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Vierundfünfzigstes Kapitel.
Der letzte Freund

»Was wird aus meinem Kinde werden!« hatte Cleary verzweifelnd einmal über das andere ausgerufen, als er von den Soldaten gefangen und fortgeführt wurde. Der Gedanke an sein eigenes Unglück war völlig in den Hintergrund gedrängt durch die qualvolle Gewißheit, daß sein Kind vater- und mutterlos allein in der weiten Welt dastehe.

Seine Goldbarren hatte er zum Theil in Sicherheit gebracht, indem er einige einem Banquier zu Nashville übergeben, andere aber in Banknoten umgesetzt hatte, welche er bei sich trug. Nur eine kleine Summe hatte er in seiner Wohnung, die er in Nashville gemiethet, zurückgelassen zur Pflege seiner Tochter, welche unter Noddy's Schutz dort zurückblieb, als er sich in Johnstons Lager begab.

»Was wird aus meinem Kinde werden!« hatte er sich unaufhörlich in verzweifelnder Bangigkeit wiederholt bis zu dem Moment, als ihm seine Freiheit auf eine Weise verschafft wurde, die er am wenigsten für möglich gehalten.

Wie jauchzte sein Herz auf, als er, Burnside's Versprechen gemäß, bis an die Vorpostenlinie der feindlichen Truppen geleitet, sich unter Freunden befand und ihm nichts mehr im Wege stand, zu seinem Kinde zurückzukehren und für dessen Sicherheit zu sorgen. Seine Gattin erwartete ihn in Richmond, zu ihr wollte er sein Kind bringen, bevor er die Mission antrat, welche ihm von den Rittern des goldenen Cirkels als sein Antheil an dem großen Kampfe zuertheilt war.

Seine Vaterliebe aber sollte erst noch eine lange Prüfung bestehen, und Noddy's Treue auf die härteste Probe gestellt werden.

Der Negerknabe, der mit der Wachsamkeit eines treuen Hundes die Tochter seines Wohlthäters hütete, hatte gar bald den Ausgang der Schlacht und Cleary's Gefangennehmung erfahren. Die Gewißheit, daß Fanny jetzt allein auf seinen Schutz und seine Hülfe angewiesen sei, stählte seine Entschlossenheit und Energie.

Das Geld, welches Mr. Cleary in den Händen des Hauswirths zurückgelassen, reichte aus, um die Miethe zu decken, und die Summe, welche er Noddy übergeben, etwa hundert Dollars, waren mehr als hinreichend, um die Kosten der Reise nach Richmond zu bestreiten.

»Wir müssen fort,« sagte er daher; nachdem er die Situation und ihre Folgen nach allen Seiten wohl erwogen hatte, eines Tages zu Fanny: »Es können Jahre vergehen, ehe Dein Vater zurückkehrt. Ich weiß, daß man ihn nicht vor Beendigung des Krieges freilassen wird. Hier können wir nicht bleiben, denn erstens haben wir kein Geld, und zweitens sind, wie man sagt, auch in dieser Gegend die bedenklichsten Negeraufstände zu befürchten, und endlich wird auch Deine Mutter um Deinetwegen in Sorge sein. Darum, liebe Fanny, rüste Dich zur Abreise, noch heute müssen wir fort, wenn es sein kann.«

Das Mädchen schlang ihren Arm um den Hals des Mulattenknaben und benetzte seine Wange mit ihren Thränen.

»Jetzt habe ich Niemanden als Dich, mein Bruder!« schluchzte sie. »O mein Gott, Noddy, was sollte aus mir werden, wenn auch Du mich verließest?«

»Sei ruhig, Fanny,« tröstete er sie, »ich werde Dich nicht verlassen. Mit meinem Leben stehe ich dafür ein, daß Du Deinen Eltern wiedergegeben wirst!«

»Dank, Bruder!« antwortete sie, ihn mit ihren schönen dunkelbraunen Augen durch Thränen lächelnd und zärtlich anblickend. »Wie bist Du gut, Noddy, und wie lieb habe ich Dich !« ...

Fanny, obwohl erst wenig über elf Jahre alt, war doch körperlich mehr entwickelt, als Kinder ihres Alters zu sein pflegen, wovon ohne Zweifel ihre Abstammung von einer Kreolin die Ursache war. Ihre Züge trugen das Gepräge ungewöhnlicher Schönheit. Sie hatte das große ausdrucksvolle Auge ihrer Mutter, die weichen Züge ihres Vaters und ihr Körper versprach sich zum vollendetsten Wuchs auszubilden.

Diese Vorzüge hatten auf den Knaben noch niemals Eindruck gemacht. Er hatte sie, so sehr die Abkömmlinge der Schwarzen auch für Sinnenreize empfänglich sind, nie anders als mit der Liebe eines Bruders geliebt. War es nun das Außergewöhnliche der Verhältnisse, war es dies zärtliche Wallung des Mädchens, das sie ihm in diesem Augenblicke in ganz anderem Lichte erscheinen ließ? ...

Sein flammendes Auge ruhte mit Entzücken auf der lieblichen Gestalt des Mädchens. Plötzlich aber nahm es den Ausdruck höchster Niedergeschlagenheit an. und im Ton bitterer Entsagung entgegnete er:

»O Fanny, wenn Du nur drei Jahre älter sein wirst, so alt wie ich jetzt bin, und zu einem schönen, schönen Mädchen geworden bist, wenn Dich die vornehmen Herrn alle bewundern und Dir huldigen, dann wirst Du Dich schämen, wenn Du daran denkst, daß Du einst einen Negerknaben Bruder genannt und ihn umarmt hast!«

»Noddy, wie kannst Du nur so sprechen!« rief sie fast erzürnt. »Weiß ich nicht, daß Du mich mehr liebst als ein Bruder, daß der Vater Dich liebt wie einen Sohn? Hast Du Dir nicht die Hand verstümmeln lassen meinetwegen? Bist Du nicht jetzt der einzige Schutz, den ich auf der Welt habe? O, Noddy, ich müßte sehr schlecht sein, wenn ich das vergäße!«

»Du wirst es nicht vergessen Fanny, daß weiß ich, denn Du hast ein gutes Herz, aber Du wirst Dich meiner schämen, denn Du bist die Herrin, die Angebetete, und ich der Sklave, der Verachtete, der mit dem Stempel der Erniedrigung gebrandmarkt ist.«

»Du bist kein Sklave, Noddy, nicht einmal ein Neger bist Du, sondern ein Mulatte, und der Stempel? – Sieh her, Noddy, den trage auch ich!«

Sie beugte ihr Haupt herab, um ihn den, durch das ausgeschnittene Kleid noch bedeckten Theil ihres zarten Halses sehen zu lassen, welchem Rogue's Eisen das Mal der Leibeigenschaft eingebrannt hatte.

Noddy ergriff mit Leidenschaft ihre Hand und preßte sie an seine Lippen.

»Nicht die Hand, Noddy,« rief Fanny, »Du bist mein Bruder und hast das Recht, meinen Mund zu küssen, da –«

Ehe er in schüchterner Bescheidenheit es hindern konnte, hatte sie seinen Nacken mit beiden Armen umschlungen und drückte einen innigen Kuß auf seine Lippen.

O, welches Entzücken spiegelte sich auf seinen Zügen, welche Glückseligkeit strahlte aus seinen Augen. Er war nicht mehr im Stande seine Erregung zu verbergen. Thränen der Wonne glänzten in seinen Augen, als er sie umarmte und sie dann verließ.

»Mr. Payne sagte,« murmelte er im Hinausgehen, »wir Neger seien nichts als Thiere, und unsere Treue nichts anders als die Treue der Hunde gegen ihren Herrn· – Nun wohl, wenn sie mich später auch nicht mehr schätzt als ihren Hund, so will ich ihr doch mein Lebelang der treuste und ergebenste Hund sein.« – –

Als Noddy an demselben Abend eben im Begriff war, ihr Gepäck nach dem Bahnhofe zu schaffen, erfuhr er, daß die Neger, welche in Schaaren gegen Nashville anrückten, die Schienen der Bahn nach Winchester zerstört hätten, und deshalb keine Züge abgehen könnten Es blieb daher nichts weiter übrig, als einen Wagen zu miethen, der sie auf Landwegen bis Winchester brächte.

Es war eine milde laue Nacht, wie in jenen Gegenden um diese Jahreszeit fast immer. Die beiden Kinder saßen in den Ecken einer Chaise und plauderten und riefen die überstandenen Gefahren in Georgesville in ihre Erinnerung zurück, oder sprachen von der glänzenden Zukunft Fanny's, von den Freuden, welche ihrer in der Residenz warteten, oder sprachen von ihrem Vater, über dessen Schicksal der Knabe seine Gefährtin völlig beruhigte, da man bei den Unionisten die Gefangenen stets gut behandelte, und da dieselben, welchen Ausgang auch der Krieg nehmen werde, auf alle Fälle freigelassen werden müßten.

So verging die Zeit, und sie hatten schon mehr als funfzehn Meilen zurückgelegt, als Fanny endlich einschlief.

Noddy deckte sie mit einer Reisedecke warm zu, zog die Vorhänge des Wagenfensters zusammen, daß keine Zugluft sie treffe und bewachte, seinen Gedanken nachhängend, ihren Schlummer.

Da plötzlich schreckte ihn ein Gewirr von Stimmen auf, welche dem Kutscher zu halten geboten.

Noddy öffnete schnell das Fenster und steckte seinen Kopf heraus. Eine Rotte von Negern stürzte aus dem hohen Zuckerrohr neben dem Wagen hervor. Ein Theil fiel den Pferden in die Zügel; andere sprangen auf den Bock und ergriffen den Kutscher.

»Wen fährst Du?« rief Einer dem Kutscher zu. »Steh uns Rede oder wir schlagen Dich todt!«

Der Kutscher war dermaßen erschrocken, daß er keinen Laut herauszubringen vermochte.

Noddy sah die Gefahr, welche über dem Haupte seiner geliebten Schwester schwebte. Mit schneller Fassung rief er aus dem Wagen heraus:

»Ihr seht es ja, wen er fährt, einen Negerknaben, nichts weiter!«

»Einen Negerknaben in einer Chaise? – Da ist irgend etwas dahinter!« entgegnete einer der Neger. »Laß sehen, ob nicht auch Dein Herr drin sitzt.«

»Zurück, sage ich. Ich schlage den zu Boden, der es wagt in den Wagen zu dringen,« rief Noddy seine Stimme dämpfend, um Fanny nicht zu wecken, die noch immer fest schlief.

»Ha, ha!« spottete der Rädelsführer der Rotte. »Da ist noch Einer, der sich für seinen Herrn schlägt! Heraus mit Dir feiger Sklave, weißt Du nicht, daß die Neger in Tennessee von heute ab frei sind? Sie haben die Ketten abgeworfen wie die in Kentucky es gethan haben. Komm heraus, schließe Dich uns an und überlasse uns Deinen Herrn.«

»Ich sage Euch, daß mein Herr nicht drin ist, und verbiete Euch, den Schlag zu öffnen.«

Trotz dieses Widerspruchs aber ward der Wagenschlag aufgerissen, und ein Neger versuchte einzusteigen. Ein aus voller Kraft geführter Faustschlag aber machte, daß er zurücktaumelte. Nun aber stürzten viere von den Schwarzen zugleich auf den Knaben ein, und unter dem Lärm der Stimmen:

»Haltet ihn! – Bindet ihn! – Schlagt ihn nieder!« – und unter dem Toben des Kampfes erwachte Fanny in dem Augenblick, als die Neger Noddy unter dem heftigsten Widerstande desselben aus dem Wagen herauszogen.

Sie stieß einen durchdringenden Schrei aus!

»Ein Mädchen!« riefen die Neger, welche die Dunkelheit verhindert hatte, Fanny zu sehen.

»Ja ein Mädchen!« wiederholte Noddy, und noch dazu ein Kind. Habt wenigstens so viel Großmuth, Eure Wuth nicht an einem Kinde auszulassen.«

»Wir müssen sie mitnehmen,« sagte der Sprecher der Rotte. »Sie ist sicher die Tochter eines Sklavenhalters, ihr Vater muß uns Lösegeld für sie zahlen.«

»Allerdings ist sie die Tochter eines Sklavenhalters,« versetzte Noddy, »aber ihr Vater ist von Burnside gefangen fortgeführt. Er kann Euch also kein Lösegeld für sie zahlen.«

Die Neger beriethen sich eine Weile, endlich schlug Einer vor:

»Sie muß sich selbst auslösen. Die Tochter eines Sklavenhalters wird nicht ohne Geld reisen. Gieb das Geld heraus, Junge, was Ihr bei Euch habt, so kannst Du mit Deiner Miß weiter reisen; aber hüte Dich, uns einen Cent zu verheimlichen.«

»Aber um Himmelswillen, wie sollen wir weiterreisen, wenn wir kein Geld haben?«

»Das geht uns nichts an. Heraus mit dem Gelde!«

Noddy legte sich aufs Handeln, allein die Unmenschen ließen nicht nach. Als er seine ganze Baarschaft hingegeben hatte, durchsuchten sie den Wagen und nahmen auch ihr Gepäck noch mit sich.

Von allen Mitteln entblößt hielten sie nun da auf offener Landstraße. Sie besaßen nichts mehr, als die Kleider, welche sie auf dem Leibe trugen. Zu allem Unheil weigerte sich auch der Kutscher, da er keine Bezahlung zu erwarten hatte, weiter zu fahren. Noddy war in Verzweiflung; kein Ausweg bot sich ihm. Er machte den Vorschlag, das Geld für den Kutscher in Winchester herbeizuschaffen durch Unterstützung mildthätiger Leute, allein, der Mann wollte auf eine so unsichere Aussicht hin nicht weiter fahren.

»So nehmen sie dies als Bezahlung, sagte Fanny, und reichte dem Kutscher einen sehr kostbaren indischen Shawl hin. »Ich denke, Sie werden durch den Verkauf so viel lösen, als das Fuhrgeld beträgt.«

Damit erklärte er sich einverstanden, und die Reise wurde fortgesetzt.

Ermüdet, hungernd, von einem kühlen Abendwind durchfröstelt kamen sie endlich am Abend des folgenden Tages in Winchester an.

Schon auf der letzten Station hatten sie gehört, daß die Stadt von plündernden Negern durchzogen sei, und daß Polizei und Bürger sich vergebens anstrengten, der aufrührerischen Schwarzen Herr zu werden. Der Kutscher zog es daher vor, gar nicht in die Stadt hinein zu fahren, sondern vor einem am äußersten Ende der nördlichen Vorstadt gelegenen Wirthshause anzuhalten.

Das Aeußere dieses entlegenen Gasthofes hatte in der That nichts Anziehendes, weder die ziemlich geschmacklose Bauart des Hauses, noch das Gewirr von fluchenden und sich zankenden Kutschern vor dem Thorwege, noch die Physiognomie des Wirthes, der mürrisch, seine Schlafmütze bis tief in die Augen gezogen, an den Wagen trat, um nachlässig den Schlag zu öffnen.

Mißtrauisch und verdrießlich musterte er die beiden Aussteigenden von oben bis unten, wobei er eine Hand in die Seite stemmte und mächtige Wolken aus seiner Thonpfeife blies.

»Was hat denn das zu bedeuten?« fragte er die Kinder, »wo wollt Ihr hin?«

»Wir wollen mit der Bahn nach Richmond, antwortete Noddy. »Wir mußten von Nashville aus einen Wagen nehmen, weil die Schienen zwischen Nashville und Winchester zerstört sind. Haben Sie nicht ein Abendessen und ein gutes Lager für Miß Cleary?«

Der Wirth bedeutete ihm durch eine Kopfbewegung hinein zu gehen.

In dem großen Gastzimmer befand sich Niemand, als eine Dame von sehr knochigem und sehr abstoßendem Aeußern; ihre Wangen waren pergamentfarben, und um ihre dürren Lippen spielte ein widerliches Lächeln, während sie über die Schulter weg mit einem Neger sprach, dessen viehische Züge an Gemeinheit des Ausdruckes mit denen seiner Herrin wetteiferten, und welcher ihr frivoles Lachen mit einem teuflischen Grinsen beantwortete.

Die Dame, welche eben beschäftigt war, ein sehr reichliches Abendessen zu verzehren, schien sich angelegentlich mit dem Schwarzen zu unterhalten, als die beiden Kinder eintraten.

»Da die Geschäfte so gut gegangen sind,« sagte sie eben, sich halb nach ihm umwendend, »so wollen wir eine Flasche Sillery trinken.«

Ein Mädchen kam eben mit einem Lichte in der Hand trägen Schrittes hinein.

»Sind die Kleinen zu Bette, Lene?« fragte die Dame das Mädchen.

Diese bejahte.

»Die hübschen Dingerchen;« fuhr sie fort, wie glücklich sie sich bei mir fühlen werden. Sie haben jetzt satt zu essen, ein gutes Bett und – –

»Und viel Vergnügen!« ergänzte der Neger mit rohem Lachen.

– »Und viel Vergnügen!« bestätigte die Dame in sein Lachen einstimmend. – Bringen Sie eine Flasche Sillery, Lene,« fuhr sie zum Stubenmädchen gewendet, fort. – »Eine Flasche und zwei Gläser. – Du hast es verdient, Scip, ein Glas mit mir zu trinken.«

Noddy und Fanny hatten inzwischen an einem Tische Platz genommen in einer dunkeln Ecke; wo sie von den beiden Anwesenden kaum gesehen werden konnten. Als aber der Schein des Lichts, welches Lene vor sie hinstellte, auf das Gesicht des ungewöhnlich hübschen Mädchens fiel, da zupfte Scip seine Herrin am Aermel. Als sie ihn fragend ansah, verzog er sein Gesicht, mit den Augen nach der Ecke schielend, wo die Kinder saßen, und auch seinen Mund nach jener Ecke schiefziehend, als ob er mit dem Mundwinkel die Richtung andeuten wolle, auf welche sie ihre Aufmerksamkeit zu lenken habe.

Die Dame schien in der That den Wink zu verstehen, denn ihre verschmitzten grauen Augen flogen sofort in die angedeutete Richtung und nahmen, als sie auf das Mädchen fielen, einen Ausdruck an, welcher kaum zu beschreiben ist. Mit der Lüsternheit, wie ein Jaguar ein argloses Reh, auf das er sich stürzen möchte, fixirt, oder ein Sysiphus den Becher, den seine Lippen zu erreichen trachten, mit den Augen zu verschlingen sucht, so stierte sie das Kind an, wobei ihre Lippen flüsterten:

»So schön habe ich kein Mädchen in der ganzen Gegend gefunden! – Versuche es, Scip, ich gebe fünfhundert Dollars und noch mehr, wenn es nöthig ist. ·Wir müssen es versuchen!«

Scip nickte beistimmend, indem er sagte:

»Ich werde sie ausfragen. Wenn es möglich ist, so mache ich es möglich.«

Er war eben im Begriff, sich den Kindern zu nähern, als der Wirth eintrat und ihm zuvorkam.

»Nun?« redete dieser sie an. »Ihr wolltet ja wohl Abendbrod und ein Nachtlager haben. Ihr habt doch Geld bei Euch?«

»Leider nein,« antwortete Noddy verlegen. »Aber ich flehe Ihre Barmherzigkeit für Miß Cleary an, wir sind von den Negern all' unserer Habe beraubt, und Miß Cleary hat seit vierundzwanzig Stunden keinen Bissen an ihre Lippen genommen. Geben Sie ihr zu essen und geben Sie ihr ein Bette, so weich und gut wie Sie es haben, denn sie ist nicht gewohnt auf harten Kissen zu schlafen. Um mich bekümmern Sie sich nicht, ich bin nicht hungrig und brauche kein Bett, aber für sie flehe ich um Ihre Güte.«

Er erzählte nun treuherzig und aufrichtig die ganze Geschichte ihrer Leiden, wobei des Wirths Gesicht immer verdrießlicher wurde, die Dame aber und der Neger mit immer steigendem Interesse zuhörten. Als er geendet hatte und nochmals seine Bitte um ein Abendessen für seine Herrin wiederholte, sagte der Wirth sich ärgerlich abwendend:

»Daraus wird nichts. Was Du mir da erzählst, mein Bursche, wird nichts als eine Lüge sein. Ich nehme keine Landstreicher auf, die kein Geld haben. Geht hin und sucht Euch wo anders Obdach. Auf der Stelle verlaßt mein Haus, oder ich lasse Euch durch meinen Hausknecht zur Thür hinauswerfen; bettelhaftes Gesindel.

»O, nicht so hart, Mr. Snighsdale!« fiel hier die Dame ein, ihr Gesicht zu einem begütigenden Lächeln zwingend. »Kommen Sie einmal näher, ich habe Ihnen was zu sagen.«

Sie legte ihren Mund an sein Ohr und flüsterte ihm einige Worte zu.

»Ah, das ist was anders,« sagte der Wirth darauf laut, und wandte sich wieder zu den Kindern, die bereits aufgestanden waren. »Bleiben Sie sitzen. Sie sollen ein Abendessen haben, wie Sie es wünschen, und ein Bett soll die Miß haben, so weich wie im ersten Gasthof zu Charlestown.«

Es erschien in der That zur größten Ueberraschung der Kinder ein ganz ausgesuchtes Abendessen; und als sie dasselbe verzehrt hatten, forderte Lene Miß Cleary auf, ihr auf ihr Zimmer zu folgen. Noddy sollte in der Gesindestube schlafen, welche im Hintergebäude belegen war. Dagegen aber protestirten Beide; Fanny wollte nicht so weit entfernt sein von ihrem Beschützer, und dieser wollte seine Schwester nicht einen Augenblick aus den Augen verlieren, um so mehr, da ihm Fanny mehr als einmal gestanden gute, daß sie sich sowohl vor dem Wirth als vor der fremden Dame fürchte. Er bestand daher darauf, vor der Thür ihres Zimmers auf den Dielen zu schlafen.

»Das ist sehr fatal,« sagte die Dame zu dem Neger, als dieser ihr den Bescheid brachte, daß man dem Burschen habe darin nachgeben müssen, vor der Thür seiner Herrin zu schlafen.

»Das ist nicht schlimm, Mrs. Bagges,« erwiderte der Neger. Es giebt ein sehr gutes Mittel, ihn von da zu entfernen und unschädlich zu machen.«

»Und das wäre?«

»Nun, man giebt der Polizei einen Wink, daß man hier einen von den plündernden Niggern erwischt habe, der seinem Herrn entlaufen ist. Die Polizei macht mit den meuterischen Schwarzen keine Umstände, man wird ihn hier überraschen und auf das Stockhaus bringen, noch ehe er Zipp sagen kann. Man wird ihn da fest halten und schließlich mit den andern eingefangenen Niggern nach Richmond transportiren; seine Geschichte wird ihm kein Polizeibeamter glauben. – Auf diese Weise sind wir ihn los, und kommt er später wirklich wieder frei, so wird er doch nimmermehr die Spur des Mädchens auffinden.«

»Das ist eine herrliche Idee, Scip!« jubelte Miß Bagges. »Du sollst mich dafür umarmen, Du durchtriebenster aller Spitzbuben. – Aber jetzt säume nicht, Scip, schnell auf die Polizei!« – –

Als am andern Morgen Fanny nach ihrem Bruder rief, stellte sich heraus, daß derselbe im Laufe der Nacht verschwunden war.

 

Ende des zweiten Bandes.

 


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