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Siebenundvierzigstes Kapitel.
Die Rivalinnen

Es war am Morgen nach dem Maskenballe in ganz früher Stunde, als unter der Ulmenpromenade am Nordende der Stadt Richmond zwei Männer auf- und abpromenirten; Beide gleich niedergeschlagen und mißmüthig, trotz dessen aber im angelegentlichen Gespräch begriffen.

Es waren Conover und George Borton, die Spione der Unionsarmee.

»Es war ein verwünschter Zufall,« sagte der Erstere eben, »der diese Spionin, die Belle Boyd, in unsere Nähe brachte.«

»Das war das größte Unglück nicht,« entgegnete Borton, »sondern der Umstand, daß ich gezwungen war, für Frederic Seward zu bürgen.«

»Sie haben die Gefahr, die für Sie daraus erwuchs, zu gering angeschlagen.«

»Das nicht. Ich wußte, daß in der Nähe der Personen, unter welchen wir uns befanden, meine Handlungsweise eine sehr gewagte sei, aber ich war Frederic Seward zu dieser Freundschaft verpflichtet; ich sah ihn bedroht und fand kein anderes Mittel als für ihn einzutreten.«

»Sie sind jetzt unter keiner Verkleidung für die Dauer in Richmond sicher, denn die Polizei wird alle ihre Angeln auswerfen nach Ihnen und Ihrem Freunde.«

»Das ist es nicht, was mich niedergeschlagen macht, einer persönlichen Gefahr bin ich nie ausgewichen, allein daß ich dem Vaterlande nicht mehr die Dienste leisten kann, die ich ihm in meiner Verkleidung leistete, das schmerzt mich. Selbst wenn ich jetzt entkäme, so dürfte ich doch nicht wagen, je wieder einen Schritt ins feindliche Lager zu thun.«

»Das ist allerdings eine nothwendige Folge, aber unsere nächste Sorge muß doch die für Ihre Rettung sein. Sie haben Passe auf den Namen Borton und Parker, dieselben werden Ihnen leider nichts helfen, unsere Grenze zu überschreiten, oder auch nur die Thore dieser Stadt zu verlassen.«

»Ich weiß es, indessen ich hoffe, für Frederic und mich andere Pässe beschaffen zu können.«

»Unmöglich. Es ist Niemand in Richmond, dem Sie sich anvertrauen könnten, nachdem die Entdeckung in; Ritterhause ruchbar geworden ist.«

»Aber das Ereigniß wird erst im Laufe des Tages bekannt werden, und bis dahin kann viel geschehen. – Doch jetzt entschuldigen Sie mich, Mr. Conover, ich sehe dort den Wagen von Miß Jenny Davis. Verlassen Sie mich, es ist meine Pflicht mich von ihr zu verabschieden.«

George reichte Conover die Hand, welche dieser an seine Lippen führte, worauf er sich kopfschüttelnd und mit sorgenvoller Miene abwandte.

Der Jüngling ging mit raschen Schritten dem Wagen, der langsam daher fuhr, entgegen. Er hatte richtig vermuthet, es saß nur Miß Davis darin.

Der Wagen war verschlossen, nur die Vorhänge an den Wagenfenstern ein wenig zur Seite geschoben. Als George sich näherte, erblickte er das knochige Gesicht der Tochter des Präsidenten, welche hinausblickte. Sie gab sofort dem Kutscher ein Zeichen zu halten.

»Steigen Sie ein, Mr. Parker,« rief sie dem Jüngling zu, und eine Röthe der Freude strahlte auf ihrem Antlitz.

George folgte der Aufforderung und begrüßte Miß David, indem er ihre Hand an seine Lippen führte.

»Ich danke Ihnen,« sagte er, »daß Sie meiner Bitte nachgegeben haben. Ich werde die Pflicht der Dankbarkeit nie gegen Sie vergessen, Miß, und hoffe, daß ich nicht Gelegenheit haben werde, einst Ihnen davon einen Beweis zu geben.«

Während er noch so sprach, hörte er plötzlich draußen von einer hellen Stimme die Worte:

»Er ist es! – Bei Gott, er ist es!«

George wandte sich um und sah Belle Boyd's Antlitz draußen am Fenster.

»Lassen Sie uns eilen, schnell vorwärts!« rief er zu Miß David gewandt.

Diese gab ihrem Kutscher ein Zeichen, und der Wagen rollte davon.

Erst als sie die Ulmen-Promenade weit hinter sich gelassen hatten, athmete George Borton auf und fand die Fassung, die Frage zu thun:

»Sie erhielten also meinen Brief, Miß?«

»Ganz früh, als ich noch im Bette lag, Sir.«

»Und ...«

»Nun, können Sie zweifeln, Mr. Parker, daß ich einen Augenblick zaudern würde, Ihnen gefällig zu sein, Sie wissen ja...«

Sie blickte ein wenig verschämt vor sich nieder. George ergriff ihre Hand, welche sie ihm nicht entzog, und drückte dieselbe leise.

Einige Worte der Zärtlichkeit, welche er hervorstammelte, und welche nur sehr gezwungen über seine Lippen kamen, hatten aber doch die Wirkung, daß Miß Davis ihr Haupt seufzend an seine Schulter lehnte, und als er mit seinen Lippen ihr Stirn berührte, ihn mit ihren Armen umschlang.

»Du liebst mich wirklich?« flüsterte sie.

George antwortete nicht, sondern drückte einen Kuß auf ihre schmachtenden, halbgeöffneten Lippen. Es war ein Glück für sie, daß sie ihre Augen geschlossen hatte, sie hätte zu diesem Beweise seiner Liebe in seinen Mienen sonst ein Commentar gelesen, der zu deutlich war, um sie einen Augenblick in Zweifel lassen zu können, daß der Jüngling nur mit grenzenlosem Widerwillen die Rolle eines Geliebten spielte, daß seine Gefühle sich sträubten und nur dem Druck der äußersten Nothwendigkeit nachgaben.

George kürzte den Austausch der Zärtlichkeiten nach Möglichkeit ab und sagte dann:

»Du erfülltest also meine Bitte?«

»Ich schickte sofort dem Untersekretair meines Vaters ein Billet, worin ich ihn ersuchte, mir die Pässe auszufertigen, um welche Du mich batest.«

»Die drei Pässe?«

»Ja, die drei Pässe, die für die beiden Aerzte, Mr. Seymoon und Willies und für Miß Willies, der Schwester des Letzteren.«

»Ich danke Dir, Jenny, und werde Dir diesen Dienst lohnen!«

»Lohne ihn mir mit Deiner Liebe, mehr will ich nicht. Ich kann nun einmal nicht anders, als Dich lieben; obwohl Du noch keine Stelle im Senat oder sonst irgend einen einflußreichen Posten hast, setze ich mich doch über den Unterschied unseres Ranges hinweg. Solltest Du mich später nicht heirathen können, nun so habe ich doch die schöne Erinnerung an unsere Liebe. – Aber,« – unterbrach sie sich, »mir ist bei den Signalements, die Du mir schriebst, um sie in die Pässe aufzunehmen, aufgefallen, daß das Signalement des Mr. Seymoon mit dem Deinigen ziemlich gut zusammenstimmt. Du willst doch nicht unter falschem Namen abreisen?«

»Nein, Jenny,« versetzte Borton, »mein Freund Seymoon sieht mir nur außerordentlich ähnlich. – Hast Du die Passe da?«

»Hier sind sie.«

George nahm die Pässe in Empfang.

Da er nun keinen Grund mehr hatte, das tête-à-tête zu verlängern, machte er den Vorschlag, heim zu fahren. Nachdem Miß Davis Tier dem Portal ihres Palais ausgestiegen war, fuhr der Wagen George Borton vor das Haus der Miß Brown.

Miß Emmy Brown hatte diesen Morgen eine freudige Ueberraschung gehabt, denn sie hatte die Freundin ihres Herzens, ihre theure Esther, wiedergefunden. Conover und Borton waren mit ihr glücklich aus dem Park des Ritterhauses hinausgelangt und hatten sie hierher begleitet.

Emmy's niedergedrücktes Herz richtete sich im Arm der Freundin wieder zu neuen Lebensmuth auf. Die Nachricht von Esther's Freilassung, welche Emmy ihr mit Thränen in den Augen gab, machte bei Weitem nicht den freudigen Eindruck auf jene, wie sie erwartet hatte; vielmehr blickte sie Emmy vorwurfsvoll, ja fast zornig an.

»Du hast mir ein Opfer gebracht, Emmy, – sprich, ist es nicht so?«

Emmy zauderte zu antworten, da sie aber Esther's dunkles Auge auf sich gerichtet sah, sagte sie, sich entschuldigend:

»Ich glaubte Deine Freiheit, Dein Leben in Gefahr ...«

»Und hatte ich Dich nicht gebeten, Emmy, ihnen nichts zu bewilligen? Vergaßest Du meine Warnung, meine Bitte? – Sieh, jetzt bist Du ein unglückliches Geschöpf, Emmy, und ich bin um nichts besser daran, als damals. Wie soll mich die Freiheit erfreuen, wenn ich Dich in Ketten sehe, die unzerreißbarer sind, als die meinigen waren!«

»Sprich nicht so, Esther, Du wirst Deinen Geliebten wieder finden und wirst mit ihm glücklich sein! –«

»Und Du?... Du willst diesem verhaßten Berckley Dein Leben und Dein Vermögen zum Opfer bringen! – Nein, Emmy, so wahr ich lebe, das soll nicht geschehen. Du sollst dem Manne, den Du liebst, nicht entsagen, Du sollst mich nicht beschämen, ich werde Dir zeigen, daß auch ich für Dich zu handeln im Stande bin. – Beim Himmel, ich schwöre es, Du wirst nimmermehr Berckley's Gattin.«

»Ich habe den Contract unterschrieben, Esther«

»Ich weiß es – aber meine Hand wird den Contract zerreißen. – Muth, Emmy, auch die Sonne Deines Glückes wird wieder in vollem Glanze strahlen, und erst dann werde ich des meinigen froh sein können!«

Emmy schüttelte schwermüthig das Haupt. Thränen flossen über ihre Wangen, und Kummer, unendlicher Kummer lag auf ihren Zügen.

Esther öffnete wieder die Lippen zum Sprechen, als ein Klopfen an der Thür sie unterbrach.

Ohne erst die Aufforderung, einzutreten, abzuwarten, stürzte die Mulattin, die Kammerfrau der jungen Dame, herein, ein Zettelchen in der Hand haltend. Ihre Züge drückten so viel Erstaunen, Ueberraschung, Aufregung aus, daß die beiden jungen Mädchen sie besorgt anblickten. Ihre Lippen und jeder Muskel ihres Gesichts bewegten sich lebhaft, aber sie konnte kein Wort hervorbringen.

»Was ist Dir, Margot? – Was hast Du?« fragte Emmy sanft.

Die Mulattin stürzte aus sie zu, erfaßte ihre Hand und küßte sie und dann legte sie den Zettel in dieselbe, während ihre ausdrucksvollen Augen erwartend an den Zügen ihrer Herrin hingen.

Emmy's bleiches Antlitz überzog sich mit dem Hauch des Morgenroths, als sie die Worte, welche auf dem Zettel standen, gelesen hatte. Ihre Hand zitterte und sie vermochte eben so wenig zu sprechen, als Margot. Das thränenfeuchte Antlitz abwendend, gab sie ihrer Freundin das Blatt.

Es standen nur die Worte darauf:

»Frederic Seward bittet um eine Unterredung.«

»Frederic Seward!« wiederholte Esther, »der Geliebte ist da, und Du fliegst ihm nicht entgegen? Du kannst eine Minute verlieren, den Mann zu umarmen, den Du heiß und innig liebst, nach dem Du Dich so lange und so heiß gesehnt hast? – Geh, Margot, rufe ihn –«

»Nein, nein!« unterbrach sie Emmy. »Ich kann ihn nicht sehen, ich will es ihm schreiben!«

»Thörigtes Kindl« versetzte Esther. »Was willst Du ihm schreiben?«

»Meinen Abschied ...«

»Kein Wort davon, Emmy, bei meiner Liebe zu Dir beschwöre ich Dich, an den albernen Contract, den Du unterschrieben hast, nicht mehr zu denken. – Rufe ihn herein, Margot – ich gehe und lasse Euch allein.«

Frederic war mit dem Vorsatze gekommen, Emmy ein offenes Geständniß seiner Untreue abzulegen. Die Liebe zu der schönen Quadroone hatte das Andenken Emmys in seinem Herzen; wenn auch nicht ausgelöscht, so doch zum nebelhaften Schattenbild in den Hintergrund gedrängt. Die Gluth der Leidenschaft jener Sklavin hatte das wilde Licht, den sanften Schimmer der Liebe zu der ersten Geliebten verdüstert. Er wollte ihr dies Bekenntniß ablegen, er wollte ihr sagen, daß er tiefinnige, freundschaftliche Empfindungen für sie hege, daß aber seine Liebe fortan nur für Esther glühe –.

Das war sein Vorsatz, wie aber führte er ihn aus? ...

Emmy erwartete ihn in einem einfachen weißen Morgenkleide auf dem Sopha.

Sie war schön – namenlos schön in ihrer Einfachheit und Unschuld. – Welcher Zauber lag auf dieser holden Gestalt. Wie verführerisch wirkte ihr Liebreiz und ihre Anmuth Sie war keine Juno von Gestalt, und doch war göttliches Ebenmaaß und Vollendung in ihren Formen, üppiges Haar umfloß das schön geformte Oval ihres bleichen Antlitzes, auf welchem die Züge der Milde und Wehmuth mit der Gefühlstiefe auf's Innigste verschmolzen waren. Ihr blaues Auge blickte so sanft und doch so gluthvoll, daß ein poetisches Gemüth am Herzen dieses Mädchens einen Himmel reinster Glückseligkeit finden mußte.

Frederic's Schritt stockte, als er über die Schwelle trat, er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, gleichsam, um seine Erinnerungen zu sammeln, und seine Erinnerungen zauberten ihm die Zeit vor die Seele, da er kein höheres Glück träumte, als von diesem Mädchen geliebt zu sein, dies Mädchen sein eigen nennen zu können. – O, wie war es möglich, daß ein Bild wie dies, ihm jemals hatte in Vergessenheit kommen können?

»Sie ist ein Engel!« murmelte er.

Und als sie sich schmerzvoll erhob, um ihn zu begrüßen, da konnte er dem Zauber ihrer Schönheit und ihres Liebreizes nicht mehr widerstehen, er preßte sie in seine Arme und drückte selige Küsse auf ihre Lippen, und in seinem Herzen erhob sich laut eine Stimme, die ihm zurief: Wie konntest Du, Undankbaren einen solchen Engel auch nur einen Augenblick vergessen!

Emmy wehrte ihm nicht, ach, das Glück seiner Umarmung, sie sollte es nicht mehr lange genießen dürfen, sie sollte ihn ja von sich weisen, um ein Leben ohne Liebe an der Seite eines Verhaßten hinzuschmachten.

Frederic zog sie zu sich auf das Sopha nieder. Wie sollte er Worte finden, ihr seine Leidenschaft für Esther zu gestehen?

Emmy überhob ihn der Verlegenheit, zuerst zu sprechen. Zagend und schluchzend begann sie:

»Frederic, Du bist hoffentlich überzeugt, daß ich Dich stets wahr und innig geliebt habe?«

»Oh, Emmy, so wie Du überzeugt sein kannst, daß ich in Ewigkeit nicht aufhören werde, Dich anzubeten.«

»Sprich nicht so, Frederic, Du machst mir dadurch die Trennung nur um so schwerer.«

»Die Trennung, Geliebte?«

Emmy brach laut schluchzend in Thränen aus, sie drückte ihre Hände vor's Gesicht, ihr Busen zuckte krampfhaft.

»Emmy, Theure, wag hast Du, o Himmel, was ist geschehen, – habe ich Dich gekränkt? – Sprich, Emmy, ich bin in Todesangst, o nur ein Wort, Geliebte!«

Sie drückte sanft seine Hand, indem sie das Haupt schüttelte.

»Wir müssen uns trennen, Frederic!«

Frederic sank vor ihr auf die Knie.

»So weißt Du bereits, was ich Dir sagen wollte?« rief er mit Leidenschaft. »Ich habe Dich beleidigt, gekränkt, Du bist edel und gut und willst mich frei geben; aber bei meinem Leben, Emmy, ich gehöre Dir und werde ewig nur Dir gehören. Der Hauch einer wahren Liebe, der mich in Deiner Nähe anweht, hat schnell die Gluth der Leidenschaft für eine Andere ausgelöscht. – Du verzeihst mir, Emmy?«

»Ich weiß nicht, Frederic, von was Du sprichst, ich verstehe Dich nicht, ich entsage Dir und Deiner Liebe aus keinem anderen Grunde, als weil ich mich verpflichtet habe, einen andern Mann zu heirathen.«

Frederic fuhr empor. War schon durch den bloßen Anblick seiner Geliebten die alte Liebe in sein Herz zurückgekehrt, so wurde sie jetzt bei der Gefahr, sie zu verlieren, stärker denn je. Die Dinge in der Welt werden dem Menschen desto begehrenswerther, je unerreichbarer sie ihm sind, auch die Liebe hält tausendmal fester an dem Gegenstande, den sie in jedem Augenblick verlieren kann, als an der leichten und sicheren Eroberung. Frederic erblaßte. Was ihm vor einer Minute noch eine sehr willkommene Nachricht gewesen wäre, verursachte ihm jetzt namenlosen Schrecken.

»Unmöglich!« rief er; »das kannst Du nicht gethan haben, Emmy!«

»Ich habe es thun müssen,« antwortete sie seufzend. – »Glaube mir, Frederic, es hat mir einen schweren Kampf gekostet, und noch jetzt, diesen Augenblick ...«

Schluchzen unterbrach ihre Stimme, sie konnte nicht vollenden. Frederic stürzte zu ihren Füßen und bedeckte ihre Hand mit Küssen.

»Geh, geh!« flüsterte sic, – »ich kann, ich darf Dich nicht wiedersehen!«

In diesem Augenblick fuhr eine Karosse auf die Rampe.

»Ich bleibe, Emmy, bis ich von Dir höre, daß Du mich liebst, daß Du mir verzeihst, und daß Du mich nicht von Dir stößest!« rief Frederic mit Leidenschaft. »Ich will lieber hundert Mal in den Tod gehen, ehe ich Dir entsage.«

Ein gellender Schrei erscholl von der Portiere des Nebengemaches – ein schwerer Fall, dann war Alles still.

Frederic wandte sich um, ein Mädchen lag leblos am Boden. Er eilte hinzu, ihr beizustehen, aber er prallte zurück, als er ihr ins Antlitz blickte und Esther erkannte.

»Esther! Theure Schwester, was ist Dir?« rief Emmy bestürzt aufspringend.«

»Sie ist Deine Freundin?« sagte Frederic.

»Das Theuerste, was ich noch auf der Welt besitze, ist sie mir,« rief Emmy. »O Gott, sie stirbt – Margot, Margot, hilf ihr!«

Sie knieete neben die Leblose nieder, während Margot ihre Schläfen mit Essenzen rieb. Frederic starrte, wie Marmor so bleich und regungslos, auf die Gruppe.

Nach und nach kam Esther zu sich. Wie aus einem Träume erwachend, öffnete sie mit einem schweren Seufzer die Augen, ihr Gesicht war todtenblaß. Ihr erster Blick fiel auf Emmy, und ihr Gesicht verklärte sieh zu einem milden Lächeln.

»Er ist Dein Geliebter,« flüsterte sie, »und wird Dir nie entsagen.«

Da traf ihr umherschweifender Blick auf Frederic Seward. Das Lächeln der Milde verschwand und tiefer Schmerz zuckte um ihre Lippen; ihr halb erwachtes Bewußtsein kehrte schnell zu voller Klarheit zurück, sie erhob sich von dem Sessel, auf welchen Margot sie niedergelassen hatte, und trat zu ihrer Freundin, drückte sie in ihre Arme und seufzte wehmüthig.

»Er liebt Dich, Dich allein. – Ich wußte es nicht, Emmy. Sei glücklich Und denke nicht mehr an mich.«

Esther hatte ihre ganze Festigkeit und Stärke wieder gewonnen. Sie wandte sich um und schritt ins Nebenzimmer.

Emmy wollte ihr nacheilen; ihre Worte und die Art, wie sie dieselben sprach, hatten sie aufs Höchste beunruhigt; aber Margot hielt sie auf mit der Frage:

»Soll ich den fremden Gentleman hineinlassen?«

»Wen, Margot?« fragte Emmy.

»Den Gentleman, der soeben mit der Equipage der Miß David kam und Mr. Seward zu sprechen wünscht.«

»Es ist George!« sagte Frederic, der jetzt erst die Kraft gewann zu sprechen und zu handeln. »Laß ihn kommen, Emmy, er ist mein Freund, und wie ich glaube, auch der Deine.«

George aber hatte die Aufforderung, hinein zu kommen, nicht abgewartet. Er trat unangemeldet ein.

»Ich muß um Entschuldigung bitten,« sagte er hastig, »aber es ist die höchste Gefahr für uns. Wir müssen fort, Frederic. Du weißt ohne Zweifel schon, daß ich Miß Esther hierher brachte. Benachrichtige sie, daß wir unverzüglich abreisen müssen. Ich habe Pässe für uns; noch können wir fort – später würden uns vielleicht die Pässe nichts mehr nützen.«

Frederic schüttelte den Kopf.

»Ich gehe nicht eher weg,« antwortete Frederic, »bevor ich von Emmy's Hand die Entscheidung meines Schicksals, Leben oder Tod, empfangen habe.«

»Geh, geh!« rief Emmy abwehrend. »Sie liebt Dich, mache sie glücklich, ich darf Dich nicht besitzen!«

Als sie aber das Zimmer verlassen wollte, kam ihr Margot entgegen:

»Miß Esther ist eben fortgefahren und läßt Ihnen und diesem Gentleman Lebewohl sagen!«

Emmy stieß einen Schrei aus.

»Gerechter Gott, wo ist sie hin! – Ihr nach, Frederic, bringe sie zurück!«

»Du verstößest mich nicht, Emmy?«

»Fort, bringe sie zurück, ich beschwöre Dich bei Deiner Liebe, Frederic, überlaß sie nicht sich selbst – nicht in diesem Augenblicke. Liebst Du mich, so eile, bringe sie zurück!«

Sie ging hinaus und verschloß die Thür hinter sich.

Frederic preßte die Hand an seine Stirn, und ächzend rief er:

»Ich muß gehorchen. – O, fürchterliches Geschick; ich liebte Beide, und Beide haben mich verstoßen!«

Ohne George anzusehen, dessen Auge theilnahmvoll auf ihm ruhte, schritt er zur Thür hinaus. Der Jüngling eilte ihm nach.

»Hier, Frederic, nimm die Pässe für Dich und sie. Findest Du sie, so säume nicht zu fliehen!«

Mechanisch nahm Frederic die Papiere und verließ das Haus. George wollte ihm auf dem Fuße folgen, allein, als er zufällig einen Blick durch das Fenster warf, sah er ein Frauenzimmer mit einigen Polizeibeamten über den Platz kommen, gerade auf das Haus zu. Schnell eilte er zurück.

»Verbergen Sie mich!« rief er der Kammerfrau zu, die ihn erstaunt ansah. »Schnell, oder ich bin verloren!«

Sie glotzte ihn betroffen an.

»Man sucht mich,« fuhr Georg fort. »Die Spionin Belle Boyd und Polizeibeamten. Führen Sie mich in Miß Brown's Ankleidezimmer.«

Als die Mulattin immer noch nicht recht zu begreifen schien, um was es sich handle, ergriff George sie beim Arme und zog sie mit sich fort. Das Ankleidezimmer der jungen Lady schloß sich hinter ihnen. Als Margot nach einer Weile wieder herauskam, drückten ihre Züge das höchste Erstaunen aus. Sie eilte zu ihrer Herrin, die in Thränen in ihrem Boudoir auf dem Sopha saß, und flüsterte ihr geheimnißvoll ins Ohr:

»Er ist ein Frauenzimmer, Miß Brown, ein Frauenzimmer!«

Noch ehe Miß Brown den Sinn ihrer Worte verstand, hörte sie im Vorzimmer mehrere Stimmen, die nach ihr fragten. Margot ging hinaus, um zu sehen, was es gäbe, es war Belle Boyd und ein Polizeibeamter.

»Wir wünschen Miß Brown zu sprechen,« sagte die Erstere. »Wo ist sie?«

»Sie ist krank und kann Niemanden empfangen,« antwortete die Mulattin.

»So sagen Sie ihr, daß ein Spion in ihrem Hause sei. Ich selbst sah ihn aussteigen, wir würden uns sonst nicht die Freiheit nehmen, dies Haus zu durchsuchen, so aber sind wir gezwungen. Führen Sie uns durch die Zimmer.«

Sie fanden nichts als die Dienerschaft des Hauses; nur in einem Corridor begegnete ihnen eine Dame, den Schleier herabgelassen.

Margot stierte die Dame mit großen Augen an; um diesen Blick nicht verdächtig erscheinen zu lassen, sagte die Dame im Vorübergehen:

»Miß Brown ist in ihrem Boudoir?«

»Ja, sie ist – ist unwohl,« stotterte Margot.

»Thut nichts, ich habe ihr nur wenige Worte zu sagen.«

Damit ging die Dame vorüber ins Bondoir, dort schlug sie den Schleier zurück, und Emmy sah zu ihrer Verwunderung das Gesicht des Spions George Borton.

»Ich danke Ihnen für meine Rettung, Miß Brown,« sagte die Dame. Leben Sie wohl; mögen wir uns unter glücklicheren Verhältnissen wiedersehen!«

Neben der Lage des Portiers stand ein Polizeisergeant, welcher die Dame, als diese, ohne ihn zu beachten, vorüberging, ehrerbietig grüßte.

Sie – oder vielmehr George Borton – warf einen flüchtigen Blick auf den Mann, der seinen Hut lüftend und sich verneigend die Gelegenheit ergriff, sich vorzustellen.

»Sie erkennen mich nicht wieder, Miß? – Ich hatte eines Tages das Unglück, Sie in ihrer Häuslichkeit zu incommodiren im Hause Mr. Conovers, wissen Sie? – Ich bitte Sie, mir das nicht als Zudringlichkeit auslegen zu wollen, denn ich weiß, welche Rücksichten ein Gentleman einer Dame schuldig ist – ich hoffe, Mr. Conover hat Ihnen meine Entschuldigung hinterbracht.«

George verneigte sich wohlwollend und schritt lächelnd an dem Manne vorüber.

Die Durchsuchung des Hauses nach dem Spion war natürlich fruchtlos.


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