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Dreizehntes Kapitel.

Zwei Wünsche doch wird mir mein Geschick gewähren –
Noch einen Streifzug durch die Welt und dann
Ein friedlich Hüttchen mir und dir.

Byron.

 

Eva Effingham schlief nur wenig; denn obgleich die Bewegung des Schiffes, so lang es noch mit Gegenwind kämpfte, weit stärker und belästigender gewesen war, hatte sich doch der ungestüme Zwist der Elemente nie in so gewaltigen Zügen geäußert, wie in diesem Sturme. Auf ihrem Lager war ihr Ohr nur durch einen fußbreiten Raum von den tobenden Gewässern draußen geschieden, und sie zitterte, als sie das Gurgeln so bestimmt hörte, wie wenn die Wellen bereits durch die Plankenfugen hereinbrächen und das Schiff füllten. Sie konnte daher lange Zeit nicht schlafen und lag zwei Stunden lang mit geschlossenen Augen da, entzückt, aber doch mit klopfendem Herzen dem furchtbaren Ringen zuhörend, das über den Ocean hintobte. Die Nacht bot keine Ruhe, denn das Getöse von Wind und Wasser machte unabläßig fort, obschon es durch die Decken und Schiffswände ein wenig gedämpft wurde; und wenn sich hin und wieder eine Thüre aufthat, war es, als dränge der ganze Tumult in die Kajüte herein. In solchen Augenblicken gewannen die Töne eine furchtbare Großartigkeit; denn selbst das Rufen des Offiziers kam dem Ohr wie ein warnender Schrei aus der Tiefe vor.

Endlich versank Eva, sogar durch ihre Besorgnisse erschöpft, in einen unruhigen Halbschlaf, in welchem das Gebrülle des Sturms nie ganz für ihren Gehörsinn verloren ging. Um Mitternacht traf der Strahl eines Kerzenlichtes ihre Augen, und sie war im Nu hell wach.

Als sie sich in ihrem Bette aufrichtete, fand sie, daß Nanny Sidley, welche ihren kindlichen Schlummer so oft und so lange bewacht hatte, an ihrer Seite stand und ihr ängstlich in's Gesicht sah.

»Dies ist eine schreckliche Nacht, Miß Eva,« begann die geängstigte Dienerin in halbem Flüstern. »Ich konnte nicht schlafen, weil ich stets an Euch und an das denken mußte, was auf diesem weiten Gewässer noch vorfallen mag.«

»Und warum besonders an mich, meine gute Nanny?« entgegnete Eva, ihrer alten Wärterin so süß zulächelnd, wie ein Kind in Augenblicken der Innigkeit und des Erinnerns. »Warum so viel an mich, meine treffliche Anna? Gibt es nicht noch Andere, die Eurer Sorge gleichfalls würdig sind? Da ist mein theurer Vater – Ihr selbst – Mademoiselle Viefville – Vetter Jack – und –« das warme Roth vertiefte sich auf der Wange des schönen Mädchens, obschon sie selbst kaum wußte, warum – »ja und es gibt noch viele Andere im Schiff, an die hoffentlich ein so gutes Geschöpf denken kann, wenn seine Gedanken zu Besorgnissen und seine Wünsche zu Gebeten werden.«

»Ohne Frage sind viele kostbare Seelen in dem Schiff, Ma'am, und ich bin überzeugt, daß Niemand mehr als ich wünscht, sie alle wieder wohlbehalten am Lande zu sehen; aber es scheint mir, daß Niemand von Allen so viel geliebt wird, wie Ihr.«

Eva lehnte sich spielend vorwärts, zog die alte Dienerin an sich und küßte ihre Wange. Die Augen des Mädchens glänzten, als sie das eigene glühende Antlitz an dieselbe Brust legte, die ihr früher so oft als Pfühl gedient hatte. Sie blieb eine Minute in dieser zärtlichen Stellung, richtete sich dann wieder auf und fragte Nanny, ob sie auf dem Deck gewesen sey.

»Ich gehe alle halbe Stunden hinauf, Miß Eva, denn ich meine, es sey eben so gut meine Pflicht, hier über Euch zu wachen, wie zu der Zeit, als ich Euch ganz für mich in der Wiege hatte. Ich glaube nicht, daß Euer Vater heute Nacht viel schlafen kann, und mehrere von den Gentlemen in den andern Kajüten haben sich gar nicht ausgekleidet. So oft ich an den Thüren ihrer Staatsgemächer vorbeikomme, fragen sie mich, wie Ihr in diesem Sturme Eure Zeit verbringt.«

Die Glut auf Eva's Wangen wurde höher und Anna Sidley meinte ihr Kind nie schöner gesehen zu haben, da das helle schwellende goldene Haar, welches sich dem Zwange des Häubchens entrissen hatte, an den Schläfen niederfiel und die Augen des Mädchens, aus denen stets das edelste Gefühl leuchtete, noch sanfter und strahlender als gewöhnlich machte.

»Sie verbergen die eigene Unruhe unter einer erkünstelten Besorgniß für mich, meine gute Nanny,« versetzte sie hastig, »und Eure Liebe zu mir ist Schuld daran, daß Ihr Euch so leicht durch den Kunstgriff bethören laßt.«

»Es mag seyn, Ma'am, denn ich verstehe mich nur wenig auf die Weise der Welt. Ist es nicht schrecklich, Miß Eva, denken zu müssen, daß wir in einem Schiff sind – so fern von jedem Land – und so schnell über den Grund hinwirbelnd, als ein Pferd nur rennen kann?«

»Die Gefahr liegt vielleicht nicht gerade hierin, Nanny.«

»Das Meer hat doch einen Grund – nicht wahr? Ich habe schon behaupten hören, die See habe gar keinen Boden, und dies würde die Gefahr nur um so größer machen. Ich glaube, wenn ich gewiß wüßte, daß der Boden nicht sehr tief läge und sich nur hin und wieder ein Fels blicken ließe, so würde ich die Sache nicht für so gar schrecklich halten.«

Eva lachte wie ein Kind: der Gegensatz, zwischen der holden Einfachheit ihrer Blicke, ihrer Gebärdung und ihres ausgebildeten Verstandes zu dem matronenhaften Aussehen der weniger unterrichteten Anna bot eines jener Gemälde, in welchen die Ueberlegenheit des Geistes über alle andere Dinge besonders augenfällig wird.

»Eure Begriffe von Sicherheit, meine theure Nanny,« sagte sie, »stimmen nicht sonderlich mit denen der Seeleute zusammen; denn ich glaube, sie würden eben jetzt nichts mehr fürchten, als Felsen und den Boden.«

»Ich fürchte, daß ich für's Wasser verdorben bin, Ma'am, denn meinem Urtheile nach könnten wir in einem solchen Sturme keinen größeren Trost haben, als wenn wir lauter dergleichen feste Dinge um uns hätten. Glaubt Ihr, Miß Eva, der Boden des Meeres, wenn es wirklich einen Boden hat, sey weiß von den Gebeinen der schiffbrüchigen Matrosen, wie die Leute sagen?«

»Ich zweifle nicht, meine gute Nanny, daß die ungeheure Tiefe viele schauerliche Geheimnisse birgt; aber Ihr solltet weniger an dergleichen Dinge und mehr an die allbarmherzige Vorsehung denken, die uns auf unsern Wanderfahrten in so vielen Gefahren beschützt hat. Ihr habt früher schon in größeren Nöthen geschwebt, und seyd doch unbeschädigt davon gekommen.«

»Ich, Miß Eva? – Glaubt Ihr, ich habe um meinetwillen Furcht? Was liegt daran, wenn eine arme alte Weibsperson wie ich, ein paar Jahre früher oder später stirbt, oder wo ihr gebrechlicher Leib ein Unterkommen findet! Ich bin in meinem ganzen Leben keine so wichtige Person gewesen, daß viel darauf ankäme, wo das Bischen, was von mir zum Vermodern übrig bleibt, nach meinem Tode in Staub zerfällt. Ich bitte Euch, Miß Effingham, haltet mich ja nicht für so selbstsüchtig, daß ich heute Nacht um meinetwillen Unruhe fühlen könnte.«

»So gilt also diese Angst, wie gewöhnlich, immer nur mir, meine liebe, wackere alte Wärterin? Dann beruhigt Euch immerhin, denn diejenigen, welchen doch am besten ein Urtheil zusteht, verrathen keine Sorge, und Ihr seht ja, daß der Kapitän diese Nacht so tief schläft, wie ein jeder andere.«

»Aber er ist ein rauher Mann und an die Gefahr gewöhnt – besitzt weder Weib noch Kinder und hat, ich stehe dafür, nie an das Entsetzliche gedacht, wenn ein so kostbares Geschöpf wie Ihr in die Meereshöhlen schwimmen soll unter die raubgierigen Fische und die Seeungeheuer.«

Die arme Nanny Sidley fühlte sich durch dieses Bild ihrer Phantasie auf's Tiefste ergriffen, schlang ihren Arm um Eva's schönen Körper und schluchzte ungestüm. Ihre junge Gebieterin, die an ähnliche Zärtlichkeitsergüsse gewöhnt war, tröstete sie mit Liebkosungen und Versicherungen, welche bald Nanny's Fassung wieder herstellten, und dann wurde die Unterhaltung mit einem größern Anschein von Ruhe auf Seite der Dienerin wieder aufgenommen. Sie sprachen einige Minuten von ihrem zuversichtlichen Vertrauen auf Gott, und Eva gab jetzt Nanny vierfältig oder mit der überwiegenden Kraft ihres gebildeten Geistes viele jener einfachen Glaubens- und Demuthslehren zurück, welche ihr als Kind von ihrer Gefährtin ertheilt worden waren. Letztere hörte gewohntermaßen mit einer Liebe und Andacht, wie sie nichts Anderes in ihr wecken konnte, auf diese Ermahnungen, die ihren Ohren wie der Wiederhall ihrer eigenen besseren Gedanken erschienen. Eva fuhr mit ihrer kleinen weißen Hand über Nanny's faltige Wange, indem sie dieselbe in einer Weise, wie sie es zu tausend Malen als Kind gethan hatte, liebkoste; denn sie wußte wohl, daß die gute alte Wärterin sich in einer derartigen Zärtlichkeitsäußerung überglücklich fühlte.

»Und nun, meine gute alte Nanny,« fuhr sie fort, »werdet Ihr, ich bin's überzeugt, Euer Herz beruhigen; denn obschon Ihr Euch nur allzugerne Sorge um ein Geschöpf macht, das dieselbe nicht zur Hälfte verdient, so seyd Ihr doch viel zu verständig und zu demüthig, um Euch einer unbegründeten Angst hinzugeben. Wir wollen ein Weilchen von etwas Anderem sprechen, und dann legt Euch nieder, um Euren müden Körper ausruhen zu lassen.«

»Müde? Ich würde des Wachens nie müde werden, wenn ich dächte, daß Grund dafür vorhanden sey.«

Obgleich Nanny jede weitere Anspielung vermied, begriff Eva doch wohl, daß diese Wachsamkeit nur ihr selbst galt. Sie zog ihre alte Dienerin an sich und drückte ihr auf jede Wange einen Kuß, worauf sie fortfuhr:

»Die Schiffe können auch von andern Dingen sprechen, als von ihren Gefahren. Findet Ihr's nicht seltsam, daß ein Kriegsschiff abgesendet wurde, um uns in dieser außerordentlichen Weise über den Ocean zu verfolgen?«

»Ja wohl, Ma'am, und ich wollte mit Euch darüber sprechen, sobald Ihr einmal an nichts Besseres zu denken hättet. Anfangs meinte ich, aber ich glaube, es war ein thörichter Gedanke – einer von den großen englischen Lords und Admiralen, die zu Paris, Rom und Wien soviel um uns waren, habe dieses Schiff ausgeschickt, um Euch wohlbehalten nach Amerika zu begleiten, Miß Eva; denn ich hätte nie vermuthet, daß man so viel Wesens machen werde wegen eines entlaufenen armen Pärleins, wie diese Zwischendeckpassagiere sind.«

Eva konnte sich über diesen Einfall ihrer Dienerin eines abermaligen Lachens nicht erwehren, denn sie fühlte sich so heiter gestimmt, wie in den Tagen ihrer Kindheit, obschon ihre Bildung dem allzu ungestümen Ausdrucke dieser Heiterkeit einen Zügel anlegte. Nachdem sie Nanny's Wange abermals freundlich gestrichen hatte, entgegnete sie:

»Dazu sind die großen Lords und Admirale nicht groß genug, liebe Nanny, selbst wenn sie Lust hätten, eine solche Thorheit zu begehen. Aber ist Euch unter den vielen seltsamen Umständen, welche Ihr auf diesem Schiffe zu bemerken Gelegenheit hattet, kein anderer möglicher Grund aufgefallen?«

Nanny sah Eva an, wandte dann ihre Augen bei Seite, blickte wieder verstohlen nach ihrer jungen Gebieterin hin und glaubte endlich antworten zu müssen –

»Ich gebe mir Mühe, Ma'am, von Jedermann gut zu denken, obgleich man bisweilen auf seltsame Gedanken geräth, ohne daß man es wünscht. Ich weiß, glaube ich, auf was Ihr anspielt, bin aber nicht ganz überzeugt, ob es mir zusteht, mich auszusprechen.«

»Gegen mich wenigstens bedürft Ihr keines Rückhaltes, Nanny, und ich gestehe, daß ich gerne erfahren möchte, ob wir über einige unserer Reisegefährten die gleichen Gedanken unterhalten. Sprecht Euch daher unverholen aus, denn es kann Euch doch nicht mehr Besorgniß einflößen, mir Eure Gedanken mitzutheilen, als wie wenn Ihr mit Eurem eigenen Kinde redetet.«

»Oh, nicht so viel, Ma'am – nicht halb so viel; denn Ihr seyd mir zumal Kind und Gebieterin und ich blicke eben so gut um Rath zu Euch auf, als ich ihn Euch geben kann. Es ist seltsam, Eva, daß Gentlemen nicht unter ihrem wahren Namen reisen, und ich habe mir schon allerlei unangenehme Gedanken darüber gemacht, obschon ich glaubte, es gezieme sich nicht für mich, daß ich zuerst davon spreche, so lange Euer Vater bei Euch ist, und die Mammerselle,« denn so pflegte Nanny die Gouvernante stets zu nennen, »und Mr. John, die Euch Alle fast so sehr lieben, wie ich, und die jedenfalls viel besser verstehen müssen, was recht ist. Aber nun Ihr mich ermuthigt, Miß Eva, frei heraus weg zu sprechen, will ich nur sagen, es wäre mir lieb, wenn Niemand in Eure Nähe käme, der nicht sein Herz in der offenen Hand trüge, damit auch das kleinste Kind seinen Character und seine Beweggründe verstehen könnte.«

Eva lächelte, als sie ihre Dienerin so warm werden sah, konnte sich aber eines leichten Erröthens nicht erwehren, obschon sie sich Mühe gab, gleichgültig zu erscheinen.

»Dies wäre wahrlich in der gemischten Gesellschaft eines Schiffes ein recht eitler Wunsch, theure Nanny,« versetzte sie. »Man kann nicht erwarten, daß Fremde bei der ersten besten näheren Berührung alle ihre Rückhaltung beseitigen, da unter solchen Umständen der Gebildete und Verständige nur um so mehr auf seiner Hut ist.«

»Ihr sprecht von Fremden, Ma'am?«

»Ich bemerke, daß Ihr Euch des Gesichtes eines unserer Reisegefährten erinnert. Warum schüttelt Ihr den Kopf?« Und das verrätherische Roth überflog abermals Eva's liebliches Antlitz. »Ich glaube, ich hätte von zweien unserer Reisegefährten sprechen sollen; aber ich zweifelte, ob Ihr Euch eines derselben würdet erinnern können.«

»Kein Gentleman spricht je zweimal mit Euch, Miß Eva, ohne daß ich ihn im Gedächtniß behielte.«

»Ich danke Euch, liebe Nanny, denn dies gehört zu den tausend anderen Beweisen Eurer unermüdlichen Theilnahme an meinem Wohl. Ich hätte Euch übrigens nicht für so wachsam gehalten, daß Ihr Euch jedes Gesicht merktet, welches mir zufälligerweise nahe kam.«

»Ach, Miß Eva, ich bin überzeugt, keinem dieser Gentlemen würde es lieb seyn, wenn er mitanhören müßte, daß Ihr in dieser gleichgültigen Weise von ihm sprecht. Beide sind Euch nicht blos ›zufällig nahe gekommen‹; denn was den –«

»Bst, liebe Nanny; wir sind an einem gedrängt vollen Platze und Ihr könntet gehört werden. Ihr müßt deshalb keinen Namen nennen, denn ich glaube, wir verstehen einander, ohne daß wir in alle diese Einzelnheiten eingehen. Es wäre mir übrigens von Interesse, meine theure Nanny, zu erfahren, welcher von diesen jungen Männern auf Euer ehrliches, gewissenhaftes Herz den günstigsten Eindruck geübt hat.«

»Ach, Miß Eva, was gilt auch mein Urtheil in Vergleichung mit dem Eurigen, mit dem von Mr. John Effingham und –«

»Dem meines Vetters Jack? Im Namen aller Wunder, Nanny, was hatte denn er mit der Sache zu schaffen?«

»Nichts, Ma'am. Ich kann nur so viel bemerken, daß er seine Lieblinge hat, so gut als ein Anderer, und glaube wohl sagen zu dürfen, daß auf diesem Schiffe Mr. Dodge nicht am besten bei ihm angeschrieben steht.«

»Ich glaube, Ihr könntet hiezu auch Sir George Templemore zählen,« entgegnete Eva lachend.

Anna Sidley sah ihre junge Gebieterin bedeutsam an und lächelte, ehe sie antwortete; dann aber fuhr sie in der Unterhaltung so natürlich fort, als ob keine Unterbrechung stattgefunden hätte.

»Sehr möglich, Ma'am; auch Mr. Monday können wir beifügen und alle Uebrigen des gleichen Schlages. Aber Ihr bemerkt, wie bald er einen wahren Gentleman zu entdecken weiß; denn er steht auf ganz geselligem, freundschaftlichem Fuße mit Mr. Sharp und Mr. Blunt – namentlich mit dem Letzteren.«

Eva schwieg, denn die unverholene Berührung dieser beiden Namen wollte ihr nicht gefallen, obschon sie sich selbst kaum den Grund anzugeben vermochte.

»Mein Vetter ist ein Weltmann,« nahm sie nach einer Pause wieder auf, als sie bemerkte, daß Nanny sie mit einer Beklommenheit betrachtete, als fürchte sie, zu weit gegangen zu seyn, »und es kann Niemand Wunder nehmen, wenn er seines Gleichen so bald herausfindet. Es ist uns bekannt, daß diese beiden Herren nicht ganz das sind, was sie scheinen, obschon wir auch nichts Unrechtes von ihnen wissen, als vielleicht diese thörichte Veränderung ihrer Namen. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn sie sich unter ihren wahren Bezeichnungen eingeschifft hätten – es würde wenigstens mehr Achtung gegen uns verrathen haben, obschon beide versichern, sie hätten nicht gewußt, daß mein Vater an Bord des Montauk seine Ueberfahrt genommen habe – ein Umstand, welcher wohl wahr seyn kann, denn Ihr wißt, daß die Kajüte, welche wir erhielten, anfänglich von einer andern Gesellschaft gemiethet war.«

»Es sollte mir leid thun, Ma'am, wenn es einer dieser Herren an Achtung fehlen ließ.«

»Es ist nicht sonderlich schmeichelhaft, wenn ein junges Frauenzimmer die unfreiwillige Bewahrerin der Geheimnisse zweier gedankenloser Männer abgeben soll – dies ist Alles, meine gute Nanny. Wir können sie nicht wohl verrathen und sind deßhalb par force ihre Vertrauten. Das Unterhaltlichste dabei ist, daß sie gegenseitig von ihrem Geheimniß unterrichtet sind – zum Theil wenigstens, und in hundert Fällen in eine ganz entzückende Verlegenheit gerathen. Was mich betrifft, so habe ich kein Mitleid mit ihnen, sondern denke, daß sie diese Strafe wohl verdienen. Sie werden von Glück sagen können, wenn ihre Bedienten sie nicht verrathen, noch ehe wir New-York erreichen.«

»Dies fürchte ich nicht Ma'am, denn es sind verständige vorsichtige Leute, und wenn sie Lust zum ausplaudern hätten, so würden sie häufig Gelegenheit dazu gefunden haben; denn Mr. Dodge hat, glaube ich, schon so viele Fragen an sie gestellt, als Sprüche im Catechismus stehen.«

»Mr. Dodge ist ein gemeiner Mensch.«

»In der Bedientenkajüte sind alle dieser Ansicht, und Jedermann ist dort so gegen ihn eingenommen, daß er keine große Aussicht hat, viel zu erfahren. Ich hoffe, Miß Eva, Mammerselle setzt keinen Argwohn in die beiden Gentlemen.«

»Zuverläßig keinen andern, als daß sie unüberlegt gehandelt haben, Nanny, denn Mademoiselle Viefville besitzt einen Verstand und Takt, wie man sie nicht leicht wieder findet.«

»Ich meine nicht eben dies, Ma'am; aber es wäre mir lieb, noch ein Geheimniß mit Euch zu haben, das ganz mir angehörte. Ich ehre und schätze Mammerselle, denn sie hat tausendmal mehr für Euch gethan, als eine arme unwissende Person, wie ich bin, mit allem ihrem Eifer je konnte; aber dennoch glaube ich, Miß Eva, daß ich sogar Euer Schuhband mehr liebe, als sie Eure reine und schöne Seele liebt.«

»Mademoiselle Viefville ist ein vortreffliches Frauenzimmer und, wie ich überzeugt bin, mir aufrichtig zugethan.«

»Es würde schlecht von ihr seyn, wenn es anders wäre. Ihrer Anhänglichkeit an Euch will ich keinen Abbruch thun, sondern blos sagen, daß sie nichts ist, nichts seyn kann und nichts seyn wird in Vergleichung mit der, welche die Person zu Euch trägt, die Euch zuerst in ihren Armen hielt und stets in ihrem Herzen bewahrt. Mammerselle kann in einer Nacht, wie diese ist, schlafen, und dies könnte sie doch wahrhaftig nicht thun, wenn sie so besorgt um Euch wäre, wie ich.«

Eva wußte, daß Eifersucht auf Mademoiselle Viefville Nannys größte Schwäche war; sie zog daher die alte Dienerin an sich, schlang den Arm um ihren Nacken und beklagte sich über Schläfrigkeit. Ans Wachen gewöhnt und in der That außer Stande, zu schlafen, verbrachte nun Nanny eine überglückliche Stunde damit, daß sie ihr Kind, welches buchstäblich an ihrer Brust einschlief, in den Armen hielt; dann schlich sie sich nach ihrer Berth hinunter, legte sich angekleidet darauf nieder und verlor zuletzt das Bewußtseyn ihrer Besorgnisse in einem unruhigen Schlummer.

Am anderen Morgen früh wurden alle Kajüteninsassen durch einen Schrei auf dem Decke geweckt. Es war noch kaum licht, aber eine allgemeine Aufregung bemächtigte sich sämmtlicher Passagiere, und ehe zehn Minuten entwichen waren, erschienen Eva und ihre Gouvernante als Letzte von denen, welche aus ihren Gemächern heraufgeeilt waren, in dem Sturmhäuschen. Es wurden einige Fragen gestellt; aber dann eilten Alle besorgt auf das Deck, denn der Sturm hatte sich in einer Weise gesteigert, welche eine unmittelbare Gefahr befürchten ließ.

Indeß zeigte sich nichts Augenfälliges, was den plötzlichen Schreck zu rechtfertigen im Stande gewesen wäre, obschon der Sturm wo möglich mit gesteigerter Gewalt fortmachte, der Ocean ganze Cataracte niederstürzender Wellen bildete und das Schiff unter einem gerefften Focksegel, der einzigen gesetzten Leinwand, noch immer vor den Wogen dahinschoß. Aber auch das wenige Tuch, welches dem Winde preisgegeben war, reichte zu, um das Schiff mit einer Geschwindigkeit von fast vier Seemeilen in der Stunde durch die tobenden Wellen oder vielmehr in Gesellschaft derselben fortzutreiben.

Kapitän Truck befand sich baarhauptig, so daß jede Locke seines Haars in den Wind hinausflatterte, in dem Besahntackelwerk. Hin und wieder bedeutete er dem Mann am Steuer durch Zeichen, wie er das Ruder stellen solle; denn statt zu schlafen, wie Viele vermuthet, hatte er stundenlang in derselben Lage den Gang des Schiffes beobachtet. Als Eva auf dem Decke erschien, lenkte er eben die Aufmerksamkeit mehrerer Gentlemen nach einem Gegenstande im Sterne; aber wenige Augenblicke reichten zu, um alle Anwesenden vollständig über den Sachbestand zu unterrichten.

Ungefähr eine Kabelslänge entfernt und auf einer der Windvierungen des Montauk taumelte, gleich diesem, ein Schiff vor der Bö, obgleich es mehr Tuch führte, folglich auch schneller durch das Wasser trieb. Das plötzliche Erscheinen dieses Fahrzeugs in dem düsteren Lichte des Morgens, in welchem sich zwar die Gegenstände deutlich, aber doch nicht mit der Bestimmtheit des Tages unterscheiden ließen – der dunkle Rumpf, an dem sich ein schmaler weißer Strich, mit Geschützpforten getüpfelt, hinzog – das schimmernde Hängemattentuch, und alle die übrigen Bedeckungen von dunkel glänzender Leinwand, welche einem Kreuzer das Gepräge der Eleganz und Gemächlichkeit eines Reisewagens verleihen – das Ebenmaß der Spieren und die Zierlichkeit sämmtlicher Linien, des Rumpfes sowohl, als des Tackelwerks – Alles dieß machte Jedem, der etwas von dergleichen Dingen verstand, augenblicklich klar, daß der Fremde ein Kriegsschiff war. Der Belehrung des Augenscheines fügte Kapitän Truck noch die weitere bei, daß sie ihren alten Verfolger, das Foam, in der Nähe hatten.

»Es ist korvettenartig gebaut,« sagte der Meister des Montauk, »und muß mehr Tuch führen, als wir, um den Wellen auszuweichen; denn wenn es einer dieser langen Kerle überholte und seinen Kamm in die Kuhl würfe, erginge es ihm wie einem Matrosen, der am Sonnabend des Guten zuviel genossen hat und durch eine zweite Dosis seine Rechnung mit dem Zahlmeister wohl für immer abschließen könnte.«

Mit dem plötzlichen Erscheinen der Korvette hatte es folgende Bewandtniß. Sie war so lang als möglich beigelegen, zuletzt aber zum Lenssen gezwungen worden, und da sie ein dichtgerefftes Hauptmarssegel führte, so wurde sie um ungefähr zwei Knoten in der Stunde schneller durch das Wasser gedrängt, als das Paketschiff. Sie mußte demselben Kurse folgen und holte daher letzteres ein, als der Tag eben zu grauen begann. Der oben erwähnte Schrei war eine Folge der plötzlichen Entdeckung einer so gefährlichen Nähe, und der Augenblick war jetzt herangekommen, in welchem sie auf das verfolgte Schiff loszustürzen im Begriffe stand. Das Vorbeifahren des Foam bot unter solchen Umständen einen großartigen aber erschütternden Anblick. Der englische Kapitän stand gleichfalls in dem Besahntackelwerk seines Schiffes und wurde von den riesigen Wellen, über die sein Fahrzeug taumelte, hin und hergewiegt. Er hielt ein Sprachrohr in der Hand, als sei ihm selbst in Mitte des furchtbaren Kampfes der Elemente der Auftrag, welcher ihm ertheilt worden, keinen Augenblick aus dem Sinn gekommen. Kapitän Truck rief seinerseits gleichfalls nach einem Sprachrohre und schwenkte es, die Folgen befürchtend, dem Andern zu, damit er sich mehr ferne halte. Die Andeutung wurde entweder nicht verstanden, denn der Kriegsschiffer schien ganz und gar auf seinen Zweck erpicht zu seyn, oder war die See zu unbewältigbar, als daß dem Winke hätte Folge gegeben werden können; genug, die Korvette trieb auf einer Welle in furchtbarer Nähe gegen das Paketschiff heran. Der Engländer setzte sein Sprachrohr an und man hörte seinen Ruf durch das Toben der Winde. Zu gleicher Zeit erhob sich das weiße Feld von Alt Albion mit dem St. Georgs-Kreuz über den Bollwerken, und wie es das Gaffel-Ende erreicht hatte, peitschte das Flaggentuch in Bändern umher.

»Zeigt ihm den Bratroost!« schrie Kapitän Truck durch sein Sprachrohr, dessen Mündung er bordeinwärts gedreht hatte.

Da Alles bereit war, so wurde dieser Befehl augenblicklich befolgt und bald sah man die Streifen Amerikas gleichfalls fast in Fetzen flattern. Die beiden Schiffe liefen nun eine kurze Strecke weit in parallelen Linien und rollten so schwerfällig von einander ab, daß man das blanke Kupfer der Korvette fast bis auf den Kiel sehen konnte. Der Engländer, welcher mit seinem Schiffe verkörpert zu seyn schien, setzte abermals sein Sprachrohr an, und man konnte einzelne Worte zum Beispiel – »Beiliegen,« – »Befehl,« – »Mittheilung,« unterscheiden; aber das Heulen des Sturmes machte das Verständniß des ganzen Zusammenhangs unmöglich. Der Engländer gab jetzt seine Bemühungen, sich Gehör zu verschaffen, auf, denn die beiden Schiffe rollten jetzt gegen einander und es gewann den Anschein, als würden ihre Spieren sich unter einander verfangen. Im Nu hatte Mr. Leach seine Hand an der Hauptbrasse, um sie loszulassen; aber das Foam stürzte auf einer Welle, gleich einem Pferd, das den Sporn fühlt, dahin und schoß, keinem Steuer mehr gehorchend, vorwärts, als sei es im Begriffe das Reitknie des Montauk zu kreuzen.

Es folgte ein athemloser Augenblick, denn alle an Bord der beiden Schiffe glaubten jetzt, daß ein Zusammenprallen unvermeidlich sey – um so mehr, weil der Montauk den Einfluß der Welle in demselben Momente verspürte, als ihre Wirkung für das Foam aufgehört hatte; es gewann den Anschein, als wolle er sich unmittelbar in den Stern des letzteren stürzen. Sogar die Matrosen klammerten sich convulsivisch an den Tauen an, und selbst die Kühnsten hielten für eine Weile ihren Athem zurück. Die Rufe, »Backbord, hart Backbord, und gesegen's euch der Teufel!« von Seiten des Kapitän Truck, wie auch – »Steuerbord, hart Steuerbord!« von Seiten des Engländers konnten von Allen in den beiden Schiffen deutlich vernommen werden, denn es war ein Augenblick, in welchem das Schreien eines Matrosen das Getöse des Sturmes zu übertäuben im Stande ist. Die Schiffe schienen erschreckt zurückzuweichen und schossen dann unter einem Winkel auseinander, das Foam voran. Alle weiteren Versuche einer Mittheilung waren vorderhand nutzlos, denn im Laufe einer Viertelstunde hatte sich die Korvette schon ziemlich entfernt und rollte weiter, ihre Nocken fast ins Wasser tauchend.

Kapitän Truck machte über dieses Abenteuer gegen seine Passagiere wenig Worte; sobald er aber eine Cigarre angezündet hatte und die Sache mit seinem Hauptmaten besprach, sagte er zu dem Letzteren:

»Vor einer Minute noch hätte ich keinen Schiffszwieback für beide Schiffe und nicht viel mehr für ihre Ladungen gegeben. Man muß doch sehr gleichgültig gegen seine Nebenmenschen seyn, wenn man ihre Seelen und ihre Leiber obendrein wegen ein Bischen Taback in so große Gefahr bringt!«

Den ganzen Tag über blies der Sturm wüthend fort, denn das Schiff lief in die Bö – eine Erscheinung, die wir erklären müssen, da sie den meisten unserer Leser wahrscheinlich unverständlich ist. Alle Stürme beginnen im Lee, oder mit andern Worten, der Wind wird an irgend einer bestimmten Stelle zuerst verspürt und später, je weiter man von derselben zurückweicht, in der Richtung empfunden, aus welcher der Wind bläst. Am stärksten ist er stets in der Nähe seines Anfangspunktes, während er sich im Zurückweichen augenscheinlich vermindert. Dies ist daher ein Grund mehr, das Beiliegen dem Lenssen vorzuziehen, denn letzteres führt nicht nur zu weit vom wahren Kurs ab, sondern auch näher nach dem Schauplatz, wo die Elemente in ihrer größten Wuth toben.


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