindruck zu machen, indem ich den Leuten die Geschichte von Jonas und dem Walfisch als einen Gegenstand vorlas, von dem ich hoffte, er werde ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihnen die Gefahr zeigen, die wir Seeleute laufen; aber zuletzt mußte ich die Entdeckung machen, daß sie nichts von einer derartigen Erzählung wissen wollten, weil sie allzu unwahrscheinlich sey. Ihr wißt, Leach, ein Matrose verschluckt Alles – nur darf man ihm nicht mit einem Fischmährlein kommen.«

»Meiner Ansicht nach ist es immer am besten, Sir, auf der See bei allen Anreden an das Schiffsvolk die Mirakel aus dem Spiele zu lassen; denn ich sah heute Abend einige von den Matrosen die Nase darüber rümpfen, daß das Schiff des heiligen Paulus in einem Sturme vier Anker ausgeworfen hatte.«

»Die heillosen Spitzbuben sollten Gott dafür danken, daß sie nicht in diesem Augenblicke an Dromedarschwänze gebunden durch die Wüste traben müssen. Hätte ich dies gewußt, Leach, so würde ich ihnen den Vers zweimal gelesen haben. Aber Mr. Monday ist ein ganz anderer Mann und wird auf Vernunft hören. Die Geschichte von Absolon zum Beispiel ist sehr schön, und vielleicht wäre auch der Schlachtbericht für einen Mann passend, der an den Folgen einer Schlacht stirbt. Im Ganzen erinnere ich mich übrigens, daß mein würdiger alter Vater zu sagen pflegte, in einem solchen Augenblicke müsse der arme Sünder tüchtig aufgerüttelt werden.«

»Ich glaube, Sir, Mr. Monday ist, wie die Welt eben geht und steht, ein anständig gesetzter Mann gewesen; und wenn wir ins Auge fassen, daß er ein Passagier ist, so möchte ich eher zu dem Versuch rathen, ihn leicht und ohne solche methodistische Sturzwellen abzulösen.«

»Ihr habt vielleicht Recht, Leach – Ihr habt vielleicht recht. Thue, wie Du willst, daß man Dir thue – dies ist im Grund doch eine goldene Regel. Doch da kömmt Mr. John Effingham, vermuthlich werden wir jetzt eintreten können.«

Die Vermuthung des Kapitäns war richtig gewesen, denn Mr. Monday hatte eben eine Herzstärkung eingenommen und den Wunsch ausgedrückt, die beiden Offiziere zu sehen. Das Staatsgemach war ein kleines, reinliches, sogar schön ausgestattetes Stübchen von ungefähr sieben Fuß im Geviert und hatte ursprünglich zwei Lagerstätten besessen, deren obere übrigens John Effingham, ehe er von seinem Quartiere Besitz nahm, durch den Zimmermann abschlagen ließ, so daß Mr. Monday jetzt in dem vormaligen unteren Bette lag. Hiedurch gewann er eine tiefe Lage, so daß ihm sein Wärter leichter Beistand leisten konnte. Eine mit einem Schirm versehene Lampe erhellte das Gemach hinreichend, um den Kapitän, als er sich niedersetzte, den ängstlichen Ausdruck in dem Auge des Sterbenden wahrnehmen zu lassen.

»Es thut mir leid, Euch in diesem Zustande zu sehen, Mr. Monday,« begann Kapitän Truck, »um so mehr, da er eine Folge der Tapferkeit ist, welche Ihr im Kampfe um die Wiedererringung meines Schiffs an den Tag legtet. Von rechtswegen hätte dieser Unfall einen von den Matrosen des Montauk – oder den Mr. Leach hier oder selbst mich betreffen sollen.«

Mr. Monday blickte den Sprecher an, als habe der beabsichtigte Trost völlig seine Wirkung verfehlt und der Kapitän begann zu vermuthen, daß er mit seinen neuen Dienstleistungen einen schweren Stand haben dürfte. Um übrigens Zeit zu gewinnen, drückte er den Ellenbogen in die Seite seines Maten, ihm dadurch einen Wink gebend, daß jetzt die Reihe an ihm sey, etwas zu sprechen.

»Es hätte noch schlimmer ausfallen können, Mr. Monday,« bemerkte Leach, seine Haltung in der Weise eines Mannes verändernd, dessen moralische und physische Thätigkeit sich pari passu entfaltet; »es hätte noch viel schlimmer ausfallen können. Ich sah einmal einen Mann, welcher in den Unterkiefer geschossen wurde und noch vierzehn Tage lebte, ohne auch nur die mindeste Nahrung zu sich nehmen zu können!«

Gleichwohl sah Mr. Monday den Maten mit großen Augen an, als meine er, die Sache hätte nicht viel schlimmer werden können.

»Dies war in der That ein schwerer Fall,« fügte der Kapitän bei; »denn natürlich war es dem armen Teufel unmöglich, sich ohne Lebensmittel wieder zu erholen.«

»Und auch vom Trinken war keine Rede, Sir. Er nahm keinen Schluck irgend einer Flüssigkeit mehr zu sich von der Zeit seiner Verwundung an, bis er den letzten Sturz that, als wir ihn über Bord warfen.«

Vielleicht liegt Wahrheit in dem Sprichworte: »Elend liebt Gesellschaft,« denn Mr. Monday's Auge wandte sich dem Tische zu, auf welchem noch immer die Flasche mit der Herzstärkung stand, von der ihm John Effingham kurz zuvor gegeben hatte, weil er meinte, es sey von keinem Belang mehr, was der Verwundete genieße. Der Kapitän verstand den Blick, und da er über den hoffnungslosen Zustand des Patienten die gleiche Ansicht hegte, zugleich aber auch ihm einen freundlichen Trost bringen wollte, so goß er ein kleines Glas ein und ließ es den Kranken austrinken. Die Wirkung war augenblicklich, denn es scheint, der Branntwein, dieser verrätherische Freund, biete stets in augenblicklichem Behagen einen kläglichen Ersatz für so viele nachhaltige Leiden.

»Ich fühle mich nicht so schlimm, Gentlemen,« entgegnete der Verwundete mit einer Kraft der Stimme, welche die Anwesenden in Staunen versetzte. »Es ist mir besser – viel besser, und ich bin sehr erfreut, euch zu sehen. Kapitän Truck, ich habe die Ehre, auf Eure Gesundheit zu trinken.«

Der Kapitän blickte den Maten an, als sey er der Meinung, sie hätten ihren Besuch um noch vier und zwanzig Stunden verschieben können; denn so viel sahen Alle ein, daß Mr. Monday nicht mit dem Leben davon kommen konnte. Leach jedoch, welcher einen geeigneteren Standort hatte, um das Gesicht des Patienten beobachten zu können, flüsterte seinem Befehlshaber zu, es handle sich blos um eine »labbere Kühlte, die keinen Bestand haben werde.«

»Es ist mir sehr lieb, daß ich euch Beide bei mir sehe, Gentlemen,« fuhr Mr. Monday fort. »Ich bitte, langt selber zu.«

Der Kapitän änderte jetzt seine Taktik; denn da er seinen Patienten so kräftig und wohlgemuth fand, so meinte er, daß Trostworte in diesem Augenblicke viel bessere Aufnahme finden dürften, als vielleicht eine halbe Stunde später.

»Wir sind Alle sterblich, Mr. Monday – –«

»Ja, Sir – wir Alle sind gar sterbliche Geschöpfe.«

»Und selbst die Kräftigsten und Kühnsten sollten hin und wieder an ihr Ende denken.«

»Ganz richtig, Sir – ganz richtig. Auch die Kräftigsten und Kühnsten. Wann glaubt Ihr wohl, daß wir einlaufen werden, Gentlemen?«

Kapitän Truck versicherte nachher, er sey nie zuvor über eine Frage so verdutzt gewesen, wie über diese. Dennoch zog er sich gewandt aus der Klemme, denn der Geist des Bekehrungseifers spornte ihn augenscheinlich in demselben Verhältnisse, in welchem der Andere Gleichgiltigkeit gegen seine Bemühungen an den Tag legte.

»Es gibt einen Hafen, nach welchem wir Alle steuern, mein theurer Sir,« sagte er – »ich meine den Himmel, und wir sollten stets seine Landmarken und Leuchtthürme vor Augen haben.«

»Ja,« fügte Mr. Leach bei; »dies ist ein Hafen, welcher früher oder später uns Alle aufnehmen wird.«

Mr. Monday blickte von dem Einen auf den Andern, und Einiges von der Gemüthsstimmung, aus welcher er durch die Herzstärkung geweckt worden war, begann wieder zurückzukehren.

»Haltet ihr meinen Zustand für so schlimm, Gentlemen?« fragte er mit der Hast des Erschreckens.

»Für so schlimm, wie den eines Mannes, der geraden Wegs auf einen so guten Platz lossteuert, wie dies hoffentlich bei Euch der Fall ist,« entgegnete der Kapitän, fest entschlossen, den bereits errungenen Vortheil nicht wieder aufzugeben. »Wir fürchten, daß Eure Wunde tödtlich ist, denn mit derartigen Beschädigungen bleibt der Mensch selten mehr lange in dieser gottlosen Welt.«

»Wenn dies nicht wirkt,« dachte der Kapitän, »so überlasse ich ihn ohne Weiteres Mr. Effingham.«

Aber es wirkte. Das moralische Blendwerk, welches der Branntwein hervorgerufen, begann, obschon der Puls noch immer kräftig pochte, bereits zu verdunsten, und die traurige Wahrheit übte wieder ihre Gewalt.

»Ich glaube wahrhaftig, Gentlemen, daß ich meinem Ende nahe bin,« sagte er mit matter Stimme, »und ich danke euch – für – für diesen Trost.«

»Jetzt wird's an der Zeit seyn, das Kapitel einfließen zu lassen,« flüsterte Leach. »Er scheint bei voller Besinnung und sehr zerknirscht zu seyn.«

Aus reiner Verzweiflung und in dem Bewußtseyn der eigenen Unfähigkeit, eine passende Stelle zu wählen, beschloß Kapitän Truck die Bestimmung des Kapitels, welches er vorlesen wollte, dem Zufall zu überlassen. Vielleicht leitete ihn dabei einigermaßen jenes geheimmßvolle Vertrauen auf die Vorsehung, welches den Menschen mehr oder weniger abergläubisch macht, indem er hoffte, eine Weisheit, welche die seinige unendlich übertreffe, werde ihn bei der Wahl leiten. Zum Glücke nimmt das Buch der Psalmen nahezu die Mitte der heiligen Schrift ein, und in der That hätten diese erhabenen Schätze frommen Lobgesangs und geistiger Weisheit nirgends besser eingereiht werden können; denn der Bibelleser, welcher sich durch den Zufall leiten läßt, wird vielleicht hier weit öfter das Buch aufschlagen, als an irgend einem andern Platze.

Wenn wir sagen wollten, Mr. Monday habe sich an Kapitän Trucks Vorlesung sonderlich erbaut, so würden wir sowohl den Vortrag des ehrlichen Matrosen, als auch die Fassungskraft des Sterbenden zu hoch anschlagen. Dennoch verfehlte die feierliche Sprache der Lobpreisung und Ermahnung ihre Wirkung nicht ganz, und die Seele des Letzteren fühlte sich – zum ersten Mal wieder seit den Tagen der Kindheit – einigermaßen angeregt. Seine Einbildungskraft trug sich mit unbestimmten Bildern von Gott und dem jüngsten Gericht, und er haschte in einer Weise nach Luft, welche die beiden Seeleute zu dem Glauben veranlaßte, der verhängnißvolle Augenblick sey sogar bälder, als sie erwarteten, gekommen. Der kalte Schweiß stand auf der Stirne des Patienten, und seine Augen stierten wild von dem Einen auf den Andern. Der Anfall war jedoch nur vorübergehend, und sobald Mr. Monday wieder einigermaßen zur Ruhe gekommen war, wehrte er das Glas, welches ihm Kapitän Truck in mißverstandenem Wohlwollen angeboten hatte, mit einer Geberde des Ekels ab.

»Wir müssen ihn trösten, Leach,« flüsterte der Kapitän; »denn ich sehe, er holt in der alten Weise auf, gerade so, wie es unsere Aeltesten in der Platform angegeben haben. Zuerst Stöhnen und Teufelsgesichte, dann aber Trost und Hoffnung. Wir haben ihn jetzt in der ersten Categorie, sollten aber nunmehr von Rechts wegen beidrehen und ein Tau auswerfen, damit er sich daran durchhelfen kann.«

»Wenn's so weit gekommen ist, wie hier,« sagte Leach, »so gibt man ihnen am Fluß gewöhnlich ein Gebet auf den Weg. Könnt Ihr Euch nicht eines kurzen Sprüchleins entsinnen? Vielleicht würde ihm dies Erleichterung verschaffen.«

Ungeachtet der Possirlichkeit in den Gedanken und Reden dieser beiden Ehrenmänner, übte doch die Scene einen feierlichen Eindruck auf den Kapitän sowohl, als auf den Maten. Sie handelten in der wohlwollendsten Absicht, und nicht die mindeste Leichtfertigkeit mischte sich in ihre Vorstellungen; denn außer der Verantwortlichkeit, die sie als Officiere eines Paketschiffs zu haben glaubten, fühlten sie auch eine edelmüthige Theilnahme an dem Geschicke eines Fremden, der in mannhaftem Kampfe an ihrer Seite gefallen war. Der alte Mann blickte verlegen umher, drehte an dem Thürschlüssel, wischte sich die Augen, blickte traurig den Patienten an, gab seinem Maten einen Ellenbogenstoß, um ihn aufzufordern, daß er seinem Beispiele folge, und knieete dann in einer Stimmung nieder, die für den Augenblick so andächtig war, wie die von Vielen, welche den Dienst des Herrn am Altare begehen. Das Vaterunser wußte er noch auswendig, und er sprach jetzt die Worte desselben laut, bestimmt und mit Inbrunst, obschon nicht in buchstäblicher Uebereinstimmung mit dem Texte. Einmal mußte ihm sogar Mr. Leach nachhelfen. Als er sich wieder erhob, stand der Schweiß auf seiner Stirne, als hätte er Wunder was für eine schwere Arbeit verrichtet.

Vielleicht hätte nichts einen tieferen Eindruck auf Mr. Mondays Einbildungskraft machen können, als der Umstand, daß er einen Mann von Kapitän Trucks bekanntem Character also um seinetwillen mit dem Herrn ringen sah. Zwar war er von Natur aus etwas stumpfsinnig und schwer fassend, weßhalb der erste Eindruck nur der der Verwunderung war; aber bald folgte Ergriffenheit und Zerknirschung. Sogar der Mate fühlte sich gerührt und erzählte nachher seinen Kameraden auf dem Deck, »es sei das härteste Tagewerk, das ihm je vorgekommen, gewesen, als er dem Kapitän bei Durchführung jenes Gebetes Beistand leistete.«

»Ich danke Euch, Sir,« keuchte Mr. Monday, »ich danke Euch. – Mr. John Effingham – wo ist Mr. John Effingham? Ich habe keine Zeit zu verlieren und wünsche ihn zu sehen.«

Der Kapitän erhob sich, um dem Verlangen des Sterbenden zu entsprechen, that es aber mit dem Gefühle eines Mannes, welcher seine Pflicht gethan zu haben glaubt; denn von diesem Augenblicke an trug er sich mit der geheimen Befriedigung, daß er sich in seiner Aufgabe recht mannhaft gehalten habe. In der That bemerkten auch diejenigen, welche ihn später die ganze Fahrt erzählen hörten, daß er stets weit größeres Gewicht auf die Scene im Staatsgemach legte, als auf die Schnelligkeit und Gewandtheit, womit er die Beschädigung seines Schiffes durch die von dem dänischen Fahrzeug geholten Spieren ausbesserte. Ja er schien sogar den Muth, mit welchem er den Montauk den Beduinen wieder abgenommen hatte, lange nicht so hoch anzuschlagen.

John Effingham erschien in dem Staatsgemache, worauf der Kapitän und Mr. Leach sich entfernten, um ihn mit dem Kranken allein zu lassen. Gleich allen Männern von starkem Geiste, die sich ihrer Ueberlegenheit über ihre Nebenmenschen bewußt sind, war dieser Gentleman am meisten geneigt, denen Zugeständnisse einzuräumen, welche am wenigsten fähig waren, mit ihm zu streiten; denn obschon gewöhnlich spöttisch, finster und bisweilen sogar abstoßend, zeigte er sich jetzt doch mild und nachsichtsvoll. Er sah mit einem Blicke, daß Mr. Mondays Gemüth für neue Gefühle erwacht war, und wußte wohl, daß die Nähe des Todes oft moralische Wolken verscheuche, welche die Kräfte des Geistes verhüllten, so lange der thierische Theil noch seine volle Thätigkeit äußerte. Er war daher nicht überrascht über die plötzliche Veränderung, die sich so augenscheinlich in dem Gesichte des Sterbenden aussprach.

»Ich glaube, Sir, ich bin ein großer Sünder gewesen,« begann Mr. Monday, welcher in matterem Tone und in kurzen abgebrochenen Sätzen zu sprechen begann, sobald der Einfluß des geistigen Getränkes verdunstet war.

»Hierin theilt Ihr das Loos aller Sterblichen,« entgegnete John Effingham. »Wir wissen, daß kein Mensch aus sich selbst – keine Seele ohne Beistand von Oben im Stande ist, die Erlösung zu erringen. Der Christ muß zu seinem Heiland um Hülfe aufblicken.«

»Ich glaube, ich verstehe Euch; aber ich bin ein Geschäftsmann, Sir, und bin dahin belehrt worden, daß Vergütung die beste Sühne für ein Unrecht sei.«

»Sie sollte allerdings die erste seyn.«

»Ja, gewiß, Sir. Meine Eltern sind nur arme Leute, und es ist möglich, daß ich mich zu manchen Dingen verlocken ließ, die unpassend waren. – Und dann meine Mutter – ich war ihre einzige Stütze. – Ach, der Herr wird mir verzeihen, wenn ich Unrecht gethan habe, und ich will wohl glauben, daß es geschehen ist. Was dieß betrifft, so wär's vielleicht gut gewesen, ich hätte weniger getrunken und mehr gedacht – übrigens, wer weiß? – Es ist am Ende doch noch nicht zu spät.«

John Effingham hörte mit Ueberraschung, aber doch mit jener Gelassenheit und Beobachtungsgabe zu, durch welche sich sein Character auszeichnete. Er sah ein, es sey nöthig oder doch wenigstens klug, daß noch ein anderer Zeuge anwesend sey, weßhalb er die Erschöpfung des Leidenden benützte und sich nach der Thüre von Evas Kajüte begab, wo er Paul durch ein Zeichen bedeutete, er möchte ihm folgen. Sie traten mit einander in das Krankengemach. John Effingham ergriff nun Mr. Monday sanft bei der Hand und bot ihm etwas Nahrung an, die zwar weniger aufregend wirkte, als die Herzstärkung, aber doch den Erfolg einer Wiederbelebung hatte.

»Ich verstehe Euch, Sir,« fuhr Mr. Monday fort, indem er Paul ansah. »Ich finde zwar Alles ganz in der Ordnung, habe aber nur wenig zu sagen, da meine Papiere den nöthigen Aufschluß geben werden. Dieser Schlüssel, Sir, – das obere Schubfach des Schreibpults und das rothe Maroquin-Kästchen – nehmt Alles – dies ist der Schlüssel. Ich habe Alles zusammengehalten, weil mir eine Ahnung vorschwebte, daß meine Stunde kommen werde. In New-York werdet Ihr Zeit haben – es ist noch nicht zu spät.«

Da der verwundete Mann nur mit Mühe und in Absätzen sprechen konnte, so war John Effingham mit Vollziehung der ertheilten Anweisungen fertig geworden, noch ehe der Kranke ausgeredet hatte. Er fand das rothe Maroquin-Kästchen, nahm den Schlüssel vom Ringe und zeigte Beides Mr. Monday, welcher lächelnd ein Ja nickte. Das Pult enthielt Papier, Siegellack und allen übrigen Schreibebedarf. John packte das Kästchen in einen starken Umschlag, und petschirte denselben an drei verschiedenen Stellen mit seinem eigenen Siegel; dann bat er Paul um seine Uhr, um dessen Petschaft zu dem gleichen Zwecke benützen zu können. Nach dieser Vorbereitung schrieb er die kurze Erklärung nieder, daß der Inhalt ihnen beiden zum Zwecke der Untersuchung und zum Besten der betreffenden Berechtigten, wer sie auch seyn möchten, überliefert worden sey. Nach beigefügter Unterschrift unterzeichnete auch Paul seinen Namen, worauf das Papier Mr. Monday eingehändigt wurde, da derselbe noch Kraft genug besaß, seinen Namen zu schreiben.

»In solchen Augenblicken pflegt sich der Mensch nicht mit Kleinigkeiten abzugeben,« sagte John Effingham, »und dieses Kistchen enthält vielleicht Dinge, welche für beeinträchtigte und unschuldige Personen von großer Wichtigkeit sind. Die Welt weiß wenig, welche Ungeheuerlichkeiten in dieser Weise begangen werden. Nehmt das Paket an Euch, Mr. Powis, und schließt es zu Eurem Gepäcke ein, bis die Untersuchung vorgenommen werden kann.«

Mr. Monday fühlte sich, nachdem er das Kistchen sicheren Händen vertraut hatte, augenfällig sehr erleichtert, denn schon Kleinigkeiten reichen zu, um die Gewissensbisse stumpfsinniger Personen zu beschwichtigen. Mehr als eine Stunde schlummerte er. Während dieser Zeit erschien Kapitän Truck an der Thüre des Staatsgemachs, um sich nach dem Zustande des Patienten zu erkundigen, und da er so günstigen Bericht hörte, begab er sich sammt allen denen, welche der Schiffsdienst nicht zur Wache berief, zur Ruhe. Paul war gleichfalls zurückgekehrt und hatte, wie überhaupt die meisten Gentlemen, seine Dienste angeboten; aber John Effingham entließ sogar seinen eigenen Diener mit der Erklärung, daß er selbst die Nacht über nicht von der Stelle zu weichen gedenke. Mr. Monday hatte Vertrauen in ihn gesetzt und war augenscheinlich erfreut über die Aufmerksamkeit, die er ihm erwies, weshalb es unter so bewandten Umständen Mr. John Effingham für eine Art Pflicht hielt, einen Nebenmenschen in seiner äußersten Noth nicht zu verlassen. Zwar konnte der schmerzhafte Zustand des Leidenden höchstens in einem unbedeutenden Grade gemildert werden; aber diese Erleichterung glaubte er mit Recht so gut als irgend ein Anderer bieten zu können.

Der Tod übt auch auf die kräftigsten Nerven einen ergreifenden Einfluß, namentlich wenn er leise in der Stille und Einsamkeit der Nacht einhergeschlichen kömmt. John Effingham war nicht leicht zu rühren, aber er fühlte dennoch die Eigenthümlichkeit seiner Lage, als er allein neben Mr. Monday saß und bald auf den Wellenschlag des Wassers lauschte, das von dem Schiff bei Seite gedrängt wurde, bald das unruhige Athmen seines Patienten beobachtete. Mehreremal fühlte er sich geneigt, für einige Minuten fortzuschleichen und aus einem Spaziergang in der reinen Seeluft sich Erfrischung zu holen; aber eben so oft unterdrückte er seinen Wunsch, weil er die eifersüchtigen Blicke des gläsernen Auges bemerkte, mit welchen der Sterbende ihn als seine letzte Hoffnung im Leben festhalten zu wollen schien. So oft John Effingham die fieberischen Lippen des Kranken benetzte, drückten dessen Blicke die wärmsten Gefühle des Dankes aus, und ein- oder zweimal versuchte der Unglückliche seinen Empfindungen durch flüsternde Töne Worte zu leihen. John war daher außer Stande, einen Menschen zu verlassen, der so hülflos und so ganz auf ihn angewiesen dalag; und obschon er wußte, daß er ihm außer dem Trost seiner Gegenwart keinen wesentlichen Dienst leisten konnte, so besaß er doch Mitgefühl genug, um sogar noch größere Opfer bringen zu können.

Während der Sterbende in einem unruhigen Schlummer dalag, bewachte sein Wärter das Zucken seiner Gesichtsmuskeln, welches auf das Walten einer Seele, die ihre Behausung zu verlassen im Begriffe steht, hinzudeuten schien, und stellte Betrachtungen an über den Character und das Schicksal des Wesens, von dessen Hingang in die Welt der Geister er in so auffallender Weise Zeuge seyn sollte.

»Von seiner Herkunft weiß ich nichts,« dachte John Effingham, »als was er selbst flüchtig darüber aussprach, aber wenn man seine Stellung ins Auge faßt, so kann seine Familie kaum die Stufe der Mittelmäßigkeit erreicht haben. Er ist einer von den Menschen, welche für die gemeinsten Triebfedern, die noch in irgend einer Culturstufe zuläßig sind, zu leben scheinen und deren Bildung so, wie sie ist, blos aus conventionellen Angewöhnungen besteht. Unwissend in Allem, was über den Gesichtskreis seines Berufs hinausfällt, vorurtheilsvoll in dem, was sich auf Nationen, Glaubensbekenntnisse und Charactere bezieht – verschmitzt, aber doch mit einem Anfluge von derber Ehrlichkeit – leichtgläubig und unduldsam – keck im Tadel und kritisirenden Bemerkungen, aber ohne einen Funken von Unterscheidungsgabe oder anderen Kenntnissen, als solchen, die er tückischen Vorschriften verdankt – eben so unfähig, Gegenstände von einem allgemeinen Gesichtspunkte aufzufassen, als er in Kleinigkeiten starrsinnig ist – gutmüthig von Natur, und doch aus Nachahmungssucht streitlustig – zu welchen Zwecken mußte wohl ein solches Geschöpf ins Leben treten und in dieser verhängnißvollen Weise wieder aus der Welt geschleudert werden?«

Das Gespräch des Abends fiel John Effingham wieder ein, und er fuhr in seinem Innern fort:

»Wenn es unter den Nationen so viele Verschiedenheiten des menschlichen Geschlechtes gibt, so zählt zuverläßig auch das civilisirte Leben eben so viele Abarten im moralischen Sinne. Dieser Mann hat sein Gegenstück in einem eigenthümlichen Zuge aus dem amerikanischen Alltagleben, welches durch das Ringen nach Gewinn so ganz und gar in Anspruch genommen ist; und doch, wie weit verschieden sind nicht beide in den untergeordneteren Characterzügen! Während der Amerikaner sich keine Ruhe, keine Erholung, oder der Geiergier, welche ewig an ihm nagt, kein Einschlummern gestattet, hat dieser Mann sich stets behaglich gehen lassen; der Eine hat alle seine Vergnügungen in dem gemeinschaftlichen Mittelpunkte des Gewinns gesammelt, während dieser Engländer, obschon er denselben Zweck im Auge hat, in Gemäßheit seiner Nationalansichten sich dem Glauben hingibt, er dürfe sich die Arbeit wohl durch Sinnengenüsse erleichtern. Worin wird sich wohl ihr Ende unterscheiden? Von den Augen des Amerikaners wird vielleicht der Schleier mit einem gewaltsamen Risse weggezogen, wenn es zu spät ist und das Ziel seines Erdentreibens das Werkzeug seiner Bestrafung werden soll, weil er sieht, daß er Alles gegen die dunkle Unsicherheit des Grabes vertauschen muß; der Lärmmacher und Flaschenheld aber versinkt in ein erzwungenes ohnmächtiges Beklagen, weil das Thier, das ihn bisher aufrecht erhalten, sein Uebergewicht verliert.«

Mr. Monday öffnete nun seine stieren Blicke und unterbrach diesen Gedankengang durch sein Stöhnen. Er winkte nach der Speise, die noch dastand, und erhielt davon so viel, daß er wieder ein wenig auflebte.

»Welchen Wochentag haben wir heute?« fragte er mit einer Hast, welche seinen freundlichen Wärter in Erstaunen setzte.

»Es ist Montag oder war's vielmehr, denn Mitternacht hat bereits geschlagen.«

»Dies freut mich, Sir – freut mich sehr.«

»Aber warum habt Ihr nach dem Wochentag gefragt? – Kann dieser Umstand jetzt für Euch von Belang seyn?«

»Man hat mir prophezeit, Sir – ich glaube an Prophezeiungen – und man hat mir gesagt, ich sey an einem Montag geboren und werde an einem Montag sterben.«

John wurde verdrießlich über diese Kundgebung eines Haftens an einem erbärmlichen Aberglauben – und dies noch obendrein bei einer Person, die kaum noch ein paar Stunden zu leben hatte, weshalb er mit ihm von dem Heiland und dem Werk der Menschenerlösung zu sprechen begann. Im Nothfalle verstand er sich wohl auf derartige Vorträge, um so mehr, da nur Wenige klarere Vorstellungen von diesen Heischesätzen des Christenthums besaßen, als er. Seine schwache Seite lag nur in dem Stolz und in der Kraft seines Characters – Eigenschaften, die ihn nicht geneigt machten, sich in seinem Handeln auf etwas Anderes, als auf sich selbst zu verlassen, auch wenn dabei Umstände in Frage kamen, die jedem Anderen die Nothwendigkeit ans Herz legen mußten, ausschließlich auf Gott zu bauen. Der Sterbende hörte ihm aufmerksam zu, und die Worte übten einen augenblicklichen Eindruck.

»Nein, ich will noch nicht sterben, Sir,« sagte Mr. Monday plötzlich nach einer langen Pause.

»Der Tod ist das allgemeine Schicksal des Menschengeschlechts und wenn der Augenblick herankömmt, so müssen wir uns auf ihn gefaßt halten.«

»Ich bin keine Memme, Mr. Effingham.«

»In einem gewissen Sinne habt Ihr Recht, denn ich habe Euch das Gegentheil beweisen sehen; indeß hoffe ich, daß Ihr Euch auch in anderer Rücksicht nicht feig betreten lasset. Ihr seyd jetzt in einer Lage, in welcher Euch alle Eure Mannheit nichts nützen kann; Ihr müßt daher Euer Vertrauen ganz und gar auf Gott setzen.«

»Ich weiß es, Sir, und gebe mir auch Mühe, meinem Herzen einzuprägen; aber dennoch mag ich nicht sterben.«

»Die Liebe Christi ist ohne Schranken,« sagte John Effingham, von dem hoffnungslosen Elend des Andern auf's Tiefste ergriffen.

»Ich weiß es – ich hoffe es – ich wünsche, es glauben zu können. Habt Ihr eine Mutter, Mr. Effingham?«

»Sie ist schon vor vielen Jahren gestorben.«

»Eine Gattin?«

John Effingham haschte nach Luft, und in jenem Augenblick hätte man ihn für den Leidenden halten können.

»Nein. Ich habe weder Eltern noch Geschwister, weder Gattin noch Kind. Meine nächsten Verwandten befinden sich in diesem Schiff.«

»Ich bin zwar nicht viel werth; aber wie ich auch seyn mag, wird meine Mutter mich doch vermissen. Man kann nur eine Mutter haben, Sir.«

»Dies ist sehr wahr. Wenn Ihr mir einen Auftrag an sie ertheilen wollt, Mr. Monday, so würde ich mir ein Vergnügen daraus machen, allen Euren Wünschen nachzukommen.«

»Ich danke Euch, Sir; ich weiß nicht, was ich ihr sagen lassen soll. Sie hat ihre eigenen Ansichten über Religion und – ich denke, es wird ihren Schmerz lindern, wenn sie hört, daß mir ein christliches Begräbniß zu Theil wurde.«

»Beruhigt Euch über diesen Gegenstand. Alles, was unsere Lage gestattet, soll geschehen.«

»Aber, was kann mich dies nützen, Mr. Effingham? Ich wollte, ich hätte weniger getrunken und mehr gedacht.«

John Effingham konnte nichts über eine Reue sagen, die so nothwendig war, obgleich sie so spät kam.

»Ich fürchte, wir denken in den Tagen unserer Gesundheit und unserer Kraft zu wenig an diesen Augenblick, Sir.«

»Desto nothwendiger ist es, Mr. Monday, unsere Gedanken der göttlichen Vermittlung zuzuwenden, die uns allein retten kann, wenn wir die Gelegenheit gehörig benützen.«

Aber Mr. Monday war nicht so sehr von Reue zerknirscht, sondern eben über die Nähe des Todes erschüttert. Er hatte seine Gefühle durch lang fortgesetzte Hingebung an eine stumpfmachende Liebhaberei abgehärtet und befand sich nun in der Lage eines Menschen, der sich unerwartet in dem Bereich der furchtbarsten Gefahr sieht, ohne ein Mittel zu kennen, um ihr auszuweichen oder sie zu mildern. Er blickte ächzend umher, als suche er etwas, woran er sich anklammern könne, denn der Muth, welchen er im Stolze seiner Kraft gezeigt hatte, war dahin. Doch waren dies nur flüchtige Erregungen, welche bald wieder dem natürlichen Stumpfsinn des Mannes Platz machten.

»Ich glaube nicht, Sir,« sagte er, John Effingham angelegentlich ins Auge fassend, »daß ich ein sehr großer Sünder gewesen bin.«

»Auch ich will dies nicht hoffen, mein guter Freund; aber dennoch ist keiner von uns so makellos, daß er nicht des göttlichen Beistandes bedürfte, um in der unmittelbaren Gegenwart des Allerheiligsten erscheinen zu können.«

»Sehr wahr, Sir – sehr wahr, Sir. Aber ich bin in aller Form getauft und nach der Vorschrift der Kirche konfirmirt worden.«

»Diese feierlichen Handlungen fassen nur Zusagen in sich, die wir erfüllen sollen.«

»Durch einen regelmäßigen Geistlichen und einen Bischof, Sir – beide waren rechtgläubige und würdige Diener der Kirche.«

»Ich zweifle nicht daran, denn in England fehlt es nicht an religiösen Formen. Doch ein zerknirschtes Herz, Mr. Monday, wird zuverläßig Gnade finden.«

»Ich fühle mich zerknirscht, Sir, sehr zerknirscht.«

Es folgte nun eine halbstündige Pause, und John Effingham glaubte anfangs, sein Patient sey wieder eingeschlummert; als er ihn jedoch aufmerksamer beobachtete, entdeckte er, daß er öfters seine Augen aufschlug und sie unstät über die zunächst gelegenen Gegenstände hinschweifen ließ. Der freundliche Wärter wollte diese scheinbare Ruhe nicht stören und ließ ohne Unterbrechung Minute um Minute verrinnen, bis Mr. Monday aus eigenem Antrieb wieder zu sprechen begann.

»Mr. Effingham – Sir – Mr. Effingham,« sagte der Sterbende.

»Ich bin in Eurer Nähe, Mr. Monday, und werde nicht aus dem Zimmer weichen.«

»Gott segne Euch, Gott segne Euch! – o verlaßt doch Ihr mich nicht!«

»Ich werde bleiben – hierüber könnt Ihr beruhigt seyn; laßt mich aber nunmehr auch Eure Wünsche hören.«

»Meine Wünsche? Ich wünsche zu leben, Sir!«

»Das Leben ist eine Gabe Gottes, der es nach Gutdünken zumißt. Bittet um Verzeihung für Eure Sünden und gedenkt der Gnade und Liebe des gebenedeiten Erlösers.«

»Ich gebe mir alle Mühe, Sir. Ich glaube nicht, daß ich ein sehr großer Sünder gewesen bin.«

»Ich hoffe es gleichfalls nicht; aber Gott kann dem Reuigen verzeihen, wie groß auch seine Vergehungen gewesen seyn mögen.«

»Ja, Sir, ich weiß es – ich weiß es. Diese Geschichte ist so unerwartet gekommen. Ich bin sogar beim Nachtmahl gewesen, Sir – ja, meine Mutter hat mich zur Communion angehalten. Nichts ist vernachläßigt worden, Sir.«

John Effingham war in seinem Verkehr mit anderen Menschen oft stolz und eigensinnig, denn seine Ueberlegenheit über die meisten seiner Nebenmenschen sowohl in Grundsatzfestigkeit, als in geistiger Kraft war zu augenfällig, um nicht auf die Ansichten eines Mannes Einfluß zu üben, der nicht daran gewöhnt war, auf seine eigenen Gebrechen zu achten; in Beziehung auf Gott aber benahm er sich stets ehrfurchtsvoll und demüthig. Geistlicher Hochmuth blieb seinem Character fremd, denn er fühlte gar wohl, wie sehr es ihm selbst an christlichen Tugenden gebrach; sein Hauptmangel bestand vielmehr darin, daß er die Schwächen Anderer mit scharfem Auge zu beobachten pflegte, ohne daß man ihm hätte nachsagen können, er bilde sich zu viel auf seinen eigenen Werth ein. Legte er an sich selbst den Maßstab der Vollkommenheit, so konnte Niemand demüthiger seyn; beschränkte er aber die Vergleichung auf seine Umgebung, so traf man nicht leicht einen stolzeren Mann oder überhaupt einen Mann, der ein größeres Recht hatte, stolz zu seyn, wenn je eine Berechtigung zu derartigen Parallelen eingeräumt werden kann. Das Gebet war bei ihm nicht zur Gewohnheit, zu einer Tagesordnung geworden, obschon er sich nie zu beten schämte; und wenn er wirklich seinen Geist in dieser Weise beugte, geschah es mit der ganzen Kraft und Ueberzeugung seines Characters. Die ärmlichen Tröstungen, welche Mr. Monday aus seiner Lage zu ziehen versuchte, gingen ihm zu Herzen, denn er sah das grausame Blendwerk ein, durch welches sich die Politik aller Staatskirchen auszeichnet, indem sie statt des Wesens der Frömmigkeit die Formen vorschreiben, obschon er andererseits, ungleich vielen seiner eigenen Landsleute, zu sehr über die engherzigen Uebertreibungen erhaben war, welche zu oft die Unschuld in Sünde verkehren und den Frömmler mit sektirerischem selbstgerechtem Dünkel aufblähen.

»Ich will mit Euch beten, Mr. Monday,« sagte er, indem er neben dem Sterbelager niederkniete. »Wir wollen gemeinschaftlich Gott um Gnade bitten, damit er Euch diese Zweifel von der Seele nehme.«

Mr. Monday drückte durch eine hastige Geberde seine Zustimmung aus, und John Effingham betete laut oder doch mit so kräftiger Stimme, daß er von dem Anderen deutlich verstanden werden konnte. Das Gebet war kurz, schön und sogar erhaben, obschon er ebensosehr das gezierte Haschen nach Schriftstellen als den inhaltsleeren Schwulst der Frömmler von Profession vermied; es enthielt blos einen brünstigen, unmittelbaren, leicht faßlichen Aufschwung zur Gottheit – die demüthige Bitte um Gnade für ein Wesen, welches jetzt seinen letzten Kampf kämpfte. Ein Kind hätte ihn verstehen können, während die ergreifende demüthige Aufrichtigkeit seiner Sprache auch das Herz des Mannes schmelzen mußte. Es steht zu hoffen, daß das hehre Wesen, dessen Geist das All durchweht, und dessen Wohlwollen nur seiner Allmacht gleichkömmt, dem Flehen gleichfalls Kraft verlieh, denn über Monday's Züge glitt ein wonniges Lächeln, als sich John Effingham aus seiner knieenden Stellung erhob.

»Dank, Sir – tausend Dank,« murmelte der Sterbende, indem er John die Hand drückte. »Dies ist besser als Alles.«

Mr. Monday fühlte sich nun erleichtert und es entschwanden einige Stunden in anhaltendem Schweigen. Nachdem sich John Effingham überzeugt hatte, daß der Kranke schlummerte, nickte er gleichfalls ein wenig ein. Die Morgenwache war schon abgelöst, als er durch eine Bewegung auf dem Krankenlager wieder geweckt wurde. Er glaubte, sein Patient verlange Nahrung oder eine Flüssigkeit, um seine Lippen anzufeuchten, weshalb er ihm das Eine wie das Andere anbot; Mr. Monday wies jedoch Beides zurück. Er hatte die Hände auf seiner Brust gefaltet – die Finger aufwärts, wie Maler und Bildhauer die Heiligen im Gebete darzustellen pflegen, – und seine Lippen bewegten sich, obschon die Worte nur in einem Geflüster bestanden. John Effingham kniete nieder und brachte dem Kranken sein Ohr so nahe, daß er die Töne auffassen konnte. Der Sterbende sprach das einfache, aber schöne Gebet, welches Christus selbst den Menschen zum Muster hinterlassen hat.

Sobald er damit zu Ende war, wiederholte John Effingham dasselbe Gebet laut und brünstig vor sich hin; und als er nach dieser feierlichen Huldigung vor Gott seine Augen wieder aufschlug, war Mr. Monday verschieden.


 << zurück weiter >>