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Vierundvierzigstes Kapitel.
Der Zweikampf

Um das Erscheinen Frederic Seward's im Venusschloß und in Esthers Zimmer zu erklären, müssen wir noch einmal zum Ritterhause zurückkehren.

Camilla führte Frederic und Edward durch einen langen Gang und endlich durch eine Thür, die ohne Zweifel nur Wenigen bekannt war und dazu diente, bei einer etwaigen Entdeckung von Verbrechen im Ritterhause die Schuldigen unbemerkt in Sicherheit zu bringen. Sie gelangten in den Pakt und schlugen hier sehr schmale und sehr enge Seitenwege ein, bis sie in den Theil des Parkes gelangten, der hinter Mr. Tucker's Hause lag.

Camilla schlug hier den Weg ein, der zu dem Stacketenzaun führte, sie hatte den Schlüssel zu der Thür desselben und öffnete. Sie befanden sich jetzt in dem dicht umlaubten Pfade, der sich in vielen Windungen bis zum Venusschloß hinzog.

Bei einer Biegung des Weges hörten sie plötzlich ein Geräusch. Es schien Jemand durch die Gebüsche zu huschen.

Sie standen still und blickten einander überrascht an. Die Finsterniß war so dicht, daß sie nichts sehen konnten.

»Wir sind entdeckt,« flüsterte Camilla. »Mein Himmel, wenn er einen Verrath ahnt, bin ich des Todes.«

»Wir werden uns getäuscht haben,« entgegnete Frederic. »Vorwärts, jeder Augenblick ist wichtig.«

»Ich thue es nicht,« erklärte Camilla, deren Herz so laut pochte, daß man es beinahe hören konnte. »Ich will nicht zur Verrätherin an ihm werden.«

»Geh, Thörin,« drängte Edward. »Halt uns nicht auf mit Deinen sentimentalen Faseleien.«

»Ich will nicht, es ist mir leid, ich kehre um!«

Sie schickte sich an, diesen Worten die That folgen zu lassen; aber Edward hielt die Fliehende fest.

»Gieb den Schlüssel her, oder Du stirbst!«

»Ich will sterben, aber ich gebe den Schlüssel nicht. Er hat mich verstoßen und elend gemacht, aber ich will lieber sterben, als ihn verrathen.«

Sie hielt einen Schlüssel in der Hand. Edward besann sich nicht lange, sondern entriß ihr denselben und gab ihn Frederic.

Camilla dachte mit Schrecken daran, daß derselbe auch ohne sie den Weg in's Innere des Venusschlosses finden würde, denn sie hatte den beiden jungen Männern, damit sie sich durch die Finsterniß besser zurecht finden konnten, denselben genau beschrieben. Sie schrie laut um Hilfe und mit Windeseile war sie Edward's Blicken entflohen.

»Geh, Frederic,« rief dieser, »und befreie Esther, ich werde ihr nacheilen, und sie hindern, Hilfe herbeizuholen.«

Es wurde ihm aber nicht so leicht, die Fliehende einzuholen, denn die Finsterniß und das Gebüsch waren seiner Verfolgung nichts weniger als günstig, erst als er einen freien Baumplatz erreichte, in der Nähe des Ortes, wo ein altes rohgezimmertes Kreuz aufgerichtet war, an welches man die zur Züchtigung verurtheilten Neger zu binden pflegte, sah er sie in dem Schein des matten Sternenlichtes mit Windeseile dem Ritterhause zulaufen.

»Ahl« dachte er, »jetzt werde ich Dich schon einholen, ehe Du uns schaden kannst, Du Wankelmüthige!«

Er that einige kräftige Sprünge vorwärts, allein plötzlich stutzte er. – Ganz in seiner Nähe hinter einem Gebüsch ward der Schein einer Fackel sichtbar, und in der Trägerin derselben erkannte er die Hebe vom Maskenball, die sich zum Schutz gegen die kalte Nachtluft einen Plaid über den Kopf geworfen hatte.

Gleichzeitig aber sah er auch einen Mann mit geschwungenem Messer auf sich zu stürzen, er war von wildem Aussehen und in der Tracht eines Gladiators; er erinnerte sich, ihn auf dem Maskenballe in der Begleitung Booth's gesehen zu haben.

Edward hatte eben noch Zeit, sein Bowiemesser zu ziehen und sich in den Stand der Vertheidigung zu setzen, als der Angriff erfolgte.

»Es ist der entlaufene Quadroone!« rief Atzerott, als er Edward's ansichtig wurde. – »Ergieb Dich, oder ich steche Dich nieder!«

Edward hätte sein Heil in der Flucht versuchen können, allein, was konnte dann aus Frederic und Esther werden? – Einen Augenblick zauderte er, dann stürzte er sich auf seinen Verfolger, sein Messer hoch in der Rechten. Ein kurzes Ringen erfolgte; lautlose Stille herrschte, nur unterbrochen von dem Stöhnen der Kämpfenden und der Stimme Belle Boyd's, die von Zeit zu Zeit ihrem Verbündeten zurief:

»Wacker drauf, Mr. Atzerott Stechen Sie dem Spion Ihr Messer in den Leib! – Fassen Sie ihn an der Kehle! – die Andern werden Ihnen gleich zur Hilfe kommen!« –

Aber diese Ermunterungen halfen nichts. Atzerott mußte der überlegenen Kraft des Jünglings unterliegen. Edward hatte ihn zu· Boden geworfen und ihn mit dem Knie niederdrückend, erhob er sein Messer zum Stoß. In demselben Moment aber, als er denselben ausführte, fühlte er sich von hinten gepackt. Der Stoß ging fehl und traf anstatt der Brust nur Atzerott's Schulter.

»Du hast mich vergessen, Spion!« rief Belle Boyd. »Warte, Du sollst Deinen Lohn haben.«

Mit der Linken noch immer die Fackel haltend zog sie mit der Rechten aus ihrem Busen ein Stilett hervor, um dasselbe zwischen seine Schultern zu stoßen. Edward war verloren, wenn ihn nicht ein Wunder rettete. – Dies Wunder aber ereignete sich, denn noch ehe die tödtliche Spitze des Dolches seine Schulter erreicht hatte, ward der Arm Belle Boyd's festgehalten, das Mordinstrument ihr entrissen, und sie selbst gezwungen, den Ueberfallenen los zu lassen.

Wer war es, der hier dem Flüchtling so unerwartet Hilfe leistete? Konnte es an diesem Orte, welcher nur von den Junkern und den ihnen Ergebenen besucht wurde, einen Menschen geben, der einem Spion Vorschub leistete? – Wüthend blickte sie um sich und erblickte hinter sich – nicht, wie sie erwartet hatte, den Genossen, des verwegenen Jünglings, sondern zwei zarte junge Mädchen von 17 oder 18 Jahren, von denen die Eine den ihr entrissenen Dolch in der Hand hielt, die Andere aber sie an den Haaren empor zerrte.

Edward mochte glauben, daß Atzerott todt, und nicht wissen, daß sein Stoß völlig mißglückt sei, denn er sprang auf, um Belle Boyd anzugreifen. Atzerott seinerseits hatte die Lust verloren, den Kampf zu erneuern, denn er blieb regungslos am Boden liegen und überließ die Courtisane ihrem Schicksal.

Belle Boyd aber fühlte sich ebenfalls nicht berufen, den Kampf allein fortzusetzen, sie warf daher die Fackel von sich und suchte das Weite.

Erst jetzt hatte Edward Zeit, auf seine Retterinnen zu blicken und war sicherlich nicht weniger erstaunt, als Belle Boyd es gewesen war, denn er erkannte in ihnen, die beiden unglücklichen Mädchen, welche er mit Frederic aus der Gefahr, der Wollust gewissenloser Wüstlinge geopfert zu werden, befreit hatte. Sie hatten sich dort im Gebüsch versteckt und hatten ihn erkannt, als der Schein von Belle Boyd's Fackel sein Gesicht beleuchtete. Die Dankbarkeit hatte sie die eigene Gefahr vergessen lassen und sie getrieben, ihren Versteck zu verlassen und ihm zur Hilfe zu eilen.

Sie hatten ihm das Leben gerettet, aber ach, die Gefahr war noch nicht vorüber. Aus Camilla's und Belle Boyd's Hilferuf eilten die Gäste des Maskenfestes nach dem Platz, wo der Kampf stattgefunden hatte. Schon hörte Edward ihre Stimmen, ihre Fußtritte, schon sah er ganz in seiner Nähe den Schein der Fackeln, und er fühlte, daß er verloren sei.

»Verbergen Sie sich, Misses,« flüsterte er seinen Retterinnen zu; »gegen solche Uebcrmacht können Sie mir doch nicht helfen.«

»Fliehen Sie mit uns!« baten die Mädchen.

»Ich kann nicht,« antwortete Edward, »ich habe hier nicht nur auf meine eigene Rettung zu sehen, sondern auch auf die meiner Schwester und meines Freundes. Verbergen Sie sich, retten Sie sich, und kümmern Sie sich um mich nicht weiter!«

*

Frederic hatte theils durch die Beschreibung, welche ihm Camilla in der ersten Aufregung ihrer Eifersucht von dem Eingang zum Ritterhause gemacht hatte, theils durch den Hilfeschrei s einer Geliebten geleitet, schnell den Weg bis zur Thür des Gemaches gefunden, in welchem Mr. O'Brien und Deborah beschäftigt waren, die Gefangene zum Empfange Mr. Tucker's vorzubereiten, und langte vor derselben in dem Moment an, welcher für das Schicksal Esther's entscheidend sein mußte.

Die von außen ertönende Donnerstimme, so wie die gesprengte Thür wirkten versteinernd auf die beiden Creaturen Mr. Tucker's. Regungslos standen sie, den entsetzten Blick auf die furchterregende Gestalt richtend, die eher wie eine übernatürliche Erscheinung, als wie ein gewöhnlicher Mensch aussah.

Die Wuth und die Aufregung entstellten seine blassen Züge; sein Auge rollte und schleuderte unheilverkündende Blitze.

Wüthend erfaßte er zuerst den Schurken O'Brien mit der Gewalt eines Riesen und schleuderte ihn zu Boden, daß er bewußlos liegen blieb; denn sein Kopf war an eine Marmorconsole geprallt, und der Fußboden bedeckte sich mit Blut.

Frederic sah davon nichts. Er hielt in seinen Armen die ohnmächtige Geliebte, bedeckte ihre Stirn mit Küssen und eilte dann so leicht, als trüge er ein Kind, hinaus aus dem goldnen Kerker. In seiner Freude hatte er die Kupplerin ganz vergessen, die nichts Eiligeres zu thun hatte, als die Flucht zu ergreifen.

In dem Gange begegnete ihr Mr. Tucker.

»Wohin?« rief ihr dieser entgegen. »Ist Esther vorbereitet, mich zu empfangen?«

»Fort, Sir,« entgegnete sie. »Wir sind verrathen!«

»Verrathen?« durch wen?«

»Ich weiß nichts, Sir; aber das Geheimniß Ihres Schlosses ist entdeckt und Esther entführt.«

»Wo ist O'Brien?«

»Todt,« entgegnete sie hastig. »Kehren sie um und verlassen sie Richmond, ehe die Rache auch Sie ereilt.« – –

Frederic war mit seiner Bürde weithin durch den Park geeilt, ohne seinen Gefährten zu entdecken. Wie sollte er hinauskommen? – wußte er doch nicht den Weg zu finden, auf dem er hineingekommen war. Er hielt einen Augenblick athemschöpfend an, während er die Geliebte auf eine Bank niederließ. Die frische Nachtluft umwehte kühlend und beruhigend Esther's Stirn und weckte sie aus ihrer Ohnmacht.

Sie glaubte zu träumen, als sie sich von Frederic's Arm umschlungen und seine Lippen auf ihrer Wange fühlte, aber sie fühlte seine Küsse, sie hörte seine Stimme.– Beseligender Augenblick, als sie erkannte, daß der schöne Traum Wirklichkeit sei!

In niegefühlter Lust preßte sie ihn an's Herz und in stürmischer Leidenschaft küßte sie ihn wieder und wieder und Thränen unerwarteten Glückes flossen über ihre Wangen.

Frederic merkte nicht, wie die Minuten verrannen, bis ihn ein Geräusch erinnerte, daß die höchste Gefahr für ihn und das Mädchen, das er liebte, über ihren Häuptern schwebte.

Er sprang auf, sich aus Esther's Arm losreißend und lauschte. – Tritte nahten sich. – Er hörte flüsternde Stimmen. – Mit dem Revolver in der Hand erwartete er den Angriff.

Da theilte sich das Gebüsch. Frederic starrte nach dem Orte hin, wo er das Gebüsch sich bewegen sah; aber so sehr er auch sein Auge anstrengte –, er sah nichts, bis ein zischender Laut, der wie ein heimliches Zeichen klang, sein Ohr erreichte, da sah er durch das Laubwerk das weiße Auge eines Negers. Er machte eine Bewegung, den Spion zu ergreifen, doch dieser flüsterte:

»Still, Massah, ich bin es, Joë, ... Hier hindurch, meine Herren, hier ist er!«

Die letzten Worte waren an mehrere Personen gerichtet, welche ihm folgten und in der nächsten Minute vor Frederic standen.

Es waren drei Männer und zwei junge Mädchen. Einer der Männer eilte auf ihn zu und, seine Hand ergreifend, rief er mit aufrichtiger Freude:

»O, theurer Frederic, welche Angst habe ich um Dich gehabt. Gott sei gelobt, daß Du am Leben und aus den Händen Deiner Henker befreit bist!«

»George!« rief der junge Mann. »Ich bin so erstaunt und überrascht, Dich hier zu finden, daß ich – verzeih mir – einen Augenblick fast an Dir zweifelte, aber Du wirst mir später Alles erklären, wie es kommt, daß Du hier unter diesen Leuten so viele Freunde hast, ich weiß, daß Du einer Verrätherei nicht fähig bist!«

»Später ja, später werde ich Dir Alles erklären, Frederic, aber jetzt müssen wir auf Eure ja auch auf meine Rettung bedacht sein,« antwortete George Borton. – »Joë wird Dich und Deinen Freund hier« – er deutete auf Edward – »hinaus führen. Es ist dringend nöthig, daß Ihr keine Zeit verliert. Mr. Conover und ich sind Euren Verfolgern vorausgeeilt. Man sucht Euch und wird Euch finden, wenn Ihr nicht die genaue Ortskenntniß des Negers benutzt, um hinaus zu kommen.«

»Aber Esther ...?«

»Conover und ich werden dafür sorgen, daß sie hinauskommt und in Sicherheit gebracht wird,« fiel George ein. »Man kennt uns in Mr. Tucker's Hause und wird nicht anstehen, uns hinaus zu lassen, auch diese beiden jungen Damen werden wir mit hinaus nehmen und ihren Eltern zurückgeben. – Ha, sieh dort kommen sie – siehst Du die Fackeln? – Wir dürfen keinen Augenblick verlieren.« –

Das Morgenroth glänzte bereits durch die Zweige, als man noch immer den Park nach allen Richtungen durchsuchte. Belle Boyd war unermüdlich.

» »Wir müssen die Spione finden!« rief sie, »und auch den jungen Mann, Ihren Retter, Mr. Booth; er ist mit ihnen im Bunde, es ist kein Zweifel, er ist auch ein Spion.«

Alles Suchen aber war vergebens. Es blieb kein anderes Mittel, als die Polizei in Richmond aufzubieten, um die ganze Stadt und die Umgegend nach den Flüchtlingen zu durchspähen; am andern Tage las man in allen Blättern das Signalement des Spions Mr. Parker, des Quadroonen Edward Brown und des jungen Mannes, dessen Namen man nicht kannte, in welchem aber Miß Emmy, als sie ein Zeitungsblatt zur Hand bekam, mit Zittern den Mann erkannte, dem ihre Liebe und ihr Leben geweiht dem sie aber zu entsagen gezwungen worden war.


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