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Vierundreißigstes Kapitel.
Zwei Lootsen

Wir verließen die Brigg »Macdonald« auf hoher See, wie sie mit allen Segeln, die sie bei dem scharfen Winde zu ertragen vermochte, mit einer Schnelligkeit dahin glitt, welche sie, wie die ältesten Matrosen behaupteten, nie erreicht hatte. Es war um die Zeit da die Mitternachtwache aufzog, als Capitain Brocklyn zuerst jenen Gegenstand beobachtete, der, wie er sich sehr bezeichnend ausdrückte, sich auf dem Nebelgewölk des Horizonts gleich einem Spinngewebe abzeichnete. Wir wissen, daß das Schiff gerade an dieser Stelle ihn sehr beunruhigte, und daß er in Folge dessen, trotz des Widerspruchs der erfahrenen Seeleute an Bord noch mehr Segel beisetzen ließ.

Um das Schicksal des Macdonald zu erfahren, ist es aber nöthig zu der schwarzen Fregatte zurückzukehren, welche, als der Macdonald vorbeigesegelt war, so harmlos dagelegen hatte, und so stille und ruhig, als ob die ganze Bemannung in einen Dornröschen-Schlaf versunken wäre. Das war indessen keineswegs der Fall gewesen. Vielmehr war die ganze Bemannung in Bereitschaft, in jedem Moment zu entern. Semmes hatte den Befehl gegeben, daß Jeder sich im Schiffsraum bereit halte, auf einen Wink auf seinem Posten zu sein. Der Matrose, welcher auf der untern Raa saß und scheinbar für nichts anderes Auge hatte, als für die Arbeit, die er dort verrichtete, hatte die höchst wichtige Ausgabe, das Signal zu geben, wenn ein zum Entern günstiger Moment gekommen sein würde, allein Capitain Brocklyn's sehr geschicktes Manöver hatte dies Vorhaben vereitelt, und es blieb also weiter nichts übrig, als das Schiff auf offener See einzuholen und dort zu entern.

Dies letztere Unternehmen konnte keine Schwierigkeiten haben, denn, wie dem Leser bereits bekannt ist, hatte ja der Capitain Brocklyn die Verpflichtung übernommen, dem Kaper das Schiff ins Garn zu führen; die größte Schwierigkeit lag vielmehr darin, die Alabama glücklich durch die Klippen und Untiefen von Lynnes-Eiland hindurch zu bringen. Es erforderte dies die größte Geschicklichkeit selbst des erfahrensten Lootsen, um so mehr als mit dem Ende des Tages sich der Wind in beunruhigender Weise verstärkte.

Als Eugene Powel das Deck der Alabama betrat, wurde er zunächst von dem Capitain den Offizieren vorgestellt, wobei es ihm nicht entging, daß er manchem mißtrauischen Blick begegnete, namentlich ruhte das Auge Mr. Krells, des ersten Lieutenants mit forschendem Ausdruck auf ihm. Mr. Krell war der älteste der Officiere, ein Mann in den Funfzigern von hohem Wuchs und mit vollem, in's Graue spielendem Haar und Bart. Seine Augen waren dunkel und tiefliegend und sein Blick scharf und fest, wie der eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist. Er war der Einzige unter den Officieren, mit welchem Semmes seine Pläne zu berathen pflegte, und den er über seine Absichten in Kenntniß zu setzen pflegte, alle übrigen Officiere waren meistens stets in Unkenntniß über das Ziel oder den nächsten Zweck ihrer Kreuz- und Querfahrten durch alle Gewässer unseres Erdballs.

Die übrigen Officiere, meistens junge Männer, aber voll Muth und Entschlossenheit, hießen den Lootsen herzlich willkommen, und benutzten ein munteres, harmloses Gespräch, um sich zu überzeugen, daß er in der That die Geschicklichkeit und Kenntniß besitze, welche erforderlich sei, um der Alabama den Dienst zu leisten, der von ihm gefordert wurde.

Powel war nicht nur ein tüchtiger Seemann, sondern kannte besonders auch die Gewässer der Küste von Massachusetts genau genug, um auf keine Weise eine Blöße zu verrathen, so daß der Capitain selber ihm bald volles Vertrauen schenkte. Dem heldenmüthigen Plan des jungen Mannes, das gefährliche Kaperschiff an den Klippen der Küste zu zerschellen, stand, was das Vertrauen zu ihm betraf, nichts mehr im Wege, nur die eine Möglichkeit, die diesen Plan scheitern lassen konnte, blieb noch, daß nämlich der wirkliche Lootse, den Aaron Levy nach Boston begleitet hatte, und den er hatte Mr. Evans nennen hören, dennoch an Bord kam. In dem Falle wäre er entlarvt, und er hätte sein Leben umsonst geopfert.

Die Verzögerung, die unerwartet das Auslaufen des »Macdonald« erlitt, vermehrte in jeder Minute seine Besorgniß, und fast unablässig den ganzen Nachmittag durchforschte sein Auge das Wasser des Hafens, ob vielleicht der wirkliche Lootse nicht sich nahte. Er athmete auf, als er endlich am Nachmittage des folgenden Tages, da er das Schiff betrat, den Macdonald Anstalten treffen sah, die Anker zu lichten. Mit einem frischen Landwinde war das Schiff, welches sich die Alabama zur Beute ausersehen hatte, vorbei gesegelt und hatte die hohe See bereits erreicht, ein Umstand, welcher den ersten Lieutenant sehr verdrießlich machte.

»Ich sagte Ihnen wohl,« redete er den Capitain an, »daß er uns Schwierigkeiten machen würde. Den Plan, das Schiff hier zu entern, hat uns dieser Brocklyn bereits vereitelt, Sie werden sehen, daß er Alles aufbieten wird, uns die Beute zu entziehen.«

»Das wird er nicht,« entgegnete Semmes. »Er weiß, daß meine Drohung, in Bezug auf seinen Vater, keine leeren Worte sind. Sein Manöver, was er hier beim Vorbeifahren ausführte, kann ich ihm nicht verargen, denn es muß ihm daran liegen, dem Eigenthümer jenes Schiffes gegenüber wenigstens den Schein zu bewahren, daß er sein Möglichstes thue, um das Schiff außer Gefahr zu bringen. – Sie meinen, er könnte uns auf hoher See entkommen?« – Semmes schüttelte lächelnd den Kopf. – »Sie kennen die Geschwindigkeit der Alabama!«

»Sea-bright ahoi!« rief in diesem Augenblicke die Stimme des wachthabenden Matrosen des Hinterdeckes in die Cajüte hinab, wo jene Unterredung zwischen dem Capitain und dem ersten Lieutenant stattgehabt hatte.

Der Capitain begab sich sogleich auf Deck und sah, wie der Schooner, der gestern mit ihm zugleich hier eingelaufen war, sich der Fregatte näherte und dort beidrehte. Es war nicht nöthig, sich bei der Unterredung des Sprachrohrs zu bedienen, denn der Capitain des Schooners hatte sich nahe genug gelegt.

»Guten Abend, Capitain!« rief er herüber. »Noch immer in Ruhe? Wollen Sie nicht das Bischen Landwind, was noch vorhanden ist, benutzen, auszulaufen?«

»Ehe eine Stunde vergeht, werden Sie uns lichten sehen, Lieutenant Sinclair,« antwortete der Capitain des Kaperschiffes. »Lassen Sie ihnen immerhin den Vorsprung, es wird ihnen nicht viel nützen. – Wie steht's, haben Sie sich Ihres Auftrages entledigt?«

»Noch nicht, Capitain. Ich habe in allen Gegenden der Bucht gekreuzt, und nirgends das erwartete Signal bemerkt.«

»So bleiben Sie, bis Sie an Aaron Levy abgeliefert haben, und dann folgen Sie unserem Cours, um einen Theil der Gefangenen anfzunehmen.«

»Das ist leicht gesagt; aber ohne Lootsen durch diese Teufelswege zu fahren, ist ein Wagestück.«

»Lassen Sie sich von unserem Lootsen die Weisungen geben, und folgen Sie denselben gehörig und buchstäblich. – Wollen Sie so gut sein, Mr. Powel?«

Auf beiden Schiffen war es todtenstill, denn Alle lauschten begierig den Worten des Mannes, von dem ihre Rettung, wie sie wohl fühlten, allein abhing. Aus der Weisung, die er dem Schooner gab, wollten sie einen Schluß ziehen auf seine Tüchtigkeit und auf den Erfolg, den sie sich von seiner Führung versprechen konnten.

Einige Zeit verstrich. Powel schien unschlüssig, was er antworten sollte, ob er den Schooner gleich mit verderben, oder diesem richtige Weisungen geben sollte. Nach einiger Ueberlegung wählte er das Letztere, denn es lag ihm zunächst daran, sich in das Vertrauen der Officiere wie der Mannschaft zu setzen. Mit langsamer, ruhiger und. deutlicher Stimme gab er eine so detaillirte und genaue Beschreibung des Weges, daß Niemand an seiner Kundigkeit zweifeln konnte.

Lieutenant Sinclair winkte einen Gruß, und die Sea-bright segelte weiter.

Je weiter der Abend vorrückte, desto mehr ließ der von Westen kommende Landwind nach, ein Umstand, der den ersten Lieutenant zu der Frage an den Capitain drängte:

»Wollen wir noch nicht den Befehl geben, die Anker aufzuwinden? – Wenn wir noch eine einzige Stunde hier still liegen, so wird wahrscheinlich kein Luftzug übrig sein, stark genug, um die Locke eines Mädchens von der Stirn zu blasen, geschweige unser Schiff durch die Klippen zu treiben.«

Der Capitain sah das Richtige dieser Bemerkung, und theilte ihren Einhalt dem Lootsen mit, der ohne ein Wort zu sprechen, an einer Lafette lehnte und seine Blicke über den Hafen schweifen ließ.

Inzwischen hatte sich das Wetter gänzlich geändert; graue Nebelwolken die gefürchteten Verboten eines starken Windes zeigten sich in Nordosten, während fast völlige Windstille herrschte, dagegen war die See unruhig, und mächtige Wellen suchten einander zu überstürzen.

Powel zögerte wieder eine Weile zu antworten. Es lag allerdings in seinem Interesse, die Anker lichten zu lassen, um der Gefahr zu entgehen, daß der Lootse Evans an Bord käme; andererseits aber hätte er gerne die völlige Windstille abgewartet, um die Verfolgung des »Macdonald« unmöglich zu machen. Seine Blicke schweiften forschend über die weite Wasserfläche und suchten die Dämmerung zu durchdringen. Er zuckte zusammen. Sein scharfes Auge hatte ein Boot bemerkt, und zwar eines in der Form, wie sich die Lootsen zu bedienen pflegen, nur war er noch unsicher, ob jenes Boot auch wirklich die Richtung auf die Fregatte nahm. Er wählte deshalb eine ausweichende Antwort.

»Wir haben allerdings von diesen schweren Wellen viel zu fürchten,« sagte er ruhig und ohne eine Aufregung zu verrathen. »Unwiederbringlich verloren sind wir aber, wenn der Wind, der sich dort im Osten aufmacht, uns noch hier auf diesem bösen Ankergrunde findet. Aller Hanf, der je zu Tauwerk gesponnen ist, würde nicht im Stande sein, das Schiff zu halten. Stürmte der Nordost mit voller Wirth gegen uns los, so müßte das Schiff an jenem Riff zertrümmern.«

»Was Sie uns da sagen, Herr,« bemerkte der erste Lieutenant, »kann ja der jüngste Schiffsjunge sich selber sagen. Sprechen Sie sich deutlich aus, sollen wir die Anker lichten oder nicht?«

Eugene hatte, während er sprach, kein Auge von dem Lootsenboote abgewandt. Jetzt hatte er gesehen, daß seine Befürchtung einzutreffen drohte, es nahm die Richtung auf die Fregatte.

»Es muß sein,« sagte er bestimmt. »Lassen Sie die Anker aufwinden.«

»Anker auf!« rief des Lieutenants Stimme.

»Anker auf!« wiederholten die Bootsleute.

Mit der Schnelligkeit und Pünktlichkeit einer wohl disciplinirten Mannschaft ward der Befehl ausgeführt; und während das Stampfen der Matrosen am Gangspill ertönte, wurden die Kommandos gegeben, um die Segel von den Raan loszubinden. Mit der Gewandtheit und Geschwindigkeit eines Maki sah man die Matrosen das Takelwerk hinaufklettern und gleich einzelnen Punkten in dem Abendlicht an den Raan hängen. Und schon nach einigen Minuten ertönten die Meldungen.

»Das Vorderbramsegel ist aufgehißt!« schrie eine Stimme aus den Wolken herunter.

»Die Fockraa steht!« krächzte eine heißere Matrosenstimme unter jenem.

»Alles fertig!« rief ein Dritter von einem andern Ort, und zugleich ertönte der Befehl:

»Losgelassen!«

Jetzt wurde das schwache Himmelslicht von den herabfallenden Segeln völlig verdunkelt. Die Nacht brach schnell herein, und die Arbeiten auf dem Deck mußten beim Laternenlicht gemacht werden.

Obwohl das Segeltuch schlaff an den Masten herabhing, war doch der Wind noch stark genug, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen und selbst Mr. Krell war mit dem Erfolg zufrieden.

»Sie geht!« sagte er. »Ja, ja, Herr Lootse, ein Hauch ist im Stande, die Alabama zu treiben, und was das Wenden betrifft, Sie werden es sehen, wenn nur der Wind noch eine Stunde anhält, so kann kein Tanzmeister sich zierlicher drehen.«

Jedoch die Freude der Mannschaft über den schnellen Lauf des Schiffes war nur von kurzer Dauer, denn der Landwind spielte nur noch einen Augenblick in den leichten Segeln und hörte dann ganz auf.

Eine Pause schauerlicher Stille auf dem Schiffe trat ein. Jedermann wußte, was diese Windstille zu bedeuten habe. Das Geheul der Brandung war der einzige Laut, den man hörte. Auf den Befehl des Lootsen, beim Wind zu halten, meldete der Mann am Steuer, daß das Schiff dem Steuer nicht mehr gehorche, sondern von den Wellen rückwärts getrieben werde. Lieutenant Krell nahm aus der Laterne ein Licht und hielt es in die Höhe. Es flatterte erst ein wenig und brannte dann kerzengrade in die Höhe

»Kein Luftzug!« rief er muthlos.

Der Lootse aber, der dies Manöver mit steigendem Interesse beobachtet hatte, rief mit lauter Stimme:

»Alle Segel beschlagen, mit Ausnahme der Topsegel!«

Einen Augenblick, nachdem dies Kommando das Ohr des erfahrenen Seemanns erreicht hatte, stand derselbe erstaunt da; aber ein Blick auf die See und den Horizont veranlaßte ihn zu dem Bekenntniß:

»Beim Satan, er hat Recht, der erste Stoß des Sturmes steht jeden Augenblick zu erwarten.«

Der Stoß erfolgte. Heulend kam der Sturm dahergebraus't, den Gischt der Wogen vor sich hinjagend; rasselnd fuhr er durch das Takelwerk und legte das Schiff auf die Seite, daß seine Raan fast die Fläche des Meeres berührten. Aber stolz richtete sich das Fahrzeug wieder empor, als hätte es jetzt den Kampf mit dem Sturm angenommen. Im raschen Lauf zertheilte es die Wogen und fing an, dem Steuerruder zu gehorchen. Selbst die wenigen Segel, welche man dem Schiffe gelassen hatte, boten dem Sturm noch Fläche genug dar, um das Schiff jeden Augenblick in Gefahr zu bringen. Von Minute zu Minute wuchs der Sturm, und die Finsterniß ward immer dichter und undurchdringlicher.

Auf dem Schiffe herrschte die größte Ruhe. Die Mannschaft stand bereit, jeden Befehl, in dem Moment, wo er gegeben würde, auch auszuführen, denn Alle waren sich wohl bewußt, daß ein großer Theil ihrer Rettung von ihrer Zuverlässigkeit abhing. Die Offiziere blickten erwartungsvoll und unruhig auf den Lootsen, dieser aber sah zerstreut und ohne die geringste Erregung zu verrathen, über Bord. Das Schiff schoß mit furchtbarer Schnelligkeit durch die Wellen und Jeder wußte, daß es sich nun dem Ort näherte, wo ihnen die meisten Untiefen und Riffe drohten.

Nur die strenge Mannszucht, die auf dem Schiffe herrschte, war Ursache, daß noch Jeder seinen Unmuth über des Lootsen passives Verhalten zurückhielt.

»Soll ich das Loth auswerfen lassen?« hörte man endlich den Capitain den Lootsen fragen.

Laut genug war die Frage gestellt, und Viele drängten sich um den Lootsen, dessen Antwort zu vernehmen. Doch dieser hatte das Haupt auf die Galerie gestützt und schien die Frage nicht gehört zu haben, denn er antwortete auch nicht mit einer einzigen Bewegung. Wer aber sein bleiches Gesicht gesehen hätte, würde bemerkt haben, daß er mit seinen Gedanken keineswegs so weit abschweifte, als es den Anschein hatte. Seine Lippen bewegten sich:

»Wenn ich noch eine Viertelstunde Zeit habe,« dachte er, so ist mein Werk vollbracht, die Alabama ist zertrümmert. Erreicht uns aber vorher das Boot dort ...«

»Herr,« sagte Mr. Krell ihn am Arme rüttelnd. »Hören Sie nicht? – Der Capitain fragt, ob gelothet werden soll.«

Powel drehte sich langsam und ruhig nach dem stürmischen Fragesteller um und sah ihm gerade ins Gesicht.

»Meinen Sie, Sir, ich sähe die Gefahr nicht so gut wie Sie?« sagte er kalt. »Ich habe mich erst überzeugen wollen, wie das Schiff arbeitet. – Jetzt schicken Sie einen Matrosen auf die Rusten und lassen Sie lothen, geben Sie ihm aber einen Offizier mit, damit wir sicher sind, genaue Angabe zu haben.«

»Das werde ich selbst übernehmen,« antwortete Krell und begab sich unverzüglich ans Werk.

»Lothe Du nur,« murmelte Powel. »Der Meeresgrund ist nicht tief hier, aber tief genug, Dich und die Andern Deiner Raubgenossen zu verschlingen. In weniger als zehn Minuten spülen diese Wogen unsere Leichname der Sandbank zu.«

Während bange Erwartung auf dem Schiffe herrschte, tönte der durchdringende Ruf des Lothmannes durch den Sturm über das Verdeck hinweg und verhallte wie eine warnende Stimme des Wassergeistes:

»Sieben Faden Ein Faden ist= 6 ½ Fuß. rief der Mann der das Loth warf.

»Gut,« sagte der Lootse ruhig.

Semmes hatte seine Miene scharf beobachtet, um darauf zu lesen, welchen Eindruck diese Nachricht auf ihn mache. Powel's Gesicht aber verrieth schlechterdings nichts von seinen Gedanken.

»Wissen Sie, Sir,« sagte der Capitain mit scharfer Betonung, »daß das Schiff eine Wassertracht von mindestens vier Faden braucht?«

Der Lootse nickte mit dem Kopfe aber erwiderte nichts. –

Das Boot, welches ihn mehr und mehr zu beunruhigen anfing, wetteiferte an Schnelligkeit mit dem Schiffe. Es glitt über die Wogen hin und verschwand dann wieder in der Tiefe, daß es jeden Moment aussah, als hätten die Wellen es verschlungen, so oft aber Eugene es erblickte, machte er die erschreckende Bemerkung, daß es dem Schiffe mehr und mehr Distanz abgewann.

Semmes schien unruhig auf eine genauere Antwort zu warten, als diese nicht erfolgte, begann er von Neuem:

»Scheint die Tiefe von sieben Faden Ihnen nicht beunruhigend?«

»Lassen Sie noch einmal das Blei auswerfen,« antwortete Powel.

»Fünf und ein halb!« rief nach einer kurzen Pause der Lothmann.

»Das Schiff rennt gegen die Untiefe an,« rief Krell herauf. Es ist unvermeidlich, es bleibt sitzen!«

»Noch eine Minute und es ist geschehen!« murmelte Powel für sich.

In jedem Augenblicke war der Stoß zu erwarten, der bei der ungeheueren Schnelligkeit des Schiffes dasselbe zerschellen mußte. Mit fieberhafter Spannung erwartete Powel diesen Moment. Das Boot konnte bis dahin sie nicht einholen, er beachtete es daher weiter gar nicht, sondern begab sich nach dem Vorderkastell, um dort die Katastrophe zu erwarten.

»Vier Faden!« ertönte jetzt der Ruf des Lothmannes.

Fast gleichzeitig ertönte die Stimme des Beischiffsführers Tom Blunt vom Vorderkastell:

»Riffe! Riffel Dicht vor uns!«

Noch waren diese Schreckensworte nicht verhallt, als er von Neuem rief:

»Riffe von der Leeseite!«

»Wir sind mitten in einer Felsenschlucht, Sir,« redete der Capitain den Lootsen an. »Wir sind in diesem Cours unrettbar verloren.«

Jetzt änderte sich plötzlich die kalte Physiognomie Powels. Mit triumphirendem Blicke wandte er sich nach dem Capitain um:

»Es ist, wie Sie sagen, Sir. In der nächsten Minute rennen wir auf.«

»Sie wußten es? – Ha, Verräther!«

Semmes hatte erkannt, woran er mit dem Lootsen war. Der Augenblick war aber zu gefahrdrohend, um sich augenblicklich weiter um den Lootsen zu kümmern.

»Bindet diesen Schurken!« schrie Semmes, »und werft ein Anker aus, vielleicht gelingt es uns noch, das Schiff zu halten.«

Das Kommando »Anker aus!« wurde von allen Bootsleuten wiederholt.

»Nichts da!« donnerte in diesem Augenblick eine Stimme, die Mark und Bein erschütterte, und aus der Tiefe der See zu kommen schien. – »Wollt Ihr das Schiff zerschellen lassen? – Wenden, sage ich, auf der Stelle wenden!«

Erstaunt und betroffen stand Alles einen Augenblick athemlos. Semmes eilte an die Galerie und blickte über Bord. Da lag an dem Backbord hinten ein Lootsenboot, und Einer von den Insassen desselben hatte sich bereits zur Fallreepstreppe emporgeschwungen und stand nach einigen Sekunden mitten unter der erstaunten Mannschaft und schritt auf den Capitain zu.

»Ich bin der, den Sie gestern suchten, Sir,« sagte er. »Mein Name ist Evans. Sprechen Sie die Losungsworte, und ich will Ihnen beweisen, daß ich die richtige Antwort darauf habe. Ich weiß nicht, wer dieser hier ist,« – er deutete auf Powel. – »Wenn aber meine Losung Ihnen nicht genügt, so sehen Sie diese Pariere. Ich habe gestern und heute an dem bezeichneten Orte gewartet. Niemand kam. Als ich den »Macdonald« in See gehen sah, habe ich mich aufgemacht, um unaufgefordert auf Ihr Schiff zu kommen. Doch Alles das später. – Lassen Sie wenden, Herr!«

Krell ließ das Manöver, das auch nach seiner Meinung das einzige richtige war, sofort ausführen. Das Schiff hob sich langsam aus der schiefen Lage, in welche es der Sturm geschleudert hatte. Die Segel schlugen, als wollten sie sich gewaltsam aus ihren Banden reißen. Jede Weisung des neuen Lootsen ward schnell und sicher ausgeführt – Das Steuerruder ward fest gemacht; die Topraaen boten sich dem Winde dar; bald drehte sich das Schiff auf seinem Kiele herum und bewegte sich rückwärts.

Mit Ingrimm sah der an den Mast gebundene junge Mann dies Manöver ausführen. »Verdammt, die Alabama ist gerettet!« rief er zähneknirschend.


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