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Achtes Kapitel.

Just dann sind wir am besten in der Ordnung,
Wenn wir am meisten aus der Ordnung sind.

Hans Cade.

 

Da es Mr. Dodge nicht gelungen war, durch seine Drohung mit der Mißbilligung des Volkes den Kapitän einzuschüchtern, so kehrte er auf das Deck zurück, um daselbst sein geheimes Werk zu verfolgen; denn gleich einem ächten Freiheitsmanne von der ausschließlichen Schule, wagte er es nie, offen thätig zu seyn, wenn er nicht durch eine augenfällige Mehrheit unterstützt wurde. Er suchte daher seine ganze Umgebung für sich zu gewinnen und gab sich alle Mühe, für seine Ansicht von der Sache eine öffentliche Meinung, wie er es nannte, zu schaffen, indem er seine Zuhörer beredete, daß sie bereits so dächten, wie er – eine Aufregungsmethode, die bei den Parteigängern seiner Schule sehr beliebt ist. Inzwischen arbeitete Kapitän Truck in seinem Staatsgemache die Tagesgissung allein aus, ohne sich um andere Dinge, als um die Ergebnisse seiner Zahlen zu kümmern, welche ihn bald belehrten, daß sein Schiff, wenn er einige Stunden länger seinen gegenwärtigen Curs verfolgte, irgendwo zwischen Falmouth und dem Lizard auf den Strand laufen mußte. Diese Entdeckung war dem würdigen Kapitän wegen der Andeutungen seines letzten Besuchs um so verdrießlicher, da ihm nichts Widerlicheres begegnen konnte, als wenn er sich den Anschein geben mußte, als ändere er auf eine Drohung hin seinen Entschluß. Indeß mußte doch vor Mitternacht etwas geschehen, denn er bemerkte deutlich, daß sich der Montauk nur noch zehn oder höchstens sechzehn Seemeilen weit auf seinem gegenwärtigen Curse halten konnte. Die Passagiere hatten das Deck verlassen, um sich der Nachtluft zu entziehen, und er hörte, wie die Effinghams Mr. Sharp und Mr. Blunt nach der ausdrücklich von ihnen gemietheten Damenkajüte einluden, während die Anderen draußen am Speisetisch nach den gewöhnlichen Rationen warmen Getränkes riefen. Das Sprechen und das Getöse störte ihn; da ihm außerdem sein eigenes Staatsgemach zu dumpf geworden war, so begab er sich auf das Deck, um dort Angesichts des zürnend aussehenden Himmels und der weiten Wasserfläche, die er zu meistern berufen war, zu einer Entscheidung zu kommen. Hier lassen wir ihn allein – und in zu verdrießlicher Stimmung, um auch nur zu rauchen, – auf dem Halbdecke hin und her gehen, während mittlerweile der Mate im Besahntakelwerk gleich einem Affen auf der Lauer sitzt und windwärts und nach Vorne Auslug hält. Wir kehren nach der Kajüte der Effinghams zurück.

Der Montauk war eines der edelsten von jenen überraschend schönen yachtartig gebauten Schiffen, die nun so zahlreich zwischen den beiden Hemisphären hin und her gehen und in denen der Luxus mit passender Bequemlichkeit um die Oberhand wetteifert. Die Kajüten waren mit Atlasholz und Maser-Ahorn bekleidet; kleine Marmorsäulen trennten die polirten Fourniere, und reiche Teppiche bedeckten den Boden. In der Mitte der Hauptkajüte war der große Tisch festgemacht; in der jedoch, welche von Eva bewohnt wurde, und etwas kürzer, aber eben so breit war, befand sich durchaus keine derartige Belästigung, obschon sie mit Sophas, Polstern, Spiegeln, Schemeln, Seitentischen und einem aufrechten Piano ausgestattet war. Die Thüren zu den Staatsgemächern und anderen Bequemlichkeitsräumen waren an den Seiten und Enden angebracht – kurz die Damenkajüte hatte zu jener Stunde eher das Aussehen eines geschmackvollen Boudoirs, als das eines Gelasses in einem beengten gewöhnlichen Schiffe.

Hier war nun Alles, was ein Anrecht an diesen Platz hatte, nebst Mr. Sharp und Mr. Blunt, welche eingeladen worden, versammelt, als mit einemmale ein Pochen an der Thür einen weiteren Gast verkündigte. Mr. Dodge bat um Einlaß, weil er einen wichtigen Gegenstand zur Sprache zu bringen habe. Eva lächelte, als sie der alten Nanny, welche das Amt der Ceremonienmeisterin versah, ihre Zustimmung zunickte, und drückte hastig ihre Vermuthung aus, der Besuch komme wahrscheinlich in der Absicht, den Vorschlag zu Bildung einer Dorcas-Gesellschaft zu machen.

Obgleich Mr. Dodge so kühn war, wie Cäsar, wenn es galt seine Verachtung gegen irgend etwas auszudrücken, was der Volksherrschaft zuwider war, so kam er doch nie in die Gesellschaft ruhiger gebildeter Personen, ohne Mißtrauen und Unruhe zu empfinden – eine Thatsache, welche in dem einfachen Umstande ihren Grund hatte, daß er nicht an den Umgang mit denselben gewöhnt war. In der That wird ein gemeiner eitler Sinn durch nichts mehr eingeschüchtert, als durch die Einfachheit und die natürliche Gelassenheit einer guten Erziehung; denn seine Begriffe von Eleganz sind so oberflächlich, daß er anfangs einen Hinterhalt zu wittern scheint und vielleicht für aufdringlich gehalten zu werden fürchtet, weil er so viel Ruhe findet, wo seinen vorgefaßten Meinungen gemäß Alles Prunk und Getümmel seyn sollte. Mr. Effingham empfing den Besuch mit einer Höflichkeit, in der sich ein wenig mehr als gewöhnliche Förmlichkeit ausdrückte, um ihm bemerklich zu machen, daß er sich in einem Privatgemach befinde – eine Vorsichtsmaaßregel, die, wie der Gentleman wohl wußte, sehr nöthig war, so bald man mit Leuten von Steadfasts Character zu thun hatte. Indeß ging all dies an Mr. Dodge verloren, obgleich alle anderen Anwesenden den Takt zu bewundern Gelegenheit fanden, mit welchem der Wirth seinen Gast durch außerordentliche Aufmerksamkeit in gebührender Entfernung zu halten suchte; denn Letzterer meinte, die Umstände, die man mit ihm machte, seyen nur eine Huldigung, auf die er von Rechts wegen Anspruch machen könne. Indeß wurde doch so viel erzielt, daß er seine Befangenheit verlor und sich der unfeinen Weise entschlug, mit welcher er sein Thema zur Sprache zu bringen gedachte. Da sich jedermann stumm verhielt, um den Grund dieses Besuchs zu erfahren, so fühlte sich Mr. Dodge genöthigt, wenigstens Etwas zu sagen, wenn seine Worte auch weniger klar ausfielen, als er vielleicht wünschen mochte.

»Wir haben seit unserer Ausfahrt von Portsmouth eine considerabel angenehme Zeit gehabt, Miß Effingham,« bemerkte er vertraulich.

Eva nickte eine Bejahung, ohne einen Besuch auf sich beziehen zu wollen, der mit ihren Gewohnheiten und ihren Begriffen von Anstand so sehr in Widerspruch kam. Doch Mr. Dodge war zu stumpfsinnig, um den Wink zu verstehen, der in ihrer Zurückhaltung lag.

»Freilich muß ich zugeben,« fuhr er fort »daß sie noch angenehmer hätte seyn können, wenn sichs diese Kriegsschaluppe nicht in den Kopf gesetzt hätte, uns in dieser beispiellosen Weise zu folgen.« Mr. Dodge war nemlich ein eben so großer Freund seines Wörterbuchs, als der Steward, obschon er zu der politischen, Saunders aber blos zu der höflichen Schule der Wortführer gehörte. »Sir George nennt es eine höchst uncomfortable Procedur, und Ihr kennt ohne Zweifel Sir George Templemore, Miß Effingham?«

»Ich habe gehört, daß sich eine Person dieses Namens an Bord befinde, Sir,« entgegnete Eva betroffen über diese Vertraulichkeit, und die Empfindlichkeit an den Tag legend, mit welcher eine gebildete Dame diejenigen, welche ihren Character verstehen, von denen, bei welchen dies nicht der Fall ist, zu unterscheiden wissen, »kann mich aber nicht der Ehre seiner Bekanntschaft rühmen.«

Mr. Dodge fand dieß verwundersam, denn er war ja Zeuge gewesen, wie Kapitän Truck seinen Zimmergefährten vorgestellt, und begriff nicht, wie Leute, die sich vier und zwanzig Stunden in demselben Schiffe aufgehalten hatten und sich gegenseitig bei Namen kannten, noch nicht auf dem Fuße der Vertraulichkeit stehen sollten. Er selbst meinte »wohlbekannt« mit den Effinghams zu seyn, weil er schon ohne Sachkenntniß und mit nicht wenig Bosheit sich über sie ausgelassen hatte – eine Freiheit, zu der er sich vollkommen durch den Umstand berechtigt fühlte, daß er mit ihnen in der gleichen County wohnte, obschon er nie mit irgend einem Familiengliede auch nur ein Wort gesprochen, bis der Zufall ihn an Bord desselben Schiffes in ihre Gesellschaft führte.

»Sir George ist ein Mann von trefflichen Eigenschaften, Miß Effingham, kann ich Euch versichern – ein Mann von unqualifizirten Verdiensten. Wir bewohnen dasselbe Staatsgemach, denn ich bin ein Freund von Geselligkeit und plaudere lieber ein wenig in meinem Berth, als daß ich immer schlafe. Vermuthlich wißt Ihr, daß er ein Baronet ist – nicht daß ich mir auch nur das Mindeste aus Titeln machte, denn die Menschen sind in Wahrheit alle gleich, obschon – obschon – –«

»– ungleich in der Wirklichkeit, Sir, wolltet Ihr vermuthlich beifügen,« bemerkte John Effingham, der an Eva's Arbeitstischchen lehnte und in seinem adlerartigen Gesicht die Verachtung ausdrückte, welche zu verhehlen er kaum für der Mühe werth hielt.

»Gewiß nicht, Sir!« rief der erschrockene Steadfast, indem er sich verstohlen umschaute, ob nicht irgend ein ränkesüchtiger Feind vorhanden sey, der diese unglückliche Bemerkung zu seinem Nachtheile deuten könnte. »Gewiß nicht! Die Menschen sind unter allen Umständen gleich und Niemand darf sich anmaßen, besser seyn zu wollen, als ein Anderer. Nein, nein – ich mache mir nichts daraus, daß Sir George ein Baronet ist, obschon man in den gleichen vier Wänden lieber mit einem Gentleman, als mit einem rohen Menschen zu thun hat. Sir George ist der Ansicht, Sir, das Schiff laufe große Gefahr, wenn es in so dunkler Nacht und bei so schmutzigem Wetter landeinwärts steure. Ich muß zugeben, Sir George bedient sich für einen Mann von seinem Range vieler ungewöhnlicher Ausdrücke; so nennt er zum Beispiel das Wetter schmutzig und die Procedur uncomfortabel – Ausdrucksweisen, Gentlemen, denen ich durchaus eine unqualifizirte Mißbilligung zu Theil werden lassen muß.«

»Wahrscheinlich würde Sir George einer qualifizirten Mißbilligung mehr Bedeutung beilegen,« entgegnete John Effingham.

»Wohl möglich,« erwiederte Mr. Dodge unschuldig, obgleich sich an den beiden andern Gästen, wie auch an Eva und Mademoiselle Viefville ein leichtes Muskelzucken um die Lippen bemerken ließ; »Sir George ist ein eigentliches Original in seiner Weise. Ihr wißt, Mr. John Effingham, in unserer Gegend haben wir nur wenig Originale; denn, die Wahrheit zu sagen, man macht sich etwas unpopulär, wenn man sich vor Andern in diesem oder jenem Betracht auszeichnen will. Ja, Sir, das Volk will herrschen und soll auch herrschen. Dennoch glaube ich, Sir George könnte als Fremder gut genug unter uns fortkommen, denn einem Fremden nimmt man die Originalität nicht so übel, wie einem Eingeborenen. Ich glaube, Ihr werdet mit mir in der Ueberzeugung einverstanden seyn, Sir, daß es von einem Amerikaner äußerst anmaßend seyn würde, wenn er sich vor seinen Mitbürgern auszeichnen wollte.«

»Ich bin überzeugt, Sir, an Eurer Stelle könnte sich Niemand einer solchen Anmaßung unterfangen.«

»Nein, Sir; auch spreche ich nicht von persönlichen Beweggründen, sondern von großen, allgemeinen Grundsätzen, die zum Besten der Menschheit aufrecht erhalten werden müssen. Ich wüßte nicht, daß irgend ein Mensch in einem freien Lande das Recht hätte, etwas Apartes seyn zu wollen. Es riecht nach Aristokratie und sieht danach aus, als meine Einer besser zu seyn, als ein Anderer. Gewiß könnte Mr. Effingham etwas der Art nicht billigen?«

»Vielleicht nicht. Die Freiheit hat viele willkührliche Gesetze, und es ist nicht gerathen, sie zu übertreten.«

»Vollkommen richtig, Sir, denn wie stände es sonst mit ihrer Oberherrlichkeit? Wenn das Volk die Sonderlinge oder überhaupt Alles, was ihm mißfällt, nicht im Zaume halten und darauf niederschauen könnte, so käme es zuletzt auf Eins heraus, ohne Weiteres unter der Herrschaft eines Despoten zu leben.«

»Da ich mich in den letzten Jahren viel auf Reisen befand, Mr. Dodge,« ergriff Eva das Wort, denn sie besorgte aus den drohenden Blicken ihres Vetters, er möchte dem Sprecher einen Hieb versetzen, welchem derselbe nicht weiter Stand halten würde, und doch hätte sie sich gar zu gerne noch eine Weile an Mr. Dodge's Philosophie erbaut, sintemal die Neugier über den Widerwillen, welchen sie anfangs empfunden, bereits den Sieg davon getragen hatte – »so werdet Ihr wohl so gütig seyn, mir einige von den großen Grundsätzen der Freiheit mitzutheilen, von denen ich so viel höre; denn ich fürchte, ich bin in dieser Hinsicht von meinen europäischen Erziehern ein wenig verwahrlost worden.«

Mademoiselle Viefville machte ein ernstes Gesicht, die Herren Sharp und Blunt waren innerlich vergnügt, und Mr. Dodge blickte verlegen vor sich hin.

»Ich würde mich nur dürftig der Aufgabe gewachsen fühlen, Miß Effingham über einen derartigen Gegenstand zu belehren,« versetzte Letzterer bescheiden, »da sie ohne Zweifel unter den Nationen, die sie besuchte, zu viel Elend gesehen hat, um nicht gebührend alle Vorzüge jenes glücklichen Landes würdigen zu können, welches die Ehre hat, sie unter ihre schönen Töchter zu zählen.«

Eva erschrack über ihre eigene Dreistigkeit, denn sie hatte als Erwiederung auf ihr einfaches Gesuch nicht entfernt auf einen so hohen Flug von Beredsamkeit gerechnet; aber der Rücktritt war zu spät.

»Keiner von den vielen ausgezeichneten und göttlichen Männern, welche unser theures Vaterland hervorbrachte,« fuhr er fort, »kann sich eines größern Eifers für die Sache der Freiheit rühmen, als ich selbst, obschon ich fürchte, daß meine Fähigkeiten viel zu unbedeutend sind, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ihr wißt, Miß Effingham, so gut, als diese Herren hier, daß die Freiheit ein Gut ist, welches unsere unqualifizirte Anerkennung verdient und uns aufruft, den tapferen Männern täglich und stündlich zu danken, welche, als die Tage der Heimsuchung die Seelen bedrängten, im Feldlager wie in den Rathsversammlungen der Nation vorne standen.«

John Effingham warf Eva einen Blick zu, welcher ihr zu bedeuten schien, daß sie der unternommenen Aufgabe nicht gewachsen sey, zugleich aber ihr Beistand versprach, im Falle sie denselben wünschen sollte – eine Bedingung, auf welche die junge Dame in derselben stummen, aber ausdrucksvollen Weise mit Freuden einging.

»Alles dies ist meinem jungen Bäschen gebührendermaßen bewußt, Mr. Dodge,« sagte er, um der Sache eine andere Wendung zu geben, »obschon sie – und ich muß gestehen, daß es mir ebenso ergeht, – nicht ganz klar erfassen kann, was unter der Freiheit verstanden wird, über die man in unseren Tagen so viel spricht und schreibt. Erlaubt mir die Frage, ob Ihr mit dem Ausdrucke den Begriff von einer vollkommenen Unabhängigkeit des Denkens, des Handelns und der Rechte verbindet?«

»Gleiche Gesetze, gleiche Rechte, Gleichheit in jedem Betracht, und reine, abstrakte, unqualifizirte Freiheit ohne alle Frage, Sir.«

»Wie – die Macht des Starken, den Schwachen zu schlagen und ihm das Brod vor dem Munde wegzunehmen?«

»Keineswegs, Sir; der Himmel verhüte, daß ich einer solchen Lehre das Wort rede! Der Begriff umfaßt vollkommene Freiheit – keine Könige, keine Aristokraten, keine ausschließlichen Vorrechte – kurz, ein Mensch ist so gut wie der andere.«

»Ihr seyd also der Ansicht, unter Eurem System sey ein Mensch so gut wie der andere, Mr. Dodge?«

»Der unqualifizirten Ansicht, Sir; ich bin erstaunt, wie ein Gentleman von Eurer Bildung in einem Zeitalter, wie das unsrige, eine derartige Frage stellen kann.«

»Wenn der Eine so gut ist, wie der Andere,« ergriff Mr. Blunt das Wort, welcher bemerkte, daß John Effingham sich auf die Lippe biß und damit andeutete, daß etwas Beißendes folgen werde – »so habt Ihr wohl die Güte, mir zu sagen, warum sich das Land bei den jährlichen Wahlen so viele Mühe gibt und so großen Aufwand macht?«

»Ihr sprecht von den Wahlen, Sir? In welcher Weise könnten freie Institutionen gedeihen oder gehandhabt werden, ohne daß man sich beständig an das Volk beriefe – an diese einzig wahre Quelle der Gewalt?«

»Ich habe hiegegen nichts einzuwenden, Mr. Dodge,« entgegnete der junge Mann lächelnd; »aber wozu eine Wahl? Wenn ein Mann so gut ist, wie der andere, so wäre ja eine Lotterie weit wohlfeiler, weit leichter und die Sache viel bälder abgemacht. Wozu eine Wahl – oder im Grunde auch eine Lotterie? Man könnte ja den Präsidenten in der Weise wählen, welche die Perser bei ihrem König in Anwendung brachten – durch das Wiehern eines Pferdes.«

»Das wäre in der That eine außerordentliche Verfahrensmethode für ein einsichtsvolles und tugendhaftes Volk, Mr. Blunt; ich muß mir daher die Freiheit nehmen, zu bemerken, daß Ihr Euch wahrscheinlich nur einen Scherz belieben ließet. Wenn Ihr eine Antwort wünscht, so sollt Ihr sie unumwunden haben – durch einen derartigen Proceß könnten wir einen Schurken, einen Dummkopf oder einen Verräther zum Präsidenten erhalten.«

»Wie, Mr. Dodge? Ich hätte nicht von Euch erwartet, daß Ihr dem Lande ein solches Zeugniß beilegtet. Sind die Amerikaner also lauter Dummköpfe, Schurken oder Verräther?«

»Wenn Ihr viel in unsrem Lande zu reisen gedenkt, Sir, so möchte ich Euch rathen, Euch mit derartigen Aeußerungen sehr in Acht zu nehmen, denn sie sind geeignet, Euch eine sehr allgemeine und unqualifizirte Mißbilligung zuzuziehen. Die Amerikaner sind aufgeklärt und frei, so daß ich wohl sagen kann, kein Volk auf Erden verdiene weniger die von Euch genannten Beiwörter.«

»Und doch folgt das Factum aus Eurer eigenen Theorie. Wenn ein Mensch so gut ist, wie der andere, und man trifft nur auf einen einzigen Dummkopf, Schurken oder Verräther, so müssen natürlich Alle Dummköpfe, Schurken oder Verräther seyn. Die Anschuldigung rührt nicht von mir her, sondern folgt, wie ich glaube, unvermeidlich aus Eurem eigenen Satze.«

Während der Pause, die nun folgte, bemerkte Mr. Sharp im flüsternden Tone gegen Eva:

»Er ist am Ende doch ein Engländer.«

»Mr. Dodge will nicht sagen, daß in diesem besondern Sinne ein Mensch so gut sey wie der andere,« vermittelte Mr. Effingham freundlich in seiner Eigenschaft als Wirth, »und ich vermuthe, daß seine Ansichten weniger allgemein sind, als anfänglich aus seinen Worten hervorgehen mochte.«

»Ganz richtig, Mr. Effingham – ganz richtig, Sir. In diesem besondern Sinne oder im Sinne der Wahlen ist nicht ein Mensch wie der andere; aber der Satz findet auf alle übrigen Beziehungen seine Anwendung. Ja, Sir,« fuhr er wieder gegen Mr. Blunt in der Weise eines Mannes fort, der, nachdem er einen Fehlschluß begangen, nur Athem holen will, um seinen Gegner wieder anzugreifen; »in jedem weiteren Betracht ist ein Mensch unqualifizirt so gut wie der andere. Einer hat dasselbe Recht wie der Andere.«

»Der Sklave ebensogut wie der freie Mann?«

»Die Sklaven bilden Ausnahmen, Sir. Aber in den freien Staaten ist, die Wahlfälle ausgenommen, in allen Dingen ein Mensch so gut wie der andere. Dies ist unsere Meinung, und jeder andere Grundsatz würde unqualifizirt unpopulär seyn.«

»Kann einer so gut einen Schuh machen, wie der andere?«

»Die Rede ist von den Rechten, Sir – ich bleibe bei den Rechten, wenn Ihr Euch gefälligst daran erinnern wollt.«

»Hat der Minderjährige dieselben Rechte wie der volljährige Mann – der Lehrling wie der Meister – der Landstreicher wie der Seßhafte – der Zahlungsunfähige wie derjenige, der seinen Verpflichtungen nachkommen kann?«

»Nein, Sir, in diesem Sinne meine ich's nicht. Ich fürchte, Ihr versteht mich nicht, Sir. Ich will weiter nicht sagen, als daß in besonderen Dingen ein Mann so gut ist, wie der andere. Dies ist ein amerikanischer Grundsatz, obschon sich's vielleicht unter den Engländern anders verhält, und ich schmeichle mir, daß er die Probe der strengsten Nachforschung bestehen wird.«

»Ihr werdet mir wohl die Frage zu gut halten, wo denn diese Rechtsgleichheit in besonderen Dingen nicht stattfinde. Wenn Ihr sagen wollt, es gebe in Amerika weniger Vorrechte, die von den Zufälligkeiten der Geburt, des Vermögens oder der Stellung abhängen, so sind wir einverstanden; Ihr werdet übrigens kaum behaupten wollen, daß dergleichen Vorrechte oder Privilegien gar nicht vorhanden seyen.«

»Privilegien, die in Amerika der Geburt zugestanden sind, Sir? Schon der Gedanke wäre dem Volke ein Dorn im Auge.«

»Erben nicht die Kinder das Eigenthum der Väter?«

»Zuverlässig; aber dies kann wohl kaum ein Privilegium genannt werden.«

»Na, dies ist Geschmackssache. Ich für meine Person würde es für ein weit größeres Privilegium halten, als wenn ich einen Titel ohne das Vermögen zu erben hätte.«

»Ich bemerke, Gentleman, daß wir einander nicht vollkommen verstehen, und muß daher die Verhandlung auf eine günstigere Gelegenheit verschieben, denn ich gestehe, daß ich sehr unruhig bin über den Entschluß des Kapitäns, durch die Felsen der Scylla steuren zu wollen.« (Mr. Dodge war in Folge der eben stattgefundenen Controverse nicht so klar im Kopfe, als gewöhnlich.) »Ich fordre Euch heraus, Gentleman, das Thema ein andermal wieder aufzunehmen. Es ist mir nur zufällig angekommen,« (eine abermalige Eigenthümlichkeit in der Ausdrucksweise dieses Gentleman) »einen ersten Besuch zu machen, denn ich vermuthe, auf einem amerikanischen Schiffe findet keine Ausschließung statt?«

»Durchaus nicht, Sir,« entgegnete Mr. John Effingham kalt. »Alle die Staatsgemächer sind Gemeingut, und ich gedenke bei erster Gelegenheit dieses Compliment zu erwiedern, indem ich mich in dem Raume heimisch mache, welcher die Ehre hat, Mr. Dodge und Sir George Templemore zu beherbergen.«

Jetzt trat Mr. Dodge den Rückzug an, ohne überhaupt auf den eigentlichen Grund seines Besuchs einzugehen. Statt übrigens seinen Zweck unter den übrigen Reisenden zu verfolgen, machte er sich mit ein paar gleichgesinnten Geistern, welche es sehr übel genommen hatten, daß die Effinghams sich erdreisteten, sich in ihre Kajüte zurückzuziehen, und namentlich die außerordentliche aristokratische Vermessenheit hatten, die Thüre zu schließen – in eine Ecke, um ihren gierigen Ohren die Geschichte des kürzlichen Gesprächs zu vertrauen, in welchem er, seiner eigenen Darstellung der Sache zufolge, den »jungen Pilz Blunt,« einen Menschen, von dem man eigentlich gar nichts wisse, tüchtig heimgeschickt hatte. Dann ging er auf verschiedene Anekdoten von der Familie Effingham über, wie sie nur die gemeinste und niedrigste Klatschsucht roher Bosheit eingeben konnte, und trug zum Schluß seine eigenen hohlen und wirren Begriffe von persönlichen und dinglichen Rechten vor.

Ganz anders gestaltete sich nach dem willkommenen Verschwinden des ungebetenen Gastes die Unterhaltung in der Damencajüte. Ueber Mr. Dodges Aufdringlichkeit oder seine thörichten Reden fiel keinerlei Bemerkung; denn sogar John Effingham, so wenig er sonst zur Nachsicht geneigt war, fühlte sich zu stolz, um seinen Athem an ein so gemeines Wild zu verschwenden, und besaß zu gute Bildung, um sich über einen Mann auszulassen, der ihm eben erst den Rücken gekehrt hatte. Indeß wurde doch der Gegenstand weiter verhandelt, und zwar in einer Weise, welche der Erziehung, dem Verstande und den Ansichten der verschiedenen Sprecher angemessen war.

Eva verhielt sich meist schweigsam, indem sie es nur hin und wieder wagte, eine Frage zu stellen. Dagegen führten Mr. Sharp und Mr. Blunt vorzugsweise das Gespräch fort, während der Vater der jungen Dame gelegentlich eine ruhige, vorsichtige Bemerkung einwarf und John Effingham bisweilen eine Spottrede fallen ließ. Mr. Blunt brachte zwar seine Ansichten nur schüchtern und mit gebührender Achtung vor der größeren Erfahrung der beiden älteren Gentlemen vor, zeigte aber doch bald seine Ueberlegenheit, denn es stellte sich heraus, daß sie einen Gegenstand verhandelten, über den er augenscheinlich viel und noch obendrein mit ungewöhnlicher Schärfe und Selbstständigkeit nachgedacht hatte.

Er deutete auf die Irrthümer hin, die man gewöhnlich in Beurtheilung der Unions-Institutionen begeht, indem man die Früchte des Gesammt-Gouvernements mit denen der einzelnen Staatenregierungen verwechselt, und wies klärlich nach, daß die Conföderation an sich in Wahrheit durchaus keinen maßgebenden Character besitze, ob sichs nun um die Frage für oder gegen die Freiheit handle. Sie sei ein Staatenbund und trage das Gepräge ihrer verschiedenen Bestandtheile, welche für sich an keine bestimmten Grundsätze gebunden seyen, mit Ausnahme der einzigen allgemeinen Clausel, daß sie Republiken seyn müßten – eine Clausel, die, so weit die wahre Freiheit in Frage komme, alles oder nichts sage, weil jeder Staat für sich selbst entscheiden könne.

»Man muß daher den Character des amerikanischen Gouvernements in dem der Staatenregierungen suchen,« schloß er, »und diese wechseln mit ihrer gegenseitigen Politik. Daher kömmt es auch, daß Staaten, welche die Hälfte ihrer Bevölkerung in den Banden der Sklaverei erhalten, mit anderen von höchst demokratischen Institutionen in die gleichen politischen Fasces eingebunden sind. Das Gesammt-Gouvernement verbürgt weder die Freiheit der Rede, noch die des Gewissens oder des Handelns – überhaupt gar nichts, als die Sicherung ihrer Immunität – eine Vorsorge, welche ganz unnöthig ist, da es blos als eine Regierung, aus delegirten Gewalten gebildet, dasteht und durchaus nicht ermächtigt ist, seinen eigenen Interessen Nachdruck zu geben.«

»In Europa betrachtet man die Sachlage ganz anders,« entgegnete Mr. Sharp. »Ich bemerke, daß ich so glücklich war, in die Gesellschaft eines Amerikaners, wo nicht gar eines amerikanischen Rechtsgelehrten zu kommen, der im Stande ist, mich über diese interessanten Punkte zu belehren; Ihr werdet mir daher hoffentlich gestatten, während der müßigen Augenblicke, an denen es auf unsrer Fahrt nicht fehlen wird, von Euren Kenntnissen Vortheil zu ziehen.«

Der Andere erröthete und nahm die Artigkeit mit einer Verbeugung hin, zögerte aber, ehe er antwortete.

»Wie ich bereits zu bemerken Gelegenheit fand,« entgegnete er endlich, »ist es nicht unbedingt nöthig, ein Amerikaner von Geburt zu seyn, um die Institutionen des Landes zu verstehen, und ich könnte leicht zu irrigen Vorstellungen Anlaß bieten, wenn Ihr Euch der Meinung hingeben wolltet, daß Ihr von einem Eingeborenen belehrt wurdet. Uebrigens bin ich doch, wenn auch nicht im Lande geboren, so doch oft in Amerika gewesen, und wenige junge Männer der alten Welt haben Allem, was die neue betrifft, so angelegentliche Aufmerksamkeit geweiht, als ich.«

»Ich lebte bereits der Hoffnung, wir hätten die Ehre, Euch unter unsere Landsleute zählen zu können,« bemerkte John Effingham mit augenscheinlichem Mißvergnügen. »So viele junge Männer bringen von ihren Reisen die Liebhaberei mit sich, die Vorzüge des Auslands, von denen sie nichts verstehen, zu bekritteln, oder in ächt servilem Geiste alles Gute nur dem eigenen Lande zuzugestehen; ich schmeichelte mir daher bereits, endlich doch eine Ausnahme gefunden zu haben.«

Auch Eva fühlte ein Bedauern, obschon sie sich kaum den Grund zugestehen mochte.

»So ist er am Ende doch ein Engländer,« bemerkte Mr. Sharp abermals bei Seite gegen Eva.

»Warum nicht ein Deutscher – ein Schweizer – oder auch ein Russe?«

»Sein Englisch ist ohne Tadel; kein Continentale könnte so fließend, so ganz ohne Accent, so leicht und in so gewählter Wortstellung sprechen. Wie Mademoiselle Viefville sagt, man merkt ihm die Grammatik zu wenig an, als daß wir ihn für einen Ausländer halten könnten.«

Eva schwieg, denn sie machte sich Gedanken über die auffallende Weise, wie eine so seltsam begonnene Unterhaltung zur Erörterung eines Punktes geführt hatte, über den sie sich so oft mit Zweifeln getragen. Wohl schon zwanzig Mal war sie mit sich einig geworden, der junge Mann, den sie füglich weder einen Fremden, noch einen Bekannten nennen konnte, sey ein Landsmann, und eben so oft hatte sie Anlaß gefunden, ihre Meinung wieder zu ändern. Sie glaubte, er habe sich jetzt bestimmt genug ausgedrückt, und sie müsse ihn für einen Europäer nehmen, obschon sie noch immer nicht geneigt war, ihn für einen Engländer zu halten. Für die letztere Ansicht hatte sie Gründe, welche sie einem Eingeborenen der eben erst verlassenen Insel nicht kund thun mochte, und dieß veranlaßte sie, die Sache gegen Mr. Sharp nicht weiter zu berühren.

Diesem Gespräche folgte eine musikalische Unterhaltung, denn Eva hatte die Vorsorge getroffen, ihr Piano vor der Ausfahrt stimmen zu lassen – eine Maßregel, welche wir Allen empfehlen möchten, welche nicht blos an dem Aeußern des Instruments eine Freude haben, sondern auch auf ihre Ohren Rücksicht nehmen wollen. John Effingham spielte vortrefflich die Violine, und nach angestellten Erkundigungen zeigte sich's, daß die beiden jüngeren Gentlemen auf der Flöte, dem Flageolett und einigen andern Blasinstrumenten große Fertigkeit besaßen. Wir überlassen es ihnen, den Compositionen Beethovens, Rossinis und Meyerbeers Ehre zu machen, und bemerken nur noch, daß Mr. Dodge nicht ermangelte, in der äußeren Kajüte über die affektirte Musik, die durchaus der Beachtung unwürdig sey, zu spötteln; jetzt aber müssen wir die Gesellschaft des besorgten Kapitäns auf dem Decke aufsuchen.

Kapitän Truck war im Laufe des ganzen Abends allein und verstimmt auf dem Decke hin und her geschritten; auch schien er erst zum Bewußtsein seiner selbst zu kommen, als um Glock acht der Ablösungsmann auf dem Wege nach seinem Steuerrade an ihm vorbeikam. Er fragte nach der Zeit, stieg dann mit einem Nachtglas in das Besahntackelwerk und bestrich den Horizont, um das Foam aufzusuchen. Aber es ließ sich nichts entdecken, denn die Dunkelheit hatte sich so dicht auf dem Wasser gelagert, daß der Gesichtskreis auf sehr enge Grenzen beschränkt blieb.

»So kann's gehen,« murmelte er vor sich hin, während er sich an einem Tau niederließ und wieder auf die Planken des Deckes sprang.

Mr. Leach wurde herbeibeschieden und ihm die Weisung gegeben, die abgelöste Wache zum Dienst auf dem Decke zurückzubehalten.

Nachdem Alles fertig war, ging der erste Mate durch das Schiff und trug Sorge dafür, daß alle Lichter ausgelöscht oder doch die Schirme über die Schrägfenster gezogen wurden, damit ja kein Lichtstrahl aus den Kajüten dringe. Zu gleicher Zeit wurde auch die Lampe des Compaßhäuschen verwahrt. Nachdem diese Vorsichtsmaßregel getroffen war, gingen die Leute ans Werk, die Segel zu kürzen, und im Laufe von zwanzig Minuten waren die Leesegel, alles stehende Tuch bis zum Marssegel, das Focksegel und ein vorderes Stagsegel eingezogen. Sodann wurden unter verschiedenen dringenden Aufforderungen an die Mannschaft, sich eifrig zu rühren, die drei Marssegel gerefft. »Ohne Zweifel,« hieß es, »kommt der Engländer wie ein Pferd herangeschnaubt.«

Nachdem dieß geschehen war, kehrten die Matrosen aufs Deck zurück und waren über die verschiedenen Vorkehrungen eben so erstaunt, als wenn ihnen Befehl ertheilt worden wäre, die Masten zu kappen.

»Wenn wir einiges Geschütz und ein bischen mehr Mannschaft hätten,« bemerkte ein alter Theer brummend gegen den zweiten Maten, indem er zugleich seine Hosen aufzog und seinen Kautabak auf die andere Seite hinüberrollte, »so würde ich glauben, der scharfe Patron dahinten habe für ein Gefecht aufgeräumt; so aber bleibt uns nichts zum Kriegführen, wenn wir nicht etwa unseren Seezwieback gegen den Feind schmeißen.«

»Richtet euch zum Vieren,« rief der Kapitän von dem Halbdecke aus.

Die Matrosen sprangen an die Brassen, und die Buge des Schiffs fielen allmählig ab, wie die Raaen langsam dem Zuge nachgaben. In einer Minute rollte der Montauk todt dahin, und seine Breitseite kam fegend und mit gegen Osten gerichtetem Schnabel an den Wind auf. Diese neue Richtung im Curse hatte eine doppelte Wirkung, indem sie einmal das Schiff vom Land abführte und dann unter einem mehr als rechten Winkel die Segellinie des Foam schnitt, im Falle dieses Schiff seine Verfolgung noch fortsetzte. Die Matrosen nickten sich beifällig zu, denn alle begriffen jetzt die Bedeutung des Wechsels so gut, als wenn er ihnen in Worten erklärt worden wäre.

Die Veränderung auf dem Decke hatte eine plötzliche Umwandlung im Raume unten zur Folge. Das Schiff lief nicht länger leicht auf ebenem Kiel, sondern stieß gewaltsam in die schräg gehenden Wogen, und der Wind, dessen Wehen man einige Minuten vorher kaum gefühlt hatte, pfiff nun in hundert Noten durch das Tauwerk. Einige, unter denen sich Mr. Sharp und Mr. Dodge befanden, suchten ihre Schlafstätten, und Andere eilten die Treppe hinauf, um sich über den Grund des Wechsels zu unterrichten – kurz, allerseits waren die Leute aus ihrer nächtlichen Beschäftigung aufgestört worden.

Kapitän Truck hatte die gewöhnliche Zahl von Fragen zu beantworten, und er that dies in nachstehender bestimmter Weise – wir hoffen nemlich, eine einzige Antwort werde den Leser eben so befriedigen, als sich nothgedrungen die Neugierigen an Bord damit zufrieden geben mußten.

»Wenn wir noch eine Stunde länger auf gleichem Curse fortgesteuert hätten, Gentlemen, so wäre das Schiff an der Küste von Cornwall zerschmettert worden,« sagte er mit Nachdruck; »und hätten wir Halt gemacht, wo wir waren, so würde uns die Kriegsschaluppe in zwanzig Minuten eingeholt haben. Durch eine Aenderung des Curses in der Weise, wie ihr's gesehen habt, kommt der Engländer vielleicht leewärts an uns vorbei. Entdeckt er, was wir gethan haben, so wechselt er vielleicht gleichfalls den Curs, kann aber in der Dunkelheit der Nacht ebenso gut eine falsche, als die geeignete Richtung einschlagen. Möglich übrigens, daß er einwärts steuert, um die Rippen von Seiner Majestät Schiff, dem Foam, auf den Felsen des Lizard zum Trocknen auszulegen, wo dann, wie ich hoffe, alle seine Leute trockenen Schuhs ans Land kommen können.«

Die Passagiere warteten ängstlich eine Stunde lang den Erfolg ab und zogen sich dann, Einer nach dem Andern in ihre Gemächer zurück. Kapitän Truck aber wich nicht von dem Decke, bis die Mittelwache aufgezogen war. Paul Blunt hörte ihn in sein Staatsgemach treten, das zunächst an das seinige stieß, weßhalb er den Kopf zur Thüre hinaussteckte und sich erkundigte, wie es oben stehe. Der würdige Meister hatte an dem jungen Manne etwas entdeckt, was ihm Achtung vor dessen nautischen Kenntnissen einflößte; denn Mr. Blunt bediente sich nie eines unrichtigen Ausdrucks und beantworte stets alle an ihn gestellten Fragen schnell, ohne es an achtungsvoller Bescheidenheit fehlen zu lassen.

»Immer schmutziger und schmutziger,« sagte er, Mr. Dodges Sprachkritik zum Trotze, indem er seine Schiffsjacke auszog und seinen Südwester bei Seite legte. »Eine Kappe voll Wind mit just genug Tröpfeln, um einem Mann alle Gemächlichkeit zu rauben und ihn wie ein Boot von oben bis unten zu lakiren.«

»Hat das Schiff umgeholt?«

»Wie ein Tanzmeister mit zwei Zehen. Wir haben den Schnabel wieder nach Südwesten gedreht und ein weiteres Reef in die Topsegel gelegt,« (diese letztere Bezeichnung pflegte Mr. Truck mit großer Salbung wie Torsegel auszusprechen). »England liegt jetzt gut unter unserem Lee und der atlantische Ocean gerade vor uns. Sechs Stunden auf diesem Curse, und wir können den Wind aufs Beste benützen.«

»Aber die Schaluppe?«

»Hierüber kann ich Euch keine unmittelbare Auskunft geben, Mr. Blunt. Sie ist an der Küste hingefahren, wo sie sich vermuthlich anklammert wie ein Junge, der auf Händen und Knieen einen Eisberg hinanklettert. Vielleicht fliegt sie auch unter dem übrigen Schaume irgendwo in der Breite des Lizard umher. Ich wünsche Euch gute Nacht, Mr. Blunt, und kein Laviren, bis Ihr Euer erstes Schläfchen gethan habt.«

»Und die armen Tröpfe in dem Foam?«

»Der Herr möge ihren Seelen gnädig seyn!«


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