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Achtundreißigstes Kapitel.
Sonderbare Gäste

Unter den ehemaligen Sklavenbesitzern in Maryland war eine der bekanntesten Persönlichkeiten Mrs. Surratt, die Wittwe des Capitain Surratt. Sie hatte nach dem Tode ihres Mannes sich eine Farm in Maryland gekauft und dieselbe mit Sklaven bewirthschaftet. Sie stand in dem Rufe einer sehr charakterfesten und fromme Frau, bei ihren Sclaven aber vor allen Dingen in dem Rufe einer strengen Herrin, die stets unerbittlich jedes Versehen unbarmherzig bestrafen ließ.

Den Ruf der Charakterstärke verdankte sie der Entschiedenheit, mit welcher sie der Wahl des Präsidenten Lincoln entgegengearbeitet hatte, und dem unermüdlichen, opferwilligen Eifer, mit welchem sie stets die Interessen des Südens vertrat. Sie that in allen streitigen Fragen, welche die Politik betrafen, stets mehr als mancher einflußreiche Mann that. Geldopfer, Reisen, persönliche Verwendungen – nichts scheute sie, um dem Süden zur Durchführung seiner Agitationen zu helfen. Diesem ihrem Verdienst ist es auch zuzuschreiben, daß sie selbst beim Präsidenten der Conföderation in hohem Ansehen stand. Wir wissen bereits, daß ihre Tochter Marie eine Freundin der Tochter des Präsidenten und ein äußerst gern gesehener Gast in deren Familie war. Ob der Zweck ihres Aufenthaltes in Richmond reine Freundschaft für Miß Jenny Davis war, oder nur, um die Mittelsperson zwischen ihrer Mutter und dem Präsidenten zu machen, das sei dahin gestellt, jedenfalls aber wurde das Letztere erreicht; sie versah ihre Mutter mit Nachrichten aus Richmond und empfing von ihrer Mutter Instruktionen für gelegentliche Conferenzen mit Jefferson Devis.

Seitdem in Maryland die Sklaverei abgeschafft war, hatte auch Mrs. Surratt ihre Sklaven gegen die von der Regierung bewilligte Entschädigung freilassen müssen. Sie hatte in Folge dessen die Bebauung ihrer Farm aufgegeben und dieselbe zum Verkauf ausgeboten, wohnte aber noch dort. Ihr Landhaus, Surrattsville lag nicht weit vom Potomac, südlich von Washington in einer ziemlich einsamen und unbesuchten Gegend. Doch war es den Dienern nicht mehr auffallend, daß oft Fremde dort ansprachen, meistens Herren von vornehmem Aussehen, mit diplomatisch verschlossenen Mienen und geheimnißvollem Wesen. Namentlich waren solche Besuche häufig zur Zeit politischer Krisen oder der Wahlen oder großer socialer Fragen. Sie wurden von Mrs. Surratt stets aufs Beste aufgenommen, von ihren Geschäften aber hörte Niemand etwas, denn die Berathungen wurden immer mit großer Heimlichkeit gepflogen.

Seit dem Ausbruch des Kriegs bildete Surrattsville den Centralpunkt und Sammelplatz aller der Unzufriedenen und Anhänger des Südens, welche in Washington und der Umgegend wohnten. Hier wurden die Agitationen eingefädelt und von hier aus wurden die Intriguen in Scene gesetzt.

So sehr die Dienerschaft aber auch an Besuchen der Art gewöhnt war, so sah man doch an dem Abend, an welchem wir den Leser nach Surrattsville führen, den Portier mehrmals den Kopf schütteln und die Gäste, die sich nach und nach einfanden, mehr und mehr mit mißtrauischen Blicken mustern.

»Ich weiß nicht, wie's zugeht,« äußerte er gegen den Kammerdiener, der eben die Treppe herabkam, »aber die Gesichter der Leute, die heute Abend sich hier zusammenfinden, gefallen mir nicht; am wenigsten der, den Du eben in das Empfangszimmer begleitet hast.«

»Da hast Du Recht,« antwortete der Kammerdiener, »der Mann sah nicht aus, als ob er in den Salon einer Lady wie Mrs. Surratt gehöre.«

»Was mir aber das Ausfälligste scheint,« versetzte der Portier, »das ist, daß die Leute alle bloß Vornamen haben. Von den Vieren, die hier seit drei Stunden angekommen sind, heißt der erste Mac, der andere George, der dritte Bob und der Letzre, den Du eben hinauf begleitet hast, heißt John.«

»Das ist noch nicht so auffällig wie die Manieren dieser Leute,« widersprach der Kammerdiener. »Wir sind fast nur gewohnt, hier Leute von politischer Bedeutung zu empfangen, ehrwürdige, alte Herren mit steifer Cravatte und aristokratischen Bewegungen; das Kinn glatt rasirt und das Haar sauber gebürstet; aber diese? – Da ist der Mr. Mac – wenn es mir erlaubt ist ihn Mister zu nennen – der sieht aus wie ein Sklavenvogt aus Virginien; dann Mister George, nun den lasse ich mir gefallen, er sieht zwar nicht aus wie ein einflußreicher Staatsmann, aber doch wie ein junger Mann aus guter Familie, dagegen der Bob sieht aus wie ein Erzspitzbube.

Wenn ich nicht wüßte, daß er sich im Salon der Lady befindet, so würde ich um das Silberzeug besorgt sein. Und der Letzte gar, Mr. John, bat eine wahre Galgenphysiognomie, der struppige rothe Bart, das ungekämmte Haar, die Augen, das gemeine Grinsen – ich kann mir nicht erklären, wie Mrs. Surratt, die sonst doch nicht den Fehler allzugroßer Herablassung hat, solche Leute bei sich empfangen kann.«

»Weißt Du, Lewis,« nahm der Portier das Wort, »mir ist jetzt so manches unerklärlich.«

»Du meinst, daß Mrs. Surratt ihre Farm und ihr Haus verkauft?«

»Das auch, aber noch mehr, daß sie ihre ganze Dienerschaft entläßt. – Du weißt doch, daß zum Ersten Alle gekündigt sind.«

»Nun, ich denke mir, daß ihre pekuniären Verhältnisse nicht mehr derart sind ...«

»Da irrst Du Dich, Lewis. Sie hat Geld auf der Bank in Baltimore und hat durch die Freilassung der Nigger eine hübsche Summe verdient, rechne dazu noch den Ertrag für die Farm, so kannst Du annehmen, daß ihre pekuniären Verhältnisse glänzend genug sind.«

»Sie wird jedenfalls ihre Wohnung in irgend einer Stadt nehmen, wo sie ein so großes Personal nicht gebraucht.«

»Nun sie wird doch dort eine Köchin und ein Kammermädchen so gut gebrauchen wie hier; aber auch die sind gekündigt. – Da kommt schon wieder ein Wagen.«

Der Wagen, den der Portier sah, fuhr in scharfem Trabe in den Hof.

»Ob der Herr, der darin sitzt, wohl wieder bloß einen Vornamen hat?« fragte Lewis, der Kammerdiener.

»Und ob er auch so ungentlemanisch aussieht wie die Andern?« fügte der Portier hinzu.

Der Wagen hielt. Mit widerwilligem Zögern trat der Portier an den Schlag und öffnete, während der Kammerdiener eben so zögernd und ebenso widerwillig seinen Paletot und seine Reisetasche in Empfang nahm.

Da es draußen dunkel war, so konnten sie nur undeutlich das Gesicht des Fremden sehen, aber so wie derselbe den Fuß aus dem Wagen setzte, so sahen sie, daß sie es hier nicht mit einem Manne von gemeinem Schlage, sondern wirklich mit einem Gentleman zu thun hatten. Seine Bewegungen waren graziös und gewandt und seine Manieren die eines Mannes, der sich sein Lebenlang in der feinen Welt bewegte.

»Melden. Sie mich Mrs. Surratt,« sagte er in befehlender Kürze zum Kammerdiener.

»Ihr Name,·Sir?« fragte der Kammerdiener.

»Wilkes!«

»Ah, ich bitte um Entschuldigung, ich erkannte Sie draußen in der Dunkelheit nicht,« versetzte der Kammerdiener, der jetzt im Lichte der Hauslampe die Bemerkung machte, daß es kein fremdes Gesicht sei, was er vor sich hatte. – »Bitte hier hinauf, Sir, Mrs. Surratt erwartet Sie im Salon.«

»Der Fremde stieg die Stufen mit· leichtem, elastischem Schritt hinan und betrat das Vorzimmer in der Manier eines Mannes, der nicht zum ersten Male an diesem Orte ist. Als der Kammerdiener die Thür zum Salon öffnete, um den Namen des Mr. Wilkes hineinzurufen, erfolgte sofort die Antwort:

»Laß den Herrn unverzüglich eintreten!«

Der Salon der Mrs. Surratt war ein geräumiges Zimmer und unterschied sich von den Salons anderer Damen der vornehmen Welt auf den ersten Blick dadurch, daß hier Alles von peinlicher Ordnungsliebe zeugte. Alles schien nach einem bestimmten Gesetz aufgestellt und mit Zollstock und Winkelmaaß angeordnet zu sein. Die Stühle standen in gleicher Entfernung von einander, der ovale Tisch genau in der Mitte vor dem Sopha, der Untersatz der Lampe, welche auf dem Tisch brannte, befand sich genau in der Mitte des Fonds der Tischdecke. Die Noten auf dem Piano lagen so senkrecht aufgeschichtet, als ob sie ein einziges Buch wären, die Fauteuils, welche zu beiden Seiten des Tisches standen, bildeten genau denselben Winkel mit der Borte des großen Teppichs, der seinerseits so glatt und grade lag, als wäre er auf dem Fußboden angeklebt. Kurz Alles in dem Zimmer war so peinlich steif, so gemessen und eckig wie Mrs. Surratt selbst, welche so grade in einem der Fauteuils saß, als fürchtete sie die Symmetrie des Ganzen zu stören, wenn sie die senkrechte Linie ihres Oberkörpers nicht streng beobachtete.

Steif wie das Zimmer war ihr Benehmen, unveränderlich wie die Ordnung der Meubles waren die Züge ihres Gesichts; eckig und winkelrecht wie jede Verzierung des Satans waren die Körperformen der Dame. Sie hatte eine hohe Figur und mochte früher nicht unschön gewesen sein, namentlich war ihr großes blaues Auge voll Intelligenz, doch fehlte ihm der milde Glanz der Weiblichkeit; und wenn er jemals vorhanden war, so hatte die Härte und Entschiedenheit ihrer Züge diesen Vorzug nicht zur Geltung kommen lassen.

Mit einer gemessenen Handbewegung forderte sie den Herrn, der sich als Mr. Wilkes hatte anmelden lassen, auf, in dem zweiten Fauteuil Platz zu nehmen, eine Aufforderung, welcher der junge Mann mit graziöser Verbeugung nachkam.

»Sie sind also noch immer Willens, Ma'am, sich mit uns zum großen Werke der Befreiung zu verbinden?« nahm er das Wort.«

Mrs. Surratt antwortete nur durch ein unmerkliches Nicken des Kopfes.

»Ich darf natürlich voraussetzen,« fuhr der junge Mann fort, »daß Sie die Gefahren hinlänglich erwogen haben, die mit diesem Entschlusse verbunden sind?«

Wieder ein Nicken des Kopfes, diesmal aber begleitet von einem verächtlichen Zucken der Mundwinkel.

»Darf ich fragen, Ma'am, – da Sie mit unsern Plänen hinlänglich vertraut sind – worin die Hülfe bestehen wird, die Sie uns zu leisten beabsichtigen?«

Mrs. Surratt blickte ihn erst eine Weile mit ihren strengen blauen Augen scharf an, ehe sie antwortete:

»Worin die Hülfe bestehen wird, das läßt sich vorher nicht sagen; aber ich werde nirgend fehlen, wo irgend meine Hülfe Ihnen nützen kann.«

»Sie haben sich also eine bestimmte Aufgabe noch nicht gestellt?«

»Das habe ich gethan, Mr. Booth, und ich werde Ihnen sagen, was ich für Sie oder vielmehr für die Sache des Südens zu thun beabsichtige. – Sie wissen, ich verkaufe dies Haus.«

»Ich las die Ankündigung, Ma'am.«

»Ich entlasse auch meine ganze Dienerschaft ohne Ausnahme.«

»Wie! Welchen Zweck hat das?«

»Weil ich an meinem späteren Aufenthaltsorte ungekannt sein will. Ich werde in der Vorstadt von Washington ein Haus kaufen und dasselbe zu einem Boarding-Hause Ein Speisehaus, wo aber auch Fremde logiren können. einrichten lassen. Von diesem Vorhaben darf Niemand, der mich kennt, eine Ahnung haben.«

»Wie? Mr. Surratt, Sie, die Sie an das Leben der vornehmen Welt gewöhnt sind, die Sie im Stande sind, sich mit allen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten zu umgeben, Sie wollen die mühevolle und für Ihren Stand erniedrigende Beschäftigung einer Speisewirthin ergreifen?«

»Ja, Mr. Booth, das ist mein Entschluß.«

»Aber ich sehe nicht ein, welchen Nutzen uns dies große Opfer, welches Sie bringen wollen, gewähren kann?«

»Ich will es Ihnen sagen. – Sie müssen nothwendig einen Sammelpunkt haben, ein Centrum, von dem aus die Unternehmungen ins Werk gesetzt, und wo sich die Theilnehmer des Bundes zum Empfange neuer Instruktionen immer versammeln können. Ein solcher Ort muß aber in der Nähe der Stadt liegen, welche der Schauplatz Ihres Wirkens ist, und das ist vor allen Dingen Washington, die Residenz Lincolns. – Ein solcher Ort muß ferner unter Aufsicht einer Person stehen, welcher man in jeder Beziehung vertrauen kann, und eine solche Person bin ich. – Ein solcher Ort muß endlich ein völlig unverdächtiger sein; es darf nicht auffallen, wenn man dort oft mehrere Männer eintreten sieht, und ein solches Haus ist ein Boarding-Haus. – Begreifen Sie nun, weshalb ich den Entschluß faßte?«

»Mrs. Surratt, ich bewundre Sie.«

Es war dies keine leere Eloge, die Booth aussprach, sondern es war ihm völliger aufrichtiger Ernst. Von diesem Augenblicke an datirt sich die Hochachtung, ja fast zu sagen die Verehrung, die er, so lange das verbrecherische Bündniß währte, gegen diese Frau hegte, und die, wenn Booth sie überlebt hatte, sicherlich bis übers Schaffot hinaus gewährt haben würde. –

»Sie kennen jetzt meine nächsten Pläne,« nahm Mrs. Surratt wieder das Wort. »Es ist aber damit nicht ausgesprochen, daß das Alles ist, was ich zu thun beabsichtige: vielmehr dürfen Sie darauf rechnen, daß ich jederzeit bereit bin, die Rolle in dem Drama zu übernehmen, welche Sie mir zuertheilen werden. Mein Vermögen und – mein Leben stehen Ihnen zur Verfügung. – Da ich Ihnen das nun gesagt habe, so mögen Sie Ihren Verbündeten jetzt Ihre weiteren Instruktionen ertheilen; sie warten im Empfangszimmer. Ist's Ihnen gefällig?« –

Sie machte eine Bewegung mit der Hand nach der Thür deutend. Booth aber zögerte noch, der Aufforderung zu folgen.

»Noch eine Frage, Mrs. Surratt,« sagte er. »Ich komme soeben aus Kentucky und zwar von Georgesville, es fehlen mir also die neuesten Nachrichten aus New-York Haben Sie vielleicht neuere Nachrichten von dort gelesen?«

»Ich habe die gestrige Zeitung vom 26. August gelesen.«

»Sie wissen, daß die Vergiftung des Wasserreservoirs viel Aufsehen machte und Anfangs guten Erfolg hatte?«

»Anfangs, ja. – Aber nach zwei Tagen hatten die Chemiker die Ursache des Uebels entdeckt. Das Reservoir ward untersucht, das Gift entfernt, und New-York ist jetzt so gesund wie jemals; das ganze Verfahren hat weiter keine Folge gehabt als den Tod von 7 – 900 Menschen und noch dazu meistens Leuten aus dem Pöbel.«

»Es war eben auch nur ein Versuch. Ich hatte mir selbst keinen großen Erfolg davon versprochen. Aber schon dieser schwache Anfang unserer Thätigkeit hat die Herrn vom goldnen Cirkel dermaßen befriedigt, daß sie zur Feier desselben ein Fest im Ritterhause zu veranstalten beabsichtigen. Mr. Sanders kam expreß zu Cleary, um mich zu demselben einzuladen.«

»Gehen Sie hin, Mr. Booth. Nehmen Sie an dem Feste Theil, es ist vielleicht geeignet, das Band zwischen Ihnen und den Rittern vom goldenen Cirkel enger zu knüpfen und mag Ihnen auch sonst eine wohlthuende Abwechselung auf Ihrem dunklen Pfade sein. – Aber ich bitte Sie, falls Sie nicht noch sonst Fragen an mich zu richten haben, Ihre Freunde nicht länger warten zu lassen. – Ist's Ihnen gefällig, so lassen Sie uns in's Empfangszimmer gehen.«

Mrs. Surratt nahm Booth's Arm und ging mit ihm zur Thür.


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