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Fünfundreißigstes Kapitel.
Keine Rettung

Der Sturm hielt die Nacht hindurch an. Capitain Brocklyn hatte, was Segel und Steuer vermochten, versucht, dem Kaperschiff seine Beute zu entziehen. Die Verpflichtung, die er übernommen, brannte ihm auf dem Gewissen, und die Selbstverachtung, die er empfand, so oft Lavinia und ihre Tante sich vertrauensvoll an ihn wandten und von ihm Trost forderten oder in warmen Worten ihm ihren Dank für seine aufopfernde Thätigkeit aussprachen, erdrückte ihn.

»O wüßtet Ihr, wem Ihr dankt,« dachte er bei sich; »Ihr würdet mich von Euch schleudern. Nicht Euer Retter bin ich, Euer Henker, denn ich habe gelobt, Euch und Euere Habe dem Räuber in die Hände zu liefern. – Wollte Gott, der Sturm verschlänge ihn oder mich!« –

Dieser Gedanke schien ihm Trost zu geben. Die Hoffnung dämmerte in ihm auf, daß die Fregatte vielleicht im Sturm untergehen möchte, ehe sie ihn erreichte.

Unermüdlich durchspähte er mit dem Fernrohr die düstere Fläche der empörten See, und immer wieder sah er das Schiff, wie es sich gleichsam triumphirend hoch auf einer Welle emporhob, oder mit seinem Bug hinabschoß in die Tiefe des Wellenthals, als wolle es sich vor seinen spähenden Augen verstecken.

»Vielleicht war es gar nicht die Alabama – vielleicht war es ein anderes Schiff, das zufällig seinen Cours nähme. – Eine Möglichkeit war's. Es galt den Versuch. Aller Gefahr trotzend versuchte er mitten im Sturm eine Wendung seines Schiffes. Statt des südlichen Laufes, den er bisher innegehalten, steuerte er jetzt östlich. Das Takelwerk zerriß, die Segel flatterten lose im Winde, die Masten krachten; das Schiff legte sich stöhnend auf die Seite, aber es folgte dem neuen Cours.

Brocklyn blickte sich um und ein Freudenschrei entfuhr ihm, er sah das Schiff nicht mehr. Er wartete eine Weile. Nein, es kam nicht zum Vorschein.

»So war es doch ein anderes Schiff,« sagte er halblaut. »Wahrscheinlich wird Semmes nicht aus den Klippen von Lynnes Eiland herausgekommen sein. – Aber gerade die Stelle, wo ich ihn sah, da konnte nach meiner Ansicht kein anderes Schiff sein, als die Alabama.«

Ungläubig und zweifelnd durchforschte er noch immer die schäumende See.

»Siehst Du das Segel noch?« fragte er durch das Sprachrohr zur Fockmast-Wache hinauf.

»Nein, jetzt nicht mehr,« antwortete der Matrose.

»Gott sei Dank, so hat er unsere Wendung nicht bemerkt und segelt an uns vorbei.«

»Ja, jetzt sehe ich ihn wieder!« rief der Matrose herab.

»Welche Richtung?« fragte Brocklyn beunruhigt.

»Er hat eben gewendet und steuert östlich!«

»So ist Alles vergebens!« sagte der Kapitain und wandte sich verzagt ab. – –

Der Morgen dämmerte und das Frühroth begann die grauen·Nebel am nordöstlichen Himmel zu zertheilen. Der Orkan hatte seine ganze Wuth erschöpft und begann nachzulassen. Der Macdonald hatte seiner Gewalt Trotz geboten, zwar hatte das treffliche Schiff in dem heißen Kampf viel gelitten und war nicht ohne schwere Verletzungen daraus hervorgegangen, aber die Verletzungen waren nicht unheilbar. Dankbar blickten die Seeleute, die in dieser Nacht wohl gefühlt, daß der Tod seine Hand bereits nach ihnen ausgestreckt hatte, zum Himmel, die aufgehende Sonne erschien ihnen wie ein Bote des Friedens, und wie sie die See übergoldete, so strahlte auch Glück und Frieden aus den Augen der Mannschaft des Macdonald.

Der alte Oberbootsmann, der oft genug mit Kopfschütteln die Befehle des jungen Capitain angehört und ausgeführt hatte, er war jetzt der Erste, der zu ihm ging und ihm die große, braune Hand entgegenstreckte.

»Capitain, nächst dem da oben haben wir Ihnen unsere Rettung zu verdanken. Sie haben mehr geleistet, als Mancher an Ihrer Stelle, der doppelt so alt ist und doppelt so viel Erfahrung hat wie Sie.«

Mit Thränen in den Augen folgten Mr. Crofton, seine Schwester und seine Tochter dem Beispiele des alten Seemannes.

Brocklyn wandte sich ab, die Dankesbezeugungen schnitten ihm in die Seele. Er suchte nach einer Gelegenheit sich denselben zu entziehen. Diese Gelegenheit bot sich in einem Ereigniß, das er von allen andern am wenigstens herbeigewünscht hätte.

Das gefürchtete Schiff, das ihm die Nacht hindurch wie sein Schatten gefolgt war, kam näher und näher, – Das Segelwerk des Macdonald war vom Sturm so zerstört, daß Brocklyn an ein Entrinnen nicht mehr denken konnte. – Jetzt war die schwarze Fregatte so nahe, daß man jedes Tau auf derselben unterscheiden konnte. Stolz und keck segelte sie daher, als ob nicht ein Windstoß diese Nacht sie getroffen. Alle Segel in schönster Ordnung und die Takelage so vollständig, so fest, so sauber, daß nicht ein Fädchen davon in Unordnung war oder fehlte. Daß dies Schiff die Nacht gegen die Wuth des Sturmes gekämpft, davon war nicht die Spur zu sehen, wie wenn es eben aus der Hand des Baumeisters hervorgegangen wäre.

Die Mannschaft des Macdonald sah staunend das Schiff an. Der alte Oberbootsmann schüttelte bedenklich seinen Kopf.

»Das Ding da geht nicht natürlich zu,« murmelte er. »Soll ein Schiff eine ganze Nacht vor einer solchen Bö hertreiben, und dann aussehen als wäre es erst frisch aufgetakelt? – Das geht nicht mit rechten Dingen zu, da muß der Gottseibeiuns selbst seine Hand im Spiel gehabt haben diese Nacht.«

Die schwarze Fregatte segelte schnurstracks auf die Brigg los, als wollte sie sie übersegeln.

»Was hat denn das zu bedeuten,« riefen die Offiziere und blickten überrascht ihren Capitain an. Dieser aber stand, finster auf das fremde Schiff blickend, an einen Mastbaum gelehnt und antwortete nicht.

»He da!« schrien die Matrosen – »oder habt Ihr noch den Schlaf in den Augen, daß Ihr uns nicht sehen könnt?«

»Herr Capitain,« sagte einer der Offiziere schreckensbleich. »Halten Sie das da in der That für eine Fregatte der Union?«

»Er wird es uns bald zeigen, wer er ist,« antwortete Brocklyn lakonisch, ohne den Fragenden anzublicken. »Zuvörderst aber wollen wir ihm zeigen, wer wir sind.«

Der erste Lieutenant gab das Kommando, und im nächsten Augenblick war das« Sternenbanner der Union aufgehißt.

Die Fregatte nahm gar nicht Notiz davon, sondern verfolgte in derselben Weise ihren Cours. Schon hatte sie sich auf Sprachrohrweite genähert, und die Mannschaft des Macdonald begann bereits mit großer Besorgniß das fremde Schiff zu betrachten und allerlei Vermuthungen über dasselbe laut werden zu lassen; da endlich fand die Fregatte es für gut, den Schleier des Geheimnisses zu lüften.

Langsam stieg die Flagge den Mast hinauf und als oben der Wind sie entfaltete, erkannte die Mannschaft des Macdonald zu ihrem Entsetzen die Flagge der Conföderation.

Waren sie noch zweifelhaft über die Absicht und den Charakter dieser Fregatte, so wurden ihre Zweifel vollends gelöst, als zugleich vorn am Bug, wo bisher nur eine bloße Nummer zu lesen war, eine Klappe herabfiel; unter derselben stand in rother Schrift auf schwarzem Grunde der Name, der für jeden Seemann der Union die Gewißheit war, daß er verloren sei, der Name »ALABAMA«.

Die Offiziere und Mannschaften standen wie versteinert da, der Capitain lehnte noch immer finster blickend an dem Mast. Mr. Crofton und die Damen, die eben auf's Deck gekommen waren, jammerten und klagten, namentlich Mrs. Lincoln, die es sich nicht verzeihen konnte, allen Warnungen zum Trotz doch an Bord des Macdonald gegangen zu sein. –

»Mir ahnte ein Unglück,« sagte Lavinia, »meine Ahnung hat mich nicht getäuscht. Nun werden wir dasselbe Unglück haben, was unsern lieben Eugene betroffen hat; sein Schiff wurde auch von diesem gekapert und er selber gefangen an Bord desselben gehalten. Vielleicht haben sie ihn gar getödtet.«

»Ich habe mir gleich gedacht,« fügte der Oberbootsmann hinzu, »daß es mit dieser schwarzen Fregatte nicht richtig ist. Schon wie sie da im Hafen lag so still und so harmlos, hatte sie das Ansehen einer Katze, die auf der Lauer liegt; und nun gar wie das Schiff ohne Haverie durch den Sturm gekommen ist, das ist nicht mit rechten Dingen zugegangen. Ich sage, das Schiff wird vom Gottseibeiuns selbst geführt und kann hier und in den chinesischen Gewässern zu gleicher Zeit sein. – Es war Bestimmung, Miß,« fügte er, sich an Lavinia wendend, hinzu, »daß wir gekapert werden sollten. Warnungszeichen haben wir Alle gehabt, aber wir haben sie nicht beachtet.«

»Ach Gott,« klagte die Wittwe des Capitain Lincoln, »hätte ich doch den alten Beischiffsführer meines Mannes, den guten Mr. Blum, über das schwarze Schiff befragt, er hätte mir bestimmt Auskunft gegeben, er hatte für Schiffe ein so erfahrenes Auge.«

»Er hätte sich möglicher Weise doch in diesem Schiffe geirrt,« versetzte der Oberbootsmann. »Erinnern Sie sich, Mr. Crofton, wie der naseweife Advokat in der »Blauen Flagge« es für ein Kohlenschiff hielt? – Ich wollte, wir hätten diesen Esel, der die Wellen des Kielwassers mit dem Backbord durchschneiden sah, hier an Bord, da könnte er innerhalb einer halben Stunde mehr von den Abenteuern einer Seefahrt erleben, als er sich je hat in seiner Schreibstube träumen lassen.«

»Am Besan wird eine rothe Flagge gehißt, Capitain,« unterbrach der erste Lieutenant die Ergüsse des Oberbootsmannes.

»Laßt sie signalisiren, so viel sie wollen,« antwortete Brocklyn kurz. »Es kann uns noch in der letzten Minute Hilfe kommen.«

»Beigedreht!« donnerte der Ruf durch das Sprachrohr von der Alabama herüber.

Brocklyn lachte bitter.

»Ich will das letzte versuchen,« murmelte er. – »Ich werde die Ladung preisgeben und mein Heil noch einmal in der Flucht versuchen.«

Er griff zum Sprachrohr:

»Alle Segel beigesetzt und die Geschütze und schwere Ladung über Bord!« kommandirte er.

Sein Kommando aber war auf dem andern Schiff gehört, und noch ehe mit der Ausführung desselben auch nur der Anfang gemacht war, öffnete sich eine Stückpforte der Alabama, ein Feuerstrahl drang daraus hervor, der Donner der Kanone dröhnte über die weite See hin, und die Kugel sauste durch das Takelwerk des Macdonald.

Der Capitain Brocklyn achtete nicht darauf, und als er sah, wie seine Offiziere zauderten und ihn fragend anblickten, rief er ihnen in barschem Tone zu:

»Was wollen Sie, meine Herren? Sie haben mein Kommando gehört, thun Sie, was Ihre Pflicht ist!«

»O nicht doch,« warf sich hier Mr. Crofton ins Mittel, machen Sie keinen vergeblichen Versuch, der uns Allen möglicher Weise das Leben kostet. Drehen Sie bei, Mr.» Brocklyn. Ich sehe, wir retten die Ladung doch nicht, so wollen wir wenigstens nicht noch unser Leben aufs Spiel setzen.«

»Beigedreht!« kommandirte Brocklyn.

Unverzüglich wurde dem Befehle gehorcht. Die Segel wurden so gestellt, daß der Wind von der entgegengesetzten Seite sich darin fing und dadurch das Schiff zum Stillstehen brachte.

Die Alabama machte dasselbe Manöver, gleichzeitig ward, von derselben ein Boot herabgelassen und mit einem Offizier und sechs Matrosen bemannt, die dem Macdonald zuruderten.

Fünf Minuten später stand der Lieutenant Armstrong auf dem Deck des Macdonald.

Brocklyn schritt ihm mit düsterer Miene entgegen.

»Sie sind der Capitain dieses Schiffes?« redete ihn Armstrong an.

»Es ist nicht nöthig, die Comödie weiter zu spielen,« unterbrach ihn Brocklyn halblaut. »Es ist mir widerwärtig, die Maske länger zu tragen. Beenden Sie ihr Geschäft; machen Sie's kurz.«

»Ihre Papiere, Herr Capitain,« fuhr Armstrong laut fort, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen.

Brocklyn reichte sie ihm schweigend.

»Aus den Papieren ersehe ich,« fuhr der Lieutenant des Kaperschiffes fort, »daß Schiff und Ladung unionistisches Eigenthum sind; – im Namen der Conföderation erkläre ich das Schiff für eine Prise der Alabama und übernehme von diesem Augenblicke das Kommando auf demselben. – Die Flagge herunter!«

Das Banner der Union senkte sich langsam herab.

Dies war das Zeichen, von der Alabama Böte auszusetzen, um die Mannschaften und werthvollen Effecten an Bord derselben zu bringen.

»Mr. Armstrong,« wandte sich Brocklyn an diesen, »ich hoffe, daß man gegen die Passagiere dieses Schiffes mit mehr Rücksicht verfahren wird, als Sie sonst gegen Kriegsgefangene zu nehmen pflegen. Es sind Damen an Bord.« –

»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach ihn Armstrong, »und ich bin Ihnen wenig zu Dank verpflichtet, Sir, daß Sie sich bemühten, die Damen von der Fahrt abzubringen. – Beruhigen Sie sich indessen, man wird den Damen begegnen, wie es die Rücksicht gegen Damen und wie es meine Verehrung für Miß Lavinia erfordert. – Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, Miß Crofton?«

Die letzten Worte waren an Lavinia gerichtet, die eben mit ihrer Tante der Fallreepstreppe zuschritt, um in eines der Boote einzusteigen.

Brocklyn biß die Lippen zusammen. Ob Lavinia seinen Aerger bemerkte? Es war wohl möglich, denn ihr Blick traf erst ihn, ehe sie dem Lieutenant antwortete:

»Ich danke Ihnen, Sir,« und den Arm ihres Vaters ergriff.

Passagiere und Mannschaften waren bald hinübergeschafft auf die Alabama. Nun ging es an ein Durchsuchen des Schiffes nach werthvollen Objecten. Das baare Geld war bereits von Brocklyn an Armstrong abgeliefert. Der Steuermann nahm die Sextanten, den Compaß, die Fernröhre; der Segelmacher, was er von Segeln und Tauwerk brauchen konnte; der Geschützmeister das Pulver und die transportablen Waffen. – Jeder nach seinem Belieben und Ermessen; was indessen Alles zusammengenommen nicht so gar viel war, denn zwei Böte waren genügend, das Ausgewählte hinüber zu schaffen.

Zum letzten Male kehrten die Böte nach dem Macdonald zurück, diesmal mit Theertonnen, Wachs, Werg und anderen Brennstoffen beladen, welche unter die geöffneten Luken gelegt und angezündet wurden. –

Die Matrosen des Macdonald erhielten, so wie sie das Deck der Alabama betraten, Handeisen, die Officiere wurden nicht gefesselt, indessen wurde Ihnen ein Platz auf dem Schiffe angewiesen, den sie nicht verlassen durften.

Mr. Crofton und die Damen wurden von Semmes mit ausgezeichneter Höflichkeit empfangen.

»Es ist mir bereits von Mr. Armstrong Ihre Ankunft angezeigt,« sagte er verbindlich, »und ich habe die vordere Cajüte zu Ihrer Aufnahme herrichten lassen, wollen Sie sich gefälligst dahin bemühen?«

Mr. Crofton war auf's Höchste überrascht.

»Mr. Armstrong?« sagte er. »Derselbe Herr, der eben sich drüben auf dem Macdonald befindet?«

»Derselbe Sir.«

»Woher konnte der aber von der Ankunft der Damen wissen? Woher konnte er auch nur vermuthen, daß meine Schwester und Tochter sich an Bord des Macdonald befänden?« –

»Ich war so frei, ihm das mitzutheilen,« sagte der alte Seemann, der sich grinsend zu Mrs. Lincoln drängte.

»Was?« rief diese. »Sie hier? Mr. Blunt, der Beischiffsführer auf dem Schiffe meines seligen Gemahls?«

»Hä, hä, hä!« lachte der Seemann, mit seinem Galgengesicht die Matrone anblickend. – »Ich gebe Ihnen die Versicherung Ma'am, daß ich Ihren werthen Herrn Gemahl in meinem Leben mit keinem Auge gesehen habe. Aber hatte ich nicht Recht, als ich sagte, der Macdonald ist ein gutes Schiff? – Haben nicht die Wuhlingen und das Bugsprit, wofür Sie so sehr besorgt waren, im Sturm gut gehalten, he?«

Während vor Erstaunen und Entrüstung die Dame bald roth bald blaß wurde, stand seinerseits der Oberbootsmann mit weit offenem Munde und stierte den Capitain des Kaperschiffes an.

»He, Mr. Crofton!« flüsterte er, diesen am Aermel zupfend. »Sehen Sie nichts?«

»Was denn?« fragte dieser.

»Ich will keine Loggschnur von einem Ankertau unterscheiden können, wenn ich den da nicht kenne!«

»Den Capitain?«

»Ja, den Capitain! – Ich will verdammt sein, es ist entweder der Satan selber, oder es ist der naseweise Advocat aus der »Blauen Flagge«, obwohl er jetzt zwei Augen hat wie ich selbst und auf seinen Beinen so grade geht wie Metropolitain-Policeman.«

Die Unterhaltung wurde hier unterbrochen, denn in diesem Augenblick richteten sich die Blicke Aller auf den Macdonald, aus dessen Luken eben die Flammen lodernd emporschlugen.

Da lag das stolze Schiff mit seinen hohen Masten und seinen schneeweißen Segeln, das Schiff, welches der Stolz jedes Seemannes sein würde, so ruhig und so leicht sich wiegend, als ob es nur des Augenblicks harrte, um mit seinem Kiel weit hinauszufliegen in die endlose See. Noch verspürte es das vernichtende Element, das in seinem Innern wüthete, nicht.

Eben als Mr. Armstrong vom Macdonald abstieß, da durchbrachen die Flammen das Deck und züngelten sich wie feurige Schlangen die Masten hinauf. Die Leinwand der Segel lös'te sich ab und ward vom Winde wie glühende Drachen auf die See hinaus getrieben. Im Zickzack schoß die Lohe durch das Takelwerk, die getheerten Taue zerstörend. – Wenn ein brennendes Schiff nicht ein Anblick wäre, der jedem Seemann das Herz brechen muß, so würde Jeder, der dergleichen sah, einräumen, daß es ein Anblick ist so großartig schön, daß er der Beschreibung sich entzieht. Nur der kann sich eine Vorstellung davon machen, der je ein Schiff brennen sah; zu vergleichen ist mit solchem Schauspiel kein anderes. – Das Schiff erschien, in Feuer gehüllt, wie in einer feurigen Wolke schwebend, gleichsam wie ein Nebelbild auf glühendem Hintergrunde. Regungslos lag es da, dem furchtbaren Element preisgegeben, bis die Wände anfingen der Hitze nachzugehen und in weiten Fugen sich zu öffnen. Da begann das Schiff zu schwanken, erst wenig, dann heftiger, als ob es seine Kräfte anstrengte, dem wüthenden Element Widerstand zu leisten. Bald hob es den Bug, bald senkte es ihn hinunter. Zischend fielen die brennenden Masten in die See, und das ganze Schiff hatte jetzt das Ansehen eines riesigen Feuerballes, einer glühenden Masse, die sich auf den Wellen bewegte. – Da zum letzten Male machte es eine Bewegung – tief senkte es seinen Bug in die Wogen bis es mit dem Spiegel fast senkrecht über dem Wasser stand, und wie ein feuriges Seeungeheuer tauchte es in die zischend emporspritzenden Fluthen hinab.

Die stolze Brigg mit all den Schätzen, welche sie trug, eine halbe Million Dollars an Werth, war auf immer verschwunden und nur ein brausender Wasserwirbel zeigte einige Sekunden lang die Stelle, an welcher das Meer seine Beute verschlungen hatte. –

Als sich die Damen wehmüthig bewegt von dem Schauspiel abwandten, sahen sie den Capitain Brocklyn hinter sich mit zusammengebissenen Lippen finster auf die See hinausschauend. Neben ihm stand der alte Oberbootsmann, der sich mit dem Aermel seiner Jacke eine Thräne von den braunen Wangen wischte. Eine Stille herrschte, trotz der Menge der Zuschauer, als ob man soeben ein sehr schmerzvolles Leichenbegängniß beendet habe. Niemand sprach nur mit Blicken sagten sich Alle, daß sie Gleiches fühlten.

Eine feine, fast weibliche Stimme, welche die Damen anredete, unterbrach »das Schweigen:

»Wollen Sie sich nicht in Ihre Cajüte verfügen, meine Damen? Sie sind durch das eben Erlebte bereits sehr angegriffen, das Geschäft aber, was wir jetzt hier an Bord der Alabama vorzunehmen haben, würde Sie nur noch mehr aufregen.«

Es war der Lieutenant Armstrong, der diese Worte sprach, die er noch dadurch unterstützen daß er Lavinia den Arm bot und mit ihr voranging nach der Treppe am entgegengesetzten Ende des Schiffes.

Mr. Crofton, Brocklyn und Mrs. Lincoln folgten ihnen.

»Welcher Art ist das Geschäft, was« sie vorzunehmen haben?« fragte Lavinia ihren Begleiter.

»Es ist eine Execution, Miß,« war die Antwort.

Gegen einen von unseren Leuten?« fragte sie erschrocken.

»Nein, Miß. – Ein verrätherischer Yankee soll seinen Lohn empfangen. Unter der Maske eines Lootsen schlich er sich auf unser Schiff, aber nicht um es sicher zu führen, sondern um es auf den Klippen von Lynnes-Eiland zerschellen zu lassen. Wir hatten zu der Execution nicht eher Zeit, denn die Nacht hatten wir mit dem Sturm zu kämpfen, und seit Tagesanbruch beschäftigte uns die Jagd auf den Macdonald.«

Sie schritten eben an dem Hauptmast vorbei, an welchen der Mann, von dem Armstrong gesprochen hatte, gebunden war, und zwar mit dem Rücken den Kommenden zugewandt.

»Der Unglückliche,« dachte Lavinia, einen Blick inniger Theilnahme auf den Gefesselten werfend. »Er muß sein heldenmüthiges Wagestück mit dem Leben bezahlen.«

Sie waren bereits an dem Mast vorbei und nahe an der Treppe. Lavinia konnte der Neugierde nicht widerstehen, dem Manne, dessen That sie bewunderte, ins Gesicht zu blicken.

Sie warf einen schnellen Blick hinter sich. Plötzlich hielt sie inne und ließ den Arm ihres Führers los. Die Blässe ihres Gesichts zog sich bis in ihre Lippen. Sprachlos, regungslos stand sie einen Augenblick da, mit weit aufgerissenen Augen auf den jungen Mann blickend, der dort an den Mast gebunden war und seine Augen in dumpfer Verzweiflung an den Boden heftete.

»Lavinia, mein Kind, was ist Dir?« rief Mr. Crofton, seine Tochter besorgt umfassend.

Auch Brocklyn eilte bestürzt zu ihr und forschte voller Theilnahme nach der Ursache ihres Schreckens.

Sie stieß, statt einer Antwort, einen durchdringenden Schrei aus. dann riß sie sich aus dem Arme ihres Vaters los und stürzte auf den Gebundenen zu.

»Eugene, mein theurer Eugene!« rief sie und schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Eugene?« wiederholte Mr. Crofton. – »Ja, bei Gott, es ist Eugene Powel. Was hat das zu bedeuten, wie kommt er in diese Lage?«

Mr. Armstrong wiederholte, was er eben Lavinia von dem Verbrechen des jungen Mannes gesagt hatte.

»Sie sprachen eben den Namen Powel aus,« flüsterte Brocklyn, Mr. Crofton am Arme nehmend. »Auch mir ist der Name bekannt. Ist der junge Mann aus New-York?«

»Es ist der Bruder meines besten Freundes,« antwortete Crofton, »der Bruder von Charles Powel in New-York, früher Inhaber einer bedeutenden Firma, jetzt aber in schlechten Umständen. Mein Gott, welches Unglück trifft doch alles diese Familie.«

Brocklyn wandte sich ab und preßte die Hand an seine Stirn.

»Charles Powel, das Opfer meines Vaters,« murmelte er: »und dieser heldenmüthige Jüngling sein Bruder. – Ha, das ist eine Gelegenheit, einen Theil der Schuld zu sühnen, die mein Vater auf sich geladen, ich muß ihn retten!«


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