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Einundfünfzigstes Kapitel.
Der Verurtheilte

Als wir das letzte Mal von der Alabama schieden, ließen wir den heldenmüthigen Eugene Powel in einer verzweifelten Lage und zwar in dem Augenblick, als der an den Mast gebundene Jüngling von Mr. Crofton und Lavinia erkannt wurde.

Brocklyn stand wie angedonnert. Der Name des jungen Mannes führte ihm die verbrecherische Handlungsweise seines Vaters wieder vor die Seele, und fester und fester wurde sein Entschluß einen Theil der Schuld seines Vaters, die derselbe gegen Charles Powel verübte, durch die Rettung Eugenes zu sühnen. Wie ein Dolchstich aber drang es ihm in die Seele, als Lavinia diesem um den Hals fiel, als er sah, wie sie einen Kuß auf seine Lippen preßte und Thränen ihren Augen entströmten.

Der Anblick war geeignet, seinen eben gefaßten Entschluß wieder wankend zu machen.

»Sie liebt ihn,« dachte er. »Nein ich ihn, so ist sie für mich auf ewig verloren. – Laß ich ihn sterben, so– so ...«

Er stockte.

»Nein!« rief er dann mit Begeisterung, »je größer mein Opfer, desto größer ist mein Verdienst. Ich will es – ich kann nicht anders, und muß ich auch mein Lebensglück zum Opfer bringen«

Armstrong wiederholte eben seine Aufforderung an die Damen, ihm in die Kajüte zu folgen.

»Was haben Sie mit ihm vor?« fragte Lavinia angstvoll, ohne ihren Arm aus der Umschlingung zu lösen.

»Mein Fräulein,« versetzte Armstrong etwas bitter, »dieser Spion wird nach den Gesetzen des Krieges seine Strafe erleiden.«

»Sie wollen ihn tödten!« jammerte sie.

Armstrong zuckte die Achsel.

»Da er ein Mann ist, der sich Ihrer ganz besonderen Inklination zu erfreuen scheint, so thut es mir leid, diese Ihre Voraussetzung bestätigen zu müssen. Das Kriegsrecht fordert seinen Tod. Es würde mich schmerzen, wenn diese Execution dazu beitrüge, Ihnen Kummer zu bereiten und Ihnen den Aufenthalt« – er betonte dies Wort mitbesonderem Nachdruck – »weniger angenehm zu machen.«

»Ich werde sterben, wenn Sie ihn tödten,« rief Lavinia, »und werde seinen Mörder verabscheuen.«

Armstrong sah sehr verstimmt aus.

Inzwischen raffte Brocklyn seine Energie zusammen. Festen Schrittes näherte er sich Lavinia, und indem er sanft ihren Arm berührte, flüsterte er:

»Fürchten Sie nichts, Miß Crofton, er wird nicht sterben!«

»Aber Sie, Mr. Brocklyn, der Sie selbst ein Gefangener hier an Bord dieses Schiffes sind, was können Sie thun?«

Brocklyn biß die Lippen zusammen und stieß einen Seufzer aus, als er erwiderte:

»Ich kann ihn retten, und ich will es. – Was mir die Macht giebt, davon ein andermal.«

Armstrong wollte eben eine Bemerkung machen, als Mr. Blunt, der Beischiffsführer, vor ihn hintrat und ihm vom Capitain den Befehl überbrachte, die Gefangenen ungesäumt in die Kajüten zu führen.

»Sie hören es, meine Damen,« wandte er sich an Mrs. Lincoln und Miß Crofton, »und auch Sie hören es, Mr. Crofton, also bitte, zwingen Sie mich nicht, die Bitte, mir zu folgen, in einen Befehl umwandeln zu müssen. – Dorthin, wenn ich bitten darf.«

Laut jammernd riß sich Lavinia von dem Gebundenen los und schwankte, von ihrem Vater und ihrer Tante gestützt auf die Kajütentreppe zu. Als sie die Kajütentreppe fast erreicht hatte, stand sie still und sah sich noch einmal um. Ihr Auge suchte Brocklyn.

Der junge Capitain stand neben Eugene Powel, sein düsteres Auge gedankenvoll auf ihn gerichtet.

»Warum geht er nicht mit uns?« fragte sie Armstrong. »Gehört er nicht mit zu den Gefangenen?«

Der Lieutenant stellte sich, als überhörte er die Frage, und bot der Capitainswittwe galant den Arm, um sie die Treppe hinunter zu geleiten.

Von den Gefangenen der Mannschaft des Macdonald war jetzt Niemand mehr auf dem Deck. Durch ein Zeichen der Bootsmannspfeife gerufen, versammelten sich die Offiziere des Schiffes auf dem Quaterdeck.

»Da nun diese Affaire geordnet ist,« redete Semmes sie an, »so haben wir Muße, zu beschließen, was mit dem da anzufangen ist« – Er deutete mit dem Daumen über die Schulter nach dem Fockmast, an welchen Eugene Powel gebunden war. – »Lieutenant Kell, was ist Ihre Ansicht?«

»Daß er an die Raanocke gehängt wird, und das unverzüglich,« lautete die Antwort des ersten Lieutenants.

Derselben Ansicht waren auch Evans, der Lootse, welcher jetzt den Rang eines Unterlieutenants bekleidete, und Anderson.

»Ihre Ansicht, Mr. Brocklyn?« wandte sich der Capitain des Kaperschiffes an diesen. –

»Ich wünsche meine Ansicht erst auszusprechen, wenn ich die der übrigen Offiziere gehört habe,« antwortete dieser.

»Wie Sie wollen,« entgegnete Semmes. »Da Sie, wie verabredet, hier auf dem Schiffe den Rang eines zweiten Lieutenants bekleiden, so ist es meine Pflicht, nächst Mr. Krell Sie zu hören; aber wie Sie wollen. – Mr. Armstrong, welches ist Ihr Urtheil?«

Mr. Armstrong sah etwas verlegen aus, in seinem Innern wiederholte er sich die Worte Lavinias: daß sie die Mörder des Jünglings hassen und verabscheuen würde; also auch ihn. –

»Ich, – ich,« stotterte er nach einigem Zögern, »bin der Meinung, daß wir nach den Kriegsgesetzen kein Recht haben, ihn zu tödten, daß wir vielmehr die Pflicht haben, ihn erst vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Er mag bis dahin entweder hier an Bord als Gefangener gehalten werden oder – oder mit den anderen Gefangenen nach irgend einem Hafen der Conföderirten gebracht werden.«

Brocklyn hörte mit einiger Ueberraschung diese Aeußerung Armstrong's; doch fand er die Erklärung dafür bald, als er sich erinnerte, daß seine Bestechung Blunt's, um die Damen von der Reise abzuhalten, durch Armstrong überboten sei, und dieser also an der Anwesenheit Lavinia's aus diesem Schiffe mehr als gewöhnliches Interesse habe. Mit einem Blick des Hasses auf ihn sagte er:

»Ich hoffe, daß die Motive, welche den Lieutenant Armstrong zu einem so humanen Urtheilsspruch veranlassen, weniger den Schein der Selbstsucht haben, als der Eifer, mit welchem derselbe die Abreise der Dame betrieb und sie all der Gefahr und Angst preisgab, welche sie bis zu diesem Augenblick erduldet. Mögen aber diese Motive sein, welche sie wollen, so stimme ich mit seinem Urtheil völlig überein und habe nur noch hinzuzufügen, daß wir alle Ursache haben, dem üblen Rufe, in welchem dies Schiff steht, nicht neue Nahrung zu geben. Alle Welt ist voll von den Grausamkeiten, welche hier an Bord dieses Schiffes verübt sein sollen; selbst in englischen Zeitungen hat man Thatsachen veröffentlicht, welche uns bereits bei einem großen Theil unserer Freunde in argen Mißcredit gebracht haben. Laden Sie nicht noch den Vorwurf einer gesetzwidrigen Hinrichtung auf sich, denn man wird diesen Fall, wie manchen andern ebenfalls, und zwar mit vollem Recht, ausbeuten, um uns die Sympathien unserer Freunde zu entziehen.«

Da auch die Steuerleute und Bootsleute zur Berathung gezogen waren, so kam auch die Reihe .an Mr. Blunt, welcher sein Galgengesicht keinen Augenblick von Brocklyn abgewendet hatte, als dieser sprach.

»Was mich anbelangt,« ließ er sich vernehmen, indem er mit halb wichtigthuender halb schlauer Geberde den Mund verzog, »so hätte ich nichts dagegen, ihn meinetwegen nach Millen in's Gefängniß zu schicken oder ihn ganz laufen zu lassen, wenn Einer sich fände,« hier deutete er, verschmitzt mit den Augen blinzelnd, durch eine Bewegung des Kopfes auf Brocklyn – »der ein gutes Lösegeld für ihn zahlt. In Anbetracht seines Verbrechens, daß er beinahe dieses herrliche Fahrzeug auf die Klippen gerannt hätte, dürfte die Summe keine kleine sein; nach meiner Schätzung so um zehn- oder zwanzigtausend Dollars herum.«

Allein sowohl Armstrong's Bedenken, als Brocklyn's Warnung, als auch der Gewinn verheißende Vorschlag des Beischiffsführers fanden den lebhaftesten Widerspruch, am meisten von Seiten des ersten Lieutenants, was um so bedenklicher war, als derselbe allgemein als der vertrauteste Rathgeber des Capitains galt.

»Wir sind die Genugthuung der Mannschaft schuldig,« sagte er. »Es ist schon mehr als genug, daß wir ihn nach dem Brauch des Standrechts verurtheilen, und ihn nicht der Wuth unserer Matrosen überlassen. Ich gebe zu, daß wir nicht das Recht haben, ohne Weiteres das Todesurtheil zu vollstrecken, allein es wird nichts leichter sein, als nachträglich die Billigung des Präsidenten Davis zu erlangen. – Wenn wir nicht den gerechten Unwillen unserer Mannschaft erregen wollen, so müssen wir ihn hängen.«

»Und wenn wir auch,« fügte Anderson hinzu, »auf den Vorschlag Blunt's eingehen wollten und ein Lösegeld nehmen, wer sollte sich dazu verstehen, das Lösegeld zu zahlen?«

»Dazu bin ich bereit!« erklärte Brocklyn. »Ich bürge für die Zahlung des Lösegeldes von zwanzigtausend Dollars. Die gleiche Summe ist ohne Zweifel auch Mr. Crofton zu zahlen bereit.«

Vergebens. Brocklyn und Armstrong wurden überstimmt. Die Mehrzahl stimmte für den Tod und zwar für den schimpflichen Tod durch den Strick.

Lieutenant Kell wurde beauftragt, dem Delinquenten diesen Beschluß zu verkünden und die Strafe sofort vollziehen zu lassen.

»Capitain Semmes, das ist unmöglich!« rief Brocklyn. »Sind wir Soldaten, die ehrlich für eine große Sache kämpfen, oder sind wir Räuber und Mörder? – Im letzten Falle nehme ich ohne Aufschub meinen Abschied. Mit meinen Begriffen von Recht und Ehre verträgt sich eine Handlung, wie sie hier vorgenommen wird, nicht« – Gewähren Sie mindestens Aufschub, Herr Capitain, lassen Sie dem Gefangenen Zeit, sich zum Tode vorzubereiten. Lassen Sie ihn nicht, nachdem er fast 24 Stunden an den Mast gebunden dagestanden, fast ohnmächtig und halb bewußtlos, wie er ist, hinmorden. Thun Sie es nicht, Capitain, oder, so wahr Gott lebt, ich selbst werde – ohne Furcht vor Ihren Drohungen – vor der ganzen Welt Ihr Ankläger!«

Die stechenden Augen des Capitains schienen dem Jüngling bis in die Seele zu bohren, aber Brocklyn's entschlossener Muth begegnete standhaft diesem Blicke. Seine Haltung verrieth, daß er fest entschlossen sei, seine Drohung wahr zu machen – ja, vielleicht noch mehr zu thun als das. Seine kühne Sprache und seine unerschütterliche Festigkeit, sein drohender Blick, machte auf Alle solchen Eindruck, daß Blunt dem Oberbootsmann zuflüsterte:

»Man sollte ihn gleich daneben hängen. Der Kerl ist im Stande, uns eines Tages die Lunte in die Pulverkammer zu werfen!«

Semmes schwieg eine Weile, während welcher seine trotzige Stirn sich mehr und mehr umdüsterte. Dann flog etwas wie ein sarkastisches Lächeln über seine Züge, und er antwortete:

»Um den Schrecken, die Sie uns in Aussicht stellen, zu entgehen, Herr Lieutenant, gewährte ich Ihr Gesuch, und gebe dem Gefangenen noch 24 Stunden Zeit. – Lassen Sie ihm zu essen geben,« wandte er sich im Vorübergehen an den Beischiffsführer, indem er mit schnellen Schritten das Verdeck verließ.

Die Mannschaft hatte indessen das Resultat der Berathung vorausgesehen und sich, die Execution mit anzusehen, jubelnd um den Fockmast versammelt, und begann den Unglücklichen zu verhöhnen und zu beschimpfen. Fetzenweise hatten sie ihm seine Kleider abgerissen und ihn allen möglichen Torturen unterworfen.

»Ha, verdammten Yankee!« rief zähnefletschend ein Irländer. »Noch einige Minuten und Du fährst zum Teufel. Du gedachtest gestern die Fahrt mit uns gemeinschaftlich zu machen, aber das ist Dir nicht geglückt, heute machst Du sie allein. – Da, sieh' Dir mal die Raanocke an, da wirst Du hinaufgehißt, hier an diesem Halsband, und fünf Minuten später verspeisen Dich die Haifische.«

»Sieht der Kerl nicht schon aus, als wollte er verrecken?« höhnte ein Anderer, auf die Blässe seines Gesichte und die Mattigkeit anspielend, welche ihm kaum noch Kraft ließ, das Haupt aufrecht zu halten. »Ich glaube, er krepirt noch, bevor er seine Luftfahrt antritt.«

»In dem Falle müßte man sich beeilen, ihm die letzte Oelung angedeihen zu lassen!« lachte ein Dritter, welcher eine Theerquaste ergriff und dieselbe dem Gefangenen mit aller Kraft in's Gesicht stieß. –

»Knicke nicht zusammen, wie ein spanisches Rohr. – Halte den Kopf hoch, sieh' uns grade in's Gesicht. – He? Du willst nicht?« –

Er griff ihm rauh unter's Kinn und stieß ihm den Kopf in die Höhe, daß er mit lautem Gekrach an den Mast prallte.

»Haltet ihn so fest, ich werde ihm derweile die Halsbinde anlegen, die ihn besser aufrecht halten wird,« jubelte der Irländer, und schleppte eine halbrunde Schließkramme herbei, welche er ihm als Halseisen umlegte und an den Mast befestigte.

Eugene stöhnte und ächzte vor Schmerzen, das Bewußtsein drohte ihn zu verlassen. Er schloß die Augen, sein Körper sank noch mehr zusammen, so daß er buchstäblich nur an dem Halseisen hing.

»Seht Ihr denn nicht,« sagte ein Bootsmann, welchem ein Gefühl der Menschlichkeit in der Brust zu erwachen schien, »daß er stirbt? Er wird ersticken, wenn Ihr ihm nicht das Halseisen losmacht.«

Das stand in der That zu befürchten, und die rohen Gesellen waren nicht ohne Besorgniß, vor den Folgen eines solchen Zufalls. Sie beeilten sich daher, ihn von dieser Folter zu befreien.

Eugene war in der That dem Ersticken nahe gewesen, und schnappte jetzt aufathmend nach Luft.

»Er muß Luft haben!« schrie ein Zwischendeckmatrose. »Wir wollen ihm Luft verschaffen, bindet ihn· vom Mast los! wir wollen ihn hier am Geitau schaukeln, daß er zu sich kommt!«

Man band ihn los und legte die Schleife des Taues um seine Füße. Mit einem Ruck und unter wieherndem Jubel wurde er emporgehißt, daß er mit dem Kopfe nach unten in der Luft schwebte. Nun begannen sie, ihn in Schwingung zu setzen, immer neue Stöße, immer kräftigere Stöße, bis er in riesigem Pendelschwunge hoch in der Luft und weit über dem Rande des Schiffes schwebte, bald mit dem Kopfe fast die Planken berührend, bald hoch über den Wellen des Meeres in der Luft fliegend.

»Wir wollen ihm eine Douche geben,« schlug Einer vor. »Du da, Tom« – rief er dem zu, der das Tauende festhielt – »wenn er nach der Seite hinausfliegt, laß das Tau los, und wenn er sich in den Wellen abgekühlt hat, zieh ihn wieder hoch!«

»Herrlich! – Eine kostbare Idee! – Ein Kopfsprung in die See!« jubelten die Anderen. – »Setzt ihn ordentlich in Schwung, daß er einen desto größeren Bogen macht, bis er hinunter gelangt!«

Von Neuem begann die unmenschliche Tortur. Mit voller Kraft stießen die Matrosen, um den Hängenden in größeren Schwung zu bringen.

»Jetzt gieb Acht, Tom,« rief der Irländer, »wenn ich Drei zähle, so läßt Du los.«

»Unter brüllendem Beifallsjauchzen begann er:

»Eins – zwei ...«

Er kam aber nicht dazu »drei« zu sagen, denn ein fürchterlicher Schlag einer Faust in sein Gesicht streckte ihn zu Boden.

»Ihr Henker, was wagt Ihr zu thun?« schrie Brocklyn, der plötzlich wie aus den Wolken geflogen, mitten unter der aufgeregten Menge stand.

Vom Quaterdeck aus hatte er zufällig gesehen, was hier vorging, und mit zwei Sätzen sprang er hinzu Er riß dem Burschen, der das Tauende hielt, dasselbe aus der Hand, wickelte es um einen Sperrkloben, fing den Schwebenden auf und lös'te das Tau von seinen Füßen.

Der Gemarterte blieb regungslos auf dem Deck liegen.

Das Plötzliche seines Erscheinens hatte im ersten Augenblicke die rohe Versammlung verblüfft, so, daß sie ihn ruhig gewähren ließen; dann aber kehrte ihr eingefleischter Trotz schnell zurück.

»Was thun wir denn?« brummte ein Matrose. »Hat er es etwa nicht verdient?«

»Die Strafe, die er verdient hat, wird er erleiden!« antwortete Brocklyn, dicht vor den Sprecher hintretend. Wehe aber demjenigen, der sich untersteht, ihm vorher die geringste Unbill anzuthun. Marsch, fort mit Euch, auf Eure Posten!«

Niemand rührte sich.

»Ihr gehorcht nicht? – Ich wiederhole, auf Eure Posten. Ich stoße den nieder, der auch nur eine Miene des Widerspruchs macht.«

»So?« höhnte der, welcher zuerst gesprochen. »Das wollen wir doch sehen. Kameraden, Ihr werdet Euch doch nicht vor seinen bramarbasirenden Reden fürchten. Seit sechs Stunden erst als Lieutenant hier an Bord und schon so auftreten zu wollen, das fehlte noch. Er soll uns unser Vergnügen nicht stören, wir wollen ihm zeigen, was es heißt, einem Matrosen des Kaperschiffes zu drohen.«

»Ja, das wollen wir!« schrien die Anderen. »Wir haben ohnehin noch mit ihm abzurechnen. Er hat uns den Macdonald ins Garn führen sollen. Hat er es gethan? – Wäre er uns nicht entwischt, wenn es in seiner Macht gelegen hätte?«

»So ist es,« bestätigte Tom. »Er steht mit dem Spion im Bunde!«

»Schlagt ihn zu Boden,« brüllte der erste Sprecher und erhob seine gewaltige Faust.

Ein durchdringender Schrei erscholl von der vorderen Kajütentreppe her. Die Angst um den Freund ihrer Jugend hatte Lavinia nicht Ruhe gelassen, von dem alten Oberbootsmann des Macdonald geführt, war sie hinaufgestiegen und erblickte zu ihrem Entsetzen Brocklyn in der augenscheinlichsten Todesgefahr. Den am Boden liegenden Freund konnte sie nicht sehen.

»Ja die See mit ihm!« brüllte in rauhem Tone ein Marine. »Schon mancher kühnere und bessere Mann als er hat den Sprung gemacht.«

Da sprang mit Blitzesschnelle eine Gestalt in den Haufen und warf sich, einem Löwen gleich zwischen Brocklyn und seinem Freunde.

Der Haufe wich einen Augenblick der Riesengestalt des Oberbootsmannes, welcher die Faust schwang, die ziemlich die Größe eines nicht unbeträchtlichen Kinderkopfes hatte, und dabei schrie:

»Fort mit Euch, Ihr Lümmel! Wollt Ihr gegen einen einzelnen Mann anlaufen, noch dazu gegen einen Offizier, der ein Schiff so zu handhaben versteht, wie ich diesen habe den Macdonald handhaben sehen?«

»Recht so,« stimmte ein Anderer bei. Es war der Bootsmann, welcher schon vorher mit Unwillen die Grausamkeiten mit angesehen hatte, welche die Mannschaft gegen Powel verübte. »Ich werde Ihnen zu Hilfe kommen, Sir. – Macht Platz, Ihr rebellisches Gesindel; gebt den Offizier frei und laßt den Gefangenen in Ruhe!«

»Zurück!« schrie Brocklyn, indem er sich zwischen seinen Vertheidigern hindurch zu den Feinden hindrängte. »Zurück, sage ich, laßt mich den frechen Schurken allein die Stirne bieten.«

»Ueber Bord mit ihm, über Bord mit ihnen Allen!« schrieen die Seeleute.

Die Lage Brocklyn's ward mit jeder Sekunde gefährlicher. Lavinia stand Todesangst aus. Als sie die fürchterliche Wendung sah, welche der ungleiche Kampf nahm, flog sie, von Angst getrieben, nach der Hütte, wo Semmes, ohne sich auch nur einmal nach dem Tumult umzusehen, mit dem ersten Lieutenant auf- und abging.

Sie sprachen über den Verurtheilten und Brocklyn's Freundschaft für denselben.

»Was bewog Sie nur, ihm den Aufschub zu gewähren?« fragte Kell den Capitain.

»Einfach das,« antwortete dieser ruhig, »daß ich fürchte, er wird seine Drohung, diese Geschichte in alle Welt auszuposaunen, wahr machen. Außerdem, da wir jetzt auf der Höhe von Jersey segeln, denke ich bis morgen Abend die Bay von Delawara zu erreichen. Da wir dort sicherlich einen oder den andern Blockadebrecher Schiffe, welche eigens dazu construirt sind, die Blockade der Häfen zu durchbrechen. antreffen, so wird es uns leicht werden, durch ihn die Bestätigung des Todesurtheils zu erlangen; um uns aber den widerspenstigen Officier selbst vom Halse zu schaffen und ihn unschädlich zu machen, dazu wird sich hoffentlich bald eine Gelegenheit finden; nach unseren Gesetzen ist die geringste Insubordination genügend, ihn zum Tode zu verurtheilen, und das wird ohne Bedenken geschehen, sobald er Veranlassung dazu giebt. Bis dahin wollen wir es aber vermeiden, ihm irgend einen Vorwand zum Trotz oder zur Rache zu bieten.«

Noch ehe Kell darauf antworten konnte, stürzte Lavinia athemlos herbei.

»Können Sie es ruhig mit ansehen, Sir!« rief sie, den Capitain hastig beim Arme fassend; »daß ein Mord vor Ihren eigenen Augen begangen wird?«

Der Capitain sah ihr scharf, vielleicht gar etwas verdrießlich in's Auge.

»Sehen Sie,« fuhr sie fort, indem sie auf den Haufen hinwies, wo alle Anzeichen eines zunehmenden Tumultes sich zu erkennen gaben. »Sehen Sie doch, man mordet den Capitain des Macdonald, und Niemand ist da, der ihm beisteht!«

Als sein Auge flüchtig die Scene überflog, verschwand die unbewegliche Ruhe, welche so lange auf dem steinernen Gesichte geruht hatte. Er bedurfte nur eines raschen Blickes, um nicht nur über die Beschaffenheit dessen, was vorging, vollkommen unterrichtet zu sein, sondern auch absehen zu können, welche Folgen ein solcher Ausbruch eines Tumultes, wenn man ihm nicht rechtzeitig entgegentrat, haben könne. Die Adern seiner Stirn schwollen an.

Ein Tau, welches unmittelbar über ihm von einer Raa herabhing, erfassend, schwang er sich vom Deck der Hütte hinab, und zwar in die volle Mitte des hellen Haufens hinein.

Da stand er, leicht und voller Grazie, wie durch Zauberei aus dem Boden hervorgetaucht.

Beide Parteien fielen zurück, und auf das brüllende Geschrei, welches das Tosen eines Orkans übertönt hätte, folgte augenblicklich eine Stille, in welcher man das Athemholen jedes Einzelnen bemerken konnte.

Stolz und wegwerfend hob er den Arm empor, und sprach mit einer Stimme, die keine Veränderung wahrnehmen ließ, ja fast leiser und minder drohend als gewöhnlich tönte. Allein auch die leisesten und tiefsten seiner Accente erreichten jedes noch so entfernte Ohr. –

»Meuterei!« sagte er in einem Tone, der seltsam zwischen Ironie und Verachtung schwankte; »offene, gewaltsame, blutdürstige Meuterei! – Seid Ihr Eures Lebens müde, meine Leute? Ist unter Euch Allen hier Einer, der zum Wohle der Andern ein Exempel an sich statuiren lassen will? – Er hebe eine Hand, einen Finger, ein Härchen empor; er spreche, sehe mir in's Auge, oder wage es, durch einen Wink, Athem oder Bewegung zu zeigen, daß Leben in ihm sei!«

Er schwieg; und so allgemein zwingend war der durch seine Miene und seine Gegenwart hervorgebrachte Zauber, daß in dem ganzen Haufen roher aufgeregter Mannschaften auch nicht ein Einziger war, der es gewagt hätte, seinem Zorne zu trotzen.

Matrosen und Marinen standen eingeschüchtert, gedemüthigt und unterwürfig da, wie Kinder, die etwas verbrochen haben, vor einer Autorität, welcher sie, wie sie wissen, nicht entfliehen können.

Als keine Stimme antwortete, kein Glied sich bewegte, ja kein Auge kühn genug war, seinem festen, glühenden Blicke zu begegnen, fuhr Semmes in demselben leisen und gebieterischen Tone fort:

»Ich sehe, daß die Vernunft Euch zurückgekehrt ist, ein Glück für Euch. – Ruft den Oberbootsmann!«

Der Mann erschien, seine schwerfälligen Füße zu übermäßiger Eile treibend.

»Lassen Sie Ihre Pfeife hören!« befahl ihm Semmes. »Damit ich ohne Verzug erfahre, ob ich eine Mannschaft ordnungsliebender, gehorsamer Leute commandire, oder einen Haufen Rebellen, die erst eine Reinigung passiren müssen, ehe ich ihnen trauen darf.«

Der Oberbootsmann pfiff das Signal: »Auf Euere Posten!«

Ohne einen Augenblick des Schwankens oder Zauderns zerstreute sich die Menge, jeder schlich stumm nach seinem Posten. Während des ganzen Verlaufes hatte der Kaper-Capitain weder Zorn noch Ungeduld verrathen. Tief eingewurzelte Verachtung und hohes Selbstvertrauen war allerdings in seinen stolz ausgeworfenen Lippen und seiner zurückgebeugten Haltung nicht zu verkennen, aber keinen Augenblick verlor er seine Selbstbeherrschung. Der Sieg, den er eben über die meuterische Menge davon getragen, ließ ihn so ruhig, als ob das eine Sache sei, die sich ganz von selbst verstünde.

Der alte Oberbootsmann, der ihm mit wahrer Bewunderung zusah, flüsterte Mr. Crofton, der inzwischen auch aufs Deck gekommen war, zu:

»In meinem Leben habe ich keinen Kommandeur gesehen, wie der da. Wäre ich nicht ein zu guter Patriot, beim Teufel, ich würde es für die höchste Ehre halten, unter dem zu dienen.«

Die Officiere näherten sich jetzt dem Capitain und rapportirten über ihre kampffertigen Abtheilungen mit aller Förmlichkeit, gerade, als ob ein Feind im Anzuge sei. Das Manöver wurde jetzt mit allen Details so vollständig ausgeführt, als ob es sich um die Vorbereitungen zu einem heißen Kampf handelte.

»So,« sagte er zu Brocklyn, als alle Befehle auf's pünktlichste und genaueste ausgeführt wurden, »wir haben ihnen jetzt gezeigt, daß wir uns nicht fürchten, ihnen Waffen in die Hand zu geben. Wir können jetzt das Manöver beschließen.« –

Er schritt jetzt wieder, nachdem die Ordnung völlig hergestellt war, mit Kell auf dem Hinterdeck auf und ab.

Brocklyn gab jetzt Befehl, den eben aus seiner Ohnmacht erwachenden Powel in seine Kajüte zu bringen und auf ein Bett zu legen und dort zu pflegen, daß er schnell wieder zu Kräften komme.

»O, hätten sie mich getödtet!« rief Eugene, als er zum ersten Male die Augen aufschlug.

»Muth, mein Freund,« flüsterte ihm Brocklyn in's Ohr, »die Stunde Ihrer Rettung ist nahe. Sein Sie bereit, wenn ich Ihnen diese Nacht ein Zeichen gebe.«

Verwundert starrte Eugene den Officier an. Er wollte sprechen, aber Brocklyn gab ihm einen Wink zu schweigen, da in diesem Augenblick der Bootsmann eintrat, welcher ihm heute so erhebliche Hülfe geleistet hatte.

»He, Bootsmann!« rief er ihm zu. »Folgen Sie mir auf die Schanze, ich habe mit Ihnen zu sprechen.«


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