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Siebenundreißigstes Kapitel.
In den Armen des Buhlen

Am Morgen desselben Tages hatte, in seiner Besorgniß wegen eines Aufstandes der Sklaven, Mr. Cleary seinen Vögten anempfohlen, gegen die Neger eine menschliche und vorsichtige Behandlung eintreten zu lassen. Allein der Oberaufseher vertraute seiner eigenen Erfahrung viel zu sehr.

»Wenn man den Bestien erst zeigt, daß man sich fürchtet,« sagte er, zu seinen Vögten, als er Mr. Cleary wegreiten sah, »so hat man verspielt. Kehrt Euch nicht daran, was Mr. Cleary darüber denkt, sondern thut, wie ich Euch sage. Lieber Zehn auf der Tortur umkommen lassen, als Einem etwas nachsehen. Ich möchte wohl sehen, wohin es führen würde, wenn wir zum Beispiel diesem unbändigen Vieh, dem Rogue, einmal die Peitsche nicht applicirten, wenn er sie verdient hat.«

»Der Rogue ist auf einige Zeit unschädlich,« bemerkte einer der Vogte.

»Ihr habt ihm also wegen seines nächtlichen Besuches im Walde den Klotz angelegt?«

Die Vögte berichteten, daß es geschehen sei und zwar nicht ohne große Schwierigkeit.

»Es ist gut,« sagte der Oberaufseher. »Wir wollen ihnen jetzt zeigen, daß wir ihrer Wuth spotten. Lassen Sie uns heute gleich die Stempelung vornehmen.«

Das Stempeln der Negerkinder geschah durch Einbrennen eines Namenszuges und einer Jahreszahl. Es war dies ein Act, der stets die Wuth und Erbitterung der Schwarzen im höchsten Grade zu erregen pflegte, und der Oberausseher zeigte nicht geringen Muth, daß er diese Anordnung zu einer solchen Zeit der Aufregung traf. – –

Cleary mochte etwa eine halbe Stunde fort sein, da verkündete das gellende Geschrei der Kinder, daß man begonnen hatte, den Befehl des Oberaufsehers zur Ausführung zu bringen.

Rogue, der wildeste und kräftigste der Neger, Janita's Mann, der sich einmal bereits so weit vergessen, daß er seine Hand nach seiner Herrin ausstreckte, hatte sich jetzt von neuem dadurch vergangen, daß er, wie man erfahren, die nächtlichen Neger-Meetings besucht hatte. Zur Strafe war er an einen schweren Klotz geschlossen und ihm doppelt so schwere Arbeit als sonst auferlegt.

Er war mit einem Schwächlinge zusammengekoppelt, dessen mangelnde Kraft er durch seine Riesenstärke ersetzen sollte, und eben beschäftigt, einen mit Ballen schwer beladenen Wagen über den Hof zu ziehen. Als er an den Sklavenwohnungen vorüberkam schlug das jämmerliche Kindergeschrei an sein Ohr.

Er horchte: – das war die Stimme seines jüngsten Kindes, und jenes wiehernde Gelächter, welches den Jammer überschrie – das gehörte dem Oberaufseher.

Im Fluge warf der wüthende Neger das Joch ab, packte mit übermenschlicher Kraft den Klotz, welchen er nachschleppte und sprang mit seinen gefesselten Füßen in gewaltigen Sprüngen dem Schauplatz der Marter seines Kindes zu.

Der Aufseher an dem Wagen, von dem sich Rogue losgerissen, rief dem Oberaufseher das Warnungssignal zu, sein Ruf aber wurde von dem Geschrei des Kindes übertönt, und der Oberaufseher bemerkte seinen Feind nicht eher als in dem Augenblick, da dieser neben ihm stand und den hoch emporgehobenen Klotz auf den Schädel des Oberaufsehers fallen ließ, dessen Hirn die nahen Wände bespritzte.

»Das war ich, der Vater dieses Kindes,« schrie er. »Jetzt bist Du todt und wehe den Andern!«

Er beugte sich zu seinem Kinde nieder, dessen Brandwunde betrachtend. Dieser Anblick erneute seine Wuth, und in diesem verhängnißvollen Augenblick bog grade Noddy, welcher Fanny in einem Wagen zog, um die Ecke.«

»Nein,« brüllte der Neger; »ich will nicht, daß wir allein mit der Schande gebrandmarkt werden!«

Er riß das glühende Eisen aus dem Kohlenfeuer und sprang auf den Wagen zu, den Noddy zog. – Flehend und um Hülfe rufend warf der Knabe sich ihm in den Weg. Der Schwarze schleuderte ihn zurück und donnerte, indem er Fanny's Haar um seine Hand wickelte:

»Du weiße Brut, Deines Vaters Kind will ich zeichnen, wie Dein Vater meine Kinder gezeichnet hat. – Rühre Dich nicht, oder ich schlage Dir das Hirn ein!«

Er senkte den Stempel gegen Fanny's Nacken.

Da raffte sich Noddy auf und griff mit der linken Hand nach der Stange, welche des Negers Arme von einander trennte, und mit der rechten in das glühendheiße Eisen.

»Laß los, thörichter Bube!« brüllte Rogne. – »Kind um Kind – Dir will ich nichts thun, Du bist ja ohnehin Einer der Unsern!«

Aber Noddy ließ nicht los. Seine bratende Hand umklammerte noch fester das glühende Eisen und hielt es so lange fest, bis er, von Rogue's Faust getroffen, besinnungslos niedertaumelte und die geopferte Rechte unwillkürlich sinken ließ.

»Die Hand hättest Du retten können, Du Thor!« schrie der Sklave.

Er drückte das Eisen zwischen Fanny's Schultern, und ohnmächtig sank sie neben Noddy nieder.

»Nun, Rogue, Zu dem Dritten! Nun einmal mit dem Mord angefangen ist, darf nicht aufgehört werden, bis mein Muth gekühlt ist.«

Mit diesen Worten stieß der Neger, beide Arme starr ausstreckend, mit Löwenstärke gegen die Ecke des Gebäudes; das Blut spritzte aus seinen zerrissenen Handgelenken, doch auch die rostige Eisenstange, welche zwischen denselben befestigt war, widerstand dem Stoße nicht.

»Jetzt, da er seine Arme frei hatte .zerschmetterte er die verrosteten Schellen an seinen Füßen, und so von seinen Ketten und dem Klotze befreit, eilte er dem Strome zu und an diesem entlang, bis er in dem Walde den Blicken entschwand.

*

Während zu Georgesville sich die ersten Funken der Flamme der Empörung zeigten, die bald zerstörend hereinbrechen sollte, glühte in den Herzen der beiden Personen, welche in der Astrolochienlaube des Pfarrgartens saßen, ein Feuer, kaum minder heftig und kaum minder Gefahr drohend, das Feuer der Leidenschaft. Der Funken der Liebe, welcher sich bei ihrem ersten Zusammensein mit Wilkes Booth in der Brust der schönen Kreolin angezündet hatte, er war schnell zur wilden Flamme aufgelodert, und der Eindruck, welchen sie auf den feurigen Jüngling gemacht, hatte sich in seinem Herzen schnell zu glühender Liebe umgestaltet.

Der ehrwürdige Pfarrer hatte mit innigem Vergnügen das Verhältniß gepflegt und gefördert, denn die Mitwissenschaft dieses Geheimnisses machte die an Gütern und Einfluß reiche Frau von ihm abhängig und war für ihn eine unerschöpfliche Quelle aller möglichen Vortheile.

Wie gewöhnlich, so hatte er sich auch heute entfernt, um die Liebenden durch seine Nähe nicht zu stören. Wir wissen, daß er sich unter irgend einem Vorwande zu Mr. Cleary begab; daß dieser aber, als er sich nach Hause zurückbegab, ihm auf einem andern Wege folgte, dachte er nicht.

Mr. Cleary gab einem der Sklaven Mr. Payne's sein Pferd und stürmte keuchenden Athems durch den Park. Die Stirn unheildrohend umdüstert, das Auge wuthrollend, den Revolver in der Faust, so stürzte er vorwärts. Als er an einer der dichten Landen vorüberkam, hemmte ein Geflüster seine Schritte.

Ha, das war die Treulose! – Er lauschte. Das Grün der Laube gestattete ihm einen Blick in das Innere derselben und verbarg ihn zugleich den Liebenden.

Mrs. Cleary's Rabenhaar war aufgelöst und hing in einzelnen glänzenden Locken auf ihren vollen Nacken herab. Sie hatte den entblößten Arm um den Hals des jungen Mannes gelegt und ruhte ihre Wange an seiner Schulter, während wollustsehnend ihr dunkles Auge in feuchtem Glanze an dem seinen hing.

Dem wüthenden Ehegatten starrte das Blut in den Adern. Die Hand, welche das Pistol hielt, zitterte. Die Aufregung und Wuth hatten ihn für einen Augenblick regungslos gemacht. Wie eine Statue stand er da, das weit geöffnete Auge mit dem Ausdrucke des Wahnsinns auf die Gruppe geheftet.

Jetzt ergriff Booth die Hand der Kreolin, welche auf ihrem Schooße ruhte. Diese kleine, zarte, schöne Hand; – dieselbe liebkosend, sagte er:

»O, Carlota, wäre es mir vergönnt, diese Hand mein zu nennen, ich wäre der Glücklichste aller Sterblichen.«

»Ist auch die Hand nicht Dein, mein Wilkes, so ist es doch mein Herz,« antwortete Mrs. Cleary zärtlich. »Begnüge Dich damit, bis es vielleicht einst dem Schicksal gefüllt, mich aus den Banden zu befreien, welche mich an meinen Gemahl ketten.«

»Diese Hoffnung ist es, die mich alle Gefahr überwinden läßt,« versetzte Booth. »Nähme mir ein neidischer Dämon Deine Liebe und die Hoffnung, einst diese Hand die meine zu nennen – beim Himmel, er nähme mir alle Begeisterung und allen Muth, die mich zu meinem großen Befreiungswerke treiben. – In Deinem Kusse, Carlota, athme ich Seligkeit, in Deinem Kusse Lebenskraft und Begeisterung!«

Seine Lippen berührten die ihrigen.

Hinter dem Laub der Astrolochinenranken aber knackte der Hahn eines Pistols. Cleary richtete die Mündung durch eine Lücke im Laubwerk. Die Hand zitterte nicht mehr, die Rache hatte sie stark gemacht, und die nächste Minute sollte die Liebenden in die Umarmung des Todes liefern.

In dem Moment aber, als sein Finger den Hahn berührte, legte sich eine Hand auf Cleary's Arm.

Er blickte um sich und sah Mr. Sanders hinter sich.

»Was wollen Sie thun?« flüsterte dieser. »Welche Unbesonnenheit? – Kommen Sie mit mir, man möchte uns hier hören.«

Er nahm Cleary's Arm und zog den vor Ueberraschung Willenlosen mit sich fort.

Sie gingen bis an das äußerste Ende des Gartens, wo Cleary dem Neger sein Pferd übergeben hatte, derselbe hielt jetzt auch das Pferd des Mr. Sanders.

»Lassen Sie uns forteilen,« sagte der Letztere, »ehe der kupplerische Pfaffe zurückkehrt. Er darf keinen Verdacht schöpfen. – Kommen Sie, zögern Sie nicht.«

Jetzt erst schien Mr. Cleary zur Besinnung zu kommen, er machte seinen Arm aus dem seines Freundes los, blickte diesen finster an, und rief:

»Was wollen Sie, Sir? Warum entziehen Sie den Schurken meiner Rache? – Lassen Sie mich gehen; ich tödte Beide.« –

Sanders nahm ruhig den ihm entzogenen Arm wieder.

»Sie sind außer·sich, Freund,« sagte er kalt. »Sie sind nicht in einem Zustande, um überlegen zu können. – Sie dürfen ihn nicht tödten.«

»Wie? ich sollte den Schurken, der meine Ehre befleckt, straflos entfliehen lassen; soll das Weib, das ich aus der Sclaverei erhob und zu meiner Gemahlin machte, und das zum Lohne mich dafür verräth, in den Armen ihres Buhlen lassen? – Nimmermehr! Lassen Sie mich, die Wuth kocht in meiner Brust, ich muß Rache haben.« –

»Sie sollen auch gerächt werden, aber nur jetzt nicht. Wie gut, daß ich zur rechten Zeit kam. Ich wollte soeben zu Ihnen nach Georgesville und sah Sie an der Biegung des Weges wie toll der Pfarre zureiten, da ich Sie nothwendig sprechen mußte, so zog ich vor, Ihnen nach zu eilen, ich sah Sie an der Laube auf der Lauer; ein Blick, den ich durch das Laubwerk that, genügte, um mich zu belehren, was vorgefallen. Ich merkte Ihre Absicht, und muß Sie daran hindern.«

»Sie müssen?«

»Ich muß es im Interesse des Staates. – Sie wissen so gut wie ich, daß dieser Booth durch Keinen ersetzt werden kann. Wer besitzt, wie er, diesen wahnsinnigen Fanatismus und diese krankhafte Begierde nach Ruhm, daß er sich der Aufgabe mit solchem Eifer unterziehen würde, wie er es thut, wofür schließlich doch nur der Strick sein Lohn sein wird. Ich hasse diesen Menschen ebenfalls, schon deshalb, weil er von Breckenridge protegirt wird, aber ich sehe ein, daß es für seine Mission keine passendere Persönlichkeit giebt. Ich erinnere Sie an Ihren Eid, Mr. Cleary, den Sie dem Orden geleistet: daß Sie den Interessen des Staates alle persönlichen Interessen aufopfern wollen. Sie kennen die Strafe des Eidbrüchigen; ich warne Sie also.

Cleary stand vernichtet da.

»Ich soll ihn nicht tödten?« murmelte er dumpf. »Sie dürfen ihn nicht nur nicht tödten,« fuhr Sanders fort, – »Sie dürfen gar nicht einmal merken lassen, daß Sie von dem buhlerischen Verhältniß Kenntniß haben.«

»Wie? So soll auch das Weib meiner Rache entzogen werden?«

»Ganz gewiß – versteht sich, nur vorläufig. – Warum heiratheten Sie die Kreolin. Sie kennen ja den Charakter der Schwarzen, und der pflanzt sich fort bis in's fernste Glied. Sie wußten ja, daß in den Adern einer Kreolin das Blut wie glühende Lava fließt, Sie mußten also auch darauf gefaßt sein, daß ihre angeborene Wollust sie einmal zur Treulosigkeit verleitete, und wenn Sie das nicht wußten, so haben es Ihnen Ihre Freunde damals oft genug gesagt. Sie erleiden jetzt die Strafe dafür, daß Sie unseren Sitten und Ueberzeugungen zum Trotz, eine Sclavin zu Ihrer Gemahlin machten. Nehmen Sie das Ereigniß als eine Strafe geduldig hin, und denken Sie vorläufig nicht daran, sich zu rächen, oder auch nur dies unsaubere Verhältniß zu stören.«

»Was denken Sie, – ich sollte ...«

»Hörten Sie die letzten Worte des Booth, die er sprach, ehe Sie das Pistol auf ihn richteten?«

Cleary blickte ihn mit düsterer Erwartung an.

»Ich will sie Ihnen wiederholen,« fuhr Sanders fort. »Er sagte: Wer mir diese Liebe nimmt, der nimmt mir zugleich die Begeisterung! – Ich bin überzeugt, daß dem so ist. Wenn Sie ihm also diese Liebe rauben, so machen Sie ihn untauglich für das Werk. Lassen Sie ihn dagegen gewähren, so wird er zu Allem zu gebrauchen sein. Ja, wenn es schließlich dahin kommt – was ohne Zweifel der Fall sein wird – daß der Tod Lincoln's und seiner Helfer nöthig wird, so wird er vor diesem Werke auch nicht zurückschrecken. Ist aber Alles vollbracht, und ist er dann noch dem Strick entgangen, dann üben Sie Rache nach Belieben, dann biete ich Ihnen selbst meine Hand dazu.«

Cleary biß die Lippen zusammen. Er mußte einsehen, daß Sanders Recht habe, aber nur durch unglaubliche Selbstbeherrschung konnten sich die Vernunftgründe bei ihm Eingang verschaffen und seine Leidenschaft unterdrücken. Finster vor sich niederblickend, stand er eine Weile da, während er vor sich hinmurmelte:

»Er sagte; der Besitz ihrer schönen Hand wäre der höchste Lohn für ihn? – Wenn er Alles vollbracht hat, soll er diese Hand haben – ich schwöre es, er soll sie haben!«

Ein dämonischer Triumph prägte sich auf seinen Zügen aus, als er diese Worte sprach, ein unheimliches Lächeln zuckte um seinen Mund.

»Kommen Sie, Mr. Sanders,« wandte er sich dann an diesen. »Sie haben Recht, man darf nicht argwöhnen, daß ich darum weiß. Kommen Sie, ehe der fromme Herr zurückkehrt. – Gieb her den Zügel, schwarzes Ungeheuer, grüße Deinen Herrn, sage ihm, ich hätte ihn besuchen wollen, und bedauerte sehr, ihn nicht angetroffen zu haben.« – –

Sie ritten fort nach Cleary's Hause. Eine Stunde später traf auch Mrs. Cleary dort ein, ihre Erregung schrieb sie den weiten Spaziergängen zu, und Cleary besaß die Selbstbeherrschung, auch nicht durch eine Miene zu verrathen, was in seinem Herzen vorging. Am Nachmittage kam auch Booth. Die Geschäfte wurden erledigt, als ob nichts vorgefallen sei, nur daß Mr. Cleary etwas gereizter gegen seine Diener war, als sonst.

Booth und Mrs. Cleary wechselten einen Blick miteinander, als wollten sie sagen:

»Gott sei Dank, er weiß von Nichts!«

Hätte aber Mrs. Cleary an demselben Abend, als ihr Gemahl sich auf sein Zimmer begab, ihn belauscht und den Ausdruck seines Gesichts gesehen, als er mehrmals die Worte wiederholte:

»Er soll sie haben, diese Hand. – Ich schwör's, er soll sie haben!« – sie hätte diese Nacht weniger süß geträumt! –


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