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Zweiundreißigstes Kapitel.
Das geheimnisvolle Haus

Die Begegnung mit Atzerott hatte Esther nicht sehr beunruhigt, da sie sicher war, daß sie von ihm nichts zu befürchten habe; wohl aber nahm etwas Anderes ihr Interesse außerordentlich in Anspruch, nämlich die Verwendung der Kleider, welche Mr. Hopkins anzufertigen oder zu verpacken hatte. Die Andeutungen, welche Scipio darüber gemacht hatte, erfüllten sie mit Grauen.

»Aber es soll ihnen nicht glücken,« dachte sie bei sich. »Ich werde diesen wie ihre übrigen teuflischen Pläne durchkreuzen.«

Um das zu bewerkstelligen, hatte sie ein einfaches Mittel gefunden, sie nähte nämlich in jedes fertige Stück, an einer Stelle, die wenig in die Augen fiel, ein V, ähnlich wie sie es als Warnungszeichen auf den Etiquetten von Flaschen gesehen hatte, welche Gift enthielten. Bei Röcken und Frauenkleidern befand sich dies Kreuz in der inneren Seite des Aermels, bei den übrigen Kleidern an einer eben so wenig auffallenden Stelle. Ihre Absicht dabei war, die Regierung der Union auf diesen Anschlag auf irgend eine Weise aufmerksam zu machen und die Behörden in Stand zu setzen, unter den importirten Kleidungsstücken sofort die vergifteten heraus zu erkennen.

So vergingen mehrere Tage, in welchen sie auf die Nachricht von Scipio harrte, daß die Zeit ihrer Flucht gekommen sei. Diese Nachricht brachte Scipio vier Tage nach der Begegnung mit Atzerott. Er erzählte, daß heute zwei Wagen mit Tuchen angekommen seien, und daß dieselben diesen Abend wieder abfahren würden. Den einen dieser Wagen führte Joë, ein Neger des Mr. Sanders, mit dem er gut befreundet sei. Er hätte auch mit demselben bereits wegen ihrer Flucht Rücksprache genommen.

»Sie müssen sich also,« fuhr er fort, »heute Abend um 7 Uhr neben den Gärten vor dem Fairfax-Thor aufhalten. Von der Straße aus führt ein schmaler Gang zwischen den Gärten hindurch, der von jeder Seite durch hohe Bretterzäune abgegrenzt ist. An der Ecke dieses Ganges wird Joë anhalten, als ob etwas am Geschirr der Pferde in Unordnung sei. Sie treten dann aus dem Gange hervor und schlüpfen hinten in den Wagen hinein, dessen Thüren nicht verschlossen sind. Sie können die Wagen leicht erkennen, es sind, wie ich Ihnen schon gesagt, geräumige Kasten, wie man sie gewöhnlich bei Packetwagen hat, der eine von ihnen ist blau lackirt, der andere braun. Dieser letztere ist derjenige, der von Joë geführt wird.«

Esther versprach, den Anordnungen pünktlich Folge zu leisten und überließ sich, als Scipio sich entfernt hatte, ganz der Freude über ihr baldiges Wiedersehen mit ihrem Bruder und mit – ihm, dessen Namen sie nicht wußte, dessen Bild sich aber unauslöschlich ihrem Herzen eingeprägt hatte.

Ihre Reisevorbereitungen erforderten wenig Zeit, ihre Hauptsorge bestand nur darin, ihrem Wirth mitzutheilen, was sie über den Zweck der Kleidungsstücke vermuthete, um ihn zu veranlassen, das Geschäft der Kennzeichnung dieser verderbenbringenden Anzüge selbst zu besorgen.

Mr. Hopkins war ganz versteinert, als er das hörte, und ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, versprach er, in jedes Stück das bedeutungsvolle V hineinnähen zu wollen. Mit innigem Danke nahm Esther darauf von ihren gütigen Wirthsleuten Abschied und stellte sich pünktlich zur verabredeten Zeit in dem Gange zwischen den Gärten ein.

Sie hatte dort noch keine Viertelstunde gewartet, als sie mehrere Wagen ankommen sah.

Der erste war eine offene Chaise, in welcher außer dem Kutscher drei Männer saßen· Der Eine von ihnen saß tief in die Ecke gedrückt und schien zu schlafen. Von seinem Gesicht war Nichts zu sehen. Die beiden Andern, von denen Einer auf dem Rücksitz saß, waren in lebhaftem Gespräch begriffen. In einem von diesen erkannte sie William, den Vogt des Mr. Sanders, den sie mehrfach in White-House gesehen hatte. Derjenige, mit dem er sprach, schien ebenfalls ein Vogt oder Verwalter zu sein, doch erkannte sie ihn nicht.

Hinter der Chaise fuhren in einigen Entfernung zwei Wagen, so wie Scipio sie ihr beschrieben hatte, zuerst ein blauer Packetwagen, dann ein brauner.

Der Führer des letzteren war ein Neger von schlauem Aussehen.

Er schien überall umherzuspähen, ob er nicht Jemanden bemerke, und kaum war sein Blick auf das im Gange stehende Mädchen gefallen, so hielt er die Pferde an, sprang vom Kutschersitz herab und stellte sich, als ob er an dem Geschirr der Pferde eine Schnalle befestigte.

»Steigen Sie schnell ein, es ist offen,« flüsterte er ihr zu. »Am Walde von Sandersford werde ich anhalten und Sie aussteigen lassen.«

Esther folgte dem Winke. Die Thüren waren nur angelehnt. Sie schlüpfte hinein und zog die Thüren hinter sich zu. Auf einer der leeren Kisten fand sie einen den Umständen nach ziemlich bequemen Sitz.

Nach etwa zwei Stunden hielt der Wagen an. Aus dem Rufen der Kutscher nach dem Hausknecht und aus dem Lärmen von mehreren Stimmen, den Zurufen der Fuhrleute an die Pferde, dem Klappern von Eimern und ähnlichen Kennzeichen schloß sie, daß es ein Gasthaus sei, vor welchem man den Pferden Futter gäbe.

Sie wartete in peinlicher Angst wohl eine halbe Stunde. War es nicht leicht möglich, daß der Sklavenvogt, welcher mitgeschickt war, die Wagen zu beaufsichtigen, auf den Gedanken kam, sich zu überzeugen, ob dieselben auch verschlossen seien? Zwar war der Wagen, in dem sie sich befand, leer, es konnte nichts daraus verloren gehen, aber war es nicht möglich, daß man irgend etwas hineinlegte?

Sie machte in ihrem Herzen Scipio Vorwürfe, daß er das Alles nicht bedacht habe. Vielleicht hätte sie, auf diese Gefahr aufmerksam gemacht, ihre Flucht ganz aufgegeben oder auf andere Weise versucht. Die Minuten wurden ihr zu Stunden. Die zweite halbe Stunde verging, da zu ihrer Freude fühlte sie an dem Schwanken des Kastens, daß Jemand auf den Bock stieg. Sie hörte, wie der Hausknecht die Krippe wegnahm, aus welcher die Pferde gefressen hatten, sie hörte, wie der Fuhrmann auf seinem Sitz sich zurecht rückte, und wie er Fläche vor sich hinmurmelte, daß in dem Wirthshause der Wein sauer und der Taback schlecht sei; sie hörte das ungeduldige Stampfen der muthigen Pferde, die eben so ungeduldig der Weiterreise harrten, wie sie selber. Das Zeichen ward endlich durch ein Schnalzen mit der Zunge gegeben.

Der Wagen setzte sich in Bewegung und Esther athmete auf.

Aber nicht weiter als zehn Schritte waren sie gefahren, da hörte sie eine Stimme dem Kutscher zurufen:

»Halt noch einen Augenblick!«

Der Fuhrmann gehorchte. Esthers Herz schlug fast hörbar. Schwere Fußtritte dröhnten auf dem Steinpflaster vor dem Gasthause, sie näherten sich dem Wagen.

*

Bevor wir über das Schicksal der schönen Quadroone weiter berichten, haben wie nachzuholen, was Atzerott während der Zeit begann, daß sie der süßen Hoffnung sich hingab, ihm und seiner Rache glücklich zu entkommen.

Atzerott hatte die vier Tage, welche verstrichen waren, seit der Zeit, da er die Demüthigung von Seiten des jungen Mädchens erfahren, vortrefflich benutzt.

Als er damals mit der Drohung, sich zu rächen, Esther's Zimmer verließ, begab er sich ohne Zögern auf die Reise, und zwar direkt nach White-House, hier erfuhr er jedoch von Mr. Breckenridge, daß er Esther freigelassen habe und es ihr also freistehe, sich aufzuhalten, wo sie wolle.

Das war eine Neuigkeit, die Mr. Atzerott sehr verdroß, allein ihm kam bald eine Idee, die ihm noch besser gefiel, als die Auslieferung Esther's an ihren Herrn. Er wußte, wie viel Mr. Tucker an ihrem Besitz gelegen, und mit welcher Lüsternheit er stets nach ihren Reizen Verlangen getragen hatte.

Mr. Tucker hielt sich meist in Richmond auf; er besaß dort, wie schon erwähnt, in dem aristokratischen Stadttheil Springhill, und zwar in der Yorktown-Street, ein Palais, und zwar, wie wir ebenfalls bereits mittheilten, in der Nähe von dem Palais des Mr. Berckley, hinter welchem sich das »Ritterhaus« befand.

Hinter jedem der Häuser in der Yorktownstraße lagen große Gärten, die zum Theil zu Zier- und Blumengärten umgestaltet, theils dicht bewachsene Parks waren, mit hohen Bäumen und dunklen Laubgängen.

Von der letzten Art war auch der Garten, der sich an Mr. Tucker's Palais schloß. Derselbe hatte indessen einen besonderen Vorzug, welchen die meisten der übrigen Gärten entbehrten. Dort nämlich, wo das Gebüsch am dichtesten war und eine vollständige Wildniß bildete, erhob sich ein kleiner Hügel, bis oben hinauf dicht bepflanzt. Das Plateau dieses Hügels umkränzte ein undurchdringliches Gehege von Tannen und anderem Nadelholz. Es war nicht möglich, selbst wenn man sich durch die Wildniß bis zum Gipfel des Hügels Bahn gebrochen hatte, durch die dunklen Nadelbäume, die außerdem noch von allerlei Schlingpflanzen durchwebt waren, hindurch zu sehen, wie es auf dem Plateau aussah.

Dies Plateau war ein freier runder Platz von etwa 50 bis 60 Fuß Durchmesser. In der Mitte desselben erhob sich ein allerliebstes Gartenhaus im Schweizerstyl, um dasselbe herum aber war eine bis zur obersten Fensterreihe hinausreichende Mauer gezogen, so daß vom ganzen Platz nur ein schmaler Weg übrig blieb, der zwischen dem Tannengehege und der Mauer sich herumzog. Es mochten Viele den Park besucht haben, ohne von diesem Gartenhause auch nur eine Ahnung zu haben, denn zu sehen war es von außen nicht, und sich durch das Dorngesträuch den Hügel hinauf und dann durch das Tannengehege und die Schlinggewächse auf das Plateau zu arbeiten, fiel Keinem ein, wenn es überhaupt möglich war.

Aber gesetzt auch, es wäre Jemand gelungen, auf den Hügel zu kommen, was hätte er gesehen? Eine kreisrunde hohe Mauer und darüber hervorragend das Dach eines Schweizerhauses. Was aber in jenem Hause vorging, und ob es überhaupt bewohnt war, das mußte Jedem ein Geheimniß bleiben, denn die steile Mauer zu erklimmen, war rein unmöglich und – dies war das Merkwürdigste – die Mauer hatte gar nicht einmal ein Thor oder auch nur eine Pforte, und es war unbegreiflich, auf welche Weise man zu dem Hause gelangte.

Allein diese Betrachtungen hatte wohl noch Niemand angestellt, da Niemand von der Existenz des Hauses eine Ahnung hatte, außer denen, die in das Geheimniß eingeweiht waren, und diese Personen waren Mr. Tucker, dessen Haushofmeister Mr. O'Brien und eine alte Mulattin, von welcher später die Rede sein wird. Tucker hatte jenem Hause den Namen »Venusschloß« gegeben. Dasselbe war für die ganze übrige Dienerschaft ein Geheimniß, denn wenn es aus dem angegebenen Grunde überhaupt schon unmöglich war, es zu entdecken, so hatte Mr. Tucker doch aus besonderer Vorsicht die Anordnung getroffen, daß seine Dienerschaft nicht weiter in den Park hineingehen durfte, als bis zu einem hohen Stacketenzaun, der denselben da abgrenzte, wo die Wildniß des hinteren Theils des Gartens begann. Zu der Thür, hinter welcher ein sehr schmaler Weg sich in's Gebüsch hineinschlängelte, hatten nur die drei Personen, welche um das Geheimniß wußten, einen Schlüssel. – –

Nachdem wir diese Beschreibung vorausgeschickt, kehren wir zu Mr. Atzerott zurück, dessen Wagen eben vor dem Palais des Mr. Tucker anhielt.

»Ist Mr. O'Brien zu sprechen?« fragte er den Portier, der mit gravitätischer Miene ihm öffnete und ihn mit Blicken maß, die für jeden Andern beleidigend gewesen wären, die aber dieser Mensch, in dem die niedrigsten Leidenschaften jedes Gefühl erstickt hatten, nicht empfand, vielmehr wiederholte er seine Frage, als der Gravitätische nicht sogleich antwortete mit der verbindlichsten Höflichkeit.

»Mr. O'Brien,« entgegnete der Portier »hat jetzt gerade Sprechstunde; aber ich zweifle, ob er Sie vorlassen wird, es sind bereits zu Viele da.«

»Oh, das thut nichts, werther Freund,« antwortete Atzerott. »Mr. O'Brien wird mich schon vorlassen.«

Die Zimmer des Haushofmeisters lagen im Parterre nach hinten hinaus. Die Vorzimmer waren mit Pächtern, Lieferanten und Ouvriers angefüllt, welche alle auf eine Audienz bei der hochwichtigen Person Mr. O'Brien's warteten. Einer suchte sich vor den Andern zu drängen, um der Thür, hinter welcher sich der Herr befand, zunächst zu sein. Aber Stunden waren bereits verflossen, und die Thür öffnete sich nicht, nicht einmal ein Bedienter ließ sich sehen, um die Harrenden anzumelden.

Diese Aussicht war für Mr. Atzerott trostlos genug, aber er gab die Hoffnung nicht auf. Er drängte sich nicht vor, sondern blieb ruhig an den Eingangsthür, bis sich ein Jockey sehen ließ, dem er etwas in's Ohr flüsterte.

Der Jockey nickte bejahend und machte sich Bahn durch die Menge nach der Thür zu Mr. O'Brien's Zimmer.

»Mich zuerst, Sir!« riefen Alle durcheinander. »Ich warte schon eine Stunde,« klagte Einer. »Das ist noch gar nichts,« sagte ein Anderer, »ich warte schon anderthalb Stunden.« – »Lächerlich,« unterbrach diesen ein Dritter, »ich bin schon zum vierten Male hier, ohne vorgelassen zu werden« –

Der Jockey achtete all dieser Zurufe nicht, sondern öffnete leise die Thür, aber nur gerade so weit, als erforderlich war, seine schmächtige Figur hindurch zu lassen.

Alle reckten die Hälse, um zu sehen, welches wichtige Geschäft Mr. O'Brien bewegen möchte, sie so lange warten zu lassen, und ein Gemurmel des Unwillens entstand, als Einige sahen, daß der Haushofmeister ganz allein sei und gemächlich sich in seinem Lehnstuhl wiegte und sich die Zähne stocherte.

Der Jockey öffnete nach wenigen Sekunden die Thür wieder, und Alles horchte gespannt, wer zuerst gerufen werden würde. Der, welcher heute zum vierten Male vergebens auf Audienz wartete, trat bereits mit großer Energie vor, da er glaubte, ihm müsse unstreitig der Vorzug werden. Wie stand er aber betroffen da, als der Jockey rief:

»Mr. Atzerott!«

Der noch immer hinten an der Thür lehnende Atzerott trat schnell vor.

»Das ist eine Bevorzugung!« riefen Alle. »Der Herr ist zuletzt gekommen und wartet kaum fünf Minuten.«

Aber was half das Murren. Mr. Atzerott war bereits hinein, und die Thür schloß sich hinter ihm.

Mr. O'Brien saß, den Rücken nach der Thür gelehrt, auf seinem Schaukelstuhl und schaute gemächlich zum Fenster hinaus, während er ruhig fortfuhr, in seinen Zähnen zu stochern. Ohne sich nach dem Eintretenden umzusehen, that er in ziemlich gleichgiltigem Tone die Frage:

»Was wünschen Sie?«

»Eine Unterredung mit Ihnen, Sir,« antwortete Atzerott, ein wenig verstimmt durch den hochmüthigen Empfang, ohne aber diese Verstimmung merken zu lassen, denn er wußte sehr wohl, daß, wenn er bei Mr. Tucker etwas durchsehen wollte, er sich die Gewogenheit des Haushofmeisters vor allen Dingen zu erhalten suchen müsse. Er fügte, um die Härte, die in seiner Entgegnung lag ein wenig zu mildern, hinzu: »Wenn Sie indessen beschäftigt sind, so kann ich ja ein ander Mal wiederkommen.«

Mr. O'Brien war ein geborner Irländer und verläugnete seine Abstammung weder in seinem Aeußern noch in seinem Charakter. Er war, wie fast alle Irländer, untersetzt und etwas zur Wohlbeleibtheit geneigt. Seine kleinen grauen Augen verriethen ganz die Schlauheit und Tücke aller seiner Landsleute, und auf der niedrigen Stirn, die das bereits ergrauende spärliche Haar zum Theil bedeckte, standen alle jene niedrigen Leidenschaften geschrieben, die dem verkommenen Theil seiner Landsleute eigen zu sein pflegt.

Er erwiderte auf Atzerotts Antwort nichts, sondern fuhr eine Weile fort, sich mit großer Sorgfalt die Zähne zu stochern.

»Schließen Sie die Thür,« sagte er dann zu ihm.

Atzerott that es.

»Treten Sie hierher,« fuhr er fort; »da setzen Sie sich, daß ich Sie sehen kann« – er deutete auf einen ihm gegenüberstehenden Stuhl.

Atzerott folgte auch diesem Wink und nahm Platz.

»Sie verkaufen zuweilen etwas,« begann er nach einer Pause, nach einem Witz suchend, der sich nicht einstellen wollte – »etwas wie – ja beim Teufel, Sie verkaufen etwas – Sie werden mich schon verstehen.«

Atzerott fing gutmüthig an zu lächeln.

»Seht scherzhaft, was Sie zu sagen belieben, Sir. Die Sache ist allerdings die, daß ich dergleichen verkaufe. – Schon vor einigen Jahren hatte ich das Vergnügen, mit Ihnen in Geschäftsverbindung zu treten, und habe nachträglich erfahren, daß meine Waare Mr. Tucker ausnehmend befriedigt hat.«

»Hm, ja – ich weiß. Aber jetzt kommen Sie zur unrechten Zeit, Sir. Mr. Tucker trägt augenblicklich kein Verlangen nach der Art Waare.«

»Ist's möglich?«

»Es ist so – sein Geschäft als Armeelieferant – die Politik – die Werbungen, das Alles sind Dinge, die ihn von seinen früheren Leidenschaften abziehen.«

»So müßte man nur einen Magnet finden, der stark genug ist, ihn wieder zu seinen Leidenschaften zurückzuziehen;« bemerkte Atzerott mit einem schlauen Blick auf den Haushofmeister.

Mr. O'Brien nickte beistimmend.

»Ja, da haben Sie recht. Der Weg, den Mr. Tucker gegenwärtig einschlägt, gefällt mir nicht. – Ewiges Rechnung-Ablegen, Controliren, Inspiciren; über jede Ausgabe sind Quittungen, daß der leichtfertigste Mensch bis auf den Cent seine Ausgaben nachrechnen kann – das Alles gefällt mir nicht, Mr. ... Wie heißen Sie gleich?«

»Atzerott.«

»Ich sage, das Alles gefällt mir nicht, Mr. Ratzero.«

»Atzerott, wenn es Ihnen beliebt. – Nun, da sehe ich nicht ein, daß ich ungelegen komme, das Mädchen ist ein Engel ...«

»Pah!« unterbrach ihn der Haushofmeister. »Ein Engel, was heißt das? Wenn sie meinen Herrn reizen soll, so muß sie ein Ausbund von Jugend und Schönheit sein, Mr. Rotzeratt.«

»Atzerott, wenns gefällig ist« – Diejenige, welche ich habe, ist in der That ein Ausbund von Jugend und Schönheit.«

»Wie alt?« '

»Neunzehn.«

»Weiße oder Farbige?«

»Quadroone, und zwar eine Freigelassene.«

»Das ist sehr fatal, das ist ein Hindernis, Mr. Hotzera«

»Atzerott, wenns beliebt. – Das ist kein Hinderniß, Mr. O'Brien, denn sie ist ohne allen Anhang. Es wird sie Niemand vermissen, wenn sie eines Tages spurlos verschwunden ist. Was aber den Punkt betrifft, ob sie Ihrem Herrn gefällt, so weiß ich aus bester Quelle, daß Ihr Herr 3000 Dollars für das Mädchen geboten hat, als sie noch Sklavin von Mr. Breckenridge war.«

»Ah, die ist es? das ist was Anderes. Ja, mit der könnte man einen Versuch machen, die wäre wohl im Stande, meinen Herrn aus seiner Blasirtheit gegen das schöne Geschlecht aufzuwecken. Also Sie kennen ihren Aufenthalt?«

»Ich kenne ihren Aufenthalt und übernehme auch die Verpflichtung, sie wohlbehalten hier abzuliefern.«

»Wo ist sie denn?«

»Das gehört mit zu meiner Waare, Sir. Wenn ich ihren Aufenthalt verriethe, so hätte ich den größten Theil des Geheimnisses aus der Hand gegeben.«

» »Nun, und was verlangen Sie, für Ihr Geheimniß und die Verpflichtung, das Mädchen hier abzuliefern, Mr. Ratz ... Ochs ...?«

»Atzerott, wenns beliebt, Sir. – Ich denke, da Mr. Tucker damals 3000 Dollars bot, so ist es durchaus nicht viel, wenn ich jetzt wenigstens dreihundert beanspruche.«

»Dreihundert Dollars! – Mann, wo denken Sie hin? Dreihundert Dollars blos dafür, daß Sie den Aufenthalt von – blos für ein Wort?«

»Und das Herbringen, Sir.«

Mr. O'Brien durchschritt einige Male das Zimmer, dann begann er von Neuem, in etwas gemäßigtem Tone:

»Ich will Ihnen etwas sagen. Sie wissen, daß ich auch leben will. Was soll ich verdienen, wenn ich Ihnen dreihundert Dollars gebe? – Ich werde Ihnen zweihundert geben, nicht einen Cent darüber. Genügt Ihnen das?«

»Gut, ich willige ein, aber nur weil ich hoffe, mit Ihnen noch öfter Geschäfte zu machen, sonst wäre die Waare rein weggeworfen für den Preis.«

Mr. O'Brien trat an sein Pult, langte ein Packet Greenbacks Wörtlich: »Grünbacke« – ist die Bezeichnung für »Kassenanweisungen«, deren eine Seite grün ist. hervor und zählte die 200 Dollars vor Atzerott auf.

Dieser zählte erst bedächtig das Geld, ehe er es in seine Tasche verschwinden ließ.

»Nun also, wo ist sie?« fragte der Haushofmeister.

»Miß Esther Brown,« sagte Atzerott langsam, als ob er es Jemand in die Feder dictirte, »ist in Leesburg.«

»In Leesburg?« wiederholte entrüstet O'Brien. »In dem Pestwinkel? – Da wird sie sterben und das Geld ist weggeworfen!«

»Fürchten Sie nichts,« beruhigte ihn Atzerott. »Vergessen Sie nicht, daß Nigger und die von Niggern abstammen, nicht vom gelben Fieber befallen werden. Ich liefere sie Ihnen bei der nächsten Gelegenheit wohlbehalten hier ab. Ich habe dort einen Spion, der jede ihrer Bewegungen überwacht, so daß sie mir nicht entschlüpfen kann. Zu meiner Hilfe und Unterstützung bitte ich nur, mir einen der Vögte Mr. Tucker's nach Leesburg mit zu schicken.«

Als Mr. Atzerott sich entfernt hatte, klingelte O'Brien dem Diener, den Harrenden im Vorzimmer anzukündigen, daß er heute keine Audienz mehr ertheile.


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