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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Unter den Todten

Das Gefängniß für kriegsgefangene Unionssoldaten bei Millen war mehr denn je gefüllt. In dem Raum von 500 Schritten im Quadrat, den die Todtenlinie einschloß, befanden sich nicht weniger als dreißigtausend·Gefangene, die, halb nackend, jedem Wechsel der Witterung preisgegeben, vom Hunger verzehrt ihre Erlösung, möchte sie auch durch den Tod geschehen, sehnlichst herbeiwünschten.

Man kann sich von dem Jammer, der hier herrschte, schwer eine Vorstellung machen. Es ist bereits erwähnt, daß die Gefangenen, um sich einigermaßen vor der Kälte der Nächte zu schützen, sich Höhlen in die Erde gegraben hatten, allein diese Zuflucht, so dürftig sie auch war, war ihnen in letzter Zeit auch geraubt, denn in den Erdhöhlen lagen faulende Leichen und ein Pestgeruch erfüllte die Luft derselben. Es war deshalb Alles unter freiem Himmel. Es war unmöglich, daß Alle zugleich lagen, sie hatten alsdann keinen Platz, und doch waren nur Wenige, die noch Kraft zum Stehen hatten.

Mr. Breckenridge und Tucker hatten ihr Möglichstes gethan, die Gefangenen zu vermindern, allein die Methode des langsam Verhungernlassens war doch nicht ausreichend, die Räume zu leeren. Man war demnach zu einer Art langsamer Vergiftung geschritten, indem man den Gefangenen jetzt statt der Suppe faulendes Fleisch und verdorbene Gemüse verabreichen ließ.

Die verpestete Luft im Gefängnisse und die unzureichende und schädliche Nahrung thaten dann auch reichlich das ihrige. Allerlei Seuchen brachen aus und rafften im Verein mit dem Hunger diese sonst so gesunden und kräftigen Menschen zu Tausenden dahin. Tagtäglich waren 250 bis 300 Todte wegzuschaffen, so daß hierzu alle disponiblen Arbeitskräfte herangezogen wurden und vollauf zu thun hatten. Sei es nun, daß es an Arbeitskräften fehlte, sei es, daß man dabei andere Gründe verfolgte, allein es war nichts Seltenes, daß die Leichen wochenlang liegen bleiben, ohne fortgeschafft zu werden.

Es war ein warmer Herbsttag, als Nachmittags, wie gewöhnlich, die Equipage des Major Wirtz vor den Zelten der Besatzung des Gefängnisses hielt.

»Nun, wie steht's?« fragte er den Offizier, der ihn empfing. »Ist noch keine Aussicht, daß wir hier Platz bekommen?«

»Es sterben täglich mehr,« war die Antwort, »und es ist vorauszusehen, daß wir binnen Monatsfrist die Hälfte los sind.«

»Das ist zu spät, Herr Lieutenant. – Wenn M'Clellan, wie es den Anschein hat, vor Fredericksbourg vorrückt, so kommt es ohne Zweifel wieder zu bedeutenden Schlachten und da müssen wir Platz haben für neue Gefangene. Das Libby Gefängniß ist noch stärker besetzt als dies. Was also gefangen wird, muß hierher.«

Der Offizier zuckte die Achseln.

»Wir thun, was wir können, Herr Major.«

Wird fuhr sich mit der Hand durch den Bart und schien zu überlegen. Nach einer Weile hob er wieder an:

»Wie wäre es, wenn wir einige Tage das Abfahren der Todten einstellten, sollte die Verbreitung der Seuche dadurch nicht mehr begünstigt werden?«

»Ganz gewiß,« antwortete der Lieutenant »Indessen die Miasmen sind jetzt schon derart, daß die Luft hier in der ganzen Gegend verpestet ist; schon viele von den Soldaten, die auf der Todtenlinie Posten stehen, sind angesteckt worden. Ich habe von meiner Compagnie allein zwanzig Mann am Typhus verloren.«

»Sehr fatal. – Wie stehts denn, haben Sie jetzt Nigger genug, um die Todten zu transportiren?«

»Es muß gehen, Sir. Die Leute haben bis spät in die Nacht zu thun, was auch ein Uebelstand ist, denn in der Dunkelheit laden sie manchmal auch solche auf, die noch gar nicht todt sind, und lassen dagegen Todte liegen, die schon 8 Tage alt sind.«

»Das ist Beides kein Unglück,« meinte Mr. Wirtz. »Allein sie brauchen nicht so zu arbeiten, und wenn wirklich die Todten ein paar Tage länger liegen. Ich weiß kein anderes Mittel, uns diese Fresser vom Halse zu schaffen und Platz zu machen für die Andern. – Folgen Sie mir, Herr Lieutenant, ich will einmal einen Gang durch das Gefängniß machen.«

»Herr Major,« warf der Lieutenant besorgt ein, »ich möchte mir erlauben, Sie zu warnen. An manchen Stellen des Gefängnisses ist die Luft kaum zu athmen.«

»Es ist meine Pflicht, Herr Lieutenant,« war die entschiedene Antwort. »Außerdem muß ich Bericht abstatten über den Zustand des Gefängnisses, denn wir können jeden Tag die Inspection des Herrn Kriegsministers erwarten. –

Als Mr. Wirtz eben im Begriff war, über die niedrige Umzäunung hinwegzusteigen, hielt ihn der Lieutenant, der ihm folgte, zurück:

»Was sind das für Reiter, Herr Major? – Sollte der Besuch uns gelten?« sagte er auf eine Cavalcade deutend, die im Galopp heransprengte.

Wirtz wandte sich um und heftete sein Auge aufmerksam auf die Reiter.

»Teufel, das ist Breckenridge und Tucker, die andern sind jedenfalls Offiziere. – Ganz richtig, ich erkenne den General Johnston. – Verdammt, daß sie heute schon kommen, zwei Tage später hätte ich ihnen günstigere Resultate meiner Bemühungen liefern können.«

Mr. Wirtz hatte sich nicht getäuscht. Es war in der That der Kriegsminister, der Armee-Lieferant und der Befehlshaber der Shenandoah-Armee mit einigen Offizieren, welche kamen, um sich von dem Zustande des Gefängnisses zu überzeugen.

Der Commandant des Gefängnisses war nicht der Einzige, dem dieser unerwartete Besuch höchst ungelegen kam. Die Nigger, die beschäftigt waren, die Todten aufzuladen, wurden in nicht geringe Angst gesetzt, denn sie wußten, daß das allergeringste Versehen, dessen sie sich in Gegenwart der fremden Herren zu Schulden kommen ließen, die allerhärteste Strafe nach sich ziehen würde.

Es waren etwa zehn vierrädrige Karren, die mit Mauleseln bespannt waren, die die Todten hinwegzuschaffen hatten. Bei jedem Karren waren zwei Neger beschäftigt. Alle fingen an, ihre Thätigkeit zu verdoppeln, und mit der allergrößten Gewissenhaftigkeit ihre Pflicht zu erfüllen, nur Einer befand sich unter ihnen, der durch die Nähe der hohen Herrschaften nicht in Furcht gesetzt zu sein schien, denn anstatt schleunigst seinen Karren vollzuladen und abzufahren, schlenderte er unter den Gefangenen umher, sein großes scharfes Auge weniger auf die richtend, welche ausgelitten hatten, als auf diejenigen, die lebend umherlagen oder standen.

Er suchte Jemanden mit großem Eifer, aber, wie es schien, vergebens; denn er sah sehr traurig aus und bahnte sich durch die Haufen der Gefangenen bereits wieder den Rückweg zu seinem Karren. Plötzlich blieb er stehen, und sein Auge begann zu funkeln und sein Gesicht nahm einen vergnügten Ausdruck an. In der Entfernung von etwa zwanzig Schritten sah er einen Jüngling am Boden sitzen, der blaß und abgezehrt sein Haupt in beiden Händen auf den Knieen stützte. Ohne daß es auffiel, wußte sich der Neger an ihn heranzuschleichen.

Neben dem Jüngling lagen zwei Leichen. Der Neger bückte sich, als ob er eine derselben aufheben wollte, und erfaßte dabei den Arm des Gefangenen und schüttelte ihn, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Mühsam erhob der Gefangene das eingefallene Gesicht und blickte mit den matten Augen den Neger an. Dieser griff schnell in seine Blouse und zog ein Zettelchen hervor.

In diesem Augenblick ertönte eine donnernde Stimme hinter ihm:

»Was machst Du Hund hier? – Warum bist Du nicht bei Deinem Karten, Du fauler Schuft? – Sind hier Todte wegzufahren?«

Die Stimme war die des Major Wirtz, der seine Vorgesetzten durch das Gefängniß führte, und sich's angelegen sein ließ, auch nicht die kleinste Unordnung zu dulden.

»Herr Lieutenant,« wandte er sich an diesen, »lassen Sie den Kerl nach Feierabend an den Pfahl binden.«

»Ich glaube, Sie thun dem Schwarzen da Unrecht,« replicirte dieser, »es liegen hier in der That Todte, die er vielleicht hat abholen wollen.«

»Nichts da! Er darf sich von seinem Karten soweit nicht entfernen, das ist Zeitverlust. – Er wird an den Pfahl gebunden, sage ich.«

Die anderen Herren hatten dem Vorfall nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erst als der Schwarze ein jämmerliches Geheul ausstieß, wandte sich Breckenridge nach ihm um:

»Ah!« rief er,« »das ist ja Pet – die Canaille scheint hier so wenig zu gebrauchen zu sein wie auf der Farm. Sie haben Recht, Herr Major, lassen Sie ihn an den Pfahl binden.«

Heulend schlich Pet davon. Niemand aber hatte bemerkt, daß, als er vor dem Gefangenen mit flehender Geberde gestanden hatte, er diesem den Zettel, den er in den Händen hielt, in den Schooß fallen ließ, und hätte ihm Wirtz ins Gesicht gesehen als er davon ging, so hatte er leicht bemerken können, daß sein Angstgeheul nur eine sehr geschickte Verstellung war, denn sein freudiges Grinsen und sein strahlendes Auge drückten nichts weniger als Angst vor der angedrohten Strafe aus. Mit unverdrossenem Muthe griff er zu seiner traurigen Arbeit und verrichtete dieselbe mit größerem Eifer und heiterer als je.

Mr. Breckenridge war von dem, was er im Gefängnisse sah und hörte, so befriedigt, daß er von weiterer Revision Abstand nahm und sich beeilte, den Ort zu verlassen, der für die verwöhnten Sinnesorgane eines Sklavenbarons wenig Anziehendes hat. All das Elend, das er gesehen, und all das Aechzen und Stöhnen der Unglücklichen, das er gehört, hatte ihn nicht gerührt, sondern war ihm nur ein Beweis, daß Mr. Wirtz der Mann an seinem Platze sei.

Als sie fast den Ausgang erreicht hatten, durch die Gasse, welche die Kopf an Kopf gedrängten Gefangenen ihnen öffneten, bemerkten sie einen Mann, ihnen gerade im Wege liegend. Mit Anstrengung aller seiner Kräfte erhob er sich von der Erde und streckte dem Major flehend seine brandig gerötheten nackten Arme entgegen.

»Erbarmen, Herr Major!« rief er. »Machen Sie mit mir eine Ausnahme, lassen Sie mich in ein Lazareth bringen. Ich bin der einzige Sohn eines reichen Fabrikanten aus Illinois; mein Vater wird Ihnen jede Summe als Lösegeld zahlen, die Sie verlangen, wird Ihnen selbst meine Leiche mit Gold aufwiegen. – Lassen Sie mich nicht hier sterben, damit meine Eltern nicht vor Kummer vergehen.

»Was soll das?« herrschte ihn Wirtz an. »Und wenn Du der Sohn des Yankee-Präsidenten selber warst, Du solltest hier krepiren wie ein Vieh und solltest mit dem übrigen Gesindel in die Grube geworfen werden, nicht einmal Deine Leiche würden wir herausgeben, und wenn alle Väter in Illinois sich darüber zu Tode grämten. – Aus dem Wege, Mensch!«

Der Unglückliche, der vielleicht gehofft hatte, daß die anderen Herren durch seine Bitte gerührt werden möchten, gab die Hoffnung noch nicht auf, das steinerne Herz des Komandanten zu erweichen. Er wußte, daß Wirtz ein Deutscher sei. Auch seine Eltern waren Deutsche gewesen.

»Vielleicht,« dachte er, »bewege ich ihn durch die Sprache seiner Heimath.«

»Ich bin ein Deutscher, Herr Major, wie Sie,« fuhr er in deutscher Sprache fort. »Was Sie dem Kriegsgefangenen abschlagen müssen, o, gewähren Sie es dem Landsmann!«

Wirtz zog finster die Brauen zusammen und warf einen schnellen, forschenden Blick auf Breckenridge. Auf dessen steinernen Zügen war jedoch nichts zu lesen, aber er glaubte zu bemerken, daß derselbe mit Tucker einen Blick wechselte, und entschlossen wandte er sich nach dem Flehenden um.

»Herr Wirtz, unsere gemeinschaftliche Heimath ...« fuhr dieser fort.

Wirtz ließ ihn nicht ausreden. – Der Hahn seines Revolvers knackte – ein Knall, und der unglückliche Bittsteller lag in seinem Blute am Boden.

»Das für die Landsmannschaft!« sagte Wirtz, und wandte sich kalt ab.

»Ich muß gestehen,« bemerkte Tucker lächelnd, als sie hinaus waren aus dem Gefängnisse, »daß Sie es verstehen, das Andenken an Ihre Herkunft zu verwischen.«

»Ich denke, ich habe gezeigt,« antwortete Wirtz, »daß ich Amerikaner bin so gut als Einer und mit Leib und Seele der Conföderation angehöre, so gut als wäre ich in Carolina geboren und in Kentucky erzogen. Darum ist es mir wohl nicht zu verargen, wenn ich an den Makel nicht erinnert sein will, der an meiner Geburt haftet.« – –

Als die Herren sich wieder entfernt hatten, brach die Dämmerung bereits herein und ließ den Ort des Elends nur noch elender erscheinen. Lebende und Todte lagen eng aneinander, ja die Letzteren wurden von diesen nicht selten, da es sonst an Platz fehlte, als Kissen benutzt. Hier lag ein vom Hunger Verzehrter, der mit Begierde ein Stück Fleisch verschlang, das er den Händen einer Leiche entrissen hatte, deren starre Finger dasselbe krampfhaft umschlossen hielten – dort hörte man einen Sterbenden vergebens um einen Trunk Wasser winseln – dort sah man Einen, der einen Todten entkleidete, um sich in dessen Lumpen zu hüllen – überall Grauen und Schrecken, welche kaum die Feder zu schildern im Stande ist.

Sollte man meinen, daß es an diesem Orte unter diesen Menschen einen Glücklichen gab? – Was vermögen die Qualen der Folter, was die Pein des Hungers, was die Schrecken des Todes über die Glückseligkeit der Liebe? ... Die Liebe giebt Kraft und Muth, Alles zu ertragen, Alles zu überwinden, die Flügel der Liebe lassen uns den Himmel erstreben und geben« uns den Muth, selbst der Hölle Trotz zu bieten ...

Frederic Seward, der blasse abgemagerte Jüngling, den Pet am Boden sitzend fand, hatte den Zettel gelesen, den Pet ihm zustellte. Er hatte gelesen, daß Esther ihn liebe, und daß sie ihr Leben hingeben würde, ihn zu retten. Er hatte ferner gelesen, welchen Plan Pet zu seiner Entführung von dem Schreckensorte gemacht, und Liebe und Hoffnung ließen ihn alles Elend, das ihn umgab, vergessen.

»Heute Abend!« hatte ihm Pet zugeflüstert, als er ihm den Zettel zusteckte. – »«Heute Abend mit dem letzten Wagen.«

Der Plan war gut ausführbar. Frederic sollte sich todt stellen; Pet wollte ihn alsdann mit den wirklich Todten auf den Karren laden und hinausfahren, in genügender Entfernung von dem Gefängniß wollte er ihn entfliehen lassen; das war klug angelegt und konnte kaum mißglücken.

Frederic Seward schwelgte in Seligkeit und Hoffnung. Ein Wink des Negers sagte ihm, daß es jetzt Zeit sei, den Plan zu beginnen. Er legte sich also mitten zwischen die beiden Todten, neben denen er saß und blieb eben so regungslos wie diese. Der Karren Pet's kam und hielt dicht in der Nähe, wo Frederic lag. Er hörte und sah bei einem vorsichtigen Blinzeln, daß Pet und der andere Neger alle Todten, die in der Nähe lagen, aufluden und als die oberste Schicht aufgeladen wurde, fühlte er sich beim Kopf und den Beinen angepackt und auf die weiche, unheimliche Schicht der Todten gelegt.

»Den hier hätten wir noch liegen lassen können,« meinte Pet's Gefährte, »der ist ja noch ganz warm. Wir haben noch genug ältere Leichen wegzufahren.«

»Ah, das ist einerlei, Bob,« antwortete Pet. »Wir haben ihn nun einmal aufgeladen, und was wir heute wegfahren, brauchen wir morgen nicht wegzufahren.«

»Mir ist's recht,« erwiderte Bob. »Wenn nur der Lieutenant es nicht sieht. Dann geht's aber auf Deine Kappe.«

»Mir schon recht. Vorwärts Bob, fahr ab.«

Bob trieb die Maulthiere an. Dieselben legten sich auch mit Macht in die Sielen, aber nur wenige Schritte vermochten sie den Wagen, dessen Räder tief in den Lehm des Bodens einschnitten, fortzuschaffen, und standen bald keuchend wieder stille.

»Was ist das für eine Dummheit!« rief der beaufsichtigende Lieutenant an den Wagen herantretend. »Wie könnt Ihr Esel Euch unterstehen, so viel aufzuladen? – Nur weil Ihr zu faul seid, zweimal zu fahren. – Gleich wieder abgeladen, daß die Maulthiere den Wagen bequem ziehen können. Ihr werdet zur Strafe heute noch eine Fuhre machen.«

Pet stieg auf die Achse des Wagens und begann abzuladen, da er aber die Sache gern so einrichten wollte, daß der zu oberst liegende Frederic nicht mit abgeladen wurde, so ging ihm die Arbeit mit nicht besonderer Geschwindigkeit von den Händen, ein Umstand, der ihm eine neue Rüge zuzog.

»Wirst Du Hund Dich wohl rühren? – Das geht, als ob er zerbrechliche Marzipanpuppen anfaßte. – Herunter mit der obersten Schicht, und wenn sich einer von den Burschen den Hals dabei bricht, so schadet's ihm nicht mehr.«

Gleichsam um dem vorsichtigen Neger zu zeigen, wie er mit den Leichnamen der Kriegsgefangenen umzugehen hätte, ergriff der Lieutenant eigenhändig einen der Leichname bei den über die Leitern herabhängenden Beinen und riß ihn ohne Umstände herab.

Pet stieß einen Schrei aus und sprang hinzu und fing den Kopf Frederic Seward's noch rechtzeitig auf, um zu verhindern, daß derselbe nicht auf die eisenbeschlagenen Räder schlug.

»Was fällt Dir ein, verdammter Bastard?« rief der Leutnant nicht wenig entrüstet. »Wer hat Dich geheißen, so schonend mit diesen Subjekten umzugehen, wie ein Todtengräber in Richmond mit der Leiche eines Millionärs? – Einen alberneren Kerl wie Du hätte uns Mr. Breckenridge kaum schicken können. – Vorwärts jetzt, und schnell abgeladen, das sage ich Dir, in einer Stunde mußt Du zurück sein und dann sollst Du zur Strafe noch eine Fuhre hinaus fahren.«

Pet gehorchte kleinmüthig und warf einen sehr besorgten Blick auf Seward zurück, der regungslos, einer Leiche nicht unähnlich, am Boden lag.

»Du bleibst hier, Bob,« wandte sich der Offizier an den Kollegen Pet's, »und trägst unterdessen die Todten auf einen Haufen zusammen, damit das Aufladen nicht so lange aufhält.«

Mit diesen Worten wandte er sich um, um die Thätigkeit der übrigen Neger zu überwachen.

Bob that, wie ihm geheißen. Einen Leichnam nach dem andern schleppte er an die Stelle, wo Frederic in wahrer Todesangst am Boden lag. Dort häufte er sie buchstäblich zu einer Art Pyramide, in deren unterster Schicht der Lebende lag. Es war ein Glück für ihn, daß die Dunkelheit schnell hereinbrach und die in der Nähe Stehenden verhinderte, den Angstschweiß zu sehen, der auf seiner Stirn perlte, und die Bewegungen, die er machte, um sich wenigstens das Gesicht frei zu erhalten.

Schon begannen seine Beine durch die Last, die auf denselben ruhte, abzusterben. Die Minuten erschienen ihm wie Stunden, und seine Qualen wurden mit jedem Augenblicke unerträglichen Das Grauen vor den Todten, unter denen er lag, hatte er durch die wochenlange Gewohnheit bereits verloren, allein das Grauen vor dem Tode, der seiner wartete, war bei weitem furchtbarer. Die leiseste Bewegung konnte ihn verrathen und dann war er verloren, oder es gelang Pet wirklich, ihn auf den Wagen zu laden – konnte dann nicht ein unglücklicher Zufall es fügen, daß er mit den Andern in die Grube geworfen wurde, die mit modernden Leichen angefüllt war?

Diese Gedanken tauchten mit fürchterlicher Klarheit in seiner Seele auf. Er sah und hörte nicht, was um ihn vorging. Er hörte nicht das Fluchen der Vogte, welche die Neger bei ihrer Arbeit beaufsichtigten, nicht das Aechzen der Sterbenden, welche in seiner Nähe lagen, ja, es ließen ihn selbst die Schüsse gleichgütig, die er von Zeit zu Zeit hörte. Dieselben wurden von den Posten abgefeuert auf die Unglücklichen, die durch ihre Qualen gezwungen, in der unmöglichen Flucht ihr Heil versuchen wollten. Zuweilen erschossen die Posten den ersten Besten, der sich in der Nähe befand und nicht die mindeste Absicht zur Flucht verrieth, sie schleppten ihn dann an die Todtenlinie heran und gaben vor, er habe entfliehen wollen, ein Manöver, was nur den Zweck hatte, ihnen 30 Tage Urlaub zu verschaffen.

Frederic hörte das Alles nicht, oder ließ es unbeachtet, seine Angst nahm alle seine Gedanken so vollständig in Anspruch, daß er für nichts Anderes Auge und Ohr hatte. Die Todesangst und seine Schmerzen raubten ihm endlich die Sinne. – Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich von kräftigen Armen emporgehoben und an denselben Platz auf den Todtenkarren gelegt, den er bereits schon einmal vor einer Stunde inne gehabt hatte.

Pet hatte sich beeilt und war zu guter Zeit zurückgekommen, hatte mit Bob's Hilfe schnell den von dem letztern zusammengelegten Leichenhaufen aufgeladen und seinen Schützling dann obenauf gelegt.

Damit der Lieutenant ihm diesmal nicht wieder einen Querstrich machte, trieb er schnell die Maulthiere an, um fortzufahren.

Schon hatte er die Ausfahrt erreicht, als er die Stimme des Lieutenants hinter sich hörte:

»Heda, Pet! Komm zurück, Du schwarzer Taugenichts, Du sollst an den Pfahl gebunden werden. Bob wird statt Deiner den Wagen nach der Grube fahren und die Fuhre abladen!«

Eiskalt überlief es den Gefangenen, dessen Brust schon aufzuathmen begonnen hatte. – Also sollte ihn wirklich das entsetzliche Schicksal treffen, entweder in die Grube geworfen oder gehängt zu werden?

Pet stellte sich, als höre er nichts, sondern trieb die Thiere zu raschem Trabe an. Allein die Last, die er fuhr, war groß, und bald hatte ihn Bob eingeholt, dem ein Vogt auf dem Fuße folgte.

»Bist Du taub, Du Ungeheuer?« rief der Letztere. »Hast Du den Befehl nicht gehört?«

Ein Hieb mit der Peitsche gab diesem Verweise noch mehr Nachdruck.

Der Neger blickte verzweifelnd den Vogt an.

»Oh lassen mich den Wagen hinausfahren, Massah,« bat er. »Ich mich nachher gern will an den Pfahl binden lassen.«

»Ich glaube die Bestie ist toll!« versetzte der Vogt kopfschüttelnd. »Nimm die Zügel, Bob,« herrschte er diesen an und ergriff Pet beim Arm.

Dieser schien einen Augenblick unschlüssig, ob er nicht lieber den Vogt zu Boden schlagen und dann mit seinem Wagen abfahren sollte, allein er mußte einsehen, daß der Widerstand vergeblich sei, beim ersten Versuche des Widerstandes hätten ein Dutzend Läufe der Revolver, mit denen die Vögte versehen waren, sich auf ihn gerichtet. Mit unsäglichem Jammer in seinem Gesicht folgte er seinem Peiniger, während Bob mit dem Karren den Gruben zufuhr.

Frederic lag noch immer unbeweglich. Was sollte er thun, um seinem Geschicke zu entrinnen? Sollte er sich auf den Neger werfen und ihn überwältigen und entfliehen? – Sollte er sich in die Grube werfen lassen und später eine Gelegenheit abwarten, um daraus zu entfliehen? Das Erstere ging schwerlich an, denn wie hätte er, bei seiner Entkräftung, den baumstarken Neger überwältigen können? – Ob das Letztere möglich sei, das hing von der Beschaffenheit der Grube ab, indessen dies war das einzige, wenn auch unwahrscheinliche Mittel, dem entsetzlichen Geschick zu entgehen.


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