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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

O Domine Deus! speravi in te;
O care mi Jesu, nunc libera me: –
  In durâ catenâ,
  In misera poenâ,
    Desidero te, –
  Languendo, gemendo,
  Et genuflectendo,
Adoro, imploro, ut liberes me.

Königin Maria.

 

Die erhabenen Tröstungen der Religion machten auf die glühenden, edelsinnigen, jungen Männer, welche jetzt auf dem Decke des Montauk hin- und herschritten, nur wenig Eindruck. Sanfte und bildsame Gemüther geben sich dem Zuge eines mystischen Elements weit bereitwilliger hin, und von Allen, die sich in jenem Augenblicke an Bord des Unglücksschiffes beisammen fanden, waren diejenigen am ergebensten, welche vermöge ihrer körperlichen Kräfte am wenigsten im Stande waren, das grausame Schicksal, welches ihnen bevorstand, zu überstehen.

»Diese himmlische Ergebung,« sagte Mr. Sharp in halbem Flüstern, »ist sogar noch herzzerreißender, als der Ausbruch von Verzweiflung.«

»Es ist schrecklich!« entgegnete sein Gefährte. »Alles ist besser, als die traurige Nothwendigkeit, sich thatlos in solche Umstände fügen zu müssen. Ich habe nur wenig – ja wahrhaftig gar keine Hoffnung, daß wir entkommen könnten; aber die Unthätigkeit wird zur schlimmsten Folter. Wollt Ihr mir beistehen, wenn ich den Versuch mache, dieses Boot von der Stelle zu schaffen?«

»Gebietet über mich, wie über Euren Sklaven. Wollte der Himmel, wir hätten auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg.«

»Wir haben nur wenig zu erwarten; denn sollten wir auch mit dem Werke des Augenblicks zu Stande kommen, so fehlt es uns doch an Mitteln, die Lansche weit vom Schiffe abzubringen, da der Kapitän alle Ruder mitgenommen hat und ich weder Masten noch Segel aufzutreiben weiß. Im Besitze der letzteren könnten wir in der That bei dem Winde, der jetzt zu wehen beginnt, die Ungewißheit verlängern, indem es uns möglich würde, nach einer von jenen ferneren Sandbänken zu kommen.«

»Dann, im Namen der heiligen Jungfrau!« rief hinter ihnen eine Stimme in französischer Sprache, »zögert keinen Augenblick, und Alle an Bord werden sich der Arbeit anschließen!«

Die Gentlemen wandten sich überrascht um und erblickten Mademoiselle Viefville, die ihnen so nahe stand, daß ihr von ihrem Gespräche nichts hatte entgehen können. Gewöhnt, auf sich selbst zu vertrauen, von einem Volke abstammend, unter dem die Frauen weit thatkräftiger und anschicklicher sind, als vielleicht unter jeder andern christlichen Nation, und zugleich von Natur von hoher Entschlossenheit, war dieses gebildete, edelgesinnte Frauenzimmer in der Absicht auf das Deck gekommen, sich zu überzeugen, ob in der That kein Ausweg mehr vorhanden sey, um den Beduinen zu entrinnen. Hätten überhaupt ihre Kenntnisse vom Schiffswesen ihrem Muthe entsprochen, so würden wahrscheinlich schon viele fruchtlose Versuche angestellt worden seyn; da ihr übrigens die See eine ganz neue Lage war, so hatte sich bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden, welche ihr's möglich gemacht hätte, sich Andeutungen zu erlauben, an deren Ausführung ihre Begleiter möglicherweise mitwirken konnten. Sobald sie aber Pauls Aeußerung vernommen, drang sie mit Eifer in ihn, und schon nach wenigen Minuten hatte sie es durch ihre Ueberredungsgabe dahin gebracht, daß die beiden Gentlemen ohne weitere Zögerung die nöthigen Vorbereitungen trafen. Mademoiselle Viefville holte sogleich John Effingham und Saunders herbei, und das einmal begonnene Werk wurde mit größtem Eifer fortgesetzt. Jetzt aber begab sich die Gouvernante nach den Kajüten, um persönlich in Betreff der Lebensmittel und eines bequemen Unterkommens die erforderlichen Einleitungen zu treffen, im Falle man es wirklich so weit brachte, daß sie das Schiff verlassen konnten.

Der erfahrenste Matrose hätte nicht mit mehr Umsicht und Sachkenntniß an's Werk gehen können, als Mr. Blunt bei der gegenwärtigen Gelegenheit. Saunders erhielt die Weisung, die Lansche abzuräumen, die mit einem Dach versehen war und noch immer einen ansehnlichen Vorrath von Geflügel, Schaafen und Schweinen barg. Das Dach sollte bleiben, da es vielleicht dem Zweck eines Verdeckes entsprechen konnte; alles Uebrige wurde jedoch schleunigst aus dem Boote geschafft, und der Steward begann dann mit einer Emsigkeit, die er in seiner Kajüte selten an den Tag legte, zu fegen und zu scheuern. Zum Glück lagen die Tackeln, mit welchen Mr. Leach am Morgen zuvor die Scheerböcke aufgerichtet und den Nothmast eingesetzt hatte, noch auf dem Deck, und Paul blieb daher der Mühe überhoben, neue herbeizuschaffen. Er setzte sich nun in Thätigkeit, um statt des großen Stagen zwei dieser Takeln aufzuziehen – eine Arbeit, mit welcher er unter Beihülfe der beiden Gentlemen auf dem Decke bald zu Stande kam; und nun erklärte auch Saunders, daß das Boot in einem passenden Zustande sey, um seine Ladung einzunehmen. Die Krapper wurden losgemacht und die Falle der einen Tackel nach der Spille geführt.

Mittlerweile hatte Mademoiselle Viefville durch ihre Thatkraft und Entschiedenheit Eva und Nanny soweit aufgerichtet, daß Mr. Effingham seine Tochter verlassen, und auf dem Deck erscheinen konnte, um Paul gleichfalls Handreichung zu thun. Ueberhaupt war das Interesse, welches Alle insgesammt an dem Resultate nahmen, so aufregend, daß die Damen und sogar Anna Sidley mit der femme de chambre von ihren eigenen Anstrengungen abstanden und sich fast athemlos zwischen Zweifel und Hoffnung um die Spille sammelten, während die Männer zu winden begannen: denn es stand ernstlich in Frage, ob zureichende Kräfte vorhanden waren, um einen so schweren Körper überhaupt nur zu lüpfen. Eine Umdrehung folgte auf die andere, und die Falle spannte sich allmählig an, bis die an den Speichen ihre äußerste Kraft in Anspruch genommen sahen.

»Dreht mit vereinter Kraft, Gentlemen,« sagte Paul Blunt, welcher Alles leitete, abgesehen davon, daß er eigenhändig mit thätig war. »Wir haben jetzt sein Gewicht, und was wir weiter aufbieten können, dient dazu, um das Boot zu lüpfen.«

Die Anstrengungen wurden zwei oder drei Minuten fortgesetzt, ohne jedoch das Geschäft merklich zu fördern; dann aber hielten Alle inne um Athem zu schöpfen.

»Ich fürchte, es übersteigt unsere Kraft,« bemerkte Mr. Sharp. »Das Boot scheint sich nicht von der Stelle zu rühren, und die Taue sind angespannt, daß sie zu reißen drohen.«

»Wir brauchen zu der unsrigen nur noch die Kraft eines Knaben,« sagte Paul, fragend nach den Frauenzimmern hinblickend. »In solchen Fällen zählt ein Pfund für eine Tonne.«

»Allons!« rief Mademoiselle Viefville, indem sie der französischen Kammerjungfer winkte, ihr zu folgen. »Um einer solchen Kleinigkeit willen soll uns die Sache nicht vereitelt werden.«

Die beiden entschlossenen Frauenzimmer verwendeten nun alle ihre Kraft auf die Speichen, und dieser Zuwachs gab in der Wagschaale des Schwebens zu Gunsten der Maschine einen Ausschlag. Die Spille, die man einen Augenblick zuvor in kurzen, gewaltsamen Rucken sich drehen sah, ging jetzt zwar langsam, aber doch stetig im Kreise, und das Ende der Lansche hob sich. Eva konnte von der Theilnahme an dem Geschäfte nur dadurch abgehalten werden, daß Nanny sie mit ihren Armen umschloß, weil die gute Dienerin fürchtete, daß sie durch irgend einen Unfall Schaden nehmen könnte.

Paul Blunt erklärte nun hocherfreut seine Ueberzeugung, daß sie genug Kräfte besäßen, um das Boot aufzubringen, obgleich die Operation noch viele Zeit und Mühe fordern würde. Wir sagen – hocherfreut; denn wie wenig nachhaltigen Trost dieser fast unverhoffte Erfolg in Aussicht stellen mochte, liegt doch stets etwas Erhebendes und Ermuthigendes in jedem Gelingen eines Versuchs.

»Wir sind Meister des Boots,« sagte er, »vorausgesetzt, daß die Beduinen uns nicht belästigen, und können vermittelst einer Art Nothsegel wohl so weit kommen, daß sie uns nicht zu erreichen im Stande sind, bis wir die letzte Hoffnung, unsere Freunde wieder zu sehen, aufgeben müssen.«

»Also immerhin ein großer Trost!« rief Mr. Effingham. »Möge Gott den bittersten Theil dieses Unglücks von uns abwenden.«

Die verhaltenen Gefühle machten sich auf's Neue Luft, und Eva weinte abermals in den Armen ihres Vaters, obschon sich eine Art heiliger Freude in ihre Thränen mischte. Mittlerweile hatte Paul die Falle, an der sie eben gearbeitet, festgemacht und die andere an die Spille gebracht, worauf die Arbeit mit dem gleichen Erfolge erneuert wurde. Nach einer halben Stunde hing die Lansche an dem Stagen, und zwar hoch genug, daß die Raatackeln angewendet werden konnten. Da jedoch letztere noch nicht aufgezogen waren, so hielt es Paul für räthlich, sich zuerst zu überzeugen, ob sie überhaupt im Stande wären, das Boot zu heben, damit man sich nicht vergeblich anstrenge; die Frauenzimmer erneuerten daher ihre Vorbereitungen in den Kajüten, während die Gentlemen den jungen Seemann im Aufziehen der Borgleinen unterstützten. Während dieser Pause im angestrengtesten Geschäfte wurde Saunders in den Raum hinunter geschickt, um nach Segeln und Masten zu suchen, denn Mr. Blunt lebte der Ueberzeugung, daß sie irgendwo im Schiffe seyn müßten, weil die Lansche für ein derartiges Zugehör ausgestattet war.

In der Zwischenzeit beobachteten die Beduinen, wie man wohl sehen konnte, ihre Bewegungen auf's Sorgfältigste; denn sobald Paul auf der Raa sich blicken ließ, fand eine große Bewegung unter ihnen statt, und mehrere Musketen wurden in die Richtung des Schiffes abgefeuert, obschon in Folge der großen Entfernung kein Schuß traf. Die Gentlemen bemerkten mit Besorgniß, daß die Kugeln über das Schiff hinausflogen – ein furchtbarer Beweis von der außerordentlichen Gewalt der Waffen, deren sich die Barbaren bedienten. Glücklicherweise stand das Riff, welches inzwischen vorn vor dem Schiffe fast blos gelegt worden, an einzelnen dem Ufer näher gelegenen Stellen noch so tief unter Wasser, daß man nur durch Schwimmen darüber weg kommen konnte. John Effingham übrigens, der die Bewegungen der Beduinen mit dem Fernglase beobachtete, machte bald die Meldung, daß ein Haufen geneigt zu seyn scheine, nach den nackten Felsen, welche dem Schiff am nächsten lagen, überzusetzen; denn sie hatten das Ufer verlassen und schleppten einige leichte Spieren nach, welche sie als Brücke über die verschiedenen Stellen des Tiefwassers legen wollten, da die meisten derselben schmal genug waren, um in dieser Weise einen Uebergang möglich zu machen.

Obgleich die von den Beduinen begonnene Operation nothwendig viel Zeit wegnehmen mußte, beschleunigte doch die Kunde davon alle Bewegungen auf dem Schiffe. Namentlich arbeitete Saunders, der nach erfolglosem Nachspähen zurückgekommen war, mit verdoppeltem Eifer, da er – wie es gewöhnlich bei Leuten zu gehen pflegt, die durch die Vernunft am wenigsten gestützt sind – am meisten Grausen vor dem Gedanken empfand, in die Hände der Barbaren zu fallen. Es war übrigens eine langsame, mühevolle Aufgabe, die schweren Blöcke und Fallen auf die Raaen zu bringen, und wäre nicht Paul Blunt eben so körperlich kräftig, als geschickt und erfahren in seinem Berufe gewesen, so hätten wohl alle Anstrengungen fehl schlagen müssen, weil ihm im Tackelwerk selbst Niemand an die Hand gehen konnte, obschon ihm die Uebrigen vom Deck aus an den Klappläufern eifrige Beihülfe leisteten. Endlich war diese wichtige Vorkehrung gelungen, worauf der junge Mann herunterstieg und die Spille wieder bemannt wurde.

Diesmal war die Beihülfe der Frauenzimmer unnöthig, da die Gentlemen allein die Lansche gegen die Schiffsseite hinausheben konnten. Paul handhabte dabei die verschiedenen Fallen so gewandt, daß das schwere Boot dem Geländer nahe kam und zwar in gehöriger Höhe, um hoffen zu lassen, daß man es darüber weg bringen könne. John Effingham trat jetzt an die eine der Stagtackelfallen und Paul Blunt an die andere, worauf Letzterer das Signal zum Nachschieben gab. Die Lansche bewegte sich gegen die Schiffsseite hin, bis sie das Geländer erreichte, an welchem sie auf ein Hinderniß traf. Schnell einen Umschlag mit seiner Falle fassend, sprang Mr. Blunt nach vorne und bückte sich unter das Boot, wo er bemerkte, daß der Kiel einen Belegnagel getroffen hatte. Eine einzige Drehung einer Spillenspeiche räumte das Hinderniß weg, und das Boot schwang ab. Die Stagtackelfallen wurden jetzt ganz losgelassen, und Alle an Bord sahen nunmehr mit einem Jubel, der durch Worte kaum zu schildern ist, das hochwichtige Fahrzeug über der See schweben. Keine Musik tönte je so lieblich in das Ohr der Zuhörer, als das erste Plätschern des massenhaften Bootes, wie es schwerfällig auf die Wasserfläche niedersank. Sein Umfang, sein Dach und sein starkes Gebälk verliehen ihm ein Ansehen von Sicherheit, das im gegenwärtigen Augenblick Alle täuschte; denn in Betrachtung des Vortheils, den sie so unerwartet gewonnen, vergaßen sie der vielen Hindernisse, welche noch dem Benützen desselben im Wege standen.

Kaum waren einige Minuten verflossen, als sich Paul schon auf dem Dache der Lansche befand, die Tackeln löste und das Boot so gegen die Schiffsseite richtete, daß es die von den Frauenzimmern gesammelten Vorräthe aufnehmen konnte. Damit übrigens der Leser sich ein besseres Bild von dem Fahrzeuge machen könne, welches die nunmehrigen Insassen des Montauk bergen sollte, wird es am Orte seyn, hier eine kurze Schilderung davon zu geben.

Daß Boot war groß, stark und unter guter Leitung wohl im Stande, einer schweren See zu begegnen, aber natürlich in demselben Verhältnisse auch schwerfällig. Um es nur mit mäßiger Geschwindigkeit fortzudrängen, waren acht oder zehn große Ruder nöthig, und trotz aller eifrigen Nachforschung hatten die Gentlemen auch nicht ein einziges auffinden können. Es war ihnen jedoch gelungen, ein Steuerruder sammt Pinne zu entdecken – Gegenstände, welche bei Lanschen nicht immer üblich sind, und Paul Blunt setzte sie augenblicklich an. Um die Schanddecke des Bootes waren Stützen angebracht, auf denen das leicht abgerundete Dach ruhte – eine auf Paketschiffen gewöhnliche Vorsorge, um die Vorräthe gegen das Wetter zu schützen. Die Thiere hatte man auf dem Decke laufen lassen und das Innere der Lansche gesäubert, so daß dasselbe jetzt wie eine bequeme anständige Kajüte aussah – allerdings nur roh und eng in Vergleichung mit denen des Schiffs selbst, aber doch andererseits von einer Beschaffenheit, daß sie schiffbrüchigen Seeleuten als ein Pallast erscheinen konnte. Das Dach konnte man wahrscheinlich führen, bis man durch schlechtes Wetter genöthigt war, es abzuwerfen, und Paul betrachtete es daher mit Entzücken, da er nie zuvor ein Boot unter einem solchen Baldachine hatte schwimmen sehen. Fand doch das zarte Wesen, das er im Innersten seines Herzens trug, einen Schutz darunter, den er nicht einmal zu hoffen gewagt hatte. Zwischen dem Dache und dem Schanddecke des Boots waren Schubfenster angebracht, welche den ganzen Raum zwischen den Stützen ausfüllten, und wenn diese aufgezogen waren, befand man sich in einem geschlossenen Gemache, welches hoch genug war, um einen Mann ohne Hut aufrecht stehen zu lassen. Allerdings wurde das Boot durch seine Bedachung unbehülflich und bis zu einem gewissen Grade unlenksam; aber so lange sie beibehalten werden konnte, bot sie jedenfalls weit mehr Gemächlichkeit, als wenn sie abgetragen werden mußte. Außerdem war letzteres, wenn es die Noth erforderte, zu jeder Zeit in fünf Minuten auszuführen.

Paul war eben mit einer hastigen Musterung seines Schatzes – denn in diesem Lichte erschien ihm jetzt die Lansche – zu Stande gekommen, als er bei einem Blick aufwärts, ehe er die Schiffsseite hinanstieg, Eva auf sich niederschauen sah, als wolle sie ihr gemeinsames Geschick in dem Ausdrucke seiner Züge lesen.

»Mein Vater sagt,« rief sie ihm eiligst zu, »daß die Beduinen schneller, als man wohl wünschen könne, an dem Riffe sich hinbewegen; alle unsere Hoffnungen haften daher nur an Euch und an dem Boote. Ich weiß, auf Euch können wir bauen, so lange Eure Mittel ausreichen; aber können wir mit der Lansche etwas anfangen?«

»Zum erstenmal, theuerste Miß Effingham, thut sich mir eine kleine Aussicht auf, uns aus den Händen dieser Barbaren zu retten. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren, sondern müssen Alles in möglichster Eile ins Boot schaffen.«

»Gott segne Euch – Gott segne Euch, Blunt, für diesen Hoffnungsstrahl! Eure Worte sind wahre Herzstärkungen und unser ganzes Leben reicht kaum zu, um Euch den Dank zu bezeugen, den wir Euch schuldig sind.«

Sie sprach dieß im natürlichen Ergusse eines lebhaften Gefühls, ohne vorherige Ueberlegung oder sonderliche Erwägung der Worte; aber selbst in diesem Augenblicke des Schreckens zuckte die Wirkung derselben fieberisch durch alle Adern des jungen Mannes. Er warf dem schönen Mädchen einen so glühenden Blick zu, daß sie darob bis zu den Schläfen erröthete und sich hastig zurückzog.

Die Gentlemen begannen nun unterschiedliche Gegenstände, welche hauptsächlich durch die Vorsorge der Mademoiselle Viefville zusammengerafft worden waren, ins Boot zu schaffen, und Paul nahm sie in Empfang, um sie ordnungslos unter das Dach zu werfen, weil er die kostbaren Augenblicke nicht mit alsbaldigem Packen vergeuden mochte. Die Ladung bestand aus Matratzen, den Koffern, welche ihren gewöhnlichen Seeanzug enthielten oder nicht in dem Gepäckraum gestaut worden waren, Decken, eingemachten Früchten, Brod, Wein und allerlei kalten Speisen aus Saunders Vorräthen – mit einem Worte, aus Dingen, wie sie sich eben in der Hast des Augenblicks darboten. Paul wies fast die Hälfte der Artikel als unnöthig zurück, obschon er noch Manches, was sonst gleichfalls bei Seite geworfen worden wäre, aus Rücksicht für das schwächere Geschlecht annahm. Sobald er jedoch fand, daß Lebensmittel in zureichender Menge beigeschafft worden waren, um die Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft für mehrere Wochen zu befriedigen, that er der Sache durch die Erklärung Einhalt, daß es unklug sei, sich's in dieser nutzlosen Weise unbequem zu machen, der belästigenden Einwirkung auf das Boot gar nicht zu gedenken. An dem Haupterforderniß, dem Wasser, fehlte es noch immer, weßhalb er jetzt das Verlangen stellte, daß die beiden Dienerinnen ins Boot stiegen, um die verschiedenen Gegenstände zu ordnen, während er selbst Sorge tragen wolle, dieses allwichtige Bedürfniß beizuschaffen; auch müsse er nachsehen, ob er nicht etwas finden könne, was als ein Ersatz für Segel dienen könne.

Seine erste Aufmerksamkeit schenkte er dem Wasser, ohne welches alle übrigen Vorbereitungen völlig nutzlos werden mußten. Aber noch ehe er an dieses Geschäft ging, benutzte er einen flüchtigen Augenblick, um von dem Stande der Dinge unter den Beduinen Einsicht zu nehmen. Sie hatten in der That hohe Zeit gehabt, denn die Fluth war nun so tief gefallen, daß die Felsen fast ganz nackt da standen, und mehrere hundert Berbern bewegten sich längs dem Riffe hin. Sie schleppten ihre Brücke nach, und nur die Langsamkeit, womit dies vor sich ging, hinderte sie, unverweilt den Punkt zu erreichen, welcher dem Schiffe gegenüber lag. Paul sah, daß kein Augenblick zu verlieren war, weßhalb er Saunders rief und in den Raum hinunter eilte.

Es waren bald drei oder vier kleine Fäßchen aufgefunden, welche der Steward nach dem Wasserbehälter brachte, um sie zu füllen. Zum Glück mußte das Wasser nicht erst heraufgepumpt werden, sondern strömte sogleich in das untergehaltene Gefäß. Sobald eine Tonne gefüllt war, wurde sie durch die Gentlemen auf das Deck geschafft und mit möglichster Eile in das Boot geworfen. Sogar die, welche sich im Raume unten befanden, hörten jetzt die Beduinen jubeln, und sie bedurften großer Standhaftigkeit, um die hochwichtige Vorbereitung des Wasserausfüllens fortzusetzen. Endlich waren sie auch mit dem letzten Fäßchen zu Stande gekommen, und Paul stürzte nun auf das Deck, denn das Geschrei der Berbern deutete auf ihre unmittelbare Nähe. Als er das Geländer erreichte, fand er das ganze Riff mit Beduinen bedeckt. Einige riefen gegen das Schiff herüber, Andere machten drohende Geberden und Hunderte waren noch mit ihrer schwimmenden Brücke beschäftigt, während Einige die an Bord einzuschüchtern versuchten, indem sie ihnen mit ihren Musketen über die Köpfe hinfeuerten. Zum Glück war ein wirksames Zielen unmöglich, so lange die Belagerten Sorge trugen, ihre Körper nicht über den Bollwerken blicken zu lassen.

»Wir haben keinen Augenblick zu verlieren!« rief Mr. Effingham, an dessen Brust die fast aller Bewegung unfähige Eva lag. »Das Wasser und die Lebensmittel sind im Boote; eilen wir daher im Namen eines allbarmherzigen Gottes, um diesem Schauplatze einer schrecklichen Barbarei zu entkommen.«

»Die Gefahr ist noch nicht so unabwendbar,« entgegnete Paul mit Festigkeit. »So furchtbar und dringend der Augenblick auch zu seyn scheint, haben wir doch noch einige Minuten Zeit, uns zu bedenken. Miß Effingham und Mademoiselle Viefville, ich bitte euch, ein Tröpfchen von dieser Herzstärkung anzunehmen.«

Er füllte aus einer Flasche, die in der Verwirrung, welche das Beschaffen der Vorräthe veranlaßt hatte, als überflüssig an der Spille stehen geblieben war, ein Glas und hielt es an Evas blasse Lippe. Nachdem sie fast in derselben hülflosen Lage, in welcher ein Säugling die Nahrung aus der Hand seiner Wärterin hinnimmt, einen Schluck genossen hatte, kehrte das Blut nach ihren Wangen zurück; sie erhob sich aus den Armen ihres Vaters und dankte ihm mit einem erzwungenen Lächeln für seine Sorgfalt.

»Es war ein schrecklicher Augenblick,« sagte sie, indem sie mit der Hand über die Stirne fuhr; »aber er ist vorbei, und ich fühle mich besser. Mademoiselle Viefville wird es Euch gleichfalls Dank wissen, wenn Ihr ihr ein wenig von dieser Stärkung reicht.«

Die entschlossene muthige Französin war zwar blaß, wie der Tod, und fast erstickt von dem Uebermaße ihrer Herzensangst, stellte aber doch das Glas höflich bei Seite und lehnte dessen Inhalt ab.

»Wir sind sechszig Faden von den Klippen entfernt,« sagte Paul ruhig, »und sie müssen erst über diesen Graben setzen, ehe sie uns erreichen. Keiner von ihnen scheint geneigt zu seyn, einen Versuch mit Schwimmen zu machen, und wie sinnreich sie auch ihre Brücke zusammengesetzt haben mögen, so dürfte ihre Länge doch nicht ausreichen.«

»Wird es aber auch gerathen seyn, die Damen an der Stelle, wo das Boot liegt, einzuschiffen, und sind sie daselbst nicht den Kugeln der Beduinen preisgegeben?« fragte Mr. Sharp.

»Alles dies soll vermittelt werden,« entgegnete Paul. »Ich kann das Deck nicht verlassen. Wollt Ihr daher« – er verbeugte sich leicht gegen Mr. Sharp – »nicht mit Saunders wieder hinuntergehen und nach einem leichten Segel sehen? Fehlt uns dies, so können wir nicht vom Schiffe abkommen, selbst wenn wir im Boote sind. Ich sehe eine taugliche Spiere und das nöthige Tackelwerk auf dem Deck; aber die Leinwand muß in dem Segelraume aufgesucht werden. Ich gestehe, es ist allerdings eine beängstigende Aufgabe, in einem solchen Augenblicke in den Raum hinabzusteigen; aber ich hoffe, Ihr setzt zu viel Vertrauen in uns, um zu besorgen, daß wir Euch zurücklassen.«

Mr. Sharp drückte seine Hand zur Versicherung, daß er vollkommen auf seine Treue baue, vermochte aber nicht zu sprechen. Saunders wurde jetzt herbeigerufen und erhielt seine Weisungen, worauf sich Beide hastig ins Schiff hinunter begaben.

»Wenn nur die Damen bei den Dienerinnen im Boote wären,« sagte Paul; denn Anna Sidley und die französische Kammerjungfer befanden sich noch immer in der Lansche, wo sie, durch das Dach und die verschlossenen Fenster vor den Beduinen verborgen, die Vorräthe ordneten. »Es wäre übrigens gefährlich, den Versuch der Ueberpflanzung zu machen, so lange sie dem Feuer vom Riffe her ausgesetzt sind. Wir werden zuletzt die Lage des Schiffs verändern müssen, und es ist vielleicht am besten, wenn wir nicht länger damit zögern.«

Er winkte John Effingham, ihm zu folgen, und begab sich sodann nach dem Vorderschiffe, um die Bewegungen der Beduinen noch einmal zu beobachten, ehe er einen entschiedenen Schritt that. Die beiden Gentlemen stellten sich hinter die hohen Schutzwände der Back und gewannen so Gelegenheit, die Feinde zu übersehen; denn die größere Höhe des Schiffdeckes verbarg Alles, was hier vorging, vor den Blicken derer, welche sich auf den Felsen befanden.

Die Berbern, welche von dem wehrlosen Zustande der Gesellschaft an Bord vollkommen unterrichtet zu seyn schienen und es auch in Wirklichkeit waren, arbeiteten eifrig fort und zeigten nicht die mindeste Besorgniß, daß ihnen von dieser Seite irgend ein Schaden zugefügt werden könnte. Ihr Hauptzweck ging darauf hin, sich in den Besitz des Schiffes zu setzen, ehe das zurückkehrende Wasser sie wieder von den Klippen vertriebe. Um dies zu bewerkstelligen, hatten sie alle, welche sich bereitwillig zeigten oder Gehorsam leisten mußten, die Brücke besetzen lassen, obgleich noch hundert Andere müßig zusahen, indem sie schrieen, in die Hände klatschten, drohende Geberden machten und hin und wieder eine ihrer Musketen abfeuerten, deren sie vielleicht fünfzig im Besitz haben mochten.

»Sie arbeiten mit Umsicht an ihrer Brücke,« sagte Paul, nachdem er das Benehmen derer, welche auf dem Riff beschäftigt waren, einige Minuten beobachtet hatte. »Ihr bemerkt, daß sie das äußere Ende derselben windwärts aufgebracht und es eben erst von den Klippen abgeschoben haben, damit es herumtriffte und sich an den Bugen des Schiffs verfange; dann werden sie wie Tiger an Bord stürzen. Die Spierenlinie ist zwar nur schlecht verbunden und los, so daß sie die schwächste Welle zerstören würde, kann aber doch in diesem vollkommen glatten Wasser ihren Zweck erfüllen. Sie bewegt sich nur langsam, wird aber zuverlässig im Lauf von fünfzehn oder zwanzig Minuten gegen uns herübertrifften; auch scheinen sie hievon vollkommen überzeugt zu seyn, denn wie wir sehen, sind sie mit ihrer Arbeit so wohl zufrieden, als wären sie des völligen Erfolgs bereits sicher.«

»Wenn uns blos noch so kurze Zeit zugemessen ist, so wird es höchst wichtig seyn, daß wir uns beeilen.«

»Wir wollen uns beeilen, aber in einer andern Weise. Wenn Ihr mir ein wenig beisteht, so hoffe ich, wenigstens diese Maßregel leicht zu vereiteln, und dann haben wir noch genug Zeit, an's Entkommen zu denken.«

Unter Johns Beihülfe löste nun Paul alle Ketten von den Bätingen und ließ das Schiff sternwärts trifften. Dieses Manöver, welches in aller Stille vor sich ging, währte mehrere Minuten; aber da der Wind inzwischen frisch geworden war, so gab die gewaltige Masse seiner Kraft nach, und als die Brücke in gerader Linie vom Riff aus oder todt gegen das Lee herumschwamm, zeigte sich's, daß zwischen dem Ende derselben und dem Schiff ein Raum von mehr als hundert Fußen lag. Es folgte nun ein Getümmel, und mehrere fielen von den nassen, schlüpfrigen Spieren herunter; aber das Geschrei dauerte nicht lange, und die Beduinen gehorchten den Anweisungen ihrer Häuptlinge, indem sie sich mit Eifer in Thätigkeit setzten, die Brücke abzubrechen und das Material in einen Floß umzuwandeln.

Mittlerweile waren Mr. Sharp und Saunders zurückgekehrt und brachten einige leichte Leinwand, nämlich ein paar Oberbramsegel und Bramprallsegel, mit sich. Paul ertheilte nun zunächst die Weisung, eine ledige Besahnbramstenge, eine Bramleesegelspiere und einen Vorrath leichten Tauwerks auf den Gang zu schaffen, worauf er sich anschickte, den letzten Schritt zu thun. Die Zeit drängte jetzt allen Ernstes, denn die Beduinen arbeiteten rasch und unter zunehmendem Geschrei; er bot daher alle die Gentlemen zum Beistand auf und ertheilte die nöthigen Anweisungen, damit sie mit Umsicht fortarbeiten könnten.

»Legt Hand an, Saunders,« sagte er; denn er hatte den Steward mit sich nach dem Vorderschiff genommen, da derselbe mehr an ein Schiffsgeschäft gewöhnt war, als die Uebrigen. »Legt Hand an, mein wackerer Bursche und zieht die Kette auf. Zehn Minuten sind jetzt mehr werth, als zu andern Zeiten ein ganzes Jahr.«

»'s ist schrecklich, Mr. Blunt, Sir – sehr schrecklich, thu ich versichern,« entgegnete der Steward heulend und zwischen seinen Zügen an den Ketten die Augen wischend. »Ein solches Schicksal muß solche Kajüte befallen, Sir – und das Töpfergeschirr von der allerbesten Sorte, wie man's in London oder New-York nur kriegen kann! Hätt' ich gedacht, daß es mit dem Montauk ein solches Ende nehmen sollte, Sir, so würde ich dem Kapitän Truck nie gerathen haben, auch nur die Hälfte der Vorräthe einzulegen, die er mitnahm, – namentlich nicht die schönen, feinen Weine. Oh, Sir, es ist wahrhaft entsetzlich, daß ein solches Unglück eine so elegante Vorbereitung betreffen muß.«

»Vergeßt all dies jetzt, mein wackerer Kamerad, und strengt Euch an der Kette an. Ha! das Schiff stößt hinterwärts an! Zehn oder fünfzehn Faden weiter werden zureichen.«

»Ich habe dem Silber große Aufmerksamkeit geschenkt, Mr. Blunt, denn es ist Alles in der Lansche, Sir, sogar bis auf den zerbrochenen Senflöffel; und ich hoffe, wenn es Kapitän Trucks Seele gestattet ist, die Speisekammer länger zu beaufsichtigen, so wird er ganz selig und ermuthigt seyn über meine Klugheit und Vorsicht. Alles übrige Tafelzeug habe ich zurückgelassen, Sir, obschon ich glaube, diese Muskelmänner werden außer den Austermessern nicht viel brauchen können, denn ich habe mir sagen lassen, daß sie mit den Fingern essen. 's ist wahrhaftig ganz niederdrückend und unmenschlich, wenn solche Vagabunden herkommen sollen, um einem die Schränke zu durchwühlen.«

»Zieht wacker an, Mann, und holt auf! Das Schiff hat die Brise auf seinem Backbordbuge erfaßt und fängt an, mehr von der Kette freizugeben. Vergeßt nicht, welche theuren Wesen von uns ihre Rettung erwarten.«

»Ja, ja, Sir – ich ziehe, was ich kann. Es ist mir eigentlich eine Angelegenheit um die Frauenzimmer, besonders aber um die Vorräthe, welche für die Unternehmer verloren gehen. Ein besser ausgestattetes Schiff kam nie aus den Katharinendocks oder aus dem East River, besonders was das Speisekammer-Departement betrifft, und ich wundere mich, was diese Elenden damit anfangen werden. Sie werden ganz erstaunt seyn über die Bequemlichkeit, Sir, und nicht wissen, wie sie sich derselben bedienen sollen. Auch der arme Toast! Er wird ganz abscheulich unangenehme Zeit bei den Muskelmännern haben, denn er ißt nie Fische und hat eine eigentlich gentile, verbesserte Weise an sich. Es sollt' mich nicht Wunder nehmen, wenn er Alles wieder vergißt, was ich ihm mit so vieler Mühe beigebracht habe, Sir; aber vielleicht ist er todt, und dann kann's ihm ja doch nichts nützen, Sir.«

»Jetzt wird's genug seyn,« unterbrach ihn Paul, indem er von seiner Arbeit abließ: »denn das Schiff sitzt auf von vorn bis hinten. Wir wollen nunmehr die Spieren sammt dem Segelwerk ins Boot schaffen und dann die Damen nachholen.«

Damit nun der Leser die gegenwärtige Lage des Schiffes besser begreife, wird es nöthig seyn, zu erklären, was Mr. Powis und der Steward inzwischen gethan haben. Indem sie die Ketten auslaufen ließen, war das Schiff weiter sternwärts gekommen, bis es nach hinten am Rande der so oft erwähnten Sandbank den Grund berührte, und sobald es an diesem Ende festsaß, fielen unter dem Drucke des Windes die Buge ab, so lange die Wassertiefe es zuließ. Der Montauk lag jetzt vorn und hinten auf dem Strande, die Backbordseite dem Riff zugekehrt, und die Lansche befand sich zwischen dem Schiff und den nackten Sandbänken, durch ersteres völlig gegen die Beobachtung und den Angriff der Barbaren geschützt.

Eva, Mademoiselle Viefville und Mr. Effingham stiegen jetzt in die Lansche.

»Sie tummeln sich mit ihrem Floße,« sagte Paul, der sowohl die Thätigkeit der Andern leitete, als auch selbst mitarbeitete; »indeß sind wir hier sicher, bis sie wirklich von den Klippen loskommen können. Die Spieren werden allerdings gegen das Schiff herunterschwimmen, aber nothwendigerweise nur langsam, denn das Wasser ist zu tief, um ansetzen zu können, selbst wenn sie Fahrstangen hätten – ich sehe übrigens nichts von den letzteren. Werft diese ledigen Segel auf das Dach der Lansche, Saunders; wir könnten sie brauchen, ehe wir einen Hafen erreichen, wenn Gott uns lange genug beschützen sollte, daß wir es so weit bringen können. Schafft auch zwei Compasse in das Boot nebst allem Zimmermannswerkzeug, das gesammelt worden ist.«

Während Paul diese Weisungen ertheilte, war er beschäftigt, das dickere Ende der Besahnbramstenge abzusägen, um sie in eine Spiere für die Lansche umzuwandeln. Als er ausgeredet hatte, war er damit zu Stande gekommen; er fertigte nun den Mastblock an, sprang auf das Dach des Bootes hinunter und hieb an einer Stelle, welche vorläufig schon für diesen Zweck bezeichnet war, ein Loch aus, um die Spiere einzusetzen. Während dies geschah, wurde das Holz selbst herübergeschafft, und eine Minute später hatte er die Freude, einen sehr tauglichen Mast aufgerichtet zu sehen. An der Raa wurde ein Oberbramsegel festgemacht, und nachdem man die Fallen, Halsen und Schooten angeschlagen hatte, war Alles bereit, um jeden Augenblick ein Segel aufziehen zu können. Hiedurch waren ihnen die Mittel der Ortsbewegung gegeben; die Gentlemen begannen daher freier zu athmen und jetzt an die kleineren Bequemlichkeiten und Erfordernisse zu denken, die in der Hast des Augenblicks übersehen worden waren. Nach einigen weiteren Minuten eifriger Thätigkeit wurde Alles für bereit erklärt, und John Effingham begann nun ernster darauf zu dringen, daß die Gesellschaft das Schiff verlassen möchte; aber Paul zögerte noch immer. Sehnsüchtig warf er seine Blicke in die Richtung des Wracks, aus der er immer noch auf Beistand hoffte, aber natürlich vergeblich, denn es war um die Zeit, als Kapitän Truck mit Abwarpen seines Floßes beschäftigt war, um hohe See zu gewinnen. In demselben Augenblicke stieg ein Haufen von ungefähr zwanzig Beduinen auf die Spieren, welche sie neben einander gebunden hatten, und begannen langsam gegen das Schiff hinabzutrifften.

Paul blickte umher, um zu sehen, ob sich nicht noch irgend etwas Nützliches auffinden ließe, und seine Augen trafen die Kanone. Da fiel ihm plötzlich bei, sie könnte als Schreckmittel dienen, wenn sie sich durch den Einlaß schlagen wollten; er beschloß daher sie wenigstens vorderhand in die Lansche zu bringen, weil man sie immerhin über Bord werfen konnte, sobald sie ins rauhe Wasser hinausgeriethen – vorausgesetzt, daß es ihnen überhaupt glückte, aus dem Riffe zu gelangen. Die Stag- und Raatackeln boten die erforderliche Erleichterung, und er hatte augenblicklich das Geschütz in die Schlinge. Ein paar Drehungen der Spille hoben es vom Deck; ein paar weitere brachten es klar über die Seite, und dann wurde es mit Leichtigkeit auf das Dach niedergelassen, nachdem man zuvor Saunders in das Boot geschickt hatte, damit er eine Stütze unterstelle und das Gewicht der Kanone keinen Schaden anrichte.

Nun stiegen die Gentlemen in die Lansche, den einzigen Paul ausgenommen, welcher noch immer in dem Schiffe blieb, um die Schritte der Beduinen zu beobachten und seine Berechnungen für die Zukunft zu machen.

Es gehörte große Festigkeit und vollkommenes Vertrauen auf die eigenen Hülfsmittel und Kenntnisse dazu, um als unthätiger Beobachter zurückzubleiben, während das Floß zwar langsam, aber doch allmählig auf das Schiff zutrifftete. Als es näher kam, wurde Blunt auch von den darauf befindlichen Beduinen bemerkt, die mit ihrer gewöhnlichen Arglist Zeichen der Freundschaft und Ermuthigung machten. Der junge Mann ließ sich jedoch hiedurch nicht täuschen, sondern blieb nur deshalb zurück, um ihr Benehmen genauer beobachten zu können, weil er dachte, er könne vielleicht irgend einen nützlichen Wink daraus ziehen, obgleich seine Ruhe die Beduinen auf eine ganz andere Meinung brachte; denn sie gaben ihm sogar durch Zeichen zu verstehen, er solle ihnen ein Tau zuwerfen. Jetzt glaubte er übrigens, daß es Zeit sey, sich zu entfernen; er beantwortete daher das Signal befriedigend und verschwand vor ihren Blicken.

Doch auch im Hinabsteigen nach dem Boote legte der geübte und ruhige junge Seemann keine Hast an den Tag. Seine Bewegungen waren zwar rasch, und Alles, was er that, geschah mit Fertigkeit und Sachkenntniß; indeß wurde durch Verwirrung oder Unsicherheit kein Augenblick Zeit verloren. Er hißte das Segel auf, brachte die Halse herunter und stieg dann unter das Dach, nachdem er zuvor den Anstreicher eingeholt und dem Boot einen langen kräftigen Ruck gegeben hatte, so daß es von der Seite des Schiffes abkam. Durch die letztere Maaßregel brachte er mit einemmale dreißig Fuß Wasser zwischen sich und den Montauk, ein Raum, über welchen die Beduinen nicht wegkommen konnten. Sobald er sich unter Dach befand, wurde die Schoote eingeholt, und Paul ergriff die Ruderpinne, welche er vermittelst eines schmalen Einschnitts in die Bretter innerhalb eines der Fensterläden spielen lassen konnte. Mr. Sharp nahm seine Stellung in den Bugen, wo er durch die Jalousieen den Sand und die Kanäle überblicken konnte, und deutete dem andern an, wie er steuern sollte. In demselben Augenblicke, als ein Jubelruf die Ankunft des Floßes auf der andern Seite des Schiffs verkündigte, fing im Boote das Segel zu flappen an und verkündigte dadurch seinen Insassen, daß sie weit genug von dem Montauk abgekommen seyen, um nunmehr den Einfluß des Windes zu fühlen.


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